GWT-2 Besuchsbericht von Michael Becker

Rede von Michael Becker, Kernen 21, auf der 515. Montagsdemo[1] am 8.6.2020

Nach 10-monatiger Umzugspause hat letztes Wochenende der S21-Turmforum-Nachfolger ITS seine Pforten geöffnet. ITS klingt ein bisschen technisch, die Abkürzung steht für Info Turm Stuttgart, eingegeben in einer Suchmaschine landet Mensch auf der Homepage einer IT-Schule und nicht beim Stuttgart-21- Propagandaverein, da wäre GWT-2 (GehirnWäscheTurm der Zweite) doch ein viel treffenderer Name gewesen.

Deutet der Mercedesstern auf dem Bonatzbau schon von weitem an, in welchem Interesse hier Bahnpolitik beworben wird, kommt das neue Gebäude an Gleis 16 eher unscheinbar daher. Obwohl die AusstellungsmacherInnen betonen, 80 % seien neu gestaltet, offenbart sich sofort, hier wird alter Wein in neuen Schläuchen geboten.

Erwähnung findet die Magistrale Paris-Bratislava, eine Kapazität von 70 Zügen die Stunde wird gelobt, 5000 Jobs während und 9000 nach der Bauzeit sollen geschaffen werden, ein ebenerdiger Zugang zum Tiefbahnhof von der Königstraße aus, die geniale Architektur, die Leistung der Tunnelbauer, der Finanzierungsvertrag, die Volksabstimmung, die Geisslersche Schlichtung und so weiter und so fort.

So sehr sich die Projektschönfärber mit den „Leistungsdaten“ der geplanten Haltestelle weit aus dem Fenster lehnen, so sehr blenden sie die Realität aus: Die Magistrale wird nicht durch S21 schneller, sondern durch die Neubaustrecke, die sich auch an den Kopfbahnhof anbinden ließe, eine Kapazitätsermittlung des modernisierten 16-gleisigen Kopfbahnhofes hatte die Bahn wohlweislich abgelehnt. Sind Eisenbiegerjobs für 7 Euro die Stunde erstrebenswert? Neu geschaffene Jobs wie z.B. im Milaneo fallen in der Region durch Ladensterben doppelt weg. Schön, wenn ich in die Verteilerebene des Tiefbahnhofes ebenerdig gelange, nur wie komme ich von dort zum Gleis? Über den kaputten Fahrstuhl oder die zu enge Treppe? Was nützt mir ein preisgekrönter Kelch, wenn ich im Dunkeln auf einem schmalen Bahnsteig auf einen verspäteten Zug warte? Stillstand im Wangener Tunnel, ein Wassereinbruch bremst hier die Ingenieurskunst seit Monaten aus. Die Kosten haben sich mehr als verdoppelt, um die Mehrkostenverteilung wird vor Gericht gestritten. Hatte Geissler nicht einen Kombibahnhof unter Erhalt oberirdischer Gleise empfohlen? Wo sind diese?

Leider können BesucherInnen, die die Geschichte von S21 nicht kennen, diese Fragen nicht stellen. Der Protest gegen das Projekt wird zwar auf zwei Quadratmetern erwähnt, dass sich aber nahezu alle Kritikpunkte der S21-Gegner über die Jahre bewahrheitet haben, und dass mit dem Konzept Umstieg 21 ein leistungsfähigerer Bahnknoten realisiert werden könnte, wird naturgemäß verschwiegen.

Oje, jetzt habe ich so viele negative Aspekte von GWT-2 erwähnt, da sollte ich doch auch die beiden positiven Punkte nicht unterschlagen, die da wären: Für den Besuch ist eine Anmeldung auf dem Internetportal erforderlich. Das allein schützt schon viele potentielle Besucher vor Fehlinformation. Aber das Beste ist, der Turm kostet 5 Euro Eintritt, was dazu führte, dass am Eröffnungssamstag außer mir nur fünf PolizistInnen und das Ausstellungspersonal die 3,4 Millionen teure Werbehütte bevölkert haben.

Übrigens gibt es zum ITS auch eine neue Ausgabe des Projektmagazins, das sich so wunderbar auf „Betrug“ reimt. Dieses liegt in einem Ständer vor dem Eingang kostenlos aus. Wenn Sie sich dort bitte großzügig bedienen und somit dazu beitragen, dass nicht allzu viele unbescholtene Bürger mit den Ausführungen von Steffen Bilger zum Projekt S21 konfrontiert werden, hätten sie damit eine gute Tat vollbracht.

In diesem Sinne: Oben Bleiben!

[1] ab 16.3.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, online: https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Michael Becker als pdf-Datei

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Eine Antwort zu GWT-2 Besuchsbericht von Michael Becker

  1. Rainer Stahl sagt:

    Klasse ! Sehr schnell und sehr gut recherchiert. Wenn ich wieder mal nach Stuttgart komme, werd‘ ich mir den Quatsch auch ansehen und lass mir am Ende die 5 Euro wegen Falsch-Information wieder erstatten.

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