Was die OB-Kandidat*innen auf die Fragen zu S21 geantwortet haben

Rede von Dr. Werner Sauerborn, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 534. Montagsdemo am 19.10.2020

Liebe Freundinnen und Freunde,

was wir gerade mit Stuttgart 21 erleben – Winnie Wolf hat es in seiner fulminanten Rede am letzten Montag hier vorgeführt – ist das harte Aufschlagen einer gescheiterten Planung auf dem Boden der Realität.

Was ist es anders als ein Offenbarungseid, wenn der sogenannte Vater von S21, Prof. Heimerl, und der Gutachter der Fildergemeinden, Prof. Hohnecker, sich von der Fildertrasse distanzieren und Herr Bilger, Staatssekretär des Verkehrsministers auf Abruf – Andreas Scheuer – und die Region schon an milliardenschweren Ersatzlösungen arbeiten?

Was ist es anderes als ein Eingeständnis des Scheiterns, wenn Verkehrsminister Hermann und mit ihm – Hände an die Hosennaht – die Grünen in Stadt und Land auf die an Absurdität nicht mehr zu überbietende Idee verfallen, jetzt noch einen zusätzlichen unterirdischen Kopfbahnhof für weitere Milliarden Euro und weitere Hunderttausende Tonnen CO2 vorzuschlagen?

Was ist es anderes als ein stummer Offenbarungseid, dass, während ich hier rede, wieder 150 Badewannen Wasser in den Obertürkheimer Tunnel eindringen?

Und trotzdem: Obwohl jeder dieser Punkte für sich ein Skandal ist und einen sofortigen Baustopp auslösen müsste, wird weiter gebaut – und geschwiegen. All unsere guten Argumente, unsere Gutachten, unsere Pressemitteilungen prallen ab an einer Mauer des Schweigens, errichtet von den um Gesichts- und Karriereverluste fürchtenden Projektbefürworten, Grüne inklusive.

Eine beschämende Rolle in diesen Schweigekartell spielen die beiden Stuttgarter Zeitungen. Ist Schweigen auch Lügen? Zumindest ist es Täuschung! Indem sie keine kritischen Fragen stellen, so gut wie nicht über die kapitalen Defizite des Projekt berichten, indem sie Skandale nicht Skandale nennen, indem sie im Wahlkampf die Kandidat*innen gezielt nicht zu ihrer Verantwortung für bzw. ihrer Haltung zu Stuttgart 21 befragen, leisten sie der Wählertäuschung über die Lage des Projekts Vorschub (gemeint ist hier wie immer bei dieser Kritik die Linie der Blätter, nicht jedeR Redakteur*in).

Wahlkampfzeiten sind Zeiten erhöhter politischer Aufmerksamkeit und deswegen für uns auch eine Chance, dieses Spiel zu durchkreuzen und Stuttgart 21 auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen. Das ist das Ziel unserer zehn Fragen an die OB-Kandidat*innen zu Stuttgart 21. Ein bisschen machen wir damit den Job, den die Stuttgarter Zeitungen nicht machen.

Wir haben diese Fragen zum einen an die Kandidat*innen direkt gerichtet (darüber berichte ich gleich), zum anderen – vielleicht noch wichtiger – haben wir ein Flugblatt drucken lassen, mit dem die Bürger*innen angeregt werden sollen, eben diese Fragen, wo immer sich die Gelegenheit bietet, ihren Kandidat*innen zu stellen. Wir haben jetzt die zweiten 10.000 drucken lassen. Am besten, gerade in Corona-Zeiten, ist die Verteilung über die Briefkästen. Damit nicht die einen Briefkästen mehrfach bestückt und andere leer bleiben, gibt es einen Stadtplan – während der Demos hier und sonst an der Mahnwache – wo man sich mit Marker eintragen kann. Auch bitte dabei Abstand wahren und Masken tragen.

Zunächst muss man sich höflicherweise bei den Kandidat*innen bzw. ihren Teams bedanken, dass sie fast alle die Fragen beantwortet haben. So viel demokratische Kultur ist noch!

Da ist zunächst die Garde der alten Proler. Von der CDU Frank Nopper und offiziell von der SPD Martin Körner. An Nopper, der sich erst gar nicht auf die detaillierten Einzelfragen einlässt, scheinen die letzten 10 Jahre Stuttgart 21 spurlos vorbei gegangen zu sein. Unbeirrt meint er „ohne Stuttgart 21 werden Stuttgart und Baden-Württemberg langfristig vom internationalen Bahnverkehr abgehängt.“ Und Martin Körner, ganz die alte Beton-SPD, hat keine Probleme mit weiterem Tunnelbau und weiterer Bodenversiegelung, wobei ihn nicht irritiert, dass Wohnungsbau auf dem Rosensteinareal erst gegen Ende der dreißiger Jahre möglich sein würde und längst große Konversionsflächen in Aussicht stehen. Körner glaubt auch unbeeindruckt von allen Fakten weiter an eine Verdopplung der Fahrgastzahlen bei halbierter Gleiszahl.

Man fragt sich, wie sich solche Politiker vorstellen, 8 Jahre die Geschicke der Stadt zu lenken, in denen sie jeden Tag mit den Widrigkeiten und möglicherweise Katastrophen des Projekts zu tun haben werden.

So schwarz-weiß wie bei Nopper und Körner ist es bei Veronika Kienzle nicht. Die 8 Jahre ihres Partei-kol­legen Fritz Kuhn waren verlorene Jahre. Niemals wäre er wiedergewählt worden, das zeigen die jüngsten Umfragen – und das nach mehrheitlicher Meinung wegen Defiziten in der Verkehrs-, Klima- und S21-Politik. Für unsere Sicht auf Veronika Kienzle ist also entscheidend, ob sie sich abgrenzt von der Linie Kuhns. Ob es da reicht, mehr Transparenz, Kommunikation und Beteiligung zuzusagen als Kuhn, der sich 8 Jahre lang geweigert hat, mit dem Aktionsbündnis zu sprechen?

Die schönste Kommunikation nützt leider nichts, wenn es in der Sache keine Offenheit gibt. Und in der Sache sind ihre Aussagen ganz auf Kuhns- und Parteilinie: Auch Kienzle meint,

  • S21 leiste mit halber Gleiszahl 30% mehr. Das will sie mit ETCS und Doppelbelegungen der Gleise erreichen. Na dann Prost!
  • Brandschutz? Kein Problem, es wurde ja mit neuen Treppenhäusern „nachjustiert“!
  • Rosenstein/Bodenversiegelung: kein Problem, man müsse das nur ökologisch gestalten mit Dachbegrünung etc.
  • Flughafenanschluss – der habe auch Vorteile, weil man dann mit dem Zug statt dem Kurzflieger nach Frankfurt und Zürich (naja) käme.
  • Sogenannte Ergänzungsprojekte: Ja zum Nordzulauf, ja zum unterirdischen Zusatzbahnhof, vielleicht zu langem Fildertunnel.

Zusammengefasst: Viel Ausweichen, viel Unentschiedenheit, Verbesserungen im Detail, Fortsetzung von S21 mit aufwändigen Ergänzungsprojekten. Umstieg und Denkpause werden klar abgelehnt.

Mit dieser im Kern klimafeindlichen ungrünen Position müssen Kienzle und die Grünen aufpassen, dass es ihnen nicht so ergeht wie in Konstanz, wo die Grünen bei einem solchen Kurs nicht mehr mitmachen wollten und zur Wahl von Luigi Pantisano aufriefen, oder in Hessen, wo die Fridays wegen Rodungen im Dannenröder Forst für eine Autobahn vor die Parteizentrale der Grünen zogen und sie mit Slogans besprühten.

Kurz noch zu den neuen und weiteren Kandidaten. Sie haben sich die Finger nicht dreckig gemacht bei S21, könnten also mutiger auftreten. Tun sie aber nicht. Sie bleiben vage, wie Marian Schreier, der es sich einfach macht, wenn er sagt, der Kostenrahmen müsse halt eingehalten und die Kapazität gewährleitet sein. Marco Völker vielleicht noch, der eine gesunde Skepsis gegenüber der Bahn hegt, auf den technischen Fortschritt zur Lösung von Problemen setzt, aber ansonsten meint, das Projekt hinnehmen zu müssen. Ralf Schertlen kritisiert viel, aber will sich bei der Rosensteinbebauung einklinken. Zur Frage nach einer Denkpause antwortet er: „Naja“.

Und dann gibt es noch den Kandidaten Hannes Rockenbauch. Klares Bekenntnis gegen Stuttgart 21 und für den Umstieg, z.B. für die Idee der Tunnelnutzung für eine intelligente, vollautomatisierte Güterlogistik, für die nicht nur befristeten Erhalt der Gäubahn zum Kopfbahnhof. Keine Attraktivitätssteigerung des Flughafens durch Flughafenanschluss. Nach weiteren Tunnel gefragt, antwortet er: „Das ist unverantwortlich“, und klar fordert Hannes die Denkpause.

Jetzt bitte ich meinen Freund und Mitstreiter im Aktionsbündnis, Eisenhart von Loeper, unter all dies einen Strich zu machen, und für uns die (naheliegende) Konsequenz zu ziehen.

Reden von Werner Sauerborn und Eisenhart v. Loeper als pdf-Datei

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