Wer rettet wen?

Rede von Michael Becker, Kernen 21, auf der 577. Montagsdemo am 30.8.2021

Der geplante neue Flughafenbahnhof ist nicht nur aus technischen Gründen ein schwerer Fehler – 27 Meter tief, weit weg vom Terminal, sich beeinträchtigender Mischverkehr im Zulauf, etc. p.p. – sondern auch wegen der zu erwartenden Verlagerung von klimafreundlichem Bahnverkehr auf klimaschädlichen Flugverkehr. Dies ist so geplant, von Anfang an beabsichtigt.

Schließlich hat sich der Flughafen ja auch mit 339 Millionen Euro am Projekt Stuttgart 21 beteiligt. Die Annahme, dass Stuttgart 21 dem Flughafen nutzen soll, wird im Projektmagazin Bezug, Ausgabe 29 vom August 2020 auch ungeniert bestätigt. Ich zitiere aus einem Interview mit dem langjährigen Geschäftsführer und seit 2017 Sprecher der Geschäftsführung, Walter Schoefer: „Die Europäische Union fördert Stuttgart 21 mit der Prämisse, dass Straße, Schiene und Luftverkehr besser verzahnt werden. Dies geschieht durch die neue Fernverkehrsstation.“

Mit wie vielen Menschen rechnen Sie, die in touristisch besseren Zeiten zusätzlich über diese Schiene kommen?“ fragt die Redaktion. Antwort Walter Schoefer: „Untersuchungen haben gezeigt, dass unterm Strich bis zu 1,2 Millionen mehr Fluggäste durch den Fernbahnhof am Stuttgarter Flughafen möglich sind. Natürlich werden auch Fluggäste auf die Schiene wechseln, aber nach den Berechnungen der Verkehrswissenschaftler ist der Saldo für den Flughafen positiv.“

Somit widerspricht der geplante Fernbahnhof von Anfang an den selbst gesteckten Zielen, klimaschädliche Emissionen zu minimieren.

Die erste Weltklimakonferenz fand schließlich schon 1992 in Rio de Janeiro statt. Spätestens jetzt, seit dem Bundeverfassungsgerichtsurteil vom 29. April 2021 haben die Verantwortlichen zu prüfen, ob ein solches Bauwerk, das durch die Errichtung, aber insbesondere durch seine Verkehrsverlagerungswirkung extrem klimaschädliche Folgen hat, überhaupt noch weiter verfolgt werden darf. Ethisch moralisch, meiner Meinung nach, auf keinen Fall, deshalb fordere ich den sofortigen Stopp des Fernbahnhofes und eine Einbindung der Gleise bis Wendlingen in einen S-Bahn-Ringschluss, wie er im Konzept Umstieg21 von uns schon vor Jahren propagiert wurde.

Übrigens hat der Flughafen in den letzten Jahren auch auf anderen Wegen kräftig um mehr Passagiere gebaggert, die Airlines haben insgesamt 178 Millionen Euro in Form von Rabatten auf ihre Gebühren erlassen bekommen, wenn sie u.a. neue Linien und Ziele eingerichtet haben. Geld, das letztlich der Stadt Stuttgart an anderer Stelle fehlt, verplempert, um Billig-Flieger zu pampern, statt zum Beispiel das Ein-Euro-ÖPNV-Ticket zu fördern oder Nachtzügen die Stationsgebühren im Stuttgarter Kopfbahnhof zu erlassen!

Und jetzt führt die Luftfahrt-Lobby an, dass doch alles klimafreundlich wird. Dem ist aber mitnichten so. Es ist löblich, dass am Boden des Stuttgarter Flughafens viel zur CO2 -Minimierung unternommen wird, die Hauptemissionen entstehen aber durch das Fliegen selbst mit dem hohen Kerosinverbrauch. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Pflanzliche Kraftstoffe als Kerosin-Ersatz scheiden aus, weil die Anbauflächen zur Nahrungsmittelproduktion gebraucht werden, und ohnehin schon der CO2-Speicher Regenwald zugunsten von Palmölplantagen katastrophal vernichtet wird. Darum soll es jetzt der Zaubertrank mit dem Namen E-Fuels richten. E-Fuels sind synthetische Kraftstoffe, die aus Wasserstoff und Kohlendioxid in einem chemischen Prozess hergestellt werden. Das Kohlendioxid wird dabei idealerweise Emissionen von Biogasanlagen oder industriellen Überschüssen entnommen. Der Wasserstoff muss durch Elektrolyse von Wasser hergestellt werden. Dazu werden große Mengen an Energie in Form von elektrischem Strom benötigt, und zwar wesentlich mehr als nachher im synthetischen Kraftsoff drinsteckt. Und genau darin liegt der Hund der Klimaneutralität begraben!

Bei unserem gegenwärtigen Stromenergiemix verwenden wir noch bis 2038 Kohle und darüber hinaus auch noch Erdgas, welche beide bei der Verbrennung Kohlendioxid erzeugen. Bei der Erdgas-Gewinnung entweicht zusätzlich noch so viel klimaschädliches Methan, dass bei diesem viel gepriesenen Übergangsenergie-Lieferanten nun wirklich nicht von einem Klimanutzen gesprochen werden kann. Das bedeutet, dass bei E-Fuels frühestens in 20 Jahren das bei der Verbrennung in den Flugzeugdüsen entstehende CO2 als kompensiert gewertet werden kann.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dann der Flugverkehr keine klimaschädliche Wirkung mehr entfaltet, denn besonders auf Langstreckenflügen wird der neben dem CO2 bei der Verbrennung von E-Fuels entstehende Wasserdampf in einen Gürtel von über zehn Kilometer Höhe getragen, wo er wie eine Glaskuppel hängen bleibt und zur Erdüberhitzung beiträgt.

G‘hupft wie g‘spronge, Fliegen ist und bleibt die ineffizienteste Form der Mobilität!

An der Art und Weise, wie die Gäubahn nach Zürich ausgebaut werden soll, lässt sich leicht erkennen, dass es sich dabei um eine gezielte Maßnahme handelt, dem Flughafen mehr zahlungskräftige schweizer Passagiere zuzuführen. Denn es soll nicht nur der Streckenteil zwischen Horb und Tuttlingen zweigleisig ausgebaut werden – sinnvoll und längst überfällig. Es soll auch der Bahnhof Singen, bei dem die Züge von Stuttgart Richtung Zürich und umgekehrt Kopf machen dürfen, mit einer Spange umfahren werden. Außerdem soll die Strecke noch vor dem Halt am Bahnhof Herrenberg in einem Tunnel bis zum Flughafen verschwinden. Beide Veränderungen stellen für die meisten Reisenden und speziell für die Pendler der Industrieregion Böblingen/Sindelfingen erhebliche, nicht akzeptable Nachteile dar!

Gäubahn-Ausbau ja, aber über die Panoramastrecke an den Hauptbahnhof angeschlossen und mit Halt in Herrenberg und Singen; die von Herrn Staatssekretär im Verkehrsministerium Steffen Bilger propagierte Variante ist alleine schon wegen des CO2-Ausstoßes beim Bau des mittlerweile nach ihm benannten Tunnels das völlig falsche Signal.

Durch die entstehende Direktanbindung des Flughafens an Zürich ergäben sich sogar Verlagerungs­optio­nen für ganze Flugverbindungen von Kloten nach Echterdingen. Wegen Beschränkung der Überflugrechte bei Starts und Landungen über deutsches Hoheitsgebiet – nebenbei seit Jahren Streitpunkt mit der Schweiz – fehlen dem Züricher Flughafen Expansionspotentiale. Zusätzliche Flugverbindungen wiederum würden es der Stuttgarter Flughafen-Ausbaulobby erleichtern, eine zweite Landebahn und den geplanten Terminalausbau zu rechtfertigen. Letzterer ist nur wegen Rückgangs des Fahrgastaufkommens durch die Corona-Pandemie auf Eis gelegt worden und kann jederzeit reaktiviert werden.

Es gilt also auch die sensible Filderregion vor weiterer Lärm- und Umweltbelastung zu schützen. Panoramastrecke erhalten, keinen Direktanschluss der Gäubahn an den Flughafen!

Fazit: die geplante Streckenführung nutzt den meisten Reisenden auf der Strecke nicht, soll aber die vermurxte Planung des Fernbahnhofes retten und den Flughafen beflügeln. E-Fuels sollen nicht das Klima retten, sondern die Luftfahrt vor Einschränkungen.

Und was uns alle rettet ist natürlich... Oben Bleiben!

Rede von Michael Becker als pdf-Datei

 

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Eine Antwort zu Wer rettet wen?

  1. Alexander Abel sagt:

    Endlich greift mal jemand ausser mir das Thema Fliegerei auf und an.
    Ich bin bei dem Thema allerdings schon immer wesentlich radikaler gewesen.
    Ich fordere seit Jahrzehnten die Begrenzung der Fliegerei auf einige wenige Interkontinentalflüge und – in D – auf EINEN Flughafen.
    Ich habe mich inzwischen für BER entschieden.
    F wäre zwar rein verkehrstechnisch die bessere Wahl, aber F ist eine fürchterliche
    Wunde im Waldgebiet zwischen F-MA-KA, die
    unbedingt „zu verbinden“ (d.h.stillzulegen!)
    wäre, und so müsste – wenn man Umwelt- + Klimaschutz ernst nimmt – mit sämtlichen weiteren deutschen Flughäfen verfahren werden!
    Und wenn wir schon meinen, ständig nach Europa heulen zu müssen (die Volt-Partei!),
    dann dürfte in der EU jeder Staat nur einen
    Flughafen betreiben.
    Gehen wir Deutschen mit guten Beispiel voran!
    Mit den restlichen Flächen wäre das Wohnungsproblem zu lösen, ohne dass wir dafür Agrar- + andere Freiflächen in Anspruch nehmen müssen.
    Die Fliegerei ist jedenfalls unter dem Klima-
    gesichtspunkt nicht mehr zu verantworten. –
    So sehr ich für die Beschleunigung der Bahn-
    verbindung S-ZH plädiere, so sehr bin ich gegen die Singen-Umfahrung.
    Singen ist Korrespondenz-Bhf für die Relationen S-ZH + SB-Strasbourg-OG-Schwarzwaldbahn-KN-St.Gallen.
    Ich habe auch schon mal die Idee entwickelt,
    zwischen S+Singen zwei gekuppelte ET zu fahren, und den Triebwagenzug in Singen nach ZH + KN zu flügeln.
    Kopfmachen / flügeln kostet mit Triebzügen <5min.
    Der Fahrgastwechsel nimmt mehr Zeit in Anspruch.
    Die Gäubahn ist schon seit Jahrzehnten für
    Neigetechnik ertüchtigt.
    Es könnten also ET415 eingesetzt werden.
    Zusammen mit weiteren Massnahmen könnte die Fahrzeit S-ZH auf 2:15h gedrückt werden.
    Rechnet man die Zu- + Abgangszeiten + den Buchungs- + Eincheckaufwand für Flüge ein, ist man mit den Flugzeug nicht mehr schneller.
    Nur die Profitquelle Fliegerei versiegt dann
    halt, und da liegt der Hund begraben!
    Die wegfallenden Arbeitsplätze sind mit der
    Eisenbahn locker zu kompensieren.
    Aber die EU ist nun mal ein Kapitalisten-Dachverband, und in D ist die Zentrale.
    Ich sehe jedenfalls pechrabenschwarz für die
    wichtigste Klimaschutzmassnahme überhaupt,
    die Beendigung der Fliegerei.
    Ich weiss, ich schwätze an die Wand, trotzdem
    fordere ich bei jeder Gelegenheit kategorisch: Die Flugzeuge bleiben unten und die Züge oben!
    aabel-s@gmx.de

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