Kann Wasserstoff das Klima retten?

Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 578. Montagsdemo am 6.9.2021

Liebe MitstreiterInnen,

die Flutkatastrophen der letzten Wochen mit 180 Toten und unermesslichen Schäden zeigen unmissverständlich: der Klimawandel ist auch in Deutschland bereits in vollem Gange. Die Dringlichkeit einer Energiewende ist offensichtlich. Viel zu lange hat unsere Politik das nur verdrängt, in die Zukunft verschoben, auf künftige technische Innovation gesetzt, anstatt eine wirkliche Wende einzuleiten und den „Ausstieg aus der Kohle“ zu vollziehen, um den klimaschädlichen CO2-Ausstoß nachhaltig zu verringern.

Jetzt wird wie eine Wundertüte zur Klimarettung Wasserstoff als neuer Energieträger herausgestellt. Damit könnten Kohle und Erdöl als Energieträger CO2-frei abgelöst werden – bei gleichzeitiger Sicherung unseres Wohlstandes, versteht sich. Baden-Württemberg hat dazu schon mal eine „Wasserstoff-Roadmap“ auf den Weg gebracht. Und die Bundesregierung hat mit Namibia, Marokko und den Golfstaaten Verträge zur Förderung von Pilotvorhaben zur Wasserstofferzeugung und -Lieferung abgeschlossen.

Die Parteien springen auf den Zug auf. So hält MdL Hans-Ulrich Rülke (FDP) die Wasserstoff-Wirtschaft für einen „wegweisenden Baustein in eine innovative baden-württembergische Wirtschaft, die klima- und umweltfreundlich ist, aber mit gut bezahlten Arbeitsplätzen unseren Wohlstand erhält“. Baden-Württemberg soll darin Weltmarktführer werden.

Ähnlich sieht das die CDU. Auf deren Wahlplakaten steht: „Wirtschaft und Klimaschutz gehen zusammen – mit Wasserstoff“. Dem Wähler wird vermittelt, mit dem Einstieg in die Wasserstofftechnologie ließe sich gleichermaßen das Klima retten und zugleich die Wirtschaft stärken; man müsse nur CDU wählen; die werde dann Wirtschaftswachstum und Wohlstand für alle sichern.

Der Stuttgarter Direktkandidat der CDU, Stefan Kaufmann, setzt sich selber an die Spitze dieser neuen „Bewegung“ und nennt sich seinem Internet-Auftritt zufolge gar „Mr. Wasserstoff“. Doch es reicht nicht, nur ein paar Gespräche mit interessierten Wirtschaftskreisen wie dem „Landesverband der Baden-Württembergischen Industrie“ (LVI) zu führen. Es geht dabei auch nicht wirklich um die Rettung des Klimas – das wird nur vorgeschoben – sondern allein um wirtschaftliche Interessen.

Das beflügelt die Gewinn-Erwartungen insbesondere von Groß-Unternehmen, die nun in neue Großvorhaben zur Gewinnung sowie Transport und Nutzung von Wasserstoff als neuem Energieträger investieren – unterstützt von der Politik mit Milliarden Euro an Fördergeldern, die man gerne mitnimmt.

Nicht hinterfragt werden dabei jedoch die Auswirkungen auf die Umwelt. Auch wenn beim Verbrennen von Wasserstoff nur „unschädlicher“ Wasserdampf entsteht, aber kein CO2, heißt das noch lange nicht, dass die Energiegewinnung und Nutzung von Wasserstoff auch klima- und umweltfreundlich ist, wie es so gut wie alle Vertreter in Politik und Wirtschaft vorgeben und der Öffentlichkeit einreden.

Vielmehr wird das Klima- und Umweltproblem damit nur verlagert – anstelle der schädlichen CO2-Freisetzung beim Verfeuern fossiler Brennstoffe verschärft die großtechnische Gewinnung von Wasserstoff die durch den Klimawandel verursachte Trockenheit und den Wassermangel auch hierzulande durch Absenken der Grundwasserspiegel mit dramatischen Folgen für Trinkwassergewinnung, Landwirtschaft und Natur.

Wasserstoff wird durch Zerlegen von Wasser mittels Elektrolyse gewonnen; der Wasserverbrauch dabei ist gewaltig: für ein Kilogramm Wasserstoff benötigt man – theoretisch – 9 kg Wasser; tatsächlich sind es 10 Kilogramm Wasser für ein Kilogramm Wasserstoff, berücksichtigt man die unvermeidlichen Verluste mit. Wo aber soll das viele Wasser herkommen, das für eine großtechnische Wasserstoff-Gewinnung benötigt wird? Selbst der Bodensee wäre damit bald leer!

Man denke nur an den Aralsee, der nach nur wenigen Jahren der Wasser-Ableitung zur Bewässerung riesiger Baumwoll-Plantagen bis auf ein paar Restlöcher völlig verschwunden und nur noch Wüste übriggeblieben ist als Folge unvernünftigen menschlichen Handelns, das die Auswirkungen nicht bedacht hatte.

Oder will man gar Meerwasser, was immerhin reichlich vorhanden ist, in Kesselwagen von der Nordsee bis hierher heranschaffen? Für eine bescheidene Tagesproduktion von nur 100 Tonnen Wasserstoff wären dazu 1.000 Tonnen Wasser nötig – 40 Kesselwagen je 25 Tonnen tagtäglich. Welch´ irrsinniger zusätzlicher Energie-Aufwand, verbunden mit CO2-Freisetzung, solange die Strom-Erzeugung noch nicht vollständig auf „Erneuerbare“ umgestellt ist! Eine nennenswerte Wasserstoff-Erzeugung, wie sie die „Wasserstoff-Roadmap“ für Baden-Württemberg vorsieht, ist zumindest im Binnenland wegen fehlender Wasservorräte nicht machbar!

Außerdem fallen dabei 300 kg Salz je erzeugte Tonne Wasserstoff an (bei 3% Salzgehalt des Meerwassers) – wohin dann mit dem vielen Abfallsalz? Dafür neue Deponien eröffnen? Der Transport dorthin erfordert wiederum Energie und setzt CO2 frei – ein Teufelskreis ohne Ende!

Entscheidend ist der sehr hohe Energieaufwand bei der Aufspaltung des Wassers in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff, der den Nutzwert des erzeugten Wasserstoffs weit übersteigt. Hinzu kommt weiterer erheblicher Energieverbrauch für das Pumpen des Wassers sowie entweder das Verdichten des Wasserstoffgases oder dessen Verflüssigung bei -253 °C (!), um diesen lager- und transportfähig zu machen. Als „klimaverträglich“ gilt nur sogenannter „grüner Wasserstoff“, für den ausschließlich regenerativ erzeugter elektrischer Strom verwendet wird. Es ist jedoch unsinnig, dafür viele zusätzliche Windenergie- und Solar-Anlagen zu bauen, anstatt mit viel weniger Aufwand den regenerativ erzeugten Strom aus Wind und Sonne unmittelbar zu nutzen.

Die Deutsche Bahn will in Tübingen eine Wasserstoff-Pilotanlage errichten, um Züge mit Wasserstoff- anstelle Dieselantrieb nach Sigmaringen fahren zu lassen. Mit der Elektrifizierung des Streckennetzes und regenerativ erzeugtem Strom würde jedoch eine wesentlich bessere Öko-Bilanz erreicht als mit der Wasserstoff-Technologie.

Zu bedenken ist weiterhin, dass allein schon die Errichtung der Anlagen zur Gewinnung von Wasserstoff durch den Beton- und Stahl-Verbrauch eine CO2-Freisetzung zur Folge haben wird, was dem angestrebten Klimaziel zuwider läuft. Auch „grüner Wasserstoff“ ist keineswegs völlig CO2-frei!

Jetzt sehen die „Atomfreunde“ der „Nuklearia“, offen unterstützt von der AfD und verdeckt von Teilen der CDU und FDP, in der Wasserstofftechnologie mit ihrem ungeheuren Strombedarf gar eine Gelegenheit, die Atomenergie wiederzubeleben, und fordern, aus dem beschlossenen Atomausstieg schnellstens wieder auszusteigen. Die Atomenergie wird als „CO2-frei, sauber, preiswert und klima-neutral“ angepriesen – ideal für die Wasserstoff-Erzeugung. Doch nichts von alledem stimmt!

Atomenergie ist weder sauber noch umweltfreundlich und keineswegs CO2-frei! Zwar entsteht bei der Kernspaltung im Reaktor kein CO2, dafür aber Unmengen giftiger hochradioaktiver Stoffe, die – soweit gasförmig – auch im störungsfreien Normalbetrieb laufend in die Umgebung abgelassen werden. Dennoch ist die Atomstrom-Erzeugung mit erheblicher CO2-Freisetzung verbunden. Allein der alle zwei Wochen zwingend notwendige Probelauf der großen Notstrom-Diesel-Aggregate zum Nachweis der Einsatzfähigkeit im Notfall setzt am AKW-Standort soviel CO2 frei wie 1.400 Diesel-PKW mit einer Jahres-Fahrleistung von je 12.000 km.

Die ganz großen CO2-Freisetzungen geschehen indessen beim Uran-Abbau und der Uran-Anreicherung. Zudem ist der Uran-Abbau verbunden mit Zerstörung der Umwelt sowie der Vertreibung der Ureinwohner an den Tagebau-Standorten. In Summe ist die Atomstrom-Erzeugung nicht weniger klimaschädlich als die Kohlestrom-Erzeugung.

Die Nutzung der Atomenergie ist auch nicht preiswert; das war sie nie! Von Anfang an wurde die Atomenergie mit insgesamt mehr als 500 Milliarden Euro hoch subventioniert.

Hingegen wird kein einziges Wort über die nach wie vor ungelöste Entsorgung der angefallenen hochradioaktiven Abfälle verloren. Die „Ewigkeitslasten“ der Atomwirtschaft für die sichere Aufbewahrung der hochradioaktiven Abfälle über Jahrmillionen hinweg bürden wir kurzerhand unseren Enkeln und Urenkeln und allen nachkommenden Generationen auf. Das ist höchst verantwortungslos.

Unerwähnt bleibt auch die von jedem Atomkraftwerk ausgehende Gefahr eines schweren Störfalls mit vielen Toten und Krebskranken sowie unbewohnbarer Gebiete – wie bei den Atomkatastrophen 2011 von Fukushima und 1986 von Tschernobyl.

Nein, mit Wasserstoff ist das Klima nicht zu retten, schon gar nicht mit Atomstrom. Zudem kommt die Wasserstofftechnologie auch viel zu spät; vieles ist noch gänzlich ungeklärt. Wasserstoffgas kann nicht einfach so in bestehende Gasnetze eingespeist werden – Wasserstoff verursacht Korrosion an den Leitungen und diffundiert durch allerkleinste Mikroporen hindurch. Problematisch bei Transport und Lagerung ist überdies die hohe Explosionsneigung von Wasserstoff.

Allein auf künftigen technischen Fortschritt zu setzen kann weder die drohende Klimakatastrophe aufhalten noch die bereits angerichteten Schäden beseitigen! Weiteres Zuwarten wird absehbar in die baldige Katastrophe führen. Wir müssen sehr viel mehr tun, insbesondere den verschwenderischen Energieverbrauch drastisch senken und den Restbedarf ausschließlich mit erneuerbaren Energien decken.

Klimaschädliche Vorhaben wie Stuttgart 21 sind aufzugeben; kein weiterer Bau von Autobahnen, keine neuen Flugplätze, keine HGV(Hochgeschwindigkeitsverkehr)-Trassen, keine weiteren Tunnel, weder Industrieansiedlungen noch Gewerbe- oder Siedlungsgebiete auf der „grünen Wiese“. Jeder zubetonierte Acker, der hierzulande dem Anbau von Lebensmitteln entzogen wird, vergrößert den Hunger in der Welt!

Die Bewahrung der Natur ist mit unserem heutigen Wohlstand unvereinbar; dieser beruht auf hemmungsloser Ausbeutung und fortschreitender Vernichtung der Natur weltweit mit Ausplündern der vorhandenen Güter und Bodenschätze! Für unsere Enkel wird nichts mehr übrigbleiben!

Das von Wirtschaft und Politik immer wieder beschworene „Wirtschaftswachstum“ kann nicht ewig so weitergehen – es ist höchste Zeit, die Wirtschaft und unser aller Leben auf Nachhaltigkeit umzusteuern, bevor alles an die Wand gefahren ist.

Das geht nur über Einschränkungen in allen Bereichen. Wir müssen endlich von unseren – von einer enthemmten Wirtschaft hochgetriebenen – Ansprüchen wieder herunter kommen und uns auf die wirklichen Bedürfnisse beschränken.

Dies zu vermitteln und die Weichen für den notwendigen Umbau der Wirtschaft zu stellen ist jetzt die vordringliche Aufgabe der Politik. Das Aufhalten des Klimawandels ist nicht zum Nulltarif zu haben.

Oben bleiben!

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2 Antworten zu Kann Wasserstoff das Klima retten?

  1. Peter sagt:

    Mir fehlt bei der Rede völlig der Bezug zur Realität? Was ist denn die Alternative zu Wasserstoff? Selbst eine gänzlich anders ausgerichtete Wirtschaft ohne Wachstumsmaximierung hat in vielen Bereichen einen hohen Energiebedarf – wie soll man bspw. die Stahlproduktion sonst klimaneutral aufrecht erhalten? Wir werden mit solchen Reden unseren Ruf nicht los, einfach nur „dagegen“ zu sein…

    Vielleicht sollten wir thematisch näher bei Stuttgart 21 bleiben und nicht über Themen sprechen, von denen wir eigentlich nicht genug wissen.

  2. Richard Trevithick sagt:

    „Wasserstoff wird durch Zerlegen von Wasser mittels Elektrolyse gewonnen“ – wenn man’s falsch macht, ja.
    Der einzig sinnvolle Weg zur Wasserstoffgewinnung ist durch Dampfreformierung aus – beliebiger – Biomasse; siehe dazu die Thesen von Karl-Heinz Tetzlaff, der seinerzeit als Verfahrensingenieur bei der Hoechst AG die wesentlichen Entwicklungen dazu geleitet hat, bevor das Projekt aufgrund politisch-ökonomischer Interessen abgewürgt wurde.

    Es ist erschreckend, daß die von der Öl- und Gasindustrie betriebene Nebelwerferei so erfolgreich ist, daß diese Technik anscheinend nirgendwo zur Kenntnis genommen wird, obwohl sie absolut einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten könnte. Nicht einmal die Energieexperten der Linken scheinen davon gehört zu haben (von den Grünen gar nicht zu reden, das muß man hier ja niemandem mehr erklären).

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