Es fährt ein Zug nach nirgendwo

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 584. Montagsdemo am 18.10.2021

Liebe Freundinnen und Freunde!

Heute habe ich eine schwierige Aufgabe: Am Freitag wurde ich gebeten, zum Interview von OB Dr. Nopper in der Stuttgarter Zeitung „einige markante und humorvolle Sätze“ zu sagen. Dann kam noch das Treffen des Lenkungskreises S21 dazu. Gleichzeitig gibt es jede Menge neuer Erkenntnisse zu Mängeln des Brandschutzes, der Gefahr von Überschwemmungen sowie zu von der Bahn erfundenen Simulationen zur Evakuierung im Brandfall. Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf das Nopper-Interview und den Lenkungskreis und würze meine Rede mit passenden Schlagertiteln.

Treffend hat OB Dr. Frank Nopper ausgeführt: „Ein Oberbürgermeister muss sich auch um Wohnungen kümmern, um Kindertagesstätten, Schulen und Kultureinrichtungen.“ Lauter schöne Worte. Er müsste nur das Wahnsinnsprojekt beenden und nicht auf immer noch mehr unsinnige Verbesserungsversuche setzen. Dann wäre er ein Märchenprinz und hätte genügend Geld für die von ihm genannten Zwecke. Er müsste allerdings hinsichtlich der Bahn zur Erkenntnis gelangen Du hast mich tausendmal belogen. Am Bonatz-Bau sollte er nach oben schauen und feststellen Ein Loch ist im Eimer.

Seine Aussage, ein Oberbürgermeister habe ausschließlich das Wohl und Wehe der Stadt im Auge zu behalten, stimmt. Deshalb schmerzt seine Idee, nicht alle Verkehre müssten über den Hauptbahnhof laufen. Ich dachte, Stuttgart wolle das Herz Europas sein und Touristen, Kauflustige sowie Pendler schnell und bequem ins Zentrum bringen. Dazu erreichte mich folgendes Zitat: „S 21 wird gebaut, um umfahren zu werden.“ Da wir sowieso schon eine Wanderkarte für den Weg um den Bonatz-Bau herum zu den Bahnsteigen entwickelt haben, könnte man auch einen Rundwanderweg um Stuttgart herum einrichten. Von dort könnten die Fahrgäste der Bahn, egal wo sie stranden, die Innenstadt zu Fuß erreichen. Pilgerübernachtungsstätten an allen wichtigen Punkten wären sinnvoll. Das Tiefbauamt der Landeshauptstadt hat bestätigt, dass bei extremem Starkregen der Tiefbahnhof den Wasserabfluss in Richtung Schlossgarten und Neckar verhindern und einen See in der gesamten Innenstadt aufstauen kann. Deshalb könnte man gleich noch einen Paddelbootverleih mit einrichten.

Wie OB Dr. Nopper zur Erkenntnis gekommen ist, durch den von ihm ersehnten Bilger-Tunnel würden die Wege und Fahrzeiten verkürzt, konnte ich nicht herausfinden. Wahrscheinlich hat er Nur geträumt. Denn von Vaihingen zum Hauptbahnhof geht es über die Panoramastrecke alle Mal kürzer und schneller als über den Flughafen.

Doch nun komme ich zum Lenkungskreis. Da sprach der alte Häuptling, nämlich Ronald Pofalla. Theater! Es geht vor allem um Ausbau und Einbindung der Gäubahn von Zürich nach Stuttgart nach dem Prinzip Es fährt ein Zug nach nirgendwo. Denn nach dem Staatsvertrag von Lugano von 1996 zwischen der Schweiz und Deutschland soll die Fahrzeit von Zürich nach Stuttgart auf zweieinviertel Stunden verkürzt werden. Es müsste also in dieser Zeit logischerweise ein Zug von Zürich Hauptbahnhof bis Stuttgart Hauptbahnhof fahren, und zwar mit Halten im Hauptbahnhof Singen und im Bahnhof Böblingen. Diesen Zug wird es aber gar nicht mehr geben. Denn weder wird er es von Zürich zum Hauptbahnhof Singen noch zum Bahnhof Böblingen und erst recht nicht zum Stuttgarter Hauptbahnhof schaffen. Falls es überhaupt noch ein nicht abgerissenes Gleis gibt, wird er vielleicht in Vaihingen enden oder auch an einem sogenannten Nordhalt. Den Spaß eines Spazierganges auch bei Nacht und Nebel zum Nordbahnhof oder zur Stadtbahn sollen Bahnreisende aus der Schweiz und dem Süden unseres Landes zehn oder noch mehr Jahre genießen dürfen.

Steffen Siegel hat letzten Montag sehr eindrucksvoll über die Probleme des Stuttgarter Flughafens gesprochen. Nicht nur naheliegend, sondern zwingend wäre es, die Gäubahn auch künftig über die Panoramastrecke zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu führen. Das wäre mit geringem Aufwand von 1,5 Millionen Euro möglich, während allein der sogenannte Bilger-Tunnel nach vorsichtigen Schätzungen etwa das Tausendfache kosten wird, außerdem Unmengen von CO2-Ausstoß und Rohstoffverbrauch sowie großräumige Flächenversiegelung zur Folge hat. Michael Becker hat den Plan des Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär auf Abbruch, zu Recht Tunnelschlusspanik genannt.

Übrigens widerlegen diese Planung und die Begeisterung von Bund, Land, Region, Flughafen und Stadt Stuttgart eindrucksvoll die bisherige Behauptung, man müsse die S21-Verträge einhalten und könne an ihnen nichts ändern. Nun plötzlich sollen davon 270 Millionen Euro mittels einer Vertragsänderung abgezweigt werden. Passend dazu die Äußerung des Verkehrsministers Hermann, für den Bahnknoten Stuttgart sei ein größeres Paket nötig. Dazu, dass man den Abstellbahnhof nicht rechtzeitig zur vorgesehenen Inbetriebnahme Ende 2025 hinbekommen wird, meinte er, dass leere Züge irgendwie versorgt werden müssen. Dein Zug fährt durch die Nacht stimmt nämlich hier nicht mehr. Denn bekanntlich werden die Nachtzüge um Stuttgart herum fahren.

Den Vogel abgeschossen hat aber Regionalpräsident Bopp, der allen Ernstes die Unterbrechung der Gäubahnstrecke von mehr als 10 Jahren für zumutbar hält. Das ist genauso absurd wie Noppers Behauptung, das Rosensteinquartier werde ein ökologisches Vorzeige- und Klimaschutzprojekt. Gerade mussten die Fachleute einräumen, dass bei der dort vorgesehenen Bebauung am Boden kein Wind mehr wehen kann und noch in 30 m Höhe der Wind um 40 % vermindert wird. So viel zum Thema Erhalt der Frischluftschneise.

Trotzdem beruft sich der OB auf seinen Baubürgermeister Pätzold. Deshalb will ich gerne aus Pätzolds Vortrag vom 19.11.2010 zu S21 wörtlich zitieren: „Die Stadtentwicklung wird um 10-15 Jahre verschoben. Kostendruck verhindert freies Gestalten und Handeln. Der Schlossgarten wird an der zentralen Stelle zerstört. Mehr Flächen als heute werden versiegelt.“ Junge, komm bald wieder!

Norbert Bongartz hat mich an den sogenannten Tunnelblick erinnert. Nach dieser wissenschaftlichen Erkenntnis verengt Alkohol den Blickwinkel. Wenn man besoffen vom Fortschrittsglauben ist, verengt das auch den Blick. Der Weitblick dafür, was für Stadt und Region gut ist, geht verloren. Und gut ist nicht der Abriss eines leistungsfähigen oberirdischen Kopfbahnhofs ohne Brandschutzprobleme, sondern schlecht sind Tunnelbauten, deren Nutzen Nur geträumt ist.

Aber Wunder gibt es immer wieder und deshalb bleiben wir…

Oben!

Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei

 

 

 

 

 

 

 

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