Welche Bahn braucht das Klima? Nicht Bahn an sich ist ökologisch – sondern nur die Klima-Bahn

Rede von Hendrik Auhagen, Bahn für Alle, auf der 596. Montagsdemo[1] am 17.1.2022

Entscheidendes Kriterium ist: Wie viel CO2 kann die Bahn einsparen? Und zwar alle CO2-Emissionen eingerechnet – nicht nur fürs Fahren, sondern auch die für zukünftige Bauten, Anlagen und Fahrzeuge!

Und um wieviel Prozent reduzieren sich Autokilometer und die Zahl der Autos bzw. der LKW-Verkehr? Damit liefert die Klima-Diskussion ein ganz neues, zusätzliches Argument z.B. gegen Stuttgart 21: nämlich die gigantischen CO2-Mengen in Form von Baustahl, Zement und auch Bau-Energie.

Eine Bahninvestition ist als Anleihe beim Klima zu verstehen: Durch den Bau neuer Strecken und Bahnhöfe wird mehr CO2 emittiert – mit der Erwartung, in überschaubarer Zeit ein Vielfaches an CO2 einzusparen. Also einen Einspargewinn zu erzielen, der darin liegt, dass vor allem Autoemissionen an CO2 stark gesenkt werden.

Je aufwendiger das Projekt, desto geringer der Klima-Gewinn. Für die geplante Hamburger U5-Verlängerung wurde ausgerechnet, dass dieses Projekt erst nach 500 Jahren einen positiven Klimaeffekt hat – ganz im Gegensatz zu einer oberirdischen Straßenbahn.

Interessant wären solche Zahlen für Stuttgart 21. Sicher gehen die in die gleiche Richtung! Oder nein – S21 dürfte sogar für immer ein Klima-Defizit sein, weil es ja um eine Bahnhofsverkleinerung geht. Und wer auch noch im Jahr 2022 ein neues Mega-CO2-Projekt wie den Bilgertunnel ernsthaft betreibt, der bekennt sich zur Klimazerstörung, der sagt ein deutliches JA zur Klimakatastrophe – und muss dann auch vor seinen Nachkommen Rede und Antwort stehen!

Zurück zur Klimabahn: Eine Bahn ist um so klimapositiver, je mehr CO2 sie durch Verlagerung weg von der Straße einsparen kann und dazu relativ wenige aufwendige Neubauten braucht. Das „200%-Plus-Bahnkonzept“, für das ich mich einsetze, hat genau diese Zielrichtung. Nämlich zunächst das Bestandsnetz möglichst optimal zu nutzen. Was bei relativ wenigen Ausbauten und damit ohne viel Beton – jedenfalls viel weniger als von der DB-AG geplant – möglich ist. Und zwar eine Verdoppelung in wenigen Jahren und sogar eine Verdreifachung der Bahnkapazitäten bis 2030! Durch eine Harmonisierung des Tempos – nach dem Motto „Takt vor Tempo“.

Um mit den Missverständnissen zu beginnen: Eine Presseüberschrift für unser Bahnkonzept lautete: „Tempo-Limit für Züge“. Das trifft aber die Sache nicht, weil wir kein Verbot von hohen Geschwindigkeiten auf der Schiene verlangen – gerade bei Verspätungen ist es sehr gut, wenn Züge durch höheres Tempo wieder pünktlich werden können, sondern eine Harmonisierung der Geschwindigkeit auf angepeilte 120 km/h – und damit eine Geschwindigkeitsreduktion für ICEs, aber nur für überbelastete Strecken mit Mischverkehr.

Auf reinen Hochgeschwindigkeitsstrecken, die zumeist gar nicht für Güterverkehr geeignet sind (zum Beispiel Hannover-Fulda oder Halle-Nürnberg) könnten ICEs und ICs auch weiterhin sehr schnell fahren – jedenfalls aus der Logik des Konzepts heraus. Und auch auf wenig frequentierten Strecken in der Fläche – z.B. auf der Schwarzwaldbahn – braucht es angesichts der geringen Zugdichte ebenfalls keine Harmonisierung. Aber auf den Nadelöhren, wie der auf zwei Dritteln völlig verstopften Linie Hamburg-Hannover könnte – durch Tempo 120 auch für ICEs – die Kapazität schnell stark gesteigert werden, insbesondere so lange die notwendige Neubaustrecke nicht fertig gestellt ist, was aber mindestens noch 15 Jahre dauern wird.

So lange aber mit der Verkehrswende zu warten – das können wir uns nicht leisten! Denn hier gilt die Logik: Das schwächste Glied bestimmt die Stärke der Kette. So können freie Nord-Süd-Kapazitäten südlich Hannover nicht optimal genutzt werden, wenn der Zulauf aus dem Norden verstopft ist.

Natürlich brauchen wir auch Neubaustrecken für den weiteren Ersatz von Autoverkehr durch die Bahnen – und da bieten sich übrigens auch langfristig einige Trassen entlang oder sogar auf heutigen Autobahnfahrbahnen an. Warum statt ewigen LKW-Schlangen nicht lange Containerzüge auf viel schmäleren Streifen?

Und bei dieser Gelegenheit ist auch die große Lösungsperspektive für den Güterverkehr zu nennen:  nämlich ca. 100 Terminals entlang des Kernnetzes, an denen im 10-Minuten-Takt Containerzüge ankommen, und die Lasten nach einem neuen Verfahren in wenigen Minuten seitlich vom Drehgestell auf Regional-LKWs verschoben – und auf die gleiche Weise leere Drehgestelle wieder beladen werden. Und das im knappen Takt, sodass man von einem Deutschland-Förderband sprechen könnte. Gleichzeitig muss aber klar sein: Das überregionale Transportvolumen muss auch stark schrumpfen – durch Verzicht auf unnötige Transporte allein minimaler Kostenvorteile wegen.

Im Personenverkehr ist das Ziel ein Halb- und manchmal sogar einen Viertelstunden-Takt. Dann wären Verspätungen nicht mehr so dramatisch wie heute und das Bahnfahren entspannter. Dieses Vorgehen könnte die DB-AG-Pläne eines Einstunden-Deutschlandtaktes überflüssig machen. Denn jede Stunde absolute Überlastung und dazwischen weitgehend leere Bahnsteige und Gleise ist kein ökonomischer Umgang mit knappen Ressourcen. Dieser übertriebene Deutschlandtakt verlangt ungeheure Kosten, gigantische CO2-Mengen für neue Tunnelstrecken, jahrzehntelange Baustellen-Quälerei und – selbst wenn er dann in der Realität funktionieren würde – verursacht einen ungeheuren Stress für die Reisenden, die innerhalb kürzester Zeit die Bahnsteige wechseln müssten. Selbst im hervorragend funktionierenden Knoten Zürich ist der Stundentakt ein Stressfaktor beim Umsteigen.

Aber brauchen wir nicht maximales Tempo, um Verkehr vom Flugzeug auf die Schiene zu holen? So lautet ein Haupteinwand gegen unser Konzept:

  1. Doch da auf den existierenden speziellen ICE-Strecken weiterhin Hochgeschwindigkeit gefahren werden kann, ändert sich für den größten Teil der Fernverbindungen z.B. Berlin – München nur wenig. Auch wenn auf Teilstrecken wie zwischen Bamberg und Nürnberg dann 120 km/h gefahren werden muss, hat das auf die Gesamtfahrzeit nur geringe Auswirkungen.
  2. Der Fernverkehr über 300 km macht nur ein Achtel der Gesamt-Verkehrsleistung aus – und der innerdeutsche Luftverkehr trägt nur zu 2% zum CO2-Ausstoß im Verkehrssektor bei, aber die Bahninvestitionen konzentrieren zum ganz großen Teil auf die Geschwindigkeitskonkurrenz in diesem Bereich.
  3. Die meisten innerdeutsch reisenden Flugpassagiere sind zu einem großen Teil nicht der Geschwindigkeit, sondern der niedrigen Preise wegen unterwegs. Eine zusätzliche Abfluggebühr von 50 Euro pro erwachsenem Passagier, solange bis die Klimafolgen des Fliegens differenziert und international berechnet sind, würde sofort den Kurzstreckenflugverkehr auf das unbedingt notwendige Maß schrumpfen lassen.

Nicht die zu langsame Alternative Bahn ist das Problem, sondern die öffentliche Subventionierung des klimaschädlichsten Verkehrsmittels (auf das wir alle aber in Ausnahmefällen wie Sterbefällen oder Spezial-Ingenieurleistungen angewiesen sein könnten.)

Die CO2 Emissionen des innerdeutschen Luftverkehrs liegen weit unter denen, die durch weitere Hochgeschwindigkeitsstrecken, Tunnelbahnhöfe und Ferntunnel sowie deren Unterhalt anfallen.

Entscheidend für den Erfolg der Verkehrswende sind andere Elemente: Erstens die Zuverlässigkeit des Bahnverkehrs, zweitens die Einfachheit durch eine integrierte Bahn (jeder Zug mit jedem Ticket), drittens günstige Preise und viertens die Aufenthaltsqualität in den Zügen und auf den Bahnhöfen! Und das ist ohne neue Hochgeschwindigkeitstrecken, ohne Tempo über alles, ohne neue CO2-Orgien wie S21 möglich – und zwar schnell, so wie es die Klimakrise verlangt!

Ich möchte mich an dieser Stelle an die Klimaforscher und Klimaforscherinnen wenden, die leider bisher auf unsere Bitte um Unterstützung entweder überhaupt nicht oder desinteressiert oder sogar ablehnend reagiert haben. Natürlich geht es uns Klima-Bahn-Unterstützern nicht um symbolische Pietät – nach dem Motto der schwarzen Pädagogik: Wer das Klima retten will, muss aus Prinzip leiden! Im Gegenteil: So eine Haltung ist absolut kontraproduktiv.

Sondern es sind die enormen CO2-Mengen, die nach unserer Überzeugung durch unser Konzept eingespart werden können. Wenn ihr Klimaforscher und Forscherinnen das anders seht – dann bitten wir euch herzlich: Tretet in einen Dialog mit uns ein! Lasst uns einen gemeinsamen Faktencheck vornehmen! Aber nur dramatisch warnen, ohne konkrete überzeugende Lösungen anzubieten, droht auch kontraproduktiv zu werden.

Irgendwann rütteln dann die Warnungen nicht mehr auf, sondern es droht eher der gegenteilige Effekt: Wenn sowieso alles schon zu spät ist, es dann zum Schluss noch einmal richtig krachen zu lassen! Das wollen wir doch alle nicht! Darum warnt nicht nur, sondern macht Druck für Lösungen wie die Klimabahn!

Und ich wende mich zum Schluss an meine Partei, die Grünen, die ich 1980 in Konstanz mitgegründet habe: Nutzt die Chancen, die das Klimabahn-Konzept bietet – nämlich zu schnellen großen Erfolgen bei der CO2-Einsparung und zu einem Qualitätssprung für den öffentlichen Verkehr.

Es wird leider genug Schwierigkeiten in anderen Bereichen der Klimapolitik geben – hier aber gibt es richtig große spürbare Verbesserungsmöglichkeiten. Und zwar schneller und sogar billiger – im Vergleich zu den Scheuer/Lutz-Plänen für eine Betonbahn!

Und die Klima-Frage bietet auch noch eine andere große Chance – nämlich die zu einer versöhnlichen Beendigung des Konflikts um S21. Darum rufe ich meine Mit-Grünen zum Kompromiss auf! Lasst den oberirdischen Bahnhof weiter bestehen! Und verzichtet auf die Betonorgie von „Stuttgart 21 II“ mit zusätzlichen 47 Kilometern Bahntunneln!

Gerade weil ich viele Grüne kenne, als Menschen kenne, die sich ernsthaft für ökologische Verbesserungen einsetzen, appelliere ich: Lasst uns nicht unsere ökologische Glaubwürdigkeit durch Zustimmung zu solchen Wahnsinnsprojekten beschädigen! 47 Kilometer zusätzliche Bahntunnel für S21 – und gleichzeitig geben die Stuttgarter Grünen eine Studie zur Verschärfung der Klimaziele in Auftrag, wie geht das zusammen?

Einerseits eine solche Betonorgie billigen, weil es halt schon ein entsprechendes Nutzungskonzept für das Bahngelände gebe – und andererseits den Menschen (zu Recht) Zumutungen für den Klimaschutz abverlangen – wie geht das zusammen? Das wirkt doch wie Boris Johnsons harte Corona-Vorschriften und dazu seine Gartenpartys!

Und an die Adresse derjenigen Grünen, die das gute Sachargument eher belächeln und sich auf ihre Macht berufen, male ich mir als Konstanzer Gründungs-Grüner mal aus, was passiert, wenn wir Bahnreisenden aus Konstanz, Tuttlingen, Rottweil, Horb und vielen anderen Orten 2024 in Vaihingen aus den Zügen in die S-Bahn umsteigen müssen, um – in Massen gedrängt – zum Hbf weiterzufahren. Und wenn das logischerweise zur Riesenverkehrswende führt – aber nach hinten – von der Schiene auf die Straße !

Und zwar um die Europa-Wahl 2024 herum, bei der nicht nur Parteien sondern auch Listen kandidieren können und keine 5%-Klausel mehr gilt. Könnte das dann nicht eine hervorragende Steilvorlage für eine neue Klimaliste sein... Und riskiert ihr dann nicht einen Absturz ein Jahr vor den nächsten Landtags- und Bundestagswahlen 2025? Wollt ihr das ?

Ist es nicht klüger, jetzt schon umzusteuern? Und nicht erst in einer möglichen Kombination unglücklicher anderer Faktoren – und dann unglaubwürdig spät.

Nutzen wir alle die Chance der Versöhnung, des gemeinsamen Neuanfangs des neuen klima-wissenschaftlichen Bewusstseins!

Für eine Klimabahn!

[1] ab 6.12.2021 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online:
https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Hendrik Auhagen als pdf-Datei

 

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Eine Antwort zu Welche Bahn braucht das Klima? Nicht Bahn an sich ist ökologisch – sondern nur die Klima-Bahn

  1. Gerhard Edelmann sagt:

    Der Beitrag trifft unsere ToDos auf den Punkt. Endlich wird mal ausgesprochen, dass Beton- und Stahlorgien die Klimakrise noch verschärfen,auch wenn sie vermeintlich für einen guten Zweck (Bahninvestitionen)stattfinden. Um die Klimakrise nicht in eine riesige ökologische und soziale Katastrophe münden zu lassen, müssen wir woimmer es geht, Vorhandenes mit wenig Aufwand sinnvoll, d.h. emissionssparend umzunutzen. Die Idee, vorhandene Autobahnen zu Bahntrassen umzufunktionieren hatte ich auch schon, lese sie in diesem Beitrag tatsächlich das erste Mal und finde das toll.

    Gerhard Edelmann
    Innerliches Gründungsmitglied der Grünen

    Gerhard Edelmann

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