Stuttgart 21 wird am fehlenden Brandschutz scheitern

Papier des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 zum Brandschutz auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des „Alternativen Geschäftsberichts Deutsche Bahn 2021“ in Berlin am 30. 3. 2022

Stuttgart 21 – schon jetzt zu klein

Stuttgart 21 ist ein System von 57 km weit verzweigten Tunnelröhren mit dem Tiefbahnhof in der Mitte, in den alle Röhren münden, offizielle Bezeichnung „Tunnelspinne“. Vorgesehen ist ein S-Bahn-artiger Betrieb (kurzer Abstand der Zugfolge). Dieses System ist daher viel komplexer als ein üblicher Eisenbahntunnel ohne Verzweigung, welcher nur in größerem Zeitabstand von einzelnen Zügen befahren wird.

Weil die Kapazitäten nicht ausreichen und die Leistungsfähigkeit des Großprojekts weit hinter den Erfordernissen an einen modernen Bahnknoten zurückbleibt, sind inzwischen umfangreiche weitere Ergänzungen (zweites Stuttgart 21) mit zusätzlichen 47 km Tunnelröhren und u.a. einem unterirdischen Kopfbahnhof vorgesehen. Sie verschlingen nicht nur einige Milliarden Euro mehr, sondern werden auch weitere Jahrzehnte Bauzeit benötigen. Gleichzeitig sind sie mit extrem schädlichen Emissionen an Treibhausgasen verbunden.

Der Gedanke, stattdessen den bestehenden oberirdischen Kopfbahnhof zu ertüchtigen, was Stuttgart 21 samt den weiteren Ergänzungen (zweites Stuttgart 21) überflüssig machen würde, stößt bei den Verantwortlichen trotz ungeklärter Finanzierung der explodierenden Kosten bisher auf keine Gegenliebe.

Stuttgart 21 –  nach veraltetem Zwei-Röhren-Prinzip gebaut

Gebaut wird Stuttgart 21 nach dem Zwei-Röhren-Prinzip, also eine Röhre für jede Fahrtrichtung. Zwischen beiden Röhren sind im Abstand von 500 m Querschläge mit Schleusen zum Überwechseln. Dieses Prinzip bringt massive Einschränkungen, falls die Evakuierung eines im Tunnel liegengebliebenen Zugs nötig wird. Denn Evakuierung und Rettung müssen über die Gegenröhre erfolgen. Konkret führt dies dazu, dass im Brandfall Hilfe und Rettung durch Feuerwehr und Rettungskräfte (sogenannte Fremdrettung) innerhalb der bis zur tödlichen Verrauchung des Tunnels verbleibenden Zeit unmöglich ist. Die Menschen im Tunnel sind deshalb ausschließlich auf Selbstrettung („Rette sich wer kann“) angewiesen.

Hingegen ist der aktuelle Stand der Technik das Drei-Röhren-Prinzip wie z.B. im Eurotunnel und bei der Zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München. Die 3. Röhre liegt dabei zwischen den beiden anderen und dient als sicherer Fluchtort und zum schnellen Zugang für Feuerwehr und Rettungskräfte. Es besteht die Möglichkeit der Fremdrettung. Aus Kostengründen wurde bei Stuttgart 21 darauf verzichtet.

Falls ein Zug im Tunnel brennt, ist seine Weiterfahrt bis zum Tiefbahnhof und dort die Evakuierung und Brandbekämpfung vorgesehen, in der Gegenrichtung Weiterfahrt bis zum Verlassen des Tunnelsystems und außerhalb des Tunnels Hilfe und Rettung. Das kann nur funktionieren, wenn der Zug technisch fahrfähig bleibt und trotz enger Zugfolge die davor liegenden Streckenabschnitte frei sind. Das Anhalten eines brennenden Zuges im Tiefbahnhof stellt enorme Anforderungen an die Evakuierung der sich bereits im Bahnhof befindenden Menschen sowie an den raschen Zugang von Feuerwehr und Rettungskräften von außen in den Tiefbahnhof trotz Paniksituation.

Zwei-Röhren-Prinzip – im Brandfall lebensgefährlich:

Im nicht unwahrscheinlichen Fall, dass ein mit bis zu 1.757 Menschen besetzter brennender Zug im Tunnel liegenbleibt, soll zur Rauchbekämpfung vom Schwallbauwerk (im Talkessel in der Nähe des Tiefbahnhofs) Luft eingeblasen werden. Dadurch soll der Rauch vom Brandherd weg in Richtung Tunnelende getrieben werden. Die Personen aus dem brennenden Zug müssen sich selbst ohne Hilfe von außen durch den nächstgelegenen Querschlag in die Gegenröhre retten. Dies kann aber nur der Querschlag sein, welcher entgegen der Richtung des eingeblasenen Luftstroms zu erreichen ist.

Sollten weitere Züge hinter dem brennenden Zug in der Röhre fahren, müssen sie dahinter anhalten. Auch ihre Passagiere müssen dann in die Gegenröhre evakuiert werden. Im Fildertunnel mit fast 10 km Länge sollen in jeder Röhre gleichzeitig bis zu drei Züge hintereinander fahren. Dies bedeutet im Maximalfall mehr als 5.000 Personen, die sich selbst aus der sich mit Rauchgasen füllenden Tunnelröhre retten müssen. – Ihnen bleiben bei einem Vollbrand weniger als 10 Minuten, bis die tödlichen Rauchgase alles Leben ersticken.

Der Übergang in die Gegenröhre kann jedoch erst dann erfolgen, wenn dort keine Züge mehr fahren und die Oberleitung geerdet ist. Also müssen zunächst bis zu drei Züge noch die Gegenröhre passieren. Ein Anhalten der Züge in der Gegenröhre ist nicht vorgesehen, weil durch stehende Züge die Zufahrt für Feuerwehr und Rettungskräfte blockiert wäre. Die Stuttgarter Feuerwehr geht von 20 Minuten bis zu ihrem Eintreffen am Brandort aus. Somit ist in der entscheidenden ersten Phase keine Fremdrettung möglich.

Bis zu 5.000 Fahrgäste auf Selbstrettung angewiesen

Die Menschen im brennenden Zug und in den Folgezügen sind deshalb ausschließlich auf Selbstrettung angewiesen. Bereits der Ausstieg ist angesichts des Höhenunterschiedes von ca. 90 cm zwischen Zugtüren und Gleisbett für in der Mobilität Eingeschränkte (Behinderte, Alte, Familien mit kleinen Kindern) kaum zu bewältigen. Schon das Verlassen des Zuges dauert für alle Passagiere angesichts nicht ausreichend zur Verfügung stehender Rettungsleitern und des Rückstaus auf dem schmalen Fluchtweg viel zu lange. Rollstuhlfahrer haben keine Chance. Bei der Flucht zum nächsten Querschlag bestimmt angesichts der Enge der Langsamste das Tempo. Panikverhalten bei sich schnell ausbreitendem Rauch ist zu befürchten.

Zwar sieht das Evakuierungskonzept der Bahn vor, dass sich die fliehenden Menschen auf die beiden nächstgelegenen Querschläge aufteilen, also zu demjenigen in Richtung der Zugspitze und zum anderen in Richtung des Zugendes. Um bei der Flucht nicht vom Rauch eingeholt zu werden, müssen die Menschen aber zwingend entgegen der Richtung der eingeblasenen Luft fliehen. Somit scheidet der in Blasrichtung gelegene nächste Querschlag als Fluchtweg aus. Statt zwei Querschlägen steht nur die Flucht zu einem einzigen Querschlag zur Verfügung. Dies benötigt viel mehr Zeit als zur Verfügung steht.

Der Zugang zu diesem einzigen Querschlag kann aber durch den Brandherd oder andere Hindernisse (z.B. entgleister Zug) versperrt sein. Dann gibt es nur den Fluchtweg im Brandrauch mit der Gefahr des Todes durch Rauchgase. Für die Menschen, die sich aus den im Tunnel oberhalb des brennenden Zuges anhaltenden weiteren Zügen retten müssen, gibt es die Möglichkeit, durch einen rauchfrei zu haltenden Bereich zu fliehen, überhaupt nicht. Denn der Rauch wird vom Brandherd aus bergauf in ihre Richtung geblasen.

Je schneller sich die tödlichen Rauchgase ausbreiten, desto kürzer die verbleibende Zeit zur Rettung. Bei Vollbrand vergehen bis zur völligen Verrauchung weniger als 10 Minuten, zumal die S21-Röhren aus Kostengründen einen kleineren Querschnitt als andere Bahntunnel haben und der Rauch deshalb schneller die ganze Röhre füllt.

Brandschutzkonzept durch keinerlei Simulationen bestätigt

Unglaublich: Es gibt keinerlei Untersuchungen, wie sich die Menschen aus bis zu drei Zügen vor der völligen Verrauchung der Tunnelröhre und der damit verbundenen Ausbreitung der tödlichen Rauchgase selbst in die Gegenröhre retten können, die erst freigefahren werden muss. Die Bahn beruft sich nur auf nicht mehr vorhandene Simulationen, wonach bei einem Kaltereignis (Liegenbleiben ohne Brand) und ohne Berücksichtigung von in der Mobilität Eingeschränkten die Insassen eines Zuges in ca. 11 Minuten sich selbst retten könnten. Schon dieses nicht nachprüfbare Ergebnis bedeutet aber, dass Passagiere von bis zu drei Zügen, darunter in der Mobilität Eingeschränkte, sich keinesfalls vor Ausbreitung der tödlichen Rauchgase in weniger als 10 Minuten in die – zunächst von Zügen befahrene - Gegenröhre werden retten können.

Stellvertretend für das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 haben die Schutzgemeinschaft Filder e.V. als anerkannter Umweltverband sowie drei Privatpersonen, darunter ein Rollstuhlfahrer, Klage beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gegen das Eisenbahn-Bundesamt erhoben. Sie wollen damit eine Änderung der mangelhaften Planfeststellungsbeschlüsse wegen des nicht funktionierenden Brandschutzes erzwingen.

Da radikale Eingriffe, wie der nachträgliche Zubau einer mittleren dritten Röhre oder die drastische Reduzierung der Anzahl von gleichzeitig im Tunnel fahrenden Zügen, unrealistisch sind, ist das gesamte Projekt Stuttgart 21 zum Scheitern verurteilt! Denn die Gefährdung von Leben und Gesundheit der Bahnreisenden und Bahnbediensteten aus rein finanziellen Gründen verstößt gegen die Grundrechtsgarantie unserer Verfassung und wird die Erteilung der nach Baufertigstellung erforderlichen Inbetriebnahme-Genehmigung nicht zulassen.

Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet das Konzept Umstieg 21 Plus mit der Ertüchtigung der schon bestehenden Bahninfrastruktur und anderweitigen Nutzung der im Bau befindlichen Tunnel für eine umwelt- und klimafreundliche City-Logistik, siehe www.umstieg-21.de.

Kontakt: Dieter Reicherter, Tel. 07192 930522 oder 0151 26371131, Reicherter.es@t-online.de

Text als pdf-Datei

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.