Über die Kriminalisierung von Klima-Aktivismus in Zeiten der Klimazerstörung

Rede von Dr.med Dipl.-Psych. Angelika Linckh, auf der 635. Montagsdemo am 7.11.2022

Meine Damen und Herren,

bestimmt haben es die meisten hier auf dem Platz mitbekommen, dass vor einer Woche in Berlin eine Radfahrerin unter einem Betonmischer lebensgefährlich verletzt wurde und gestorben ist. Und dass dafür sofort die Klima-Aktivist*innen der Letzten Generation zu Sündenböcken gemacht wurden, und seit Tagen in allen Medien versucht wird, sie zu kriminalisieren.

Als ich von dem schweren Unfall hörte und zeitgleich von den Schuldvorwürfen gegen die Demonstrierenden, war ich zuerst entsetzt und tatsächlich auch verunsichert. Dass diese Frau im Straßenverkehr gestorben ist, ist schon entsetzlich genug und machte mich traurig. Und mein Mitgefühl ist besonders bei den Angehörigen der Frau.

Verunsichert durch die massiven Vorwürfe, die den Klima-Aktivist*innen gemacht werden, musste ich erstmal nachdenken, und es hat mir in meinem Gefühlschaos geholfen, das Ganze in politische Zusammenhänge einzuordnen.

Der Tod der 46jährigen macht traurig und wütend wie jeder Tod im Straßenverkehr, der wohl durch eine vernünftige Verkehrspolitik hätte vermieden werden können. Seit Jahren gibt es gute Vorschläge für Stadtplanung und sichere Verkehrswege für alle, und diese Vorschläge werden einfach nicht umgesetzt. Täglich werden Menschen im Verkehr tot gefahren und schwer verletzt. weil bei allzu vielen PKW- und LKW-Fahrer*innen die rücksichtslose Mentalität herrscht: die Straße gehört uns!

Und zornig bin ich, weil diese aggressive Mentalität von genau denen gefördert, ja geradezu erzeugt wird, die vergangene Woche, nachdem die Radlerin von einem Betonmischer überfahren wurde, ihre Stunde gekommen sahen, um zum großen Schlag gegen Klima-Aktivist*innen auszuholen.

Wir haben keinen Aufschrei von Markus Söder, Friedrich Merz, von Innenministerin Nancy Faeser oder Justizminister Buschmann gehört, nachdem in Hamburg kürzlich drei Menschen sterben mussten, weil die Feuerwehr nicht zum Rettungseinsatz an einem brennenden Haus durchkam – wegen Falschparkern! Noch nie hat ein Bundesjustizminister mit Freiheitsstrafen gedroht, wenn Autofahrer*innen Rettungswege und Feuerwehrzufahrten blockiert haben.

Seit fast einer Woche wird sich ereifert, weil sich in diesem Fall die Möglichkeit bot, Klima-Aktivist*innen wegen einer Straßenblockade an den Pranger zu stellen.

Wenn ich verunsichert bin, ist mein erster Reflex oft, erstmal zu schweigen, abzuwarten und mich rauszuhalten. Aber als der Bundesjustizminister und die Innenministerin gemeinsam mit der Bildzeitung auf Vorverurteilung und Kriminalisierung der Klima-Aktivist*innen statt auf Faktenprüfung setzten, war klar: wir können nicht erschrocken schweigen und damit zulassen, dass die Bildzeitung, die Merze, Faesers, Dobrindts und Buschmanns mit bösartigen Fake News bestimmen, wem unsre Solidarität in der Klimagerechtigkeitsbewegung gehört und wem nicht.

Fakt war am vergangenen Montag:

Ein Betonmischer überfuhr in Berlin eine Radfahrerin, die schwer verletzt unter dessen Rädern eingeklemmt liegen blieb. Ein Einsatzwagen der Notfallrettung erreichte den Unfallort zügig, die Notfallärztin entschied, dass höchste Eile geboten ist, dass das angeforderte große Spezialfahrzeug der ebenfalls alarmierten Feuerwehr keine Option sei, weil die Schwerverletzte sofort geborgen und versorgt werden musste. Sie entschied, dass der Betonmischer sich bewegen musste und ein Anheben nicht abgewartet werden konnte.

Parallel zur Rettungsarbeit der Notärztin fanden in Berlin Straßenblockaden von Klima-Aktivist*innen der „Letzten Generation“ statt, z.B. auf der täglich Stau-verstopften A100. Die schwer Verletzte war kaum geborgen, als bereits mit Fake News der politische Shitstorm angeblasen wurde: die Straßenblockaden hätten verhindert, dass das Rüstfahrzeug der Feuerwehr die Unfallstelle erreicht und die lebensgefährlich Verletzte schnell Hilfe bekommen habe.

Die zynische politische Allianz aus Klimazerstörern und „Freie-Fahrt-für Freie-Bürger“-Journalisten wollten nicht Fakten, sondern Fake News sprechen lassen. Der Unfall schien der perfekte Anlass, um Klimaproteste zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Die Stuttgarter Zeitung z.B. setzte die politisch opportunen Fake News noch am Mittwoch in die Welt: der Frau habe „nicht rasch geholfen werden können, weil ein Rüstwagen der Feuerwehr in einem von der Letzten Generation verursachten Stau stand“ – beschimpfte die Aktivisten als egozentrisch und rücksichtslos und forderte: „Wer es ernst meint mit Klimaschutz, muss sich von den radikalen Aktivisten distanzieren“.

Fakten nannten als erste Berliner Rettungssanitäter: die Schuldzuweisung an die Aktivisten sei komplett an den Haaren herbeigezogen, denn das Feuerwehr-Spezialfahrzeug – eins von zweien in ganz Berlin– treffe immer erst spät an Unfallorten ein, wegen seiner langen Anfahrt, und immer verzögert durch Staus, Falschparker und Fahrer, die keine Rettungsgassen bilden.

Erst am Freitag veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung dann Fakten aus internen Dokumenten der Berliner Feuerwehr:

Zur Frage der technischen Rettung hat die Notärztin klar geäußert, dass sie sich auch bei der Verfügbarkeit von anderen technischen Möglichkeiten durch Rüstwagen oder Kran sofort für ein Bewegen des Betonmischers entschieden hätte und ein Anheben nicht abgewartet werden konnte. Nach Einschätzung der behandelnden Notärztin beeinträchtigte der Stau, den Aktivisten in Berlin auslösten, die Rettung der verunglückten Radfahrerin nicht. So die SZ.

Dieser Bericht lag schon Dienstag der Berliner Innensenatorin vor. Was nichts an den kriminalisierenden Statements aus der Bundesregierung änderte.

Warum wird nun wider besseres Wissen mit Fake News Vorverurteilung und Kriminalisierung betrieben?

Die Antwort auf diese Frage wird klarer, wenn wir einen Blick auf die derzeitige Klimapolitik werfen. Die dramatischste Menschheitsfrage heißt objektiv: wie kann überhaupt noch verhindert werden, dass CO2-Anstieg und Temperaturerhöhungen unwiderruflich die Kipp-Punkte des globalen Klima-Systems anschieben. Doch die Regierenden versagen vor dieser Aufgabe.

Ihr Versagen ist offensichtlich: das grün regierte Baden-Württemberg verfehlt wie die ganze Bundesrepublik sogar seine unzulänglichen Klimaziele. Von Verkehrswende keine Spur, Autoverkehr wird nicht weniger, sondern mehr. Lützerath soll für Kohleverbrennung abgebaggert werden. Mit Milliardeninvestitionen in LNG-Terminals betoniert die Bundesregierung die fossile Infrastruktur für weitere 30 Jahre. 30 Jahre!

Gestern hat die internationale Klimakonferenz COP27 begonnen. Auf unseren Montags-Kundgebungen hatte Prof. Helge Peukert bereits erklärt, dass auch nach dieser 27. Klimakonferenz keine verbindliche Politik gegen die Klimakatastrophe stattfinden werde. Seit 27 Weltklimakonferenzen steigen die CO2-Emission unvermindert. Denn die Klimakonferenzen seien schon so konzipiert, dass dort nichts Verbindliches für die Regierenden und die Konzerne der Welt festgelegt werden könne.

Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften Hamburg und renommierter Klimaforscher, hat seine Teilnahme abgesagt. Auf die Frage der Mediengruppe Bayern: „Was erwarten Sie von der Konferenz?“ sagte Latif: „Ich wüsste nicht was! Da werden keine Durchbrüche erzielt, die ihren Namen wirklich verdienten.“… „Was da gemacht wird, ist in erster Linie, Papiere mit wenig Substanz zu produzieren, die dann als großer Fortschritt gefeiert werden.“

Das ist der politische Zusammenhang, liebe Freund*innen, in dem Politik und Medien Klima-Aktivismus auch mit Fake News zu denunzieren und zu kriminalisieren versuchen! Sie versagen vor den größten Herausforderungen unserer Zeit. Sie wurschteln an einem „Weiter so“ , das nicht so weiter gehen darf! Und sie produzieren sogar Rückschritte.

Das sind auch die Situationen, in denen Politik immer repressiver reagiert, wenn ihr der Spiegel vorgehalten wird. Söders Bayern macht es mit seinem neuen Polizeigesetz vor: 30 Tage werden zehn  Klima-Aktivisten nach wiederholten friedlichen Straßenblockaden in München eingesperrt – ohne Anklage, ohne Untersuchung. Darunter unser Stuttgarter Mitstreiter Nelson.

Liebe Freund*innen, eines wird Ihnen auch sehr bekannt vorkommen: dieselben in der Politik Verantwortlichen, die auf ganzer Linie klimapolitisch versagen und mit Fake News Stimmung gegen Aktivisten machen, geben auch noch vor, sich Sorgen um das Ansehen der Klimaschutzbewegung zu machen! Sie sprechen von einem Bärendienst, den die Aktivistinnen der Klimabewegung erweisen würden.

Wir haben ein ähnlich unredliches Schauspiel erlebt, als die Grünen und ihre Bündnispartner in dem Moment, als sie auf dem Absprung aus unserer Bewegung in Regierungsämter waren, öffentlich gegen Demonstrationen vor dem Hauptbahnhof gewettert haben. Und wir erinnern uns genau an die Distanzierungsorgien, als wir nicht nur brav demonstriert, sondern für ein paar Stunden die Baustelle des Grundwassermanagements besetzt hatten! Der Versuch, Spaltungen in Bewegungen hineinzutragen, ist eine bewährte Herrschaftstechnik.

Diskussionen über wirkungsvolle erfolgversprechende Aktionsformen finde ich sehr wichtig, und wir diskutieren gerne mit allen Klima-Aktivist*innen über die richtigen und wirkungsvollen Aktionsformen. Das ist richtig und nötig. Man muss Straßenblockaden nicht für die einzige Strategie halten, die der Klimagerechtigkeitsbewegung die Macht verschafft, um einen Politikwechsel zu erzwingen.

Aber wir führen diese Diskussion nicht mit denen, die dem „Weiter so“ das Wort reden und die nicht tun, was getan werden muss! Und wir wissen: die stehen auf der anderen Seite, nicht die Aktivist*innen der Letzten Generation!

Liebe Freund*innen, Greta Thunberg setzt seit vielen Jahren nicht mehr auf die Regierenden, sondern auf den Druck von unten. Auch sie hat ihre Teilnahme bei COP27 abgesagt. Sie kritisiert die COP27- Klimakonferenz als ein Forum zum „Greenwashing“. Die Klimagipfel seien „nicht wirklich dazu gedacht, das ganze System zu ändern“ … „So wie sie sind, funktionieren die COPs nicht wirklich, es sei denn, wir nutzen sie als Gelegenheit zur Mobilisierung“.

Liebe Freund*innen, das ist für mich ein wichtiges Signal, gerade auch in diesen Tagen massiver Angriffe und Spaltungsversuche!

Dem überfälligen System Change für Klimagerechtigkeit näher zu kommen, heißt: kühlen Kopf bewahren, wissen wo die Gegner stehen und ihre Methoden erkennen, und uns auf unserem Weg nicht auseinander dividieren lassen!

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