Holzverbrennung in Großkraftwerken und die Klimabilanz

Rede von Jana Ballenthien, Waldreferentin von Robin Wood, auf der 641. Montagsdemo am 19.12.2022

Liebe, wahnsinnig tolle und überregional bekannte Stuttgart-21-Meute!

Ich bin wirklich ergriffen davon, was Ihr hier Woche für Woche auf die Beine stellt, seit so einer langen Zeit. Ihr seid nicht nur ein Demo-Verbund, sondern Ihr seid ein Ort der Bildung und der Aufklärung, ein Ort etablierter politischer Auseinandersetzung und ein Ort einer Umweltbewegung, wie sie vielfältiger nicht sein kann. Ihr nähert euch Themen, die weit über das Thema hinausgehen, das vor so vielen Jahren den Funken ausgelöst hat. Und Ihr haltet das immer noch aus – die Auseinandersetzung mit all diesen Lügen, mit dieser Umweltzerstörung, mit diesem alle Lebensbereiche umfassenden Goliath. Und das macht Ihr mit viel Kraft und viel Witz und viel Unermüdlichkeit. Ich freue mich unglaublich, heute ein Teil davon sein zu können, was hier jeden Montag an Zeitgeschichte geschaffen wird. Vielen Dank dafür!

Ich bin Jana, seit einigen Jahren Waldreferentin bei Robin Wood, und ich möchte euch heute von einer der größten Umweltskandale erzählen, die mir in der Waldnaturschutzpolitik untergekommen sind – nämlich dem Verfeuern von Holzbiomasse zur Gewinnung von Strom und Wärme. Denn in Europa wird pro Jahr etwa eine Menge an Holz verfeuert, die der Hälfte der jährlichen Holzernte entspricht. Viel davon in großen Kraftwerken. Auch in Deutschland stehen schon einige Energiekonzerne in den Startlöchern und wollen ihre Kohlekraftwerke auf Holz umrüsten oder sogar neue Kraftwerke auf der grünen Wiese bauen.

Bevor ihr euch fragt: Warum ist das so schlimm? Der Wald wächst doch schließlich nach!

Das hat eine gewisse Logik: Ich verbrenne einen Baum und er wächst nach. Nun ist es aber so, dass ein Baum bei weitem nicht so schnell wächst, wie er verbrannt wird. Ganz im Gegenteil, dazwischen liegen mehrere Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte. Möglicherweise werden also die Emissionen irgendwann wieder gebunden sein, wenn wir mal hypothetisch davon ausgehen, dass der Wald unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen überhaupt noch so nachwächst, wie wir es bisher kannten. Setzen wir das mal voraus, dann schlittern wir damit aber heute in das Problem der sogenannten Kohlenstoffschuld. Die Kohlenstoffschuld ist die Summe all der Emissionen, die wir jetzt noch zusätzlich in das System geben, weil wir davon ausgehen, dass sie schon irgendwann einmal wieder gebunden sein wird – und das zu einem Zeitpunkt, an dem wir zur Minderung der Klimakrise nicht nur netto null, also gar nichts emittieren dürfen. Sondern zu einem Zeitpunkt, an dem wie eigentlich unsere CO2-Speicher erhöhen müssen, um die Klimakrise zu mildern. Und der Bedarf an Holzbiomasse steigt und steigt. So viel Holz, wie wir in Europa momentan verbrennen, wird nie wieder nachwachsen können, denn wir legen ja nicht irgendwann eine jahrzehntelange Pause ein bei der Verbrennung, in der sich das System erholen kann. Hinzu kommt der schlimme Fakt, dass Holz pro Energieeinheit sogar mehr Emissionen verursacht, als die Verbrennung von Kohle.

Eine weitere schlimme Wahrheit ist, dass wir den Großteil dessen, was wir in Europa verfeuern, aus sehr wertvollen Wäldern aus anderen Teilen der Welt importieren. Zwei große Player sind z.B. das europaweit größte Pelletunternehmen Granul Invest, das auf dem Baltikum Natura-2000-Flächen kahl schlagen lässt, und der weltgrößte Pelletkonzern Enviva, der in North Carolina nahezu alle seine Pelletierwerke in einem anerkannten globalen Biodiversitätshotspot hat. Eins der Kriterien für einen Biodiversitätshotspot ist, dass es dort mindestens 1500 Arten geben muss, die endemisch sind, das bedeutet, dass diese Arten nur noch dort auf unserem Planeten vorkommen und sonst nirgends. Riesige Flächen innerhalb dieses Biodiversitätshotspots werden komplett kahl geschlagen.

REALITÄT IN DEUTSCHLAND

Zum Beispiel in Wilhelmshaven steht eines der Kraftwerke, die momentan mit der Umrüstung von Kohle zu Holz liebäugeln. Wie praktisch, dass der Betreiber des Kraftwerks gleichzeitig der größte Anteilseigner des weltgrößten Pelletkonzerns Enviva ist. Das bedeutet, Wilhelmshaven hätte die direkte Flatrate aus North Carolina über den Atlantik ins Kraftwerk. Die Krone der Dreistigkeit wird diesem Vorhaben dadurch aufgesetzt, dass durch das Verbrennen von Holzbiomasse sogenannter „grüner Wasserstoff“ produziert werden soll.

Und Wilhelmshaven ist bei weitem nicht der einzige Standort, der überlegt, in Zukunft Holz zu verfeuern oder die bisherigen Mengen zu erhöhen. Einige kleine bis mittelgroße Kraftwerke finden wir in Deutschland bereits jetzt. Und wir stellen fest, dass die Kraftwerksbetreibenden sich in ihrer öffentlichen Präsentation überschlagen in Schönrederei und mit dem Formulieren offener Lügen. Sie behaupten nämlich zum Beispiel, sie würden nur Sägewerksreste nutzen oder auch nur Restholz aus dem Wald, das für kein anderes Produkt mehr genutzt werden könnte.

Doch wir dokumentieren allüberall an den Standorten, dass zu großen Teilen hochwertiges Holz direkt verbrannt wird. Eine Recherche von Greenpeace hat letztens gezeigt, dass ein Teil des Holzes sogar direkt aus besonders wertvollen und geschützten Natura-2000-Flächen stammt. Mal davon abgesehen, dass es eben keine Sägereste sind, wären genau diese hypothetischen Sägereste sowieso viel besser in der Papierproduktion oder der Pressholzproduktion aufgehoben, statt sie direkt zu verfeuern.

Und auch wenn es sogenanntes Restholz wäre, also zu einem großen Teil krumme Bäume, Bäume mit Windbruchschäden, mit Zwieseln oder einfach kleine Bäume, die beim Abholzen im Weg standen, müssten wir uns fragen, was es bedeuten würde, dieses Holz zu verbrennen. Aus einer biologischen Perspektive ist es der allerwichtigste epigenetische Pool des Waldes – es ist der Teil der genetischen Vielfalt und der Teil, der widrige Umstände erlebt hat, der vielleicht klein und dünn und mickrig und schief ist, aber im Zweifel auch schon hundert Jahre auf dem Buckel hat und diese Erfahrungswerte epigenetisch an die Folgegeneration weitergeben kann. Er ist die Grundlage einer zukünftigen stabilen Baumgeneration. Eine andere Form von Restholz sind bereits tote Bäume, Totholz, das so unendlich wichtig ist als Wasserspeicher, Nährstoffgeber, als Lebensraum in jedem Verrottungszustand, das Schatten spendet, das als Verbiss-Schutz dient, das gegen Bodenerosion hilft und von dem wir viel zu wenig in unseren übernutzten Wäldern haben. Ihr seht: der Wald kennt keine Reste!

Um das noch einmal zu resümieren: Zu einem Zeitpunkt, an dem die Wälder in Deutschland inzwischen durch die Einflüsse des Klimawandels und durch vergangene intensive Forstwirtschaft und schlechte waldbauliche Konzepte extrem geschädigt sind, in Zeiten, in denen wir schon vor diesem trockenen Sommer 2022 über 500.000 Hektar Wald einfach so verloren haben, in diesem zeithistorischen Moment wird Holz direkt aus dem Wald in Brennkammern geschoben, um dort unsere CO2- Bilanz zu verschlimmern und uns näher an klimatische Kipp-Punkte zu bringen.

Auch der Wald als intaktes Ökosystem, der uns in vielerlei Hinsicht vor den Auswirkungen des Klimawandels schützt, sei es durch die Minderung von Flutkatastrophen, sei es durch das Herunterkühlen ganzer Landstriche und das Mildern von Extremwetterlagen, sei es durch seine Funktion als CO2-Senke – dieses für uns so unersetzliche Ökosystem wird weiter geschröpft und direkt in den Ofen geschoben!

Auch das Verfeuern von Holz zu Hause emittiert CO2 und weitere klimawirksame Gase und eine Menge gesundheitsschädlichen Feinstaub. Das betrifft auch die modernen Öfen, die nach neuen Studien nur unter Laborbedingungen emissionsarm sind. Sollen die Leute ihre Öfen zu Hause nun sofort herausreißen und umsteigen? Nein, so einfach ist das nicht. Die Menschen wurden in den letzten zehn Jahren von ihren Energieberatenden falsch beraten und haben deshalb teuer auf das vermeintlich klimaneutrale Holz umgestellt. Und nun in Zeiten der Energiekrise und der Inflation sind viele Menschen in soziale Not geraten. Sie können sich die Alternativen zu Holz schlicht nicht mehr leisten.

Wir fordern eine Energie- und Wärmewende zu klimafreundlichen erneuerbaren Energien. Aber dieser Wandel darf nicht auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden! Wir brauchen genauso eine sozial gerechte Energie- und Wärmewende, wie wir eine ökologische brauchen!

So, jetzt aber mal ein paar Lichtblicke: Als wir mit unserer Kampagne begonnen haben, waren die deutschen Ministerien und regierungsnahen Institutionen allesamt noch weit davon entfernt zu verstehen, dass das Verfeuern von Holz nicht erneuerbar ist. Das hat sich nun gewandelt! Die politischen Stakeholder sind durch unsere beharrliche Aufklärungsarbeit nun auch der Meinung, dass das Verfeuern von Holz im Rahmen der Energie- und Wärmewende nicht die Technologie der Zukunft sein kann. Und mit dieser Erkenntnis ringt die Bundesregierung momentan um eine Biomassestrategie, in der Holz nur noch eine äußerst untergeordnete Rolle für die Verbrennung spielen soll. Wir begleiten das kritisch, denn die Wirtschaftslobby ist groß. Und auch auf EU-Ebene, auf der gerade die Revision der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie stattfindet, haben wir einiges erreicht mit unserer internationalen Koalition gegen das Verfeuern unserer Wälder. Auch wenn riesige Schlupflöcher für die Holzverbrennung nach wie vor abzusehen sind, so haben wir das Postulat von Holz als erneuerbar ins Wanken gebracht und haben die EU zumindest zu einer ersten, zögerlichen Kehrtwende gezwungen.

Wir bleiben dran, und dabei brauchen wir auch Euch! Ob die Kurve von der einen Verbrennungstechnologie Kohle zur nächsten Verbrennungstechnologie Holz noch rechtzeitig und umfänglich abgebrochen werden kann hin zu klimaschonenden Alternativen, das liegt daran, wie beharrlich wir weiterhin gemeinsam bleiben. Aber ich bin recht zuversichtlich, gerade wenn ich Euch sehe mit eurem langen Atem!

Auch in Stuttgart – genauer gesagt in Altbach/Deizisau – hatte die EnBW übrigens die Umrüstung von Kohle auf Holz geplant. Doch der Konzern hat von diesen Plänen wieder Abstand genommen. Das hat sicherlich auch etwas mit der hiesigen, unvergleichlichen Protestkultur und mit eurer Beharrlichkeit zu tun!

Ich danke euch und hoffe mit euch, dass ihr als Bewegung, als Stuttgarter Gesellschaft und als Vorbild für alle sozialen Bewegungen noch lange aktiv bleibt, bis es einfach überall heißt:

oben bleiben!

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