Gäubahnerhalt, Kopfbahnhof und die Klage der Deutschen Umwelthilfe

Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf der 659. Montagsdemo am 15.5.2023

Liebe Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs,

am 2. Mai, also vor weniger als zwei Wochen, war es so weit: Wir haben nach jahrelanger Recherche und mehrmonatiger juristischer Feinabstimmung bekannt gegeben: Die Deutsche Umwelthilfe geht gerichtlich gegen die geplante Kappung der „Gäubahn“ und damit weiter Teile von Baden-Württemberg, der Schweiz und Italien vom transeuropäischen Bahnnetz vor!

  • Entgegen dem bestehenden Planfeststellungsbeschluss soll die Gäubahnstrecke Stuttgart – Singen – Zürich – Mailand für geplant sieben, realistischerweise 15 bis 20 Jahre keine direkte Verbindung mehr mit dem Hauptbahnhof Stuttgart erhalten.
  • Alle über die Gäubahn angeschlossenen Städte in Baden-Württemberg, der Schweiz und Italien – und damit Millionen Menschen – würden bei Verwirklichung dieser rechtswidrigen Planung vom transeuropäischen Bahnnetz (TEN) abgeschnitten.
  • Gemeinsam mit fünf betroffenen Oberbürgermeistern und einem Regierungsvertreter des Schweizer Kantons Schaffhausen bekräftigt die DUH die Wichtigkeit der Gäubahn für Klimaschutz und Verkehrswende.

Bund, Land und die Deutsche Bahn haben seit Beginn der Planungen im Jahr 1994 den Bürgern gebetsmühlenartig immer wieder versprochen, dass der Bau des Tiefbahnhofs Stuttgart 21 zu keiner Verschlechterung der Bahnverbindungen in der Fläche führen werde – im Gegenteil sollte sich die desolate Situation verbessern. Mit der nun geplanten Amputation weiter Teile des Landes vom Bahnknoten Stuttgart und vom transeuropäischen Bahnnetz (TEN) müssten zukünftig Millionen Menschen im Süden des Landes, der Schweiz und Italien ins Auto steigen.

Zur großen Freude der Autokonzerne, die zudem gerne Stuttgart als „Welthauptstadt der Automobilindustrie“ feiern und es bereits geschafft haben, dass mit Inbetriebnahme von S21 jeglicher Bahngüterverkehr im Stuttgart eingestellt wird.

Es kann nicht sein, dass im Jahr 2023 in einer sich dem Klimaschutz und dem Ausbau der öffentlichen Verkehre verpflichteten Landes- wie Bundesregierung eine leistungsfähige Bahn systematisch verhindert und Automobilpolitik pur betrieben wird.

Eine Politik gegen die Schiene und für noch mehr Autoverkehr!

Die beabsichtigte Kappung und die zu erwartenden weiteren Beeinträchtigungen würden die Gäubahn extrem unattraktiv machen und hätte zur Folge, dass sich der Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert. Das schadet dem Klima erheblich und ist mit den Klimazielen Baden-Württembergs nicht vereinbar.

Die DUH hat bereits im Herbst 2022 in ihrer erfolgreichen Klage gegen das Land Baden-Württemberg vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim auf die Klimafolgen hingewiesen – wir haben auch Recht bekommen. Das Land hat aber darauf verzichtet, einen wie vom Gericht gefordert verbindlichen Maßnahmenplan zur Erreichung der Klimaziele vorzulegen, in dem unserer Meinung nach ganz eindeutig auch der Fortbestand der Gäubahn enthalten sein müsste. Das Land hat Anfang 2023 das Landes­klima­schutz­gesetz in einen zahnlosen Tiger verwandelt und den ursprünglichen verbindlichen Maßnahmenplan einfach gestrichen.

Von Landesverkehrsminister Winfried Hermann wissen wir, dass er die Kritik der Verbände teilt, dass die 8 Gleise von S21 nicht genügen und er die Amputation der Gäubahn für mindestens sieben Jahre – wir gehen von 15 bis 20 Jahren aus – nicht gut findet. Tatsächlich aktiv wird hier aber der Bund als Eigner der Deutschen Bahn AG.

Bundesverkehrsminister Wissing sabotiert eine leistungsfähige Bahn und betreibt Politik für die Autokonzerne. Winfried Hermann stellt sich diesem Vorhaben aber nicht in den Weg und ist damit bereit, eine weitere Verschlechterung der öffentlichen Verkehre in Baden-Württemberg zu akzeptieren.

Das gilt nicht für die Deutsche Umwelthilfe. Wir wehren uns für die Millionen betroffener Menschen dagegen. Unsere juristische Überprüfung hat ergeben, dass der geplante vorsätzliche Verstoß gegen einen rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss so massiv ist, dass wir diesen über unsere Klage verhindern können und werden.

Am 27. April haben wir daher beim Eisenbahnbundesamt (EBA) den Antrag gestellt: Namens und in Vollmacht unseres Mandanten beantragen wir daher, die Abbindung der Gäubahn-Strecke ohne eine entsprechende rechtliche Grundlage und ohne eine zeitgerechte Ersetzung durch eine Alternativstrecke, die zum Hauptbahnhof Stuttgart führt, gegenüber der Projektträgerin zu untersagen.

Für die Stattgabe unseres auf § 1 Abs. 1 Nr. 6 UmwRG i.V.m. § 18 Abs. 1 AEG i.V.m. § 13 KSG beruhenden Antrags notieren wir uns eine Frist von einen Monat, bis zu deren Ablauf wir ein entsprechendes ordnungsbehördliches Vorgehen gegen die angekündigte Vorgehensweise der Projektträgerin erwarten.

In exakt zwei Wochen wissen wir, wie das EBA reagiert. Sollte es bei seiner bisherigen Haltung bleiben, erheben wir auf Grundlage des Rechtsgutachtens von Professor Klinger Klage. Das von uns in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Prof. Klinger belegt, dass die geplante Amputation weiter Teile eines Bundeslandes, sowie Teile der Schweiz und Italiens vom Verkehrsknoten Stuttgart rechtlich schlichtweg unzulässig ist.

Rechtsanwalt Remo Klinger sagt dazu: „Die Planfeststellungsbeschlüsse für Stuttgart 21 sagen in großer Deutlichkeit, dass die einzelnen Abschnitte der Planung in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Die Auflösung dieses Zusammenhangs durch die jahrelange Abbindung der Gäubahn ist davon nicht gedeckt. Das Vorhaben der Bahn hat daher keine rechtliche Grundlage. Wir werden gerichtlich durchsetzen, dass das Eisenbahn-Bundesamt dies der Bahn untersagt."

Unsere Forderung:

  • Gäubahn/Panoramastrecke nicht abtrennen, sondern bestehende Panorama-Bahnstrecke ertüchtigen,
  • Kopfbahnhof zusätzlich zum viel zu kleinen unterirdischen S21-Bahnhof erhalten – zumindest so lange, bis der längste Eisenbahntunnel Deutschlands, der Bilger-Tunnel, fertig ist. Ich würde mal sagen frühestens 2040 – 2045. Damit würde der Kopfbahnhof für die kommenden 15 bis 20 Jahre bestehen bleiben!

Ich verspreche euch: die DUH wird mit aller Energie für diese beiden Ziele kämpfen. Damit füllen wir das Motto OBEN BLEIBEN mit Leben! Wir haben bereits einen deutlichen fünfstelligen Betrag für die bisherigen Gutachten und Klagevorbereitungen ausgegeben, und ich möchte euch an dieser Stelle ganz herzlich bitten: Wer die Möglichkeit hat, uns bei dieser Richtungsklage für den Erhalt des Kopfbahnhofs durch alle Instanzen auch finanziell zu unterstützen, ist herzlich eingeladen, sich bei mir zu melden. Das ist vielleicht die letzte Chance! Und diese müssen wir nutzen!

Die Abbindung der Gäubahn wäre eine politische Zäsur mit einer furchtbaren Signalwirkung: Wir können Teile Deutschlands vom Bahnverkehr amputieren – und selbst grün mitregierte Länder machen das mit. Nein, das darf nicht einreißen. Weder im Ländle noch in einem der fünfzehn anderen Bundesländer.

Gäubahn – Fakten

  • Die Gäubahn ist die Anbindung von Stuttgart Richtung Bodensee, nach Zürich und Mailand.
  • Der letzte Abschnitt zwischen Vaihingen und Stuttgart ist die
  • Die Gäubahn ist Bestandteil des Transeuropäischen Verkehrsnetzes TEN – einer internationalen Bahnstrecke.
  • Regionalverkehr und Intercitys fahren vom Hauptbahnhof über Horb, Rottweil und Singen nach Zürich. Wir träumen auch von ICEs und Schlafwagenverbindungen vom See nach Berlin, die die Gäubahngemeinden, den Bodensee und Zürich mit Stuttgart und dem Rest der Republik verbinden.
  • Die Strecke ist hoch ausgelastet – es könnten noch mehr Züge sein, wäre die Strecke nicht seit dem Zweiten Weltkrieg zum Teil eingleisig rückgebaut und seitdem systematisch vernachlässigt worden.

Wie soll die Abtrennung der Gäubahn erfolgen?

  • Bereits in zwei Jahren – mit der Eröffnung des neuen unterirdischen Bahnhofs – soll die Gäubahn für mindestens 7 Jahre – wir rechnen eher mit mindestens 15 Jahren – abgetrennt werden.
  • Dann kann man nicht mehr durchfahren, Fahrgäste müssen in Vaihingen in die S-Bahn umsteigen oder an einem noch nicht existierenden Halt, dem Nordhalt, der auch bis 2025 nicht fertig werden würde.
  • Mehrjährige Abbindung hätte zur Folge, dass sich ein relevanter Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert, was zu zusätzlichen Treibhausgas-Emissionen führt.
  • Direkt betroffen: 1,4 Millionen Menschen in der wirtschaftsstarken Region Baden-Württembergs, zwei Millionen in der Landeshauptstadt und weitere 80 Millionen, die nicht mehr mit der Bahn ab Stuttgart Richtung Bodensee, Schweiz und Italien reisen können.

Haupttreiber von S21 ist eine milliardenschwere Immobilienspekulation, auf die ich hier nicht nur aus Zeitgründen nicht weiter eingehen, sie aber an erster Stelle doch erwähnen möchte.

Bei Stuttgart 21 geht es nicht um eine Stärkung, sondern um eine gezielte und dauerhafte Begrenzung der Leistungsfähigkeit des deutschen Bahnsystems. Der nur achtgleisige Tiefbahnhof ist die Sollbruchstelle für die Verkehrswende in Deutschland. Mit ihm ist bereits die erste Stufe – die Verdopplung der Personenkilometer bis 2030 – nicht erreichbar. Aber – zur großen Freude der Autokonzerne – beim Schienengüterverkehr würde Stuttgart 21 unumkehrbar die logistische Versorgung der Stadt über die Schiene verhindern.

Diesmal haben die Stuttgarter Immobilienspekulanten und die Autoindustrie in der selbsternannten Welthauptstadt des Automobilbaus allerdings den Bogen überspannt.

Politiker aus Italien und der Schweiz, praktisch alle betroffenen Städte und Gemeinden im südlichen Baden-Württemberg, selbst Universitäten und Wirtschaftsbetriebe, Dutzende Bürgermeister wollen weiter eine direkte Verbindung zum Hauptbahnhof und unterstützen unsere Klage. Fünf Oberbürgermeister waren bei unserer Pressekonferenz mit dabei und ein Vertreter der Schweiz.

  • Bereits drei Rechtsgutachten wurden zur Abtrennung verfasst mit Blick auf die Betriebspflicht entlang der Strecke. Eines der Gutachten von den Kommunen entlang der Strecke wurde dem Eisenbahnbundesamt zur Prüfung vorgelegt.
  • „Wir wollen zum Hauptbahnhof“-Initiative von Fahrgästen. Mitzeichnung: Oberbürgermeister von Singen, Böblingen und Konstanz sowie die beiden Rektorinnen der Uni und der Technischen Hochschule Konstanz

Unterstützende Oberbürgermeister:

Oberbürgermeister von Singen, Bernd Häusler (CDU): „Als Oberbürgermeister einer großen Kreisstadt mit hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in Grenznähe zur Schweiz spreche ich auch im Namen unserer Nachbarn. Eine Abbindung der Gäubahn ist für uns nicht hinnehmbar und widerspricht dem Versprechen der Politik, eine Mobilitätswende einzuläuten. Die Lösung mittels des Pfaffensteigtunnels halte ich für ambitioniert. Die Unterbrechung der Direktanbindung nach Stuttgart von mehr als zehn Jahren ist nicht akzeptabel.“

Oberbürgermeister von Böblingen, Stefan Belz (Grüne): „Die Gäubahn muss weiter auf der Panoramabahn in den Stuttgarter Hauptbahnhof fahren können, bis die endgültige künftige Verbindung über den Flughafen fertig ist. Seit über vier Jahren fordern die Gäubahn-Anrainer: Keine Abbindung ohne Alternative! Sonst wären für zehn Jahre oder länger Stuttgart und große Teile des Bahnnetzes nur schwer zu erreichen. Jeder zusätzliche Umstieg geht zu Lasten der Fahrgäste und setzt eine attraktive, bequeme Gäubahn aufs Spiel. Für Böblingen ist sie auch eine zentrale Trasse für die S-Bahn, wenn die Stammstrecke gesperrt ist."

Oberbürgermeister von Tuttlingen, Michael Beck (CDU): „Alle wollen die Verkehrswende, alle wollen die Bahn stärken – und dann wird stur an einem Plan festgehalten, der Millionen von Menschen über Jahre von der Landeshauptstadt und vom Fernverkehr abhängt. Das passt beim besten Willen nicht zusammen. Dabei wäre die Kappung der Gäubahn nicht nötig. In den letzten Monaten wurden immer wieder Alternativen aufgezeigt. Sie setzen freilich voraus, dass die Landeshauptstadt Stuttgart bei ihren städtebaulichen Plänen Kompromisse macht. Als Gäubahn-Anlieger laufen wir hier aber seit Jahren gegen Mauern. Umso mehr freuen wir uns über jeden Vorstoß, der unser Ziel unterstützt, auch nach 2025 weiter eine direkte Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof zu behalten."

Oberbürgermeister von Radolfzell, Simon Gröger (parteilos): „Der westliche Bodenseeraum muss auch überregional bestmöglich an den ÖPNV angeschlossen sein. Die Gäubahn ist hierbei eine wichtige Verbindungslinie, daher muss die Anbindung der Gäubahn sichergestellt und verbessert werden.“

Oberbürgermeister von Konstanz, Uli Burchardt (CDU): „Es ist ein herber Rückschlag in den Bemühungen um nachhaltige Mobilität, wenn dem südlichen Landesteil die umweltfreundliche Erreichbarkeit der Landeshauptstadt Stuttgart mit der Bahn erschwert wird. Genau das bringt die von der Landesregierung geplante Abbindung der Gäubahn über Jahre hinweg mit sich. Ein Schritt, der aus Nachhaltigkeitsaspekten völlig unverständlich ist und die wirtschaftliche und touristische Benachteiligung einer ganzen Region zur Konsequenz hat."

Leiter Koordinationsstelle öffentlicher Verkehr, Kanton Schaffhausen, René Meyer: „Der Kanton Schaffhausen setzt sich für eine schnelle, direkte und zuverlässige Verbindung entlang der Achse Zürich – Stuttgart ein. Die Gäubahn soll dafür ausgebaut und der Intercity ohne Unterbruch – auch während der Bauphase – bis in den Stuttgarter Hauptbahnhof geführt werden."

Diese Wünsche zu erfüllen, dafür setzt sich die DUH, dafür setze ich mich persönlich ein. Bitte helft uns und mir dabei: Für die Verkehrswende und einen leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart durch den Erhalt des Kopfbahnhofs!

Oben bleiben!

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