Verkehrsrevolution statt Tunnelmania – Flächenbahn statt isolierte Bolzstrecken[1]

Rede von Klaus Gietinger, Autor, Regisseur und Sozialwissenschaftler, auf der 685. Montagsdemo am 20.11.2023

Liebe Montagsdemonstrantinnen und Demonstranten,

als Mehdorn von der damaligen rotgrünen Regierung Ende 1999 zum Bahnchef gekürt wurde, machte er sich bei den Mitarbeitern sehr schnell lächerlich, weil er die Bahnsignale immer wieder als Ampeln bezeichnete. Natürlich ist den Mitarbeitern damals das Lachen schnell vergangen, denn viele flogen raus, die Zerstörung der Bahn raste auf einen neuen Höhepunkt zu.

Heute haben wir eine Bundesregierung, die zurecht Ampel- und nicht Signalregierung genannt wird. Denn Signale für die Bahn sind bei ihr Fehlanzeige. Man könnte die in Berlin somit auch als vom Auto regierte Anti-Signalregierung bezeichnen.

Aber man höre und staune: Überraschung! Die Ampel will jetzt angeblich die Signale bei der Bahn auf grün stellen. Dabei bremst aber nicht nur der gelbe Part, sondern die ganze Mannschaft. Man plant nicht nur die katastrophale Vollsperrung von Hauptstrecken, sondern man verspricht tatsächlich eine gemeinwirtschaftliche Bahn. Zumindest das Netz will man angeblich – so stehts auch im Koalitionsvertrag – in die Gemeinwirtschaft überführen. Dabei gehört uns die Bahn doch eigentlich schon. Doch davon merken wir leider nichts, denn wir haben bei der Bahn nichts zu sagen.

Zu sagen bei der Bahn hat die Immobilien-, die Tunnel-, die Bau- und die Automafia. Das Bahnmanagement, das aus unzähligen hochbezahlten Wasserköpfen besteht, streicht nicht nur unglaubliche Boni für ihr Missmanagement ein, es interessiert sich auch in der Regel nur für Auslandsgeschäfte, die unterm Strich – und das ist ja das Groteske– gar nicht profitabel sind. Die Anti-Signalregierung verletzt ihre Aufsichtspflicht und regiert dem Antibahnmanagement in keiner Weise hinein, sondern sie scheißt die Bahn zu mit Geld für sinnlosen Hochgeschwindigkeitsverkehr, für sinnlose Tunnelprojekte, für eine klimaschädliche Rumpfbahn der Bolzstrecken, für die absolute Tunnelmanie.

Unsere Enkel und Urenkel werden – wenn es dann überhaupt noch eine Bahn gibt – auf Fernreisen, die dann hauptsächlich nur noch zwischen den wenigen größten Großstädten stattfinden werden, kaum mehr Landschaft sehen, das Einzige was sie sehen werden, ist Schwarz, sind dunkle Tunnelwände, ab und an durch todbringendes Feuer erhellt.

Aber kommen wir zurück zu den Signalen, die die Antibahnregierung auf grün stellen will. Sie plant ein Reförmchen. Sie plant die Zusammenlegung der DB Netz AG und der DB Station und Service (kurz Stuss) zu einer angeblich gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft (InfraGO). Aber erstens ist das viel zu eng gedacht und zweitens darf das nicht als GmbH, schon gar nicht als AG, als Aktiengesellschaft geschehen, wie jetzt geplant, sondern muss eine Anstalt öffentlichen Rechts werden.

Aber zuerst, was gehört in eine solche Gesellschaft hinein? Natürlich nicht nur die

  • Netz AG und
  • die Bahnhöfe, sondern auch
  • die DB Energie (also der Strom) und ganz wichtig,
  • die ganzen bahneigenen Kommunikationsleitungen, die ja auf digitalen Betrieb umgestellt werden sollen. Letztere hat der erste gesamtdeutsche Bahnchef nach dem Krieg – der größte Autolackierer Heinz Dürr – schon mal an Privat verscherbelt, und das musste dann später für teuer Geld wieder gekauft werden.

Und was heißt überhaupt Gemeinwohlorientierung? Das heißt, dass die Infrastruktur für alle da sein muss, nicht nur für die Großstädter, nicht nur für die Ballungsräume, sondern auch für das Land, die ländlichen Gegenden. Gemeinwohlorientierung heißt also angemessene Ziele, heißt Flächenbahn und das heißt Reaktivierungen unzähliger Strecken bzw. auch Neubau in der Fläche. Aber dazu komme ich noch.

Gemeinwohlorientierung heißt aber auch, dass die Bahn für alle Schichten da sein muss, für den Mittelstand ebenso wie für die unteren Schichten, für Berufstätige wie für Familien, für Frauen, Männer, Queere, für Kinder und alte Leute. Gemeinwohlorientierung heißt auch Mitspracherecht der Mitarbeiter, der Fahrgäste, sowie eine ausgewogene regionale und zentrale Kompetenz, keine Diktatur eines Konzerns, einer Führung, keine Diktatur bahnfeindlicher Lobbyisten. Gemeinwohlorientierung heißt last not least Fachkompetenz. Wir brauchen Eisenbahner und Eisenbahnerinnen in der Führung wie im Management, das zudem von den ganzen Wasserköpfen befreit werden muss. Die muss man entleeren, wie man ein WC entleert, indem man nicht vergisst zu ziehen.

Eine am Gemeinwohl orientierte Infrastruktur darf keinesfalls nach dem Profitprinzip funktionieren! Die Weisungsbefugnis des DB-Vorstandes gegenüber dieser antikapitalistischen Infrastruktur muss strikt ausgeschlossen werden. Die Abzocke durch überhöhte Trassenpreise, deren Erlöse dann in bahnfremde Projekte ins Ausland transferiert werden, muss ein Ende haben. Auch kontrolliert niemand, ob die Milliarden, die die Bahn bekommt, nicht in die unzähligen dubiosen Auslandsgeschäfte der DB fließen.

Ist aber die Infrastruktur tatsächlich gemeinwohlorientiert, darf kein Geld mehr in bahnfremde Unternehmungen fließen. Das muss absolut ausgeschlossen werden, und das ist ja das, was der Bundesrechnungshof immer wieder und schon seit Jahrzehnten kritisiert. Doch das plant die Ampel nicht! Die Antibahnregierung verhält sich hier wie ein unfähiger Vater, der seinem spielsüchtigen Sohn immer wieder und immer mehr Geld in die Hand drückt, das der dann digital und analog in Spielbanken, Spielotheken und beim Poker verzockt. Das muss aufhören!

Überhaupt müssen die ganzen Auslandsprojekte verschwinden. Ich meine hier nicht die Kooperation mit anderen europäischen Eisenbahnen, die einer klimafreundlichen Mobilität in ganz Europa dienen, sondern ich meine zentral DB Schenker, einer der weltgrößten klimaschädigenden Logistikkonzerne, der 45.000 Lkws täglich durch die Gegend schickt, und auch in der Luft- und Seefracht global als Spediteur agiert. Er macht inzwischen fast die Hälfte des DB-Umsatzes aus, hat aber mit klimaschonendem Bahnbetrieb gar nichts zu tun. DB-Schenker muss endlich verkauft werden, wie die anderen hunderten von Auslandsbetriebe und Beteiligungen. Die sind übrigens fast alle defizitär und reißen Löcher in die Kasse. Der Verkauf von Schenker aber würde die Bahnschulden reduzieren, und endlich könnte man sich wieder auf den eigentlichen Auftrag der Bahn konzentrieren, klimafreundlich die Mobilität von morgen zu organisieren!

Dann brauchen wir ein Gesetz, das Steuerverschwendung unter Strafe stellt. Würde es das heute geben, dann würden die Ex-Bahnchefs Dürr, Mehdorn und Grube längst im Knast sitzen zusammen mit den Autoministern Wissmann, Bodewig, Tiefensee, Ramsauer, Dobrindt, Scheuer und Wissing.

Natürlich passiert das alles nicht, es wird keine wirkliche Gemeinwohlorientierung geben. Deswegen müssen wir denen Dampf machen, dass sie sich ihren Hintern und ihre geldgeilen Pfoten verbrennen! Nur so wird aus der Ampel ein grünes Signal!

Auch während Corona, der Ukrainekrieg, Hamas-Terror und Antisemitismus derzeit die Schlagzeilen beherrschen, rast die Klimakatastrophe ungebremst voran. Die Bahnen dieser Welt, und auch die Bahn in Deutschland, können sie mit verhindern. Denn die DB hat Vorbildfunktion im Guten –die vielgescholtene Behördenbahn, die pünktlich wie die Eisenbahn war, wie im Schlechten – die Deutsche Bahn AG seit der Bahnreform. Und im Schlechten ist die Deutsche Bahn ein Trojanisches Pferd, und das trojanischste aller Pferde ist Stuttgart 21. Das muss weg. Der Kopfbahnhof muss bleiben! Punkt.

Aber wie sieht nun eine Gute, eine bessere Bahn aus? Dafür muss erst mal Müll in dreistelliger Milliardenhöhe, muss die Tunnelmanie weggeräumt werden:

  1. Stuttgart-Tief: sofort stoppen! Alternative: Gäubahn und Kopfbahnhof komplett erhalten, Tunnel umnutzen wie bei Umstieg21. Stuttgart 21 – wenn überhaupt nicht zu verhindern – auf 4-Gleis-Tunnel für Fernverkehr abspecken. Anbindung Flughafen über Pfaffensteigtunnel sofort stoppen. Alle Zusatztunnel sofort stoppen. Kopfbahnhof komplett erhalten und ausbauen: 18 Milliarden gespart!
  2. Zweite S-Bahnstammstrecke München-Hbf-Tief: sofort stoppen! Südring schnellstens bauen, später ggf. Nordring ebenso. Tieftunnel auf Sankt Nimmerleinstag verschieben (als Gesichtswahrer für die Tunnelfans): 10 Milliarden gespart.
  3. Kopfbahnhof Hamburg-Altona: unbedingt erhalten, kastrierter Ersatz Diebsteich-Bahnhof sofort stoppen, ebenso den gigantischen Verbindungstunnel (VET). Elbtunnel ernsthaft planen und (später) bauen: 12 Milliarden gespart.
  4. Frankfurt Hbf-Tief: sofort stoppen! Vorfeld-Gelände nach Vorschlag Frankfurt22 bzw. Frankfurt/Main Plus (DB-Planung von 2003) sofort ausbauen. Frankfurt Hauptbahnhof auf 27 Gleise erweitern. Verbindungsbrücke für Fußgänger und Radfahrer am denkmalgeschützten Stellwerk: 8 Milliarden gespart.

Grundsätzlich alle für den Deutschlandtakt unnötigen Bolzstreckenprojekte stoppen. Taktverkehr mit Bestand und maßvollem Ausbau optimal verbessern:

  1. Hamburg-Hannover: Kein Neubau durch die Heide, stattdessen Bestand – wo notwendig – ausbauen. D-Taktknoten in HH-Harburg (30/00), in Hannover (30/00) (nicht wie im derzeitigen Zielfahrplan, und perspektivisch) in HH-Altona (00/30); HH-Hbf als „Zwischenknoten“ zu ca. 15/45: 6 Milliarden gespart.
  2. Hannover-Bielefeld (-Hamm): Kein Neubau parallel zur BAB, stattdessen Bestand (mit Begradigungen). D-Taktknoten in Hannover (15/45) (anders als im Zielfahrplan), in Bielefeld (00/30), in Hamm (30/00). Kein Neubau der intakten viergleisigen Strecke Bielefeld-Hamm! 10 Milliarden gespart.
  3. Fulda-Ffm: Erhalt des Knotens Fulda (00/30), Richtschnur für Fulda-Ffm (-Hbf!) 45 Min., Zwischenknoten Ffm-Hbf zu 15/45 (wie schon immer). Mannheim bleibt Knoten 30/00, Abstand Fulda-Mannheim < 90; der teure Frankfurter-Tiefbahnhof ist überflüssig. Bei der Neubautunnelstrecke Ffm-Fulda: 6 Milliarden gespart.
  4. Würzburg-Nürnberg: Alles belassen wie gehabt (Distanz ca. 52 Min.): Wo notwendig, im Bestand ausbauen. Knoten Würzburg und Nürnberg belassen bei 30/00: 5 Milliarden gespart.
  5. Stuttgart bleibt (da quer zum D-Takt) „Zwischenknoten“. In Stuttgart-Kopfbahnhof könnte man gut einen 00/30-Knoten einrichten. Knoten Ulm sollte (00/30) sein. Richtschnur für Mannheim-Ulm < 90 Min. Kostenersparnis schon genannt.
  6. Ulm-München: Keine neue Schnellstrecke. München Hbf wird Zwischenknoten um 15/45 mit gutem Anschluss an Wien/Salzburg und Italien: 5 Milliarden gespart.
  7. München - Rosenheim - Kufstein: Tieftunnel Rosenheim-Kufstein neben dem Inntal sofort einstellen, stattdessen Ausbau im Bestand (wo notwendig): 10 Milliarden gespart.

In der Summe würden hier 90 Milliarden gespart. Damit könnte man die Flächenbahn wiederherstellen, ja ausbauen! Eine Streckenreaktivierung kostet im Schnitt 30 Millionen. 90 Milliarden geteilt durch 30 Millionen ergibt 3000. Das heißt, man könnte mit dem Geld 3000 Bahnstrecken in der Fläche reaktivieren bzw. neu bauen. Das wären ca. 30.000 zusätzliche Kilometer Bahn. Statt 33.000 also 63.000 Kilometer Bahnstrecke. Das Auto hätte weitgehend ausgedient!

Was braucht es dazu aber noch: Bahnhöfe – und zwar funktionierende Bahnhöfe mit Personal, mit Fahrkartenverkauf, einem klimatisierten Aufenthaltsraum mit einem Kiosk oder einer Gaststätte, mit einer Anbindung auch im ländlichen Raum: Fahrrad/Pedelec-Parkplätze, Tram- und Busvertaktung.

Das geht nur, wenn Takt statt Tempo vorherrscht: Eine Bahnstrecke hat eine viel höhere Kapazität, wenn der Superschnellverkehr entfällt, denn je schneller der Zug, umso weniger Platz ist auf der Strecke, wegen der langen Sicherheits-Blockstellen. Das heißt: Geschwindigkeitsbeschränkung bei Hauptstrecken auf 200 oder 230 Stundenkilometer, auf Nebenstrecken 150.

Aber mindestens ein 30-Minuten-Taktverkehr. Damit ist die Netzgeschwindigkeit hoch, die Bolzgeschwindigkeit auf isolierten Strecken aber passé. Und, oh Wunder! Mann bzw. Frau oder Kind kommt trotzdem schneller ans Ziel und das in viel größerer Anzahl! Viel weniger Energie wird verbraucht, gleichzeitig wird der Lärm damit entschieden reduziert.

Tunnel sind absolut teuer, verbrauchen viel CO2 und sind auch im Betrieb teuer und energieintensiv (höchster Luftwiderstand): Also Tunnel immer nur da, wo es überhaupt nicht anders geht.

Lärmschutzwände direkt am Gleis und nur 1 - 1,5 Meter hoch, nicht 4 Meter wie derzeit üblich. Lärmreduzierung, wo es nur geht.

Komplette Elektrifizierung mit Oberleitung, nur in Ausnahmefällen Akkutriebzüge. Im ländlichen Bereich energiesparende, robuste Leichtfahrzeuge.

Flankierende Maßnahmen, z.B.:

  • Nachtzüge ausbauen, das ist gemütlich und energiesparend,
  • einheitliches Tarifsystem,
  • Pauschalpreise (Weiterentwicklung des D-Ticket und BC 100),
  • Perspektiv-Ziel: Nulltarif (so weit wie möglich).

Fazit:

  • Flächenbahn statt Bolzbahn
  • Takt statt Tempo und Tunnel
  • 000 oberirdische, besetzte Bahnhöfe statt tote 10 Milliardengräber
  • Nachtzug und Nulltarif statt Nieten im Nadelstreif
  • Oberleitung statt Ohnmacht
  • Wiederaufbau statt Wasserköpfe
  • Personal statt Profit
  • Knast statt Kohle für Steuerverschwender
  • Strafen für Stümper statt Stuttgart 21
  • Bundesbahn statt Bahn AG

 

[1]     Dank an Wolfgang Hesse, Andreas Müller-Goldenstedt, Michael Jung, Heiner Monheim, Tom Adler und Winnie Wolf für Infos.

Rede von Klaus Gietinger als pdf-Datei

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.