Gäubahn Kahlschlag verhindern! Der aktuelle Stand der DUH-Klage

Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf der 691. Montagsdemo am 16.1.2024

Liebe Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs,

am 15. Mai und am 7. August sowie 4. September habe ich euch hier über den rechtlichen Stand unserer Klage gegen die geplante Kappung der Gäubahn informiert. Trotz aller Versuche des Eisenbahn-Bundesamtes und der Deutschen Bahn AG, die Klage als unbegründet abweisen zu lassen, haben wir seit Ende letzten Jahres bereits eine erste Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts und rechnen zeitnah mit einem ersten Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart.

Was ist das Besondere an unserer Klage, mit der wir ganz offensichtlich in ein Wespennest gestochen haben?

Erstmals in Deutschland – zumindest soweit wir das recherchiert haben – klagen wir nicht GEGEN einen Planfeststellungsbeschluss. Nein, wir klagen FÜR die Einhaltung von Recht und Gesetz, FÜR den Klimaschutz – und FÜR die Umsetzung eines rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlusses, soweit er die Deutsche Bahn AG und das Eisenbahn-Bundesamt rechtlich bindet, eine Abtrennung der Gäubahn nur wenige Wochen oder Monate vornehmen zu dürfen – nicht aber für mindestens 15 Jahre.

Erneut möchte ich mich beim Montagsdemo-Orgateam und stellvertretend bei Tom Adler bedanken, dass er mich erneut eingeladen hat, um euch heute zum Stand der Auseinandersetzung um den Erhalt der transeuropäischen Schienenanbindung von Stuttgart über Rottweil, Singen, Zürich bis nach Mailand und Rom zu informieren. Und um euch zu bitten, uns bei dieser Auseinandersetzung, die auch auf die Erhaltung des Kopfbahnhofs mit hinausläuft, aktiv zu unterstützen!

Doch bevor ich auf Gäubahn und Kopfbahnhof eingehe, muss ich ein wenig ausholen und auch über die aktuelle Politik der Bundesregierung GEGEN den Klimaschutz, GEGEN Bahn, Bus und Fahrrad und damit für eine Rückkehr einer autozentrierten Verkehrspolitik erzählen.

Wir haben eine Ampel-Bundesregierung mit einem Bundeskanzler Scholz von der SPD, der sich zur Wahl als Klimakanzler plakatieren lies, und einem Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen, der sein Wirtschaftsministerium laubfroschgrün angestrichen und in Klimaschutzministerium umbenannt hat. Schließlich gibt es noch eine kleine dritte Regierungspartei von Porsche, die mit ihren Ministern Lindner und Wissing die Richtlinienkompetenz der Klimaschutzpolitik bestimmen.

Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, am 23. November 2023 in Berlin vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zwei Klagen gegen die Bundesregierung verhandeln zu dürfen: Klagen der DUH auf Einhaltung des Klimaschutzgesetzes in den Bereichen Gebäude und Verkehr.

Auf der Angeklagten-Bank saßen insgesamt neun Anwälte und Vertreter der drei Bundesministerien Bauen (SPD), Verkehr (FDP) und Klimaschutz (GRÜNE) zusammen. Es war unglaublich, wie einig sich diese drei Ministerien waren, dass sie das Klimaschutzgesetz nicht einhalten müssen. Und dass wir nicht berechtigt sind, sie wegen dieser Nichteinhaltung vor den Kadi zu bringen. Erstmals erlebte ich aber auch die Power eines rein weiblichen Berufsrichterinnen-Senats unter der Leitung einer Richterin Frau Holle.

Bereits im Frühjahr 2023 hatte sie den Verhandlungstermin festgelegt – und sicher nicht zufällig auf den Tag des Beginns der Weltklimakonferenz in Dubai gelegt. Eine Woche vor Verhandlung erlies sie einen Hinweisbeschluss, in dem sie auf die Bedeutung unserer Klage für den Klimaschutz in Deutschland verwies und – das habe ich bisher so noch nicht erlebt – ausdrücklich um eine rege Teilnahme warb und den größten Saal des denkmalgeschützten Gerichtsgebäudes für die Verhandlung auswählte. Dieser war denn auch zum Verhandlungsbeginn prall gefüllt.

Um was ging es? Die Bundesregierung unter Angela Merkel hatte 2020 ein Klimaschutzgesetz aufgrund der Proteste hunderttausender Menschen erlassen, das allerdings inhaltlich unzureichend und wenig ambitioniert war. Die DUH hat daraufhin zwei Verfassungsbeschwerden initiiert, die im März 2021 vom Bundesverfassungsgericht in dem historischen Klimaschutzurteil angenommen wurden. Daraufhin verschärfte die Merkel-Regierung das Klimaschutzgesetz.

Was für ein Erfolg für die – für unsere Umwelt und eine lebenswerte Zukunft kämpfende – Fridays-for- Future-Bewegung, für uns, aber vor allem für die Menschen in Deutschland. So dachten wir.

Womit wir nicht gerechnet hatten war die Absprache von SPD, GRÜNEN und FDP bereits während der Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung im Herbst 2021, das Klimaschutzgesetz zu entkernen. Wir haben das gemeinsam mit allen anderen Umweltverbänden skandalisiert und daraufhin einen zweiseitigen Brief von Annalena Baerbock und Robert Habeck erhalten, in dem uns beide versicherten, das werde nicht kommen. Wir hätten da etwas missverstanden.

Hatten wir aber nicht!

Es ging und geht der Ampel-Regierung darum, nicht im Klimaschutz Rechenschaft abgeben zu müssen und vorgeführt zu werden. Jährlich muss nämlich Bericht erstattet werden, ob die Maßnahmen in den einzelnen Sektoren ausreichen. Und gerade der Verkehrssektor leistet keinen Beitrag zum Klimaschutz – im Gegenteil. Insgesamt fehlen nach unseren Berechnungen bis 2030 annähernd 400 Mio. Tonnen CO2, um nur das lasche Klimaschutzgesetz von Frau Merkel einzuhalten.

Vom ersten Moment der Verhandlung an ließ die Vorsitzende Richterin Frau Holle keinen Zweifel daran, wie schlecht die Argumente der Bundesregierung sind. Der Versuch, uns die Klageberechtigung abzusprechen, scheiterte fulminant. Und inhaltlich erhielt die Bundesregierung eine Ohrfeige nach der anderen.

So fiel auch das Urteil eindeutig aus: Am 30. November gab sie uns in ALLEN Punkten recht: Die Bundesregierung verstößt gegen das Klimaschutzgesetz und muss gesetzeskonforme Klimaschutz-Sofortprogramme in den Sektoren Gebäude und Verkehr vorlegen. Die DUH fordert die Bundesregierung auf, sofort Notfallmaßnahmen wie ein sofortiges Tempolimit, den Abbau klimaschädlicher Subventionen und eine Sanierungsoffensive etwa für Schulen und Kindergärten zu beschließen.

Porsche-Minister Lindner und Wissing kündigten Revision zum Urteil an, Habeck und Scholz schwiegen, als ob sie auch diesmal der Richtlinienkompetenz der FDP im Klimaschutz folgten. Es würde genügen, wenn die GRÜNEN erklären würden, das Urteil zu akzeptieren und der Revision nicht zuzustimmen. Aber das wird es nicht geben, die GRÜNEN folgen der Porsche-Partei. Deren Verkehrsminister Wissing hat das auch im Kabinett klar begründet. Ansonsten wäre er ja gezwungen, ein Tempolimit zu verfügen. Und zusätzlich will die Ampel-Regierung nun einfach das Klimaschutzgesetz so ändern, dass es keine Einzelbetrachtung der Sektoren mehr gibt.

Die aktuellen Proteste der Bauern zeigen die unglaubliche Unwucht beim Regierungshandeln. Porsche-Finanzminister Lindner unterstützt die Verkehrswende zurück zu Auto und Lkw durch neue schienenbezogene Kürzungen im Verkehrssektor: Der Mittelansatz Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur des Bundes wird um vier Milliarden Euro komplett gestrichen und auf eventuelle Verkaufserlöse von Bundesanteilen bei Telekom und Post verwiesen. Die Baukostenzuschüsse für Investitionen des Bedarfsplans Schiene sollen gegenüber dem Regierungsentwurf um 610 Millionen Euro gekürzt werden. 200 Millionen Euro Einsparungen sind bei der Ausrüstung mit dem europäischen Zugsicherungssystem vorgesehen, weitere 167,6 Millionen Euro bei der Förderinitiative zur Attraktivitätssteigerung und Barrierefreiheit von Bahnhöfen. Auch die Trassenpreisförderung soll geringer ausfallen als bisher. Der Titel für die Trassenpreisförderung im Schienengüterverkehr soll um 170,7 Millionen Euro praktisch halbiert werden. Im Personenfernverkehr war die Förderung ohnehin schon geringer, soll nun aber fast vollständig wegfallen. Waren im Haushaltsentwurf 2024 noch 10 Millionen Euro vorgesehen, schlägt das Bundesfinanzministerium (BMF) nur noch 145.000 Euro vor. Um 65 Millionen Euro auf nur noch 20 Millionen Euro soll zudem der Posten zur Senkung der Anlagenpreise im Schienengüterverkehr gekürzt werden.

Auch das Bundesprogramm „Zukunft Schienengüterverkehr“ soll gekürzt werden: von 42 auf 25,7 Millionen Euro. Als Erfolg konnten vor allem die Grünen in den ersten Verhandlungen auch die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen bei den Finanzhilfen an die Länder für Investitionen in den Radverkehr aus dem Sonderprogramm „Stadt und Land“ ins Schaufenster stellen. Die bis 2030 vorgesehenen 75 Millionen Euro werden vom BMF nicht gestrichen, wohl aber der Ansatz für 2024. Dieser soll von 192,7 auf 148 Millionen Euro sinken.

Ähnlich verfährt das BMF bei den Baukostenzuschüssen für Investitionen in die Schienenwege der nicht bundeseigenen Eisenbahnen: Hatten die Abgeordneten im Haushaltsausschuss noch durchgesetzt, dass dort im Jahr 2024 zusätzlich fünf Millionen Euro (insgesamt 73,5 Millionen Euro) eingestellt werden, plant das BMF, den Titel um zwei Drittel zu kürzen. Gänzlich gestrichen werden die Titel klimaneutrales Schiff (vormals 30 Millionen Euro) und das Förderprogramm Fahrradparkhäuser an Bahnhöfen (vormals 29 Millionen Euro).

Interessant finde ich, was nicht gekürzt wird: Das nationale Flottenerneuerungsprogramm für Nutzfahrzeuge mit Dieselmotor wird beispielsweise um 19,2 Millionen Euro auf 64,2 Millionen Euro aufgestockt. Auch der Aus- und Neubau von 1.000 km Autobahnen bleibt unangetastet, dafür ist Geld da, hier zeigt die Porsche-Partei mit Deutschlandgeschwindigkeit politische Geradlinigkeit.

Keine Änderungen bei der Subventionierung von Diesel für Pkw und Lkw. Und: zur großen Freude von Porsche, Mercedes-Benz & Co. bleibt es dabei, dass Dienst- und Firmenwagen weiterhin überwiegend vom Staat bezahlt werden. Bis zu 59% des Kaufpreises übernimmt der Bundesfinanzminister. Wie das geht? Als Firma oder Freiberufler einfach einen Neuwagen leasen oder kaufen, sich sofort die 19% MwSt. erstatten lassen und das Fahrzeug zu 100% steuerlich absetzen. Und das Schönste: Je klimaschädlicher das Auto ist, umso mehr Geld gibt es vom Staat.

Beispiel: Der teuerste Serien-Porsche 911 GT3 RS kostet „nackt“ 325.000 €. Als Freiberufler oder Unternehmer übernimmt der Staat 192.000 € der Kosten. Nur 133.000 € müssen tatsächlich bezahlt werden, wenn das Fahrzeug dienstlich zugelassen wird. Im Jahr 2022 wurden alle Porsche dieses teuren Klimakiller-Modells gewerblich zugelassen – mit Ausnahme eines einzigen privat zugelassenen Fahrzeugs.

Mir ist ein einzigartiges Dokument der Schande in die Hände gefallen, wie ganz unverhohlen für diesen Missbrauch unserer Steuerzahlungen und die dreiste Selbstbedienung der Autokonzerne an der Staatskasse geworben wird. Das Porsche Zentrum Reutlingen und die Apothekenbank luden darin wohlhabende Ärzte und Apotheker zu einem „Faszination Performance“-Event am 22. September 2022 ein.

Ich möchte daraus zitieren: Der Hauptvortrag lautete „Porsche fahrenSteuern sparen“.Martina Zendath, Steuerberaterin, zeigt Ihnen in ihrem Vortrag, wie sie es schaffen, dass das Finanzamt ihren Porsche mitfinanziert. Selbstverständlich alles ganz legal.“

Was hat das jetzt aber mit der Gäubahn zu tun?

Ganz einfach: Für den Pfaffensteigtunnel ist jetzt und wird auch in Zukunft kein Geld da sein. Wenn die Gäubahn – aktuell mal wieder für drei Monate gesperrt – abgetrennt ist, wird man feststellen, dass es einen so geringen Verkehr auf der Strecke gibt, dass sich die 2,7 Milliarden Euro für den Bau des damit längsten Eisenbahntunnels Deutschlands nicht rechnen.

Und so entspannt sich wie durch Zauberhand auch die Beengtheit des zu kleinen S21-Tiefbahnhofs.

Ich hatte am 4. Oktober ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Lutz und Bauvorstand Huber von der Deutschen Bahn AG. Dabei ging es auch um den Stand der S21-Bauarbeiten und unsere Klage gegen die Abtrennung der Gäubahn vom transeuropäischen Bahnnetz. Herr Huber machte überdeutlich, nur dann Strecken jenseits der ICE-Trassen ausbauen zu wollen, wenn er vom Bund dafür mehr als 45 Mrd. Euro bekommt. Seine Haltung zur Gäubahn war erschreckend klar. Auf meinen Einwand, für Reisende aus dem Süden sei der Umstieg in Vaihingen in andere Verkehrsträger abschreckend, bemerkte er, vielleicht wollten die Menschen aus dem Süden ja gar nicht bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof, sondern nur bis nach Vaihingen reisen. Ich antwortete ihm: da haben Sie wahrscheinlich recht, so wie gerade systematisch der Verkehr über Monate unterbrochen wird, werden in einigen Jahren nur mehr die Bahnreisenden aus dem Süden bis nach Vaihingen wollen. Die anderen steigen um aufs Auto.

Die Schweiz prüft bereits die Einstellung des Linienverkehrs Zürich - Stuttgart. Nur noch wenige Regionalzüge sollen von Singen über Rottweil nach Vaihingen und zurück verkehren. Wer von euch glaubt, dass für die wenigen Nutzer ein 2,7 Milliarden Euro teurer Bahntunnel gebaut wird?

Ein guter Tag für den Erhalt der jetzigen Gäubahntrasse war die Nachricht, dass sich die Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs um weitere zwei Jahre verzögert, und auch dann 2027 nicht sicher ist, ob die digital gesteuerten Züge da sind und die digitale Zugleittechnik bis dahin funktioniert.

Das gibt uns zwei Jahre mehr Zeit, die Menschen in Stuttgart und in Norditalien, der Schweiz und entlang der Gäubahn zu informieren, was für schmutzige Geschäfte zu ihren Lasten hier betrieben werden.

Unsere Klage bereitet dem Porsche-Ministerium in Berlin große Kopfschmerzen. Und noch größere dem Stuttgarter OB Nopper. Der muss nämlich nicht nur alle Baupläne wiederum um Jahre nach hinten schieben, sondern sich mit einer neuen Frage beschäftigen: Bis hinein in die Führung der Deutschen Bahn, im Landtag von Baden-Württemberg, in der Landesregierung wird nun die Idee diskutiert, zumindest einen Teil der Kopfbahnhof-Gleise zu erhalten, wenn eben die DUH-Klage erfolgreich sein sollte. Wenn schon einzelne Gleise bleiben müssen, ist es dann nicht sinnvoll, angesichts des zu klein dimensionierten Tiefbahnhofs zumindest die Hälfte der Kopfbahnhofsgeleise zu erhalten? Damit hätte man für in Stuttgart endende und beginnende Verkehre den Kopfbahnhof, für durchgehende Verkehre den Tiefbahnhof. Und bei Störungen im Tiefbahnhof würde der Bahnverkehr in Süddeutschland nicht zusammenbrechen.

Das Motto des Tages heißt also, den Kopfbahnhof ganz oder ganz wesentlich zu erhalten und eben die Geleise zu überbauen. So wie in Japan oder in Berlin am Hauptbahnhof. So bliebe die Gäubahn und der europäische Süden kostengünstig und dauerhaft am Bahnhof weiter angeschlossen.

Das alles kommt nicht von allein. Wir müssen gegen die Autokonzerne und ihre Lobbypartei für eine starke Schiene kämpfen. So werden wir in den nächsten Monaten mit einer Vielzahl von Bahnhofsgesprächen entlang der Gäubahn Bürger, Institutionen und Politiker gegen die Sabotage am Bahnnetz und gegen die geplante Verkehrswende rückwärts mobilisieren.

Bitte helft uns bei unserer Klage auf Erhalt des Anschlusses der Gäubahn an den Stuttgarter Hauptbahnhof – und bei unserem Einsatz für den Klimaschutz durch eine echte Verkehrswende und einen leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart durch den Erhalt des Kopfbahnhofs. Deswegen auch meine Bitte: werdet Gäubahn-Pate der DUH.

Damit verabschiede ich mich heute bei euch.

OBEN BLEIBEN!

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