Wofür wir gestreikt haben – und wie es weitergeht

Rede von Danny Grosshans, Stellvertretender Vorsitzender der GDL Südwest, auf der 693. Montagsdemo am 29.1.2024

Liebe „Oben-Bleiber“ und lieber Tom – vielen Dank für die Einladung!

Vielen Dank, dass Ihr uns Eure Bühne zur Verfügung stellt, um die Wahrheit zu sagen über unseren Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn AG und dem seit Jahrzehnten lang kaputt gesparten Eisenbahnsystem!

Ich bin mit dem Zug nach Stuttgart gekommen, und das, weil wir unseren Arbeitskampf, der eigentlich bis heute 18 Uhr gehen sollte, vorzeitig beendet haben:

Güterverkehr gestern, 28.01.2024, 18:00 Uhr, Personenverkehr und Infrastruktur heute Morgen, 29.01.2024, 2:00 Uhr.

Nicht irgendein Gericht noch die Deutsche Bahn AG haben den Arbeitskampf beendet, sondern es war die GDL! Und wir haben das nicht gemacht – wie in der Presse zu lesen war – weil unsere Mitglieder aus finanziellen Gründen darauf gedrängt haben, sondern weil unsere Streikmaßnahmen massive Auswirkungen erzeugt und den Bahnvorstand zum Nachdenken bewegt haben!

Und ich möchte eines einmal klarstellen: Die Mitglieder der GDL treten im Streik nicht gegen die Fahrgäste oder die Güterverkehrskunden an, sondern wir treten gegen einen Bahnvorstand an, der die Eisenbahn jahrelang kaputtgespart hat. Wir treten gegen eine Teppichetage an, weil die keine Ahnung von der Eisenbahn hat, auch keine Empathie für die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, und erst recht nicht für die Kundinnen und Kunden!

Wer auf die Eisenbahn angewiesen ist, erlebt täglich, wie marode das System ist. Verspätungen, verpasste Anschlusszüge, defekte Toiletten! Sie fabulieren und drohen mit autonom fahrenden Zügen und schaffen es nicht einmal, dass im Bordbistro die Kaffeemaschinen und Kühlschränke zuverlässig funktionieren – nach dem Motto: „sorry, es gibt nur kalten Kaffee und dafür warmes Bier!“

Ein Gutes hat der Streik – die Fahrgäste wissen bereits im Vorfeld, dass der Zug nicht kommt und erfahren es nicht erst, wenn sie mit ihren Koffern und dem Kinderwagen schon am Bahnsteig stehen.

Und eins kann ich Euch versichern: Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner schämen sich dafür! Sie schämen sich, dass weder die Politik noch der Bahnvorstand Entscheidungen auf den Weg bringen, die die Eisenbahn als klimafreundliches Verkehrsmittel voranbringen. Sie schämen sich dafür, dass die Verantwortlichen die Eisenbahn – außer in Sonntagsreden – stiefmütterlich behandeln und jahrelang haben verrotten lassen.

Was sie jedoch gut können, ist Geld ausgeben – Steuergelder! Immer neue Milliarden werden für Leuchtturmprojekte bereitgestellt, welche am Ende das System Eisenbahn wenig bis gar nicht voranbringen. Stuttgart 21 ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Seit der Planung haben sich die Kosten verdreifacht auf über 10 Milliarden Euro – und es ist eine Frechheit, dass dafür am Ende niemand verantwortlich ist und zur Rechenschaft gezogen wird!

Was sie auch gut beherrschen, ist die Berechnung ihrer Bonuszahlungen. Anstatt Kundenzufriedenheit und Pünktlichkeit als Kriterien heranzuziehen, sind Frauenquote im Unternehmen und gleichbleibende – nicht verbesserte – sondern gleichbleibende schlechte Mitarbeiterzufriedenheit für die Auszahlung der Bonis ausschlaggebend. Für die Kunden und für die Mitarbeiter ist das ein Schlag ins Gesicht! 5 Millionen Euro für eine Pünktlichkeit von gerade einmal 65 Prozent! 5 Millionen Euro für eine Schlechtleistung, die ihresgleichen sucht! Früher konnte man die Uhr nach der Eisenbahn stellen, heute reicht ein Kalender!

Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben es satt! Über 7 Millionen Stunden auf den Arbeitszeitkonten und über 20 Millionen Stunden auf den Langzeitkonten der Deutschen Bahn AG sind der Beweis – die Kolleginnen und Kollegen leisten seit Jahren ihren Beitrag. Sie sind kaputt und können nicht mehr! Es gab noch nie so viele Anträge auf Teilzeit! Die wenigsten Kolleginnen und Kollegen bleiben bis zur Regelaltersrente in ihrem Beruf. Der durchschnittliche Eisenbahner geht mit 64 in Rente – nicht etwa, weil er im Lotto gewonnen hat, sondern weil der unregelmäßige Wechseldienst – wissenschaftlich bewiesen – die ungesündeste Form der Arbeitszeitgestaltung ist.

Und Nachwuchs? Pustekuchen! 365 Tage im Jahr, 7 Tage die Woche, Wochenende, Feiertage, das alles rund um die Uhr, will niemand mehr machen! Denn auf der anderen Seite der Waagschale liegen z.B. Homeoffice, Gleitzeit oder die 4-Tage-Woche.

Und jetzt kommen wir, die GDL! Unsere Forderungen in der laufenden Tarifrunde zielen ganz klar darauf ab, die Berufe im Schichtdienst wieder attraktiver zu gestallten. Nur wenn das gelingt, haben wir im hart umworbenen Fachkräftemarkt überhaupt eine Chance, Berufseinsteiger für unsere Berufe zu begeistern und das vorhandene Personal spürbar zu entlasten. Wir sind am 5. Juni 2023 gestartet mit folgenden Maximalforderungen:

  • 555 Euro Entgelterhöhung / 25 Prozent Zulagen
  • Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden/Woche
  • Inflationsausgleichsprämie 3000 Euro
  • 5 Prozent bAV (betriebliche Altersvorsorge)
  • 5-Tage-Woche / 2 Tage frei

Der Tarifvertrag sollte für alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner im Schichtdienst eine Laufzeit von 12 Monaten haben. Also neben dem klassischen Zugpersonal auch für Instandhaltung und für die Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Infrastruktur.

Und wer behauptet, die GDL sei nicht kompromissbereit, der sagt einfach nicht die Wahrheit – der lügt! Mittlerweile haben wir im Vergleich zu unseren Kernforderungen bereits Kompromisse gemacht. Diese haben wir – in den meisten Fällen sogar ohne Streik – mit 18 unserer Tarifpartner bereits tarifvertraglich vereinbart und weitere werden folgen. Wir sehen es überhaupt nicht ein, dem roten Riesen einen Wettbewerbsvorteil mit einem Abschluss unterhalb unter dieser Kompromisslinie zu verschaffen.

Nur der GDL ist es zu verdanken, dass der Eisenbahnmarkt so gestaltet ist, dass der Wettbewerb eben nicht mehr über die Lohnkosten – und somit auf dem Rücken der Beschäftigten stattfindet! Als wir im Jahr 2007 begonnen haben, fanden wir ein Delta von bis zu 40 Prozent vor, und wir haben einen Angleichungsprozess hinter uns, bei der Arbeitszeitregelungen und Entgelt überall miteinander vergleichbar sind! Im Übrigen hätte die Deutsche Bahn AG die Chance gehabt, diese Kompromisslinie selbst mit uns gemeinsam zu gestalten – doch sie wollte nicht und hat von Beginn an Verhandlungen über die Arbeitszeitkomponente – die 35-Stunden-Woche – abgelehnt.

Folgende Kompromisse stehen, und weniger ist definitiv nicht drin:

  • Erhöhung Entgelt 2 x 210 Euro als Sockelbetrag
  • 2 x 5 Prozent Erhöhung der Zulagen
  • stufenweise Absenkung der Arbeitszeit bis 2028 auf 35 Stunden/Woche
  • 5-Tage-Woche/2 Tage frei

Die bereits abgeschlossenen Tarifverträge haben eine Laufzeit von 24 Monaten.

Was hat die Deutsche Bahn AG mit Ausnahme am letzten Samstag gemacht? Außer mit Scheinangeboten die Öffentlichkeit zu täuschen, Arbeitskämpfe zu provozieren und am Ende auch zu bekommen, hat sie erneut versucht, mit advokatischen Winkelzügen die Arbeitskämpfe gerichtlich verbieten zu lassen. Zum dritten Mal in der Geschichte der GDL versucht ein Staatskonzern die grundgesetzliche Koalitionsfreiheit und das Recht auf Streik über Gerichte verbieten zu lassen. Erst über das Arbeitsgericht der Stadt Frankfurt und dann über das Landesarbeitsgericht Hessen wurde der DB, der GDL und auch der Öffentlichkeit – wie in den Jahren 2014 und 2021 – gerichtlich bestätigt, dass die Arbeitskämpfe der GDL verhältnismäßig, rechtmäßig und zulässig sind. Und am Ende stellt sich der Personalvorstand der Bahn vor die Presse und bezeichnet die 18 marktprägenden Tarifabschlüsse der GDL, die mit der 35-Stunden-Woche für über 10.000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zur Anwendung kommen, als einen „PR-Gag“!

Die Typen meinen, übers Wasser gehen zu können, während sie arrogant und erhaben den Rest der Welt an der Nase herumführen und als dumme Schuljungen abstempeln! Und was macht unsere Politik? Erst privatisieren sie die Eisenbahn und nehmen der Lokführern, Zugbegleitern und Fahrdienstleitern den Beamtenstatus, und jetzt faseln sie von kritischer Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Mit dem einzigen Ziel, den Eisenbahnern ihr demokratisches Grundrecht – nämlich das Streikrecht – zu entziehen! Sagt mal, geht’s noch? Ursache und Wirkung! Wer A sagt, muss auch B sagen!

Und dann gibt es da noch das Tarifeinheitsgesetz. Die Schaffung diese Gesetzes hatte das klare Ziel, kleine, aber gut organisierte Gewerkschaften mundtot und zahm zu machen. Am Beispiel der GDL sieht man – Ziel mächtig verfehlt! Das Gegenteil ist der Fall: Wenn ein Gesetz zur Anwendung kommt, das Mehrheiten fordert, braucht sich am Ende niemand zu wundern, wenn der Organisationsbereich erweitert wird, und Mehrheiten geschaffen werden.

Wie geht es jetzt weiter? Unser letzter Streik scheint Wirkung gezeigt zu haben. Hervorheben möchte ich die zahlreichen Stellwerke – allen voran die 4-Mann-Besetzung am Samstag am Mannheimer Hauptbahnhof, die sich zusammen für 9 Stunden am Arbeitskampf beteiligt haben. Zeitweise hatten wir im GDL-Bezirk Süd-West über 20 bestreikte Stellwerke. Wer jetzt noch behauptet, wir hätten keine Mitglieder in der Infrastruktur, und einen Tarifvertrag gibt es nicht – der hat sie nicht mehr alle! Es gab Hintergrundgespräche, und seit Samstag steht fest, es wird wieder verhandelt und die Blockadehaltung scheint etwas aufgebrochen zu sein.

Bis zum 3. März wird verhandelt, und während dieser Zeit herrscht Friedenspflicht und Stillschweigen wurde vereinbart. Ich hoffe für unsere Mitglieder, für die Kunden der Eisenbahn und für das System Eisenbahn, dass die Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden, und am Ende die Berufe der Eisenbahn durch bessere Arbeitszeit- und Entgeltbedingungen wertgeschätzt werden! Fakt ist, weder unser Grundrecht auf einen Tarifvertrag für die Infrastruktur ist verhandelbar, noch werden wir uns von der 35-Stunden- und 5-Tage-Woche abbringen lassen!

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