Die Gäubahnunterbrechung und die Blockadehaltung der Stadt Stuttgart               

Rede von Dipl. Ing. Frank Distel, Stellvertretender Vorstand der Schutzgemeinschaft Filder e.V. und Bürgermeister a.D, auf der 697. Montagsdemo am 26.2.2024

Liebe Mitstreiter gegen die größte Fehlplanung deutscher Eisenbahngeschichte! Gegen den Tunnelwahnsinn und die Zumutung, die Gäubahn womöglich 15 Jahre lang rechtswidrig zu unterbrechen.

Professor Weibel, der Ex-CEO der Schweizer Bundesbahnen, hat letzten Montag bei der Gäubahnveranstaltung im Rathaus Johann-Wolfgang von Goethe mit den Worten zitiert: „Wer unten anfängt sein Hemd falsch zuzuknöpfen, kommt oben auch falsch raus“. Dieses Zitat passt fast wie kein zweites auf diese katastrophale Fehlplanung.

Schon mit dem Einstieg der Bahn damals in dieses Immobilienprojekt saß der unterste Hemdknopf im zweiten Knopfloch von unten. Von Anfang dieses Wahnsinns an hatten wir, die Gegner, mit unserem Protest recht, und die Bahn hätte noch alle Zeit gehabt, auf die Sanierung und Modernisierung eines der besten deutschen Bahnhöfe umzuschwenken.

Leider hat die Bahn dann mit Rückenwind der Politik den zweiten Knopf ins dritte Knopfloch geknöpft, dann den dritten ins vierte, usw. Dies, obwohl Ministerpräsident Kretschmann den Gegnern mehrmals bescheinigt hat, sie hätten auf ganzer Linie recht! Dann kamen Schritt für Schritt die von uns schon längst vorausgesagten Kostenerhöhungen, bei denen die lokalen Projektpartner womöglich einen schweren taktischen Fehler begangen haben, nämlich bei jeder Kostenerhöhung den Weiterbau zu fordern. Das muss nicht – aber es kann – dem Land, der Stadt usw. bei der Klage der Bahn auf Beteiligung an den Mehrkosten beim Verwaltungsgericht Stuttgart noch böse auf die Füße fallen.

Jetzt, durch das falsche Zuknöpfen des „Hemds“ fast am schief sitzenden Hemdkragen angekommen, stehen die Kosten bei 11,5 Milliarden. Das sind 11.500 Millionen Euro für einen erwiesenermaßen schlechteren und dazuhin auch noch buchstäblich brand-gefährlichen Bahnhof! Dazu kommt der vom Bund beigesteuerte, angeblich dem Deutschlandtakt dienende, zusätzliche Tunnelwahnsinn für mindestens 5 Milliarden Euro – auf Kosten von Euch und uns allen, den Steuerzahlern! Und das in einer Zeit der Finanzkrisen der öffentlichen Haushalte. Die Wahrheit ist: der Pfaffensteigtunnel dient nicht dem Deutschlandtakt! Nach meiner Überzeugung schadet er sogar, weil er die Gäubahnzüge in den unterdimensionierten Tiefbahnhof zwingt, was schon die Schlichtung damals verhindern wollte! Dieser Schiefbahnhof sorgt mit seinen nur acht Gleisen alleine dafür, dass kein Taktfahrplan verlässlich funktionieren wird! Es ist ein Skandal, dass die Planer das ganz genau wissen, aber der Öffentlichkeit weiterhin ein X für ein U vormachen!

Endlich haben Bahn und Verkehrsministerium wenigstens erkannt, dass das Schiefbahnhöfchen hinten und vorne nichts taugt für die Verdoppelung der Bahnnachfrage nach 2030! Wie, werdet Ihr fragen? Sie haben das erkannt? Natürlich! Hier sind die Beweise: die beiden Offenbarungseide der Verantwortlichen:

  1. Die extrem störanfälligen hundert täglichen Doppelbelegungen der Bahnsteige, mit denen vielleicht gerade noch der heutige Fahrplan bewältigt werden kann, aber mehr gewiss nicht.
  2. Der bahnbetriebliche Unfug des sogenannten „Nahverkehrsdreiecks“, über das der zusätzliche Bedarf an weiteren Metropolexpress- und Regionalzügen abgewickelt werden soll, die aber nie über den „Hauptbahnhof“ fahren. Stattdessen sollen diese Züge in Vaihingen, Feuerbach und Bad Cannstatt starten bzw. enden! Welch ein Schwachsinn, liebe Freunde! Ein Hauptbahnhof, der diese Bezeichnung verdient, lebt doch ausschließlich davon, dass sich alle Zugarten an einer Station treffen, um bequeme Umsteigemöglichkeiten zu schaffen.

Beides sind völlig am Bedarf vorbeigehende Verschlimmbesserungen einer Fehlplanung, die sich realiter kaum verbessern lässt! Haben die Verantwortlichen den Verstand verloren?

Warum ist S 21 so gefährlich? Wegen des Gefahrenszenarios eines in Brand geratenden Zugs im Tunnel! Dazu noch eine fast unglaubliche Zahl: Zusammen mit dem völlig unsinnigen, aber politisch auf Druck der Tunnellobbyisten gewollten Pfaffensteigtunnel und dem Nordzulauftunnel hat Schwachsinn 21 das brand-gefährliche Alleinstellungsmerkmal von sage und schreibe 107 Kilometern Tunnelröhren. Was, wenn da ein Zug in Brand gerät, was statistisch 2- bis 3-mal pro Jahr in Deutschland passiert?  Haben die Verantwortlichen den Verstand verloren??

Nun zum eigentlichen Thema, der unzumutbaren Gäubahnunterbrechung:

1,4 Millionen jährliche Gäubahnnutzer zwischen Bodensee und Stuttgart sollen gezwungen werden, in Stuttgart-Vaihingen auf die – „bekannt-zuverlässige“ – S-Bahn oder am noch schlimmeren, provisorischen Nordhalt auf die Straßenbahn zum Hauptbahnhof umzusteigen. Und das bis zu 15 Jahre lang! Die frühere transeuropäische Strecke, auf der man einst von Berlin nach Rom fahren konnte – ohne umzusteigen, und die auch dringend als Entlastung für die überlastete Rheintalbahn Karlsruhe ‑ Basel essentiell ist, soll 15 Jahre lang unterbrochen werden? Haben die den Verstand verloren???

Die Zahl derer, die dann im Schiefbahnhöfchen noch zur Weiterfahrt mit der Bahn umsteigen müssen, verpassen in Stuttgart bei der – „bekannt-zuverlässigen“ – Deutschen Bahn garantiert ihre Anschlüsse. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass die Takt-Fahrpläne wegen der bundesweiten Netzauswirkungen eines solchen Interimszustands aus dem Lot geraten. 15 Jahre ist übrigens inzwischen meine Prognose aufgrund der Finanzlage des Bundes. Diese kann kaum ohne Auswirkungen bleiben auf den Realisierungszeitpunkt des für diese Unterbrechungsdauer allein ursächlichen Pfaffensteigtunnels.

Diejenigen, die am 19. 2. 2024 den Vortrag von Jörg Jäkel bei der Gäubahnveranstaltung gehört haben, wissen, dass die Gäubahn bauablaufbedingt überhaupt nicht unterbrochen werden muss. Noch nicht einmal für die in der damaligen Planfeststellung genannten 5 Monate. Die Bahn hat sich längst vom damals noch geplanten S-Bahn-Provisorium über den Gäubahndamm verabschiedet. Die Überleitung der vorhandenen S-Bahn-Strecke auf die neue Strecke zur Haltestelle „Mittnacht“ lässt sich ohne Weiteres mit überschaubarem Aufwand realisieren. Die Gäubahn kann demnach eingleisig für rund 1,5 Mio. Euro und wünschenswert auch zweigleisig für 2,5 bis 2,8 Mio. Euro erhalten bleiben.

Die Schutzgemeinschaft Filder und das Aktionsbündnis gegen S21 plädieren seit über 10 Jahren für den Erhalt der Panoramastrecke – und zwar für alle Gäubahnzüge und den Zürich-IC! Die zweifellos erforderliche Sanierung der Panoramabahn kostet vielleicht 200, vielleicht auch 300 Mio. Euro. Das ist auch Geld – aber Peanuts im Vergleich zu den 11,5 plus 5 Milliarden für diesen S21-Schwachsinn und die Zusatztunnel. Der Pfaffensteigtunnel kostet – statt den von einem Herrn Bilger mal behaupteten 970 Millionen – mindestens 2, eher 2,5 Milliarden, bis er fertig gebaut ist. Für einen bahnbetrieblich völlig überflüssigen Tunnel! Haben die den Verstand verloren????

Wer die vernünftigste aller diskutierten Lösungen, nämlich den Erhalt der Gäubahn auf der Panoramastrecke, stur verhindert, dürfte allseits klar sein: die Stadt Stuttgart mit ihrem größenwahnsinnigen, für das Stadtklima völlig indiskutablen Projekt für ausschließlich Luxuswohnungen! Ist deren Planern eigentlich immer noch nicht klar, dass ihnen diese Städtebaumaßnahme pekuniär böse auf die Füße fällt? Wissen die eigentlich, welche exorbitanten Kosten für Altlastensanierung, teures Abräumen und Vorbereiten des Baufelds sowie für die aufwendige Erschließung auf die Stadt zukommen? Ich glaube nicht, und das böse Erwachen kommt wie so oft, wenn es zu spät ist.

Wissen OB Dr. Nopper und seine Stadträte zudem, was auf ihre Stadt zukommt, wenn die lokalen Projektpartner den Prozess der Bahn gegen sie verlieren, und die Stadt sich an den Mehrkosten von Schwachsinn 21 beteiligen muss? Danach gibt es kein Städtebauprojekt mehr! Schlicht und ergreifend, weil es nicht mehr bezahlbar ist!

Wie können nun die Lösungen dieser angesichts des Baufortschritts kaum mehr lösbaren, verfahrenen Situation, aussehen?

Lösung 1: Stoppt, Baufortschritt hin oder her, Schwachsinn 21 und die Rosensteinbebauung! Der Stadtkämmerer wird im Blick auf seinen städtischen Haushalt für die nächsten 10 bis 15 Jahre erleichtert aufatmen und die Stadt zahlungsfähig erhalten. Die Bahn möge für vielleicht 1,5 Milliarden insgesamt die Panoramabahn und den guten alten Kopfbahnhof sanieren und modernisieren. Der Bund spart 5 Milliarden für 25 absurde Tunnel-Kilometer. Die Stadt spart hundert oder mehr Millionen durch Verzicht auf die Rosensteinbebauung und sie vermeidet die unverantwortliche weitere Zerstörung des Innenstadtklimas. Die bereits gebauten Tunnel können für ein Logistikkonzept genutzt werden, das die Stadt plötzlich auch in Erwägung zieht, wie man liest. Dies allerdings mit einer weiteren Tunnelorgie! Welch ein Wahnsinn! Wieviel besser wäre da stattdessen das dafür passende Projekt, das allseits bekannt ist: Es heißt UMSTIEG21!

Lösung 2, besser gesagt Notlösung 2, wenn dieses unsägliche Schiefbahnhöfchen doch noch fertiggebaut wird: Dauerhafter Erhalt der Panoramastrecke für die Gäubahnen und den Zürich IC – und zwar bis zu den heutigen Pollern des oberirdischen Kopfbahnsteigs. Mit etwas städtebaulicher Phantasie lässt sich, wenn es denn unbedingt – aber, wie gesagt, äußerst stadtklimaschädlich – sein muss, eine etwas abgespeckte Rosensteinbebauung verwirklichen, die mit geeigneter Geländemodellierung und Lärmschutzmaßnahmen mit dem Erhalt oberirdischer Gleise in Einklang gebracht werden kann. Mehr noch: weg mit diesem absurden „Nahverkehrsdreieck“ und stattdessen Erhalt von mindestens 3 weiteren oberirdischen Bahnsteigen, insgesamt also sechs Gleisen plus den zwei Gleisen der Gäubahn für einigermaßen ausreichende Bahnkapazitäten des zukünftigen Bahnknotens Stuttgart. An dessen Zukunftstauglichkeit fehlt es den bisherigen Plänen und Maßnahmen nämlich auch mit den teuren Verschlimmbesserungen an allen Ecken und Enden!

Fazit: der Bund spart auch hier 5 Milliarden für die zwei Zusatztunnel. Leider bliebe das bislang ungelöste, vielleicht auch unlösbare Problem des unzureichenden Brandschutzes der Tunnelstrecken erhalten. Dem müsste dringend auf den Grund gegangen werden. Sonst bliebe auch diese Notlösung 2 verantwortungslos im Sinne des Artikels 2, Grundgesetz, der Gefahrenabwehr für Leib und Leben der Fahrgäste im Falle eines niemals auszuschließenden Zugbrandes.

Die einzige Lösung die den Verlust des Verstandes nach alledem noch vermeiden könnte, heißt getreu unserem Freund und Mitstreiter, dem schwäbischen Historiker Gerard Raff:

„Herr, schmeiss endlich Hirn ra!“.

Das heißt: neue Finanzierungsvereinbarung und oben bleiben!

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