Zerfall der Deutschen Bahn: Symbol für den Zustand des Landes

Rede von Arno Luik, Journalist, Autor und Bahnkritiker, auf der 704. Montagsdemo am 22.4.2024

Aus aktuellem Anlass lege ich mal los, recht unfreundlich, ohne Begrüßung, und zitiere einen erstaunlichen Satz aus der Stuttgarter Zeitung, da lese ich am Wochenende: „Die Fluchtwege in den Tunneln entsprächen den Vorgaben“. Also: Alles ist okay! Leute, macht Euch keine Sorgen! Aber: Nix ist okay. Es sind Fluchtwege, die im Katastrophenfall die Flucht nicht erlauben. Sie sind viel zu eng. Diese Rettungswege verdienen das Wort „Rettung“ nicht. Es sind Wege, die im Katastrophenfall sicherstellen, dass sehr viele Menschen nicht raus aus den Tunneln kommen. Ein Brandschutzexperte sagte zu mir vor vielen Jahren: „Es ist ein Staatsverbrechen, was hier geschieht“. Und so ist es noch immer. Es ist unfassbar. Ein Staatsverbrechen!

Und nun ein Zitat von einem meiner wichtigen Bahn-Informanten aus dem Jahre 2010, ein Zitat, das in Sachen Stuttgart 21 nicht aktueller sein könnte, ein Zitat eines Top-Planers von S21, der genau wusste – also schon 2010 – was er, die Bahnchefs, die Regierenden in Stuttgart und Berlin, mit S21, diesem babylonischen Tiefbau, anrichten: „Wir bauen einen riesigen Verkehrsknoten, der nicht funktionieren wird. Wir sind wie Fallschirmspringer bei diesem Projekt. Aber wir haben keine Fallschirme dabei. Wir wissen das. Wir stürzen uns in die Tiefe und irgendwann werden wir aufschlagen und zerschellen.“ 
So ist es, genau so ist, das ist die derzeitige Lage bei S21. Sie kriegen das ja in Stuttgart mit, tagtäglich, dieses Dahinstümpern, diesen Irrsinn, diese Vollsperrungen, diese Verspätungen, diese Behinderungen, diese ausfallenden S- und U-Bahnen, diese vollgesperrten Bahnstrecken, all diese Nervereien – seit zu vielen Jahren und noch für unabsehbar viele Jahre – und nun also:

Ihnen nun einen schönen guten Abend, liebe Stuttgarter und Stuttgarterinnen!

Wie, verdammt nochmal, halten Sie das alles bloß aus? Diese Verstümmelung, diese Verheerung, diese Verhunzung Ihrer Innenstadt? Das alles auch noch mit Ihrem Geld, zig-Milliarden Euro Steuergeld dafür, dass Ihre Lebensqualität tagtäglich massiv behindert wird, dass das Reisen, das Zugfahren, dass Ihr Alltag wohl für immer unangenehmer, ja, man könnte sagen, vielleicht muss man es so drastisch sagen: beschissener wird?

Dafür nun ein besonderer Dank an all diese ehrenwerten Herren und Damen, die daran Schuld sind, um nun nur ein paar der Täter für dieses Ungemach zu nennen, etwa Rommel, Oettinger, Gönner –mal sehen, wie sie nun den heute so guten VfB ruinieren wird, so wie sie geholfen hat, den so guten Kopfbahnhof zu zertrümmern. Dank auch an die Herren Dürr, Mehdorn, Grube, Lutz. Dank auch an Frau Merkel, ganz besonderer Dank aber an die Herren Kretschmann, Hermann, Kuhn, dieses grüne Trio Infernale, das wegen des Widerstands gegen S21 an die Macht kam, die Macht ganz rasch zu genießen lernte und dafür den Widerstand gegen S21 und all seine Versprechungen entsorgte. Ein Verrat. Ich weiß nicht, was diese Herren sehen und denken, wenn sie sich abends im Spiegel sehen. Wahrscheinlich nix. Wahrscheinlich haben sie eine Hornhaut.

Ich will nun nicht groß über S21 reden, manche von Ihnen sind vielleicht zum 704. Mal bei dieser Demo, Chapeau! – Sie wissen über dieses verwerflichste Projekt der deutschen Industriegeschichte genau Bescheid. Sicherlich besser Bescheid, als all jene Damen und Herren, die noch immer versuchen, diesen Unfug gegen jede Vernunft, Sinn und Verstand durchzusetzen – koste es, was es wolle.

Und es kostet, und es kostet, sicherlich mindestens 15 Milliarden Euro. Das sagt sich so leicht dahin. Aber was könnte man mit diesem Geld alles machen? Zum Beispiel 1.500 Bahnhöfe à zehn Millionen Euro bauen. Man könnte, wenn man wollte, Vernünftiges für die Menschen machen. Gutes tun. Man könnte, wenn man wollte. Aber die Herren und Damen, die uns regieren, die wollen das nicht.

Bei der Bahn geht es um Geld. Mit der Bahn lassen sich Millionen verdienen. Fragen Sie mal Herrn Herrenknecht, dessen Tunnelbohrmaschinen hier unter uns rumbohren. Der Münchner Verkehrsberater, Karl-Heinz Rößler, Sie kennen ihn und seine Analysen, sagte zu mir und so steht es in meinem Bahnbuch „Schaden in der Oberleitung“: „Die Deutsche Bahn ist kein Verkehrsunternehmen mehr. Sie ist eine wirtschafts- und regierungskriminelle Vereinigung zur Veruntreuung von Steuergeldern“.

Und so steht S21 für den herrschenden Wahnsinn, S21 ist eine Chiffre für den Zustand dieses Landes. Bei S21 findet sich alles, was die Ratio zerstört.

Ein Gedanke: Wer es schafft, S21 als ein leuchtendes Zukunftsprojekt seinen Bürgern anzudrehen, der schafft wohl, so fürchte ich, seinen Bürgern so ziemlich alles anzudrehen, zum Beispiel erst eine gigantische Überaufrüstung (100 Milliarden Euro!) und dann – was dann? Einen Krieg? Vor den Taten kommen immer erst die Worte. Und diese Worte der Regierenden lassen Schlimmes befürchten: „Kriegsfähig müssen wir werden“, sagt Kriegsminister Pistorius, „bereit sein für einen Landkrieg“, sagt Wirtschaftsminister Habeck. Und ich sehe in der „Süddeutschen Zeitung“ die Schlagzeile: „Bald wird’s ernst“. Darunter: „Das Land muss tatsächlich erst wieder tauglich gemacht werden für einen möglichen Kriegsfall.“ Vergessen das Leid, die Toten, die Verstümmelten, die Verhungerten, den Horror des 2. Weltkriegs. Entsorgt die Lehren aus dem 2. Weltkrieg.

Ein Zitat von Bert Brecht: „Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“

Aber so traurig will ich Sie nun nicht entlassen, deshalb eine kleine Geschichte: Neulich habe ich mal wieder versucht, mit dem Zug Hamburg zu verlassen. Pünktlich verließ der ICE den Hauptbahnhof Richtung Köln. Nach knapp einer Stunde Fahrt kam dies aus den Lautsprechern: „Liebe Fahrgäste, ich habe eine unerfreuliche Durchsage. Dieser Zug endet in Bremen. Sie müssen dort alle aussteigen. Denn wir haben einen plötzlichen Personalausfall.“ Da stand man also dann mit gut 100 „lieben Fahrgästen“ auf dem Bahnsteig rum, missmutige Reisende und Zugbegleiter, die nichts mehr überraschen kann, man erzählte sich zum Zeitvertreib die diversen Bahnabenteuer der letzten Zeit, es waren sehr viele, rezitierte die zunehmend absurderen Durchsagen, die das Bahnversagen erklären sollen, man höhnte, verfluchte, verspottete dieses Unternehmen, das weltweit in über 130 Ländern unterwegs ist, vom Steuerzahler Jahr für Jahr zig-Milliarden Euro bekommt, gleichwohl derzeit mit 35 Milliarden Euro in den Miesen ist, also faktisch pleite, gleichwohl seinen Vorständen kürzlich schamlos hohe Millionen-Boni auszahlte, obwohl sie Mali verdient hätten – weil diese Bahnchefs nicht in der Lage sind, einen halbwegs ordentlichen Zugverkehr etwa zwischen zwei großen Metropolen im Industrieland Deutschland zu gewährleisten.

Eine Stunde nach diesem „plötzlichen Personalausfall“ auf freier Strecke kam dann der nächste Zug aus Hamburg, man stieg ein und – kam bis nach Münster. Und da blieb man stehen, wartete buddhistisch-ergeben auf die Weiterfahrt, die sich verzögerte und verzögerte, und man hörte diese Durchsage: „Wir müssen auf unseren Lokführer warten, der mit einem verspäteten Zug aus dem Westen kommt“.

Wie’s weitergeht? Das erfahren Sie nachher, drüben im Württembergischen Kunstverein.

Ich freu mich auf Sie und: DANKE!

Und, ah, nicht vergessen, gell: Oben bleiben!

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