Sondersitzung des Verkehrsausschusses im Bundestag

Rede von Bernd Riexinger, Mitglied des Deutschen Bundestags ‚Die LINKE‘, auf der 712. Montagsdemo am 24.6.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

es freut mich, dass ich heute wieder einmal zu euch sprechen darf. Es hat meinen vollen Respekt, dass ihr und andere immer noch gegen dieses unsinnige Milliardengrab protestiert. Ein Projekt, das die Bahnkapazitäten nicht ausbaut, was dringend notwendig wäre, sondern zurückbaut. Es ist erstaunlich, wie viele Stuttgarter noch weitere Jahre diesen Krater inmitten der Stadt, weiteren Lärm und ganz bestimmt weitere Kostensteigerungen hinnehmen und ertragen, obwohl sich doch alle Argumente und Vorhersagen der KritikerInnen bewahrheitet haben, und die der Bahn, der Landesregierung und der Stadt längst durch die Wirklichkeit widerlegt wurden.

Am 5. Juni 2024 hatten wir S21 auf die Tagesordnung des Verkehrsausschusses gesetzt. Wir wollten wissen, welche Folgen die mindestens 7,5 Milliarden Mehrkosten durch das Urteil des Verwaltungsgerichtes Stuttgart für die Infrastrukturinvestitionen der Bahn hat. Wir reden hier über immens hohe Beträge, die wegen schlampig ausgehandelter Verträge allein von der Bahn gestemmt werden müssen. Geld, das die Bahn dringend bräuchte, um ihre marode Infrastruktur in Ordnung zu bringen. Zumal die ursprünglich zugesagten 45 Milliarden Infrastrukturmittel bis 2027 auf 27 Milliarden gekürzt wurden. Die Auskünfte des Ministeriums waren gelinde gesagt eine Provokation. Nachdem die schriftlichen Fragen mehr oder weniger gar nicht beantwortet wurden, wurde immerhin eingeräumt, dass die Milliarden woanders fehlen würden, was ja mehr oder weniger logisch ist.

Unterm Strich müssen alle Bahnfahrer*innen und die Steuerzahler ausbaden, was die heldenhaften Akteure von Stuttgart 21 ihnen eingebrockt haben. Und das in einer Zeit, in der allein die Kosten für die Sanierung der maroden Infrastruktur auf 100 Mrd. Euro geschätzt werden, Bahn und ÖPNV dringend massiv ausgebaut werden müssen, damit eine sozialökologische Mobilitätswende möglich ist.

Obwohl es die Spatzen schon von den Dächern pfiffen, dass Stuttgart 21 auch 2025 nicht in Betrieb gehen wird, gab es auch dazu keine Auskunft. Es ist schon erstaunlich, wie entweder das Bahnmanagement den Eigentümer Bund an der Nase herumführt, oder in welchem Ausmaß das Ministerium Informationen an die gewählten Parlamentarier zurückhält. Es ist schwer vorstellbar, dass wenige Tage vor der Entscheidung des Lenkungsausschusses das Ministerium nichts von der anstehenden Vorlage des Bahnmanagements wusste, S21 erst 2026 in Betrieb zu nehmen. Wenn das so wäre, sagte das viel über die politische Kontrolle, vielmehr Nichtkontrolle der Bundesregierung über die Arbeit des Vorstandes der Bahn AG aus. Ich habe mit meiner Meinung dazu nicht hinter den Berg gehalten: Das ist ein unhaltbarer Zustand – die Bahn ist zu 100 Prozent im Besitz des Bundes.

Offen bleibt auch die Frage des Digitalen Knotens Stuttgart. Es ist weltweit das erste Pilotprojekt in dieser Größenordnung und Komplexität. Es ist nicht besonders schwierig einzuschätzen, wie schwierig und unwahrscheinlich es ist, die vorgesehenen Zeitpläne und damit verbundenen Versprechungen einzuhalten. Dazu kommt, dass die damit beauftragte Firma, Thales – eine französische Rüstungsfirma – so etwas noch nie gemacht hat. Die Bahn musste auf Nachfragen von mir im Verkehrsausschuss einräumen, dass das Fehlen von Firmen, die so etwas in Deutschland machen können, ein Problem ist.

Die ersten beiden Ausbaustufen sind finanziert, also alles, was direkt mit der Inbetriebnahme von S21 zu tun hat, die dritte steht jedoch unter Finanzierungsvorbehalt des Aufsichtsrates der DB. Wird die dritte Stufe – also die digitale Ausstattung der gesamten Region – nicht gemacht, lösen sich weitere Versprechungen eines effektiveren Bahnverkehrs in Luft auf. Praktisch müssten dann parallel zwei Systeme betrieben werden. Das Europäische Zugsicherungssicherungssystem ETCS, das für einen sichereren und effektiveren Zugbetrieb sorgen soll, hätte nur dann einen möglichen Gewinn, wenn die dritte Stufe gebaut wird.

Wer die Sache nüchterner betrachtet, kann getrost davon ausgehen, dass die Inbetriebnahme im Dezember 2026 ein weiteres Phantasiedatum ist, das kaum in der Realität bestehen wird, während weiterhin sinnlos Milliarden vergraben werden. All diese Informationen haben wir im Übrigen per Pressemitteilungen an die Stuttgarter Medien gegeben. Es ist bezeichnend, dass die Initiativen meiner Partei und von mir als Verkehrspolitiker fast schon systematisch verschwiegen werden. Die Informationen von uns werden dann zwei oder drei Tage später verwertet, mit Zitaten von Hermann, Gastel, von CDU-Politikern, aber wir bleiben außen vor. Das ist wirklich ‚unabhängige‘ Berichterstattung, liebe Freundinnen und Freunde.

Zwischenzeitlich ist auch die CDU alarmiert, aber aus anderen Gründen. Sie hat bereits für die letzte Sitzungswoche eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses zu S21 beantragt und wollte von einem Tag auf den anderen den Verkehrsminister und den Bahnvorstand vorladen. Nachdem ihr das nicht gelungen ist, findet die Sitzung diese Woche am Mittwoch ohne den Verkehrsminister, aber mit einem Vertreter des Bahnvorstandes statt. Die Sitzung ist aber nicht öffentlich. Die CDU entrüstet sich, dass der Bahnvorstand seine Zusagen nicht einhält, will das alleinig dem Bundesverkehrsminister und der Bahn in die Schuhe schieben. Außerdem sieht sie die Finanzierung des Digitalen Knotens gefährdet.

Die CDU lenkt damit trefflich von ihrer eigenen Verantwortung für das Desaster S21 ab. Es war die Union, die jahrzehntelang die Bundesverkehrsminister stellte – oder wer sich so nennen durfte. Es war die CDU, die dieses Projekt im Land und in der Stadt Stuttgart gegen den breiten Widerstand großer Teile der Bevölkerung brachial durchgesetzt hat. Es war die CDU, die zugeschaut hat, wie das Projekt immer teurer und unsinniger wurde. Es war die CDU, die jede Kritik an dem Projekt an sich abtropfen ließ. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich jetzt aus der Verantwortung für das ganze Chaos stehlen will.

Aber auch der Alarmismus des grünen Verkehrsministers hier im Land hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Mit dem Verweis auf die Volksabstimmung, die um 4,5 und nicht um 11 Milliarden Euro ging, sehen die Grünen es als ihre Aufgabe an, das Projekt zu verwirklichen. Grundsätzliche Kritik hört man deshalb keine mehr.

Liebe Freundinnen und Freunde, für uns ist klar: Die Inbetriebnahme von S21 steht in den Sternen. Vom fehlenden Brandschutz habe ich gar nicht gesprochen. Die Versprechungen für 2026 sind auf Sand gebaut. Deshalb darf der Kopfbahnhof auf keinen Fall rückgebaut werden. Es wäre purer Irrsinn, einen funktionierenden Bahnhof zu demontieren und auf ein Projekt zu setzen, das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht funktionieren und unabhängig davon einen Rückbau des Bahnverkehrs zur Folge haben wird. Wir brauchen aber dringend einen Ausbau der Bahn und keinen Rückbau.

Das gleiche gilt für das Abkappen der Gäubahn in Vaihingen ab Anfang 2026. Auch dafür gibt es keinen Grund, zumal das ganze Verfahren rechtlich überprüft wird und dieser Prüfung kaum standhalten dürfte. Mit dem Bau von Wohnungen und anderen Immobilien auf dem Gleisvorfeld wird es ohnehin auf absehbare Zeit nichts. Die Wohnungen werden aber jetzt dringend gebraucht, nicht in 15 oder 20 Jahren. Außerdem wäre es klimapolitisch verrückt, diese wichtige Luftschneise zu zerstören.

Es gibt vor allem keinen Grund, beim Widerstand gegen S21 nachzulassen. Im Gegenteil: Es sind weitere Gründe für den Protest dazu gekommen.

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.

Rede von Bernd Riexinger als pdf-Datei

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