Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder e.V., auf der 772. Montagsdemo am 8.9.2025
S21 ist ein Verbrechen am Bahnbetrieb, ein Verbrechen am Klima, an unseren Kindern und Enkeln! Es ist ein Verbrechen an Stuttgart und allem, was das Leben in Stuttgart so lebenswert macht.
Anfang der 90er Jahre, also vor über 30 Jahren, hatten einige ältere Herren die wahnsinnige Idee, in mehreren deutschen Städten jeweils den Bahnhof unter die Erde zu legen und das Gelände darüber zu vermarkten. Überall wurde dies rasch abgelehnt, einzig Stuttgart blieb übrig, gerade die Stadt, die am allerwenigsten für so etwas geeignet ist. Dazuhin war Stuttgart nach einer Untersuchung der Stiftung Warentest der pünktlichste Bahnhof Deutschlands! Völlig verrückt, gerade diesen Bahnhof tiefer legen zu wollen.
Und so schwärmte man eben von Tunneln. Ein Tunnel macht vielleicht Sinn, wenn man einen Berg als Hindernis hat, dann bohrt man zur Not hindurch. Wenn man aber über einen Berg fahren will, ist es Unsinn, mit vielen Tunnel darüber zu fahren, wie bei unserer Neubaustrecke nach Ulm. Ein Tal überquert man am besten mit einer Brücke. Bei S21 baut man nun aber massenhaft Tunnel unter einem Talkessel hindurch. Das ist potenzierter Schwachsinn. Planer wussten dies von Anfang an, das kostet viel und dauert endlos, also hätte man niemals damit beginnen dürfen.
Ein irres Schmankerl am Anfang: Als man 2011 mit dem Bau von S21 begann, äußerte sich Verkehrsprofessor Ullrich Martin – übrigens Nachfolger von Prof. Heimerl: „Wenn im Stuttgarter Sackbahnhof ein Zug diagonal ausfährt, versperrt dieser eine Zug alle anderen Ein- und Ausfahrten“. So ein Quatsch! Stuttgarts Kopfbahnhof funktioniert doch auch deshalb so gut, weil in den Zuleitungen ein dreistöckiges Gleisgebirge existiert, mit dem eine Vielzahl von direkten, störenden Gleisquerungen verhindert wird. Bundesweit einzigartig und genial! Deshalb ist Stuttgart fast schon mit einem Durchgangsbahnhof vergleichbar! Wie kann dies ein Verkehrsprofessor aus Stuttgart nicht wissen und be- haupten, ein diagonal ausfahrender Zug blockiere gleichzeitig alle Ein- und Ausfahrten. Vor wenigen Wochen hat der DB-Vorstand Berthold Huber in einer SWR-Diskussion genau dies (15 Jahre später) wieder behauptet und den Kopfbahnhof in jeder Hinsicht schlecht gemacht. Ich bin über so viel Unkenntnis von Fachleuten einfach nur entsetzt.
Ganz am Anfang, 1994, sagten die Planer ja noch, Stuttgart 21 würde gar nichts kosten, da man die Gelder über die Vermarktung oben hereinbekäme. Dann war man aber doch rasch bei 2,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2003 bewarb sich Stuttgart um die Olympiade im Jahr 2012 und behauptete, dass bis dahin S21 im Wesentlichen gebaut sei.
2008 sprach die Bahn von ca. 3 Milliarden, der Bundesrechnungshof von 5 Milliarden und Rüdiger Grube erklärte bereits ein Jahr später 4,53 Mrd. Euro zur Sollbruchstelle. Bei Erreichen dieser Schwelle müssten die Projektpartner erneut über die Finanzierung sprechen. Also nix von wegen, dann ist Schluss mit S21! Raffinesse oder Trickserei, und alle hielten wieder brav den Mund. Wolfgang Drexler sagte 2010: „Bei S21 gibts kein Sicherheitsproblem, jahrelange Bauverzögerung und höhere Kosten sind reine Spekulation.“ Es war zum Kotzen!
Um das Gesicht zu wahren, gab es ein Schlichtungsverfahren, in dem Heiner Geißler sich letztendlich für einen Kombibahnhof aussprach, was aber niemand aufnahm, und dann gab es einen Filderdialog – von Politik und Bahn initiiert, mit willkürlich ausgewählten Beteiligten – dessen klares Ergebnis, nämlich der Anschluss der Gäubahn über die Panoramastrecke an den Hauptbahnhof und ein S-Bahn-Ringschluss über die Filder ins Neckartal, wieder von Bahn und Politik – vornedran Kefer und Hermann – entgegen allen Versprechungen vom Tisch gewischt wurde. Mir schwillt heute noch der Kamm, wenn ich daran denke, wie dieses klare Ergebnis eine Bürgerbeteiligung schamlos ad absurdum führte, wo engagierte Bürger verhöhnt wurden. Die Planer nannten es Filderdialog, besser Filderdialüg!
2014 sagte Manfred Leger (Geschäftsführer der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH): „Ich habe die Aufgabe, das Gesamtprojekt Stuttgart-Ulm bis Ende 2021 fertig zu stellen. Dieser Termin steht für mich so unverrückbar wie eine Weltmeisterschaft. Gleichzeitig will ich S21 für unter 6 Milliarden Euro bauen.“ Ist der wirklich so einfach gestrickt? Er wiederholte genau diese Aussage noch mehrere Jahre später, ja sogar als Bahninsider die 6 Mrd. längst über Bord geworfen hatten.
Die Entwicklung in Kurzform:
2017 rechnet die Bahn mit 7,6 Mrd. und einer Fertigstellung 2024,
2022 rechnet die Bahn mit 9,8 Mrd. und einer Fertigstellung 2025,
2023 bis heute 11,5 Mrd., Fertigstellung teilweise 2026.
Das Umweltbundesamt sowie das Büro Vieregg-Rössler kamen bereits 2010 auf ca. 11 Milliarden. Wenn S21 jemals fertig werden sollte, was ich bezweifle, wird es insgesamt eher über 20 Milliarden Euro kosten. Allein der Pfaffensteigtunnel und der geplante Nordzulauf werden über 7 Mrd. mehr kosten. Alle Zahlen der Bahn erwiesen sich bisher als unhaltbar. Dazu kommt, dass sich die meisten Menschen, vornedran die von der Bahn, nicht vorstellen können, was 1 Milliarde bedeutet. Dazu eine alte Überlegung von mir. Schon immer gilt: 1 Milliarde = 1000 Millionen.
Ein kluger Mensch, also gewiss kein Ausbaubefürworter, macht folgende Rechnung auf: Um 20 Milliarden Euro aufzubringen, lege ich jeden Tag – auch sonntags – 100.000 Euro beiseite. Vor wie vielen Jahren hätte ich anfangen müssen, um heute 20 Milliarden Euro beisammenzuhaben? Ich sage es euch: Ich hätte vor 548 Jahren, also im Jahr 1477 beginnen müssen, 15 Jahre, bevor Kolumbus Amerika entdeckte. Mit Blick auf Trump wünscht man sich ja: Es wäre besser gewesen, Amerika wäre nie entdeckt worden.
Man fragt sich, was sind das nur für Menschen bei der Bahn, die ein so unnötiges, schädliches Projekt durchziehen wollen und dabei fortwährend tricksen und betrügen, ja lügen? Schließlich sind doch fast alles studierte Menschen, die eigentlich die Grundrechenarten beherrschen sollten, in wichtigen Positionen vielleicht sogar noch das Prozentrechnen. Diesen Eindruck vermitteln sie aber ganz und gar nicht.
Sie müssen sich selbst belügen, sie müssten doch die Absurdität ihres Tuns selbst bemerken. Warum steigen sie nicht aus? Einzig Hany Azer und Frei Otto haben dies getan. Die allermeisten haben doch längst für den Rest ihres Lebens ausgesorgt, ja so ein Lutz bekommt auch noch eine Million zum Abschied für sein Versagen. Offensichtlich macht es sich bei denen bezahlt, wenn man den gesunden Menschenverstand überwunden hat.
Weil irgendwo in einem alten Finanzierungsvertrag stand, man müsse die wichtige Verbindung Zürich-Stuttgart über den Flughafen führen, kommt man auf die hirnrissige Idee, die Schnellzüge in Rohr abzuzweigen und auf der engen, schmalen Trasse der S-Bahn, die oft halten muss, zum Flughafen zu führen. Das Eisenbahn Bundesamt lehnte dies jahrelang mit dem Hinweis „nicht genehmigungsfähig“ ab. 2010 kam die große „Ramsauerei“. Ramsauer sprach eine zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigung aus und alle machten mit. Als ob Ramsauer über allen Bahnregelungen stünde. Prof. Heimerl, der Großvater von S21, sagte bereits 2014, dass wir uns mit der geplanten Filder-Antragstrasse an unseren Kindern und Enkeln versündigen. Als dann schließlich dafür ein Anhörungsverfahren in der Messe stattfand, platzte zeitgleich der Vorschlag von Bilger hinein, man müsse einen 11,5 km langen Doppelröhrentunnel unter den Filderäckern von Böblingen bis unter die Messe bauen. Diesen sogenannten Pfaffensteigtunnel treibt man jetzt mit allen Mitteln voran und will es ohne öffentliche Anhörung durchdrücken. Die idiotische Führung der Gäubahn auf der S-Bahntrasse durch Leinfelden-Echterdingen soll durch einen mindestens ebenso idiotischen Riesentunnel (der größte Eisenbahntunnel Deutschlands) ersetzt werden: hohe Kosten (3 Mrd.), 10 Jahre Bauzeit mit Herrenknechtbohrern, Zerstörung bester Filderböden.
Sie argumentieren, dies sei nötig, um in Stuttgart den Deutschlandtakt zu ermöglichen. Wieder barer Unsinn. Mein Zorn steigt unaufhörlich! Der Deutschlandtakt scheitert unumstößlich an den nur 8 Gleisen im schiefen Tiefbahnhof. Bereits Prof. Heimerl kritisierte die zu wenigen Gleise im Tiefbahnhof. So bleibt einzig die hervorragende Möglichkeit, die Gäubahnen über die reizvolle Panoramastrecke in den Kopfbahnhof zu führen. Mit einem Rest an Hirn müsste das jedem einleuchten. Aber das wollen sie nicht (Pätzold).
Immerhin haben sie die Probleme irgendwie erkannt und haben jetzt zwei Änderungen avisiert, die aber wieder hochgradig idiotisch sind. Die 8 Gleise können niemals alle Züge, die nach Stuttgart kommen fast gleichzeitig aufnehmen und bedienen, wie es ein Deutschlandakt zwingend erfordert. Also trickst die Bahn:
- Sie plant täglich mit 100 Doppelbelegungen an den Bahnsteigen. Zwei Züge hintereinander an einem engen Bahnsteig, je nach Verspätung einmal dieser, einmal jener vorn, führt zwingend zum Chaos bei den Passagierströmen. Bahnhöfe mit Doppelbelegungen, wo es diese noch gibt, tun alles, um dies zu verändern, und hier soll ein neuer Bahnhof genau mit diesem Scheiß neu entstehen.
- Die vom Land bestellten Regio-Züge werden nach der Idee von Minister Hermann vor dem Hauptbahnhof durch ein Nahverkehrsdreieck gestoppt. Sie starten und enden in Cannstatt, Feuerbach und Vaihingen. Also werden wichtige Züge vom Hbf bewusst ferngehalten! Das heißt aber: Deutschlandtakt ADE!
Allein diese zwei irren Punkte sind ein Offenbarungseid für den Tiefbahnhof. Und schließlich lügen sie, wenn sie behaupten der Tiefbahnhof könne mehr als der bestehende Kopfbahnhof. Die Fußgängerstromanalyse der DB weist für den schiefen 8-gleisigen Tiefbahnhof eine Grenzleistung von 32 Zügen in der Stunde aus. Heute fahren im Kopfbahnhof 37 Züge pro Stunde, mit ein wenig Modernisierung wären dort noch viel mehr möglich.
Bevor ich zum Schluss komme, doch noch wenigstens einige Bemerkungen zur Klimaproblematik von S21: Allein die mindestens 100 km Tunnelröhren sind irre. Straßburg ist per Luftlinie etwa 100 km von Stuttgart entfernt. Stellt euch diese Riesenwurst mit ca. 12 Metern Durchmesser vor: Unvorstellbare Mengen an Erde und Steinen müssen herausgeholt und abtransportiert werden. Wohin? Zig Tausende von LKWs produzieren Abgase und verbrauchen Energie. Dann Beton anrühren und diesen für 100 Kilometer Tunnelwand und Bodenausgleich reinfahren und verarbeiten – Schwellen, Schienen, Elektroleitungen, all das erzeugt Unmengen CO2. Und wenn dann schnelle Züge durchdonnern, dann müssen diese einen Mordspfropfen zusammengepresste Luft vor sich hertreiben, d.h. der Zug braucht im Tunnel wesentlich mehr Energie als im Freien.
Und: Im Stuttgarter Kessel erhöht sich die Temperatur im Sommer deutlich stärker als im weiten Umland. Die Gleisflächen heizen sich tagsüber auf und kühlen nachts ab, was zu einem natürlichen Windzug und damit einer Kühlung führt. Gebäude verhindern diesen Luftzug! Bahn und Stadt wollen dort massiv bauen und damit auch die Panoramastrecke für immer unterbrechen! Das ist unverantwortlicher Schwachsinn!
Zum Schluss nochmal die Gegenüberstellung der beiden Lager: Planer und Bauherren: Dürr, Mehdorn, Grube, Lutz, Kefer, Rechtsanwälte, Grafiker, Gutachter, Chauffeure, Ghostwriter, Journalisten, oft sogar mit Steuergeldern – also unserem Geld – bezahlt, viele Politiker usw. Bei Verabschiedung werden sie fürstlich belohnt. Lutz bekam jetzt für seine schlechte Arbeit noch eine Million obendrauf. Grube wurde nach seinem Austritt gleich gut bezahlter Aufsichtsrat bei der Firma Herrenknecht, die er zuvor als DB-Vorstand ständig umschmeichelte. Sein Nachfolger wurde Oettinger. Das hat doch wohl alles ein Geschmäckle! Und Geld haben die ja wirklich nicht mehr nötig. Ich bin fassungslos und voller Zorn. Und der Zorn wächst ständig!
Wir dagegen: Aktionsbündnis, Demoteam, Mahnwache, Parkschützer, Ingenieure, Theologen, Architekten, Juristen, Musiker, Filmemacher (Klaus Gietinger…), Künstler (Peter Lenk…), Christoph Engelhardt usw., und ihr alle hier! Wir machen alles auf eigene Kosten, wir zahlen unsere Aktionen, unsere Flugblätter, unsere Gerichtsverfahren selbst, wir machen dies alles in unserer Freizeit, aber mit Herzblut. Viele von uns sind schon 30 Jahre dabei. Damals sagte Heinz Dürr, Vorstandsvorsitzender der DB AG zu Stuttgart 21: „Die Art der Präsentation [von Stuttgart 21] im April 1994 [also vor 31 Jahren] war ein überfallartiger Vorgang. Gegner und Skeptikers sind nicht im Stande gewesen, die Sache zu zerreden. Ein Musterbeispiel, wie man solche Großprojekte vorstellen muss.“ (Stuttgarter Nachrichten vom 14.2.1995)
Da hat er sich aber schwer getäuscht, uns gibt es heute noch! Ich konnte hier nur auf wenige Aspekte eingehen. Es fehlen z.B. Aussagen über die Brandgefahr in Tunneln, die Gleisneigung und Überschwemmungsgefahr im Tiefbahnhof, der quellfähige Untergrund (Anhydrit) und und und... Das Projekt ist eine unheilbare Fehlplanung. Es wäre allenfalls mit unserer grandiosen Idee „Umstieg 21“ zu retten. Wenn ich einen riesigen Haufen 100-Euro-Scheine im Wert von 20 Milliarden verbrennen würde, wäre dies immer noch sinnvoller und umweltfreundlicher als an S21 weiterzubauen.
Ich bin froh, dass es euch hier gibt, und wir werden weiterkämpfen, wir werden Unterschriften sammeln für das Bürgerbegehren gegen die Bebauung des A2-Geländes und uns nicht unterkriegen lassen von denen, die wie Wachstums-Drogensüchtige unsere Stadt schänden.
Wenn ich nur daran denke, wie sie 2010 im Schlossgarten mit Pfefferspray und Wasserwerfern auf friedliche Menschen schossen und um Mitternacht wie im Rausch herrliche Bäume niedermetzelten, dann könnte ich heulen.
Aber nein, die kriegen mich und euch nicht klein, wir bleiben oben!
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