Rede Ebbe Kögel bei der 134. Montagsdemo

Rede von Ebbe Kögel, AnStifter, auf der 134. Montagsdemo am 6.8.12

(Bei diesem Text handelt es sich um die hochdeutsche Übersetzung eines Textes, der in Schwäbisch vorgetragen wird. Es gilt das gesprochene Wort!)

Ich darf mich kurz vorstellen: Ebbe Kögel aus Stetten im Remstal, Aktiver der Stuttgarter AnStifter und der Gruppe K21 Kernen aus dem Rems-Murr-Kreis. Dort, im Osten von Stuttgart, gibt es übrigens 8 aktive K21-Gruppen. Ich möchte heute etwas sagen über unsere Erfahrungen mit Polizei und Justiz und deren Maßnahmen gegen S21-GegnerInnen.

Die älteren unter uns erinnern sich sicherlich noch an den 1980 erschienenen Film „Blues Brothers“. Dort wird gezeigt, wie die Brüder John und Elwood Blues von der Polizei durch Chicago und halb Amerika gejagt werden. Der Schlusspunkt der Jagd ist ein Konzert, bei dem Elwood vor dem Lied „Everybody needs somebody to love“ die im Saal Anwesenden – darunter zahlreiche Polizisten – mit den Worten begrüßt: „We are so glad to see so many of you lovely people here tonight. We would especially like to welcome all the representatives of the Illinois’ law enforcement community who have chosen to join us here... “ In diesem Sinne wollen wir auch mit einem großen Applaus unsere Stuttgarter und baden-württembergische „law enforcement community“ begrüßen: die einfachen Streifenpolizisten, die Sheriffs von der Bundespolizei, die bewaffneten Zivilpolizisten und natürlich die zahlreichen Spitzel vom Verfassungsschutz, die heute unter uns weilen.

Es gibt ja zwei verschiedene Rollen der Polizei: Da sind zum einen mal die Kolleginnen und Kollegen, die wie ich und zahlreiche andere Demonstrierende, in einer Gewerkschaft organisiert sind – in ihrer Gewerkschaft der Polizei, Mitglied im DGB. Von daher können wir davon ausgehen, dass sie dieselben Ziele vertreten wie wir, nämlich eine Verbesserung der Lage der großen Masse der lohnabhängigen Bevölkerung.

Jetzt gibt es allerdings ein Problem bei dieser Interessenvertretung: die GdP nämlich hat sich letzte Woche zu Wort gemeldet, um – aus falsch verstandenem Corpsgeist – die Wasserwerferbesatzungen vom 30.9., die nach 2 Jahren (!) endlich angeklagt werden sollen, als „Bauernopfer“ der Politik zu verteidigen. Die Hunderte von DemoteilnehmerInnen, die wie ich am 30.9. die Wasserwerfer beobachtet haben, haben noch die Bilder im Kopf, wie der Wasserwerferschütze mit süffisantem Grinsen mit seiner Handykamera, geschützt hinter Panzerglas, die Leute filmte, die er gerade mit dem höchstmöglichen Wasserdruck wegfegte. Wer diese Szene gesehen hat, weiß, dass da – zumindest zum Großteil – keine unschuldigen Opfer am Werk waren, sondern Täter, die Lust dabei empfanden, draufzuhalten. Die Tatsache, dass diese Polizisten nun eventuell angeklagt werden, befreit übrigens die damals politisch Verantwortlichen in der Staatskanzlei nicht von ihrer Verantwortung, der sie sich – feige wie sie sind – immer noch nicht stellen wollen.

Der von oben angeordnete Einsatz von Wasserwerfern führt uns zur anderen Rolle der Polizei – jenseits der Kollegenebene – nämlich als Repressionsinstrument, als Unterdrückungsinstrument der Herrschenden in diesem unseren Staat – zum Erhalt ihrer Macht, zum Erhalt des Reichtums der Wenigen und zum Erhalt der angeblich „alternativlosen“ Verhältnisse. Und damit sind wir bei den Polizeimaßnahmen gegen unsere Bewegung. Die Brutalogeschichten im Schlosspark sind dabei nur die Spitze. Viel wirkungsvoller, fieser und zermürbender sind die tagtäglichen Einschüchterungsmaßnahmen und Schikanen gegen uns: die Personen- und Taschenkontrollen, das systematische Herausholen und Verhören von DemonstrationsteilnehmerInnen, das systematische Filmen von Demonstrierenden aus dem Bahnhof und dem Rathaus heraus, das Anlegen von Karteien und Fotoarchiven der Aktiven der Bewegung, die Anwesenheit von bewaffneten Zivilpolizisten bei unseren Demos und Kundgebungen. Wie diese Einschüchterungsversuche konkret aussehen, wird mein Nachredner Dieter Reicherter schildern.

Und – nicht zu vergessen – nach wie vor gibt es den Verdacht des Einsatzes von „agents provocateurs“, insbesondere bei den Auseinandersetzungen am Grundwassermanagement am 20.6.2011. Agents provocateurs sind staatlich bezahlte Spitzel, die eine Widerstandsbewegung zu bestimmten Straftaten anstiften sollen, die wiederum als Vorwand für Repressionsmaßnahmen gegen die Bewegung dienen.

Wir hatten von unseren Rems-Murr-Initiativen am 23.11.11 ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten Züfle. Dort hat dieser kategorisch abgestritten, dass die Polizei agents provocateurs einsetzt. Das glaube ich ihm auch.

Nicht gesprochen haben wir allerdings über eine Beteiligung unserer Schlapphüte, unseres Landesamtes für Verfassungsschutz bei diesen Aktionen. Was die machen, wissen offensichtlich weder die Polizei, geschweige denn die politisch Verantwortlichen. Dies können wir gerade an zahlreichen Beispielen der jüngsten Vergangenheit sehen! Da hat sich offensichtlich ein Staat im Staat gebildet, der nicht mehr demokratisch kontrolliert wird.

Es gab ja mit dem Regierungswechsel viel Hoffnung, dass sich in diesem Bereich einiges ändert mit dem neuen SPD-Innenminister Gall – leider Fehlanzeige. Oder wenn wir es historisch betrachten: es ist einfach nichts, wenn Spezial-Sozial-Demokraten zu Polizeiministern werden – egal ob sie nun Noske, Schily oder Gall heißen. In vorauseilendem Gehorsam spielen sie – sie wollen ja nicht als vaterlandslose Gesellen dastehen – für die Herrschenden die Vertreter von „law und order“, mit einem repressiven Verständnis von „Recht und Gesetz“.

Nur ein einfaches Beispiel dafür: die 4-stündige Einkesselung von Anti-Nazi-Demonstrierenden in der letzten Woche. Für diese Aktion gab es anschließend Lob auf der Webseite der NPD: „Wir bedanken uns bei der Stuttgarter Polizei … für das konsequente Säubern der Stadtmitte und die damit verbundene Sicherstellung der Meinungsfreiheit für uns Nationaldemokraten.“

Die Hoffnungen auf Veränderungen gründeten sich auf den rot-grüne Koalitionsvertrag vom letzten Jahr. Dort stand geschrieben: „Wir wollen Baden-Württemberg zum Musterland demokratischer Beteiligung machen“ und „Mehr Bürgerbeteiligung auf allen Entscheidungsebenen.“ Das gilt doch dann für alle Bereiche, auch für Polizei und Justiz. Leider nur leere Worte. Was ist zum Beispiel aus der Grünen-Forderung (vor der Wahl!) der Ablösung von Oberstaatsanwalt Häussler geworden, des Oberscharfmachers auf Seiten der Justiz gegen unsere Bewegung? Nichts.

Wir haben von unseren Rems-Murr-Initiativen schon vor Monaten die grünen Mitglieder des Innenausschusses des Landtags aufgefordert, dafür zu sorgen, dass endlich mal veröffentlicht wird, wie viele Verfahren gegen S21-GegnerInnen laufen, wie viele verurteilt worden sind und zu welchen Strafen. Und wie viele Verfahren gegen Polizisten geführt wurden und mit welchen Urteilen. Fehlanzeige. Angeblich gibt es diese Zahlen nicht. Natürlich gibt’s die. Ein Innen- oder Justizministerium tät ja nichts taugen, wenn es diese Zahlen nicht hätte. Aber sie werden nicht herausgegeben.

Wir haben die Grünen aufgefordert, für eine Namenskennzeichnung der Polizisten im Einsatz zu sorgen. Auch nichts.

Hier findet offensichtlich auf der ganzen Linie eine Anpassung an die herrschenden Verhältnisse statt, bei der alle Wahlversprechen einer Demokratisierung von Polizei und Justiz aus Gründen der Machterhaltung über Bord geworfen werden.

Wir fordern von den Verantwortlichen in Regierung und Parlament:

  • Einstellung aller Verfahren gegen Demonstrierende, die mit ihren Demos gegen den Kellerbahnhof ein grundgesetzlich verbrieftes Demonstrationsrecht in Anspruch genommen haben. Der Opportunitätsgrundsatz von § 153 StPO, das heißt, die Einstellung von Verfahren wegen Geringfügigkeit, böte hier eine Möglichkeit. Am Schluss muss eine Generalamnestie stehen, so wie sie nach den Auseinandersetzungen der 1968-Jahre praktiziert wurde. Auch das gehört zur „Befriedung“ des Konfliktes um S21, lieber Genosse Kretschmann.
  • Die Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten für den Einsatz am 30.9. – nicht nur bei den beteiligten Polizisten, sondern auch bei den politisch Verantwortlichen.
  • Einstellung der Schikanen und der Bespitzelung gegen Demonstrierende – und Herausgabe bzw. Vernichtung der über uns angelegten Dateien.

Zum Schluss sei mir ein Aufforderung an uns selbst als Bewegung gestattet: Wenn die Zuständigen die Zahlen der Verfahren und Verurteilungen nicht herausrücken wollen, dann müssen wir eben versuchen, sie zusammenzustellen. Auch um das Ausmaß der Verfolgung von S21-GegnerInnen darstellen zu können. Und wir müssen den Menschen mehr Hilfestellung und Beratung geben, die eine Anzeige oder ein Verfahren erhalten haben. Oft sind dies Menschen, die zum ersten Mal mit Polizei und Justiz auf diese Weise in Konflikt kommen und sich oft alleine gelassen fühlen. Da müssen wir in der Zukunft bessere Strukturen aufbauen.

In diesem Sinne: Oba bleiba!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

4 Antworten zu Rede Ebbe Kögel bei der 134. Montagsdemo

  1. Pingback: Stuttgart 21: 134. Montagsdemo am 06.08.12

  2. K. Neumann sagt:

    Der 30.9. ist noch nicht aufgearbeitet und wir haben schon den nächsten Fall, der, wie ich meine, bei weitem tiefer und gefährlicher in die Grundrechte des Bürgers eingreift, wenn er so stehen bleibt, wie von Stickelbergers Neckarstrassengang inszeniert, hier http://www.youtube.com/watch?v=uU3TEiTBzRQ und dessen einzige Konsequenz allein darin bestehen kann, dass Gall für den sogenannten Rahmenbefehl Nr. 2 und dessen Art der Umsetzung und Stickelberger als Verantwortlicher für das skandalöse Randalieren seiner Neckarstrassengang unter Missachtung der Grundrechte in Reicherters Haus gezwungen werden, ihr Amt als Verantwortliche niederzulegen, da beide durch ihr Schweigen sich mit den in dieser Republik bisher nicht gesehenen Vorgängen einverstanden erklären. Die Forderung auf allen Demos muss daher in Zukunft lauten: Stickelberger und Gall, eine Gefahr für die Demokratie – weg mit beiden.

  3. Pingback: Rechtstast II « rauscherpeter

  4. Wolf gegen S21 -Parkschützer sagt:

    Wolf gegen S 21:
    wer schützt eigentlich unsere demokratischen Rechte? Wir, die wir sie wahrnehmen oder diejenigen, die uns daran hindern, dass wir sie wahrnehmen können. Wenn wir alle erfasst und bespitzelt sind, dann brauchen wir nur zu schauen, wer auf dieser Liste fehlt! Das sind dann die Antidemokraten.

Kommentare sind geschlossen.