Rede von Heinrich Steinfest, Schriftsteller, auf der 775. Montagsdemo am 29.9.2025
Liebe Freundinnen und Freunde,
in einer berühmten Kurzgeschichte Friedrich Dürrenmatts, Der Tunnel – und ich erinnere mich, dass Klaus Gebhard diesen Text einst im Schlossgarten vorgetragen hat, in dieser Geschichte, in der ein Zug aus einem Tunnel nicht mehr herauskommt und schließlich immer schneller und unrettbar in den Abgrund hinunterrast, erklärt der Zugführer, er hätte „immer ohne Hoffnung gelebt“.
Interessanterweise scheint aus dieser Hoffnungslosigkeit auch sein Pflichtgefühl zu resultieren, trotz allem im Zug zu bleiben und nicht wie der Lokführer und übrigens auch ein Schaffner sowie ein Mitarbeiter im Packraum, abgesprungen zu sein, als dazu noch Zeit war.
In dieser Hoffnungslosigkeit steckt meiner Meinung nach auch eine gewisse Ironie. Eine Ironie, die ich immer häufiger erlebe, wenn ich mit der Bahn unterwegs bin und alle Hoffnung fahren lasse – und als führerscheinloser Mensch bin ich seit sechs Jahrzehnten mit der Bahn unterwegs, auch wenn ich mich nicht immer als deren Kunde empfinde, mitunter eher als „Experiment der Geduld“ oder als „Figur in einer bissigen Satire“. Eine Ironie etwa, wenn – ich sitze in einem ICE auf dem Weg von Salzburg nach Heidelberg – es bereits in Freilassing einfach nicht weitergeht und die üblichen, in ihrer Wiederholung ballettartig anmutenden Durchhalteparolen verlautbart werden – darunter nicht zuletzt die Versicherung, auch als Zugpersonal nicht mehr zu wissen über die Zukunft dieser Fahrt als die Passagiere, um schließlich in der Durchsage zu münden – ich zitiere die geradezu süßliche Stimme aus den Lautsprechern, gleich dieser Raumschiffstimmen, die bei einem Selbstzerstörungsmechanismus auf null hinunterzählen: „Liebe Fahrgäste, ich überlasse es Ihnen selbst, ob Sie weiter warten oder zurück nach Salzburg fahren wollen.“ Das ist im Moment des Erlebens überhaupt nicht lustig, später aber schon. weiterlesen →