Rede von Sabine Leidig bei der Montagsdemo am 16.4.

Rede von Sabine Leidig, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags

Liebe Freundinnnen und Freunde,

es ist gut zu sehen, dass ihr unermüdlich oben bleibt. Und es freut mich, dass ich dabei sein kann, weil es so viele Gründe gibt für den Widerstand gegen den S21-Irrsinn.

Die aktuellen Abrisspläne auf H7 sind dafür ein Paradebeispiel: Die ehemalige Bahndirektion soll abgerissen werden – ganz und gar, oder wenigstens zum großen Teil.

Wie nötig wäre es, sattdessen mit der Arbeitskraft der Bauarbeiter die maroden Schulgebäude in Stuttgart zu sanieren!

Aber dieses Gebäude hat 30.000 qm Nutzfläche und ist vor 5 Jahren erst für 5 Millionen Euro umgebaut und saniert worden und ich finde, dass es ein richtiges Schmuckstück ist – eigentlich müsste man´s mit einer ganz großen Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft besetzen, um es zu vor der Zerstörung zu beschützen!

Die Betonmentalität der S21-Betreiber ist jedenfalls völlig unzeitgemäß. Heutzutage kommt es darauf an, Bestehendes zu pflegen, zu erhalten und zu reparieren und möglichst sparsam mit den Ressourcen umzugehen.

Ich habe über Ostern im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates für globale Umweltfragen gelesen. Der ist 1992 im Vorfeld des Erdgipfels von Rio eingesetzt worden ist, um die Bundesregierung zu beraten. Vor einigen Monaten hat er eine Ausarbeitung vorgelegt mit dem Titel „Neuer Gesellschaftsvertrag für die große Transformation“. Es um die Frage, die Lebensgrundlagen der Menschen nachhaltig gesichert werden können. Die Herkulesaufgabe besteht darin, innerhalb der nächsten 10 Jahre die Weichen so umzustellen, dass dieses Wirtschaftsmodell überwunden werden kann, das auf fossilen Energieträgern beruht.

Und da bin ich bei der zweiten Baustelle, die jetzt ansteht: Die Flughafenanbindung. Auch da ist der S21-Planung wider jede Vernunft!

Es soll ein riesen Aufwand betrieben werden, damit mehr Leute schneller zum Flughafen kommen –am besten mit dem ICE. Wer aber nachhaltige Mobilität will und zugleich mehr Lebensqualität, der muss den Flugverkehr reduzieren! Kein anderes Verkehrsmittel ist so schädlich für Umwelt und Klima.

Die Bahn soll kein Zubringer zum Flieger sein, sondern eine echte Alternative!

Wir haben mit einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung belegt, dass zum Beispiel vom Flughafen Frankfurt – wo ja vor allem internationaler Flüge abgewickelt werden – schon heute ein Viertel aller Flugreisen durch Bahnfahrten von maximal 6 Stunden ersetzt werden könnten. So wäre deutlich weniger Lärm zu verkraften und viel CO2 gespart. Wenn die Schienenwege endlich auf Vordermann gebracht würden, so wie es im Bedarfsplan Schiene vorgesehen ist, dann wäre ein Viertel der Frankfurter Flugstrecken mit maximal 4 Stunden Zugfahrt zu machen! Für Stuttgart werden wir die Daten auch noch erfragen – ich bin ziemlich sicher, dass hier nahezu die Hälfte aller Flüge auf Züge verlagert werden könnten.

Aber dazu braucht es mehr und bessere Bahnverbindungen! Mehr Kapazität in und um Stuttgart und keinesfalls ein Nadelöhr im Untergrund!

Grund genug, gemeinsam mit der Schutzgemeinschaft Fildern und mit der Initiative lebenswertes Leinfelden-Echterdingen, den Aufstand auf den Fildern zu organisieren – im Sinne des Allgemeinwohls auf diesem Globus!

Falsche Weichenstellung gilt übrigens auch für die Neubaustrecke Ulm-Wendlingen. Denn die würde in den nächsten Jahre so viele Investitionsmittel verschlingen, dass an den Stellen im deutschen Schienennetz, die heute schon überlastet sind, das Geld für den Ausbau fehlt. Deshalb muss die Bundesregierung dieses Projekt stoppen und dafür sorgen, dass die Engpässe im zuerst beseitigt werden – und zwar zügig!

Es gibt mächtige und kapitalkräftige Interessen, die der notwendigen großen Transformation entgegenstehen. Und der Wissenschaftliche Beirat setzt deshalb auf Demokratisierung, um mit der gesammelten Weisheit der Vielen, die Beharrungskräfte zu bewegen.

Die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 hat also ein Kernthema des 21. Jahrhunderts auf die Tagesordnung gesetzt: Wie können die Bürgerinnen und Bürger bei der handfesten Weichenstellung für die Zukunft nicht nur mitreden, sondern auch entscheiden.

Vor zwei Wochen hat es dazu eine Debatte im Bundestag gegeben, die ziemlich aufschlussreich war. Vor allem bei den Koalitionsrednern war zu hören, dass es da ein tiefes „Missverständnis“ gibt: Sie wollen die Akzeptanz erhöhen für ihre Projekte und Beschlüsse mit besserer Bürgerbeteiligung, sie wollen die Bürgerinnen und Bürger „mitnehmen“. Aber das Ziel der Reise haben sie schon vorab bestimmt.

Und der Minister Ramsauer hat ein „Handbuch für Bürgerbeteiligung“ veröffentlicht, von dem Christian Bommarius gestern in der Frankfurter Rundschau schrieb: „Dessen Ziel ist keineswegs mehr Bürgerbeteiligung, sondern „schneller Bauen“ je nach Gusto und Bedarf mal mit, mal ohne frühzeitige Beteiligung der Bürger. Das Handbuch ist eine unverbindliche Handreichung für verunsicherte Bürokratien, die nicht wissen, ob sie den Bürgern das Placebo zu Beginn oder erst am Ende der Planung eine Großprojekts verabreichen sollen. Ramsauer sagt: Egal, Hauptsache Placebo.“

Das ist aber das Gegenteil von dem, was wir Wollen. Und dieses Handbuch gehört gleich mit seinem Erscheinen auf den Müllhaufen der Geschichte!

Tatsächlich geht es darum, dass die Bürgerinnen und Bürger auch über die Richtung entscheiden können, die mit der Infrastruktur festgelegt wird. Nicht nur über den Verlauf der Autobahn, über die Flugrouten zur neuen Landebahn, oder die Landesbeteiligung am versenkten Bahnhof. Entscheidend ist, dass auch etwas ganz anderes möglich sein muss. Also lieber gar keinen Ausbau von Autobahn oder Flughafen. Und es müssen von Anfang an echte Alternativen zur Debatte stehen.

Die Schlichtung in Stuttgart war insofern eine Farce. Weil die Alternative, den Kopfbahnhof zu ertüchtigen und den Immobiliendeal rückgängig zu machen, gar nicht ernsthaft zur Wahl stand.

Und es gibt noch ein paar andere Bedingungen für den Fortschritt der Demokratie an dieser Stelle. Dazu gehört, dass es so etwas wie Chancengleichheit gibt. Die Möglichkeiten der Beteiligten und ihrer Verbände müssen denen der Projektbetreiber ebenbürtig sein.

Heute ist es so, dass die einen jederzeit Planänderungen nachgereichen können, aber die Einwände von Bürgerinnen und Bürgern müssen nicht beachtet werden, wenn sie nach der Planfeststellung auftauchen. Und: die Projektträger können alle Einwände auf Rechtmäßigkeit prüfen lassen, aber umgekehrt ist das nicht möglich.

Stuttgart 21 ein Paradebeispiel dafür, wie dieser Spielraum missbraucht wird: Die Kapazität des Bahnhofes und der so genannte Stresstest sind ja zum Knackpunkt geworden: schafft es der milliardenteure Tunnelbahnhof, zumindest 30 Prozent mehr Züge abzuwickeln, als der bestehende Kopfbahnhof. Das hat die Deutsche Bahn AG so behauptet und – alle Zweifel an dem Simulationsverfahren wurden weggewischt. Inzwischen wissen wir, dass der Stresstest manipuliert war. Es ist sogar dokumentiert, dass die Bahn im Jahr 2002 selber dem Eisenbahnbundesamt den wahren Kapazitätsnachweis geliefert hat: der neue Bahnhof schafft nicht mehr Kapazität als der alte – im Gegenteil: maximal 32 Züge in der Spitzenstunde.

Wie wird dieser gravierende „Fehler“ geahndet? Gar nicht. Das muss sich ändern! Diejenigen, die die Öffentlichkeit täuschen, müssen mit Konsequenzen rechnen, damit das Ungleichgewicht der Kräfte nicht alle Bürgerbewegung erschlägt.

Ja, die herrschende Politik hat Angst vor dem Souverän, Angst, dass die Bürgerschaft es ernst meint mit ihrem Ruf nach mehr Partizipation und Transparenz. Denn das wäre das Ende für all jene, die Infrastrukturpolitik als Dienstleistung für die Wirtschaft verstehen.

Und deshalb ist es wichtig, weiter zu machen, weiter: oben bleiben!

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