Rede: Lokführer Thilo Böhmer bei der 124. Montagsdemo

Liebe Nutzerinnen und Nutzer des Verkehrssystems Eisenbahn und des funktionierenden Bahnknotens Stuttgart!

Schon ziemlich lange streiten sich jetzt Eisenbahnbetriebswissenschaftler der verschiedensten Richtungen, außerdem Befürworter und Kritiker des Projekts Stuttgart 21.

Das Gefeilsche um jeden Bruchteil einer Verspätung und um jeden Zug, der noch 13 Sekunden vor Ende der Spitzenstunde in den Bahnhof einfahren muß, damit er noch für den Streßtest gezählt werden darf, hat groteske Züge angenommen. Man hat inzwischen jeglichen Sinn für die betriebliche Realität aus den Augen verloren.

Bei so viel Streiterei in den Hinterzimmern der Bahn, der Institute, der Parteien und Verbände habe ich mich schon oft gefragt: Wann kommen denn eigentlich einmal die Betroffenen zu Wort? Die Betroffenen, das sind diejenigen, die den geplanten Tiefbahnhof und die gesamten Zulaufstrecken in den Tunnels tagaus tagein befahren müssen, also die Lokführer.

Sie fragen sich sicher warum erst jetzt ein Lokführer hier mal spricht und wie er sich das getraut zu tun.

Nun Mitte der 90er Jahre begann ich bei der Bahn als sie schon privatisiert war mit voller Begeisterung meine Ausbildung und legte dann auch die Prüfung zum Lokführer im Fernverkehr ab.

Ein paar Jahre später verlies ich das Unternehmen weil die Talfahrt mit der DB AG immer rasanter wurde so das ich heute bei einem privaten Eisenbahn Verkehrsunternehmen sehr viel motivierter und interessierter arbeite.

Als man mich dann vor einigen Tagen gebeten hat, einmal ein paar Punkte darzustellen, wie sich das Projekt S21 aus Sicht eines Lokführers so darstellt, habe ich dann auch gerne zugesagt.

Gerade heute morgen habe ich einen schweren Güterzug die Rheintalbahn von Karlsruhe nach Basel gefahren.
Dabei war wieder einmal festzustellen, daß es entlang der Rheintalstrecke wegen der Zweigleisigkeit inzwischen nicht mehr möglich ist, die Züge am Rollen zu halten. Und das, obwohl dort modernste Leit- und Sicherungstechnik zum Einsatz kommt und dadurch die Leistungsfähigkeit gegenüber einer normalen Eisenbahnstrecke bereits um 40% gesteigert wurde. Mehr geht aber nicht.

Die Rheintalbahn ist das Musterbeispiel für eine völlig überlastete Eisenbahnstrecke, die dringend und vorrangig ausgebaut werden müßte. Im gesamten Bundesgebiet gibt es noch weitere Strecken, die bereits an ihre Grenzen stoßen Rhein/Main-Rhein-Neckar, die Main Weser Bahn und auch die Fuldatalbahn. Auch dort müßte dringend Abhilfe geschaffen werden.

Statt dessen fließen erhebliche öffentliche Gelder des Bundes, des Landes und der Stadt Stuttgart in das Projekt Stuttgart 21 und in die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Wenn sich die Kosten so nach oben entwickeln, wie es jetzt bereits absehbar ist, so werden andere vorrangigere Strecken in ganz Deutschland über Jahre hinweg vernachlässigt und ausgebremst. Wenn sich diese Bahnpolitik nicht rasch verändert - weg von teuren Prestigeprojekten mit geringem Nutzen und hin zum effizienten Ausbau überlasteter Verkehrswege, so sehe ich aus meiner Sicht als Lokführer mit großen Bedenken in die Zukunft der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur.

Die Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm wird mit Bundesmitteln gebaut. Sie ist von der Planung her so steil, daß sie nur mit ganz speziellen Triebzügen überhaupt befahren werden kann, darunter der ICE3 und der TGV Duplex. Für andere Verkehrsunternehmen außer der DB AG werden so die Hürden zum Befahren dieser Strecke so hoch gesetzt, daß auf absehbare Zeit die DB Fernverkehr und die DB Regio AG voraussichtlich die einzigen Nutzer und Nutznießer sein werden.

Folgender Vergleich ist mir dazu in den Kopf gekommen: Stellen Sie sich vor, wir würden in Baden-Württemberg von nun an Autobahnen nur noch so bauen, daß sie nur noch von Fahrzeugen der Marken Mercedes, Porsche und vielleicht noch Audi befahrbar sind.....

Doch was für Folgen hat das jetzt für den Betrieb?

Schauen wir doch mal nach Frankfurt oder Berlin - nein nicht wegen des Debakels mit der Sicherheit beim bestgeplanten Flughafen Deutschlands - in Berlin Hbf und Frankfurt Flughafen hat man schon einmal Zulaufstrecken gebaut, die so steil sind, daß Züge des Fernverkehrs mit reduzierter Antriebsleistung dort nicht mehr fahren können, sondern auf andere Strecken umgeleitet werden und Ersatzhalte bedienen müssen. An einem ganz normalen Betriebstag treten mehrere Ausfälle der Antriebsanlagen an Zügen auf.

Für Stuttgart bedeutet dies in Zukunft, sollte Stuttgart 21 in Betrieb sein: Ein ICE aus Köln oder München, der wegen einer Störung nur noch mit verminderter Leistung fahren kann, kann den Flughafen oder den Tiefbahnhof nicht mehr anfahren.

Die Ersatzhalte werden dann Esslingen und Vaihingen/Enz sein.

Warum das ganze?

Um aus dem Tiefbahnhof heraus in Richtung Feuerbach anzufahren, benötigt ein ICE der vollen Länge ca. 70kN Zugkraft - das entspricht etwa einer Masse von 7 Tonnen, nur alleine um den Rollwiderstand in der Steigung zu überwinden. Beschleunigt wird dabei allerdings erst, wenn die Zugkraft von 70 kN überschritten wird.

Ein liegen gebliebener Zug im Tiefbahnhof muß mit genau so vielen Feststellbremsen gesichert werden wie ein Zug der an der Geislinger Steige liegen geblieben ist.

Man unterscheidet den Bahnhof nicht mehr von der freien Strecke.

Stuttgart 21 stellt hohe Anforderungen an Fahrzeughersteller und Bahnanlagen die es so nicht gibt.

Ich hoffe das meine Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer eine entsprechende Klage gegen den Bau einreicht,weil es nicht sein kann das bei einem Unfall der einzelne Kollege für das zurückrollen eines Zuges verantwortlich gemacht wird weil die Planer von S 21 einen Bahnhof bauen wollen den es in ganz Europa nicht gibt.

Wenn ganz Stuttgart untertunnelt werden soll bereitet es mir große Sorgen wenn bei einem ausbrechenden Feuer in einem Zug die Notbremse gezogen wird als Lokführer entsprechend zu handeln.

Das Regelwerk mutet hier dem Lokführer zu das er bei Abfahrt des Zuges in Bruchteilen von Sekunden entscheiden soll ob er eine Notbremse unterstützt so das 2/3 des Zuges am Bahnsteig zum Halten kommen oder ob er beschleunigt und aus dem Tunnel herausfährt,weil bei einer Bremsung 2/3 des Zuges im Tunnel zum stehen kommen.

Für S 21 kann der Tunnelrettungszug der in Kornwestheim für Strecke Stuttgart-Mannheim steht nicht eingesetzt werden weil die Zulaufstrecken zu steil sind somit kann eine sinnvolle schnelle Rettung wie es für die ersten Schnellfahrstrecken in Deutschland vorgesehen ist hier nicht erfolgen.

Alle Feuerwehren entlang der Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm müssen im Bahnbetrieb ausgebildet werden,zusätzliche technische Ausrüstungen müssen durch das Land bezahlt werden.

Daher sage auch ich das wir gemeinsam K 21 bauen und somit besser Oben Bleiben !

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