Repressionen gegen K21-Aktivisten bei Blockupy-Frankfurt

Zu den folgenden drei Berichten von den Blockupy-Tagen in Frankfurt könnte man viel sagen. Jeder Bericht für sich erschüttert und lässt uns die banale Frage nach der "Verhältnismäßigkeit der Mittel" stellen, was angesichts des Geschilderten wirklich nur als Begriff aus der Fachsprache gewertet werden soll. Der K21-Widerstand ist immer noch - das hat nach dem Tribunal für den 30.9. nicht aufgehört - dabei, sich mit der Diskrepanz von Polizeitheorie (in Form von Polizeigesetz und -verordnungen) und der polizeilichen Praxis zu befassen. Zu dieser Polizeipraxis gehören - das hat die Reaktion des Staatsapparats auf Blockupy wieder gezeigt und hier buchstäblich in reinster Form - Repressionen, Demütigungen und Erniedrigungen. Nun mag man sagen, gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik ist die Würde des Menschen unantastbar. Doch wir wissen, dass dem nicht so ist. Die Würde des Menschen ist antastbar und das wird in Deutschland, das wurde auch in Frankfurt praktiziert. Sehr zum (Image)-Schaden der Polizei und der Justiz.
Die drei folgenden Berichte geben dafür ein beredtes Beispiel. Die beiden K21-Aktivisten Doris Steidle und Ulrich Stübler wurden aus einer Blockade heraus am Freitag, 19. Mai, von der Polizei in Gewahrsam genommen und heftigen Repressionen unterzogen; in dem folgenden Interview mit einem 17-jährigen Mädchen wird die Brutalität des Einsatzes exemplarisch aufgezeigt.

Bericht von Doris Steidle:
"Die totale Überschätzung der polizeilichen Gefahrenprognose für die Blockupy-Protesttage und das daraus entstandene Verbot für den Protest, welcher auf politischen Druck von Kanzlerin Merkel und Innenminister Rhein zustande kam, hat bei uns BürgerInnen zuerst einmal das Gefühl von Demütigung und danach Zorn ausgelöst. Ich nahm am Freitag zusammen mit vielen anderen trotz Verbots das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch, um vor den Kapitalismus-Kathedralen gegen diese Art von Finanz-und Wirtschaftspolitik hör- und sichtbar NEIN zu sagen. Unsere Gruppe wurde umgehend von Polizeitrupps flankiert, besprungen (!) und gestoppt. Nachdem wir eingekesselt und ins Polizeipräsidium abtransportiert worden waren, wurden wir dort erst mal in einem Käfig gehalten, danach wiederholten zähen und schwerfälligen Personalienkontrollen unterzogen. Der Höhepunkt der Demütigung war dann die Nacktkontrolle (Polizistin: "Wenn Sie sich nicht selbst ausziehen, tun wir das für Sie!"). Nun stand ich - standen wir - nackt da, in jeder Beziehung. Die anschließende Unterbringung in einer Einzelzelle hat mich anfangs stark verunsichert, weil ich mitbekam, dass die anderen in Gewahrsam Genommenen zu mehreren in einer Zelle eingesperrt waren. Ich hatte mich weder verbal noch körperlich auffällig gezeigt - im Gegenteil (vielleicht zu wenig?). Von der Käfighaltung bis zur Entlassung vergingen etwa 4 1/2 Stunden.
Man versuchte mit all diesen Maßnahmen in Frankfurt nicht nur, unser Recht auf öffentliche Meinungsäußerung massiv zu beschneiden, nein, die HERRschaften wollen uns Kritiker, Aktivisten, Bürger und Wachsame einschüchtern, so dass eine Weiterführung ihrer bisherigen Politik gewährleistet ist. So einfach ist das: Man kriminalisiert einfach den Gegner.
Zu meiner Person : Ich bin 60 Jahre alt, lebe im Großraum Stuttgart (21), bin politisch interessiert, außerparlamentarisch aktiv, friedensbewegt und ziviler Ungehorsam ist für
mich kein Fremdwort.
Mit einem Immer-Oben-Bleiben-Gruß !!" 
Doris Steidle

Bericht von Ulrich Stübler:
"Frankfurter Polizei - nackte Tatsachen: Hier kurz meine Erfahrung mit polizeilichen Maßnahmen in Frankfurt, in der Hoffnung, dass diese Vorgänge politisch noch nicht zu den Akten gelegt werden.
on der Einkesselung in der Frankfurter Beethovenstraße bis zu meiner Entlassung aus dem Gewahrsam im Polizeipräsidium Adickesallee vergingen mindestens 7 Stunden. Ich habe lediglich mein Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrgenommen, welches uns ja in diesen Tagen verwehrt werden sollte. Das Ergebnis war, dass wir nach einer total friedlichen Demo am Freitagmorgen gejagt wurden wie die Hasen und schließlich eingekesselt. Zweimal wurde ich komplett durchsucht, meine Personalien wurden aufgenommen, Fotos gemacht.
Auf dem Polizeipräsidium wurden wir zunächst in provisorische Käfige gebracht, die wiederum in größeren Partyzelten standen, später kamen wir in Gemeinschaftszellen. Trotz meines Widerspruchs musste ich mich nackt ausziehen, mit der Begründung, dass dies aus Sicherheitsgründen notwendig sei und alle gleich behandelt werden würden - was wohl beides nicht den Tatsachen entsprach.
Was mir zur Last gelegt wird, habe ich weder gelesen noch habe ich irgend etwas unterschrieben - verbal fiel bei meiner Vernehmung durch zwei Kriminalbeamte das Wort "Ordnungswidrigkeit", was - zumindest aus Sicht der Polizei - den Fakten entspricht.
Positiv erwähnen möchte ich, dass die anderen in Gewahrsam Genommenen in meiner Umgebung größtenteils wesentlich jünger waren als ich (ich bin 56) und auf die Gewahrsamnahme recht souverän reagierten. Beabsichtigte Einschüchterung und Demütigung schlägt also auf die Urheber selbst zurück. Wirklich nackt stand nach diesem Tag nur die Frankfurter Polizei da!
Mein Kommentar: Auch nackt OBEN BLEIBEN!"
Ulrich Stübler

Interview aus Junge Welt am 23.5.2012:
"Ich hatte Angst um mein Leben - Misshandelt vom Sondereinsatzkommando. 17-Jährige erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei. Interview: Gitta Düperthal.
"Die 17jährige Schülerin Lisa Förster (Name von der Redaktion geändert) von der ver.di-Jugend NRW-Süd war zu den Blockupy-Aktionstagen nach Frankfurt am Main gekommen, um gegen die Macht der Banken, Finanzindustrie und Konzerne zu demonstrieren und wurde von der Polizei brutal zusammengeschlagen.
Der hessische Innenminister Boris Rhein behauptet, die Polizei habe beim Einsatz während der kapitalismuskritischen Blockupy-Aktionstage in der vergangenen Woche »großartige Arbeit« geleistet und gewalttätige Ausschreitungen verhindert. Sie haben ganz andere Erfahrungen machen müssen."

Lisa: "Ja, die Gewalt ging nach unseren Erfahrungen von der Polizei aus, nicht von den Demonstranten. Ich selber wurde während einer Blockade an der Europäischen Zentralbank am Freitag von fünf bis zehn Polizisten eines Sondereinsatzkommandos verprügelt. Sie kamen ganz in schwarz und komplett gepanzert mit Helmen aus einem Hauseingang auf mich zugestürmt. Später hat ein Sanitäter von versuchtem Totschlag gesprochen. Die Situation war so: Plötzlich befand ich mich ganz allein auf einer Wiese. Polizisten hatten mich umringt, damit andere Demonstranten nicht sehen konnten, was sie taten. Aus Angst bin ich einige Schritte zurückgegangen und habe meine Arme über den Kopf gehoben, um zu signalisieren, daß ich mich nicht widersetzen würde. Umsonst! Als die Polizisten in Reichweite waren, spürte ich den ersten Schlag in meinem Genick. Es blieb leider nicht der einzige. Ich bin vor Schmerz zusammengesackt und habe mein Gesicht mit den Händen geschützt. Vier Polizisten haben auf jeden Teil meines Körpers eingeschlagen und getreten. Jeder hatte zwei Schlagstöcke. Auch als ich auf dem Boden lag, haben sie nicht aufgehört. In dem Moment hatte ich Angst um mein Leben. Glücklicherweise haben es einige Demonstranten geschafft, die Polizisten wegzudrücken und mich zu befreien."
"Wie kam es zu diesem Gewaltexzess?"
Lisa: "Wir waren mit dem Ziel der Blockade der EZB auf eine Kreuzung gekommen, auf der etwa 150 Menschen waren, und wollten gewaltfrei eine Polizeikette durchfließen, wie von Blockupy angekündigt – also uns durch Lücken zwischen den Polizisten hindurchzwängen. Das hat zunächst funktioniert. Dann kamen jedoch weitere aus einer Seitenstraße angestürmt und bildeten eine zweite Kette. Ich habe erkannt, dass ich es dort nicht mehr hindurchschaffe. Meine Freunde waren schon auf der anderen Seite. Um hinter die Polizeiabsperrung zu gelangen, bin ich auf die Wiese gerannt."
"Welche Verletzungen haben Sie?"
Lisa "Zunächst hatte ich wegen des Adrenalins nur Schmerz in der Schulter gespürt. Dann hat mir plötzlich alles wehgetan: Nacken, Hüfte und Schienbein. Der Sanitäter sagte: Hätten sie die Schläge zwei Zentimeter höher oder niedriger platziert, wäre ich querschnittsgelähmt. Er hat mich in ein Krankenhaus eingewiesen, wo Ärzte eine ausgekugelte Schulter, verschobene Halswirbel und zahlreiche Prellungen diagnostiziert haben. Auf dem Röntgenbild meines Schienbeinknochens ist der Stiefelabdruck eines Polizeistiefels zu erkennen, weil sie auf mich gesprungen sind."
"Wie ist zu erklären, dass die Polizisten auf ein 17jähriges Mädchen losgehen?"
Lisa: "Das waren Profis, die wie Maschinen nur nach Befehl handeln, weder Gefühl noch Empathie haben. Sie haben gesehen, dass ich engagiert bin und wollten mich gezielt fertigmachen, um mich einzuschüchtern, weiter auf Demonstrationen zu gehen. Sie haben das Gegenteil erreicht und uns die Augen geöffnet. Das Verhalten der Polizisten zeigt, dass der Staat bereit ist, das Aufheben der Grundrechte mit brutaler Gewalt durchzusetzen und fortzuführen."
"Wolfgang Link vom geschäftsführenden Bezirksvorstand der Gewerkschaft der Polizei in Hessen hat gegenüber Junge Welt behauptet, ihm seien keine Klagen bekannt. Wissen Sie von weiteren Gewaltorgien?"
Lisa: "Ich selber war Augenzeugin bei einem weiteren Einsatz am Freitag, wo Polizisten beim Abräumen einer Blockade einem anderen 17jährigen Mädchen unter die Klamotten gegriffen haben – und sie an den Brüsten aus der Blockade herausgezogen haben."
"Werden Sie Strafanzeige gegen die Polizisten stellen?"
Lisa: "Ich glaube, dass Polizeibeamte vor Gericht höheres Ansehen genießen als eine Demonstrantin, die sich an einer verbotenen Blockupy-Blockade beteiligt. Ich erinnere an den Fall eines Gegendemonstranten am 3. März gegen einen Naziaufmarsch in Münster, den sechs Polizisten ins Koma prügelten – obendrein hat die Polizei ihn angezeigt, mit einer Glasflasche auf sie geworfen zu haben, obgleich das Humbug ist. Ich werde mich erst mal anwaltlich beraten lassen."

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