Rede von Peter Grohmann bei der 179. Montagsdemo

Rede Peter Grohmann, AnStifter, bei der 179. Montagsdemo gegen Stuttgart 21 am 8.7.2013

Köpfchen zeigen - oben bleiben!

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

die gute Nachricht zuerst kennen Sie ja längst: - Oberstaatsanwalt Berhard Häußler hat seinen Hut genommen! Wer sagt’s denn, - es geht doch - man muss nur am Ball bleiben. Auch in Portugal sind nach den Protesten gegen die Troika 3 Minister zurückgetreten - es wackelt im Karton! Und bei der Vatikanbank - o Herr, schmeiß Hirn ra’ - sind die Direktoren Paolo Cipriani und Massimo Tulli zurückgetreten. Die anderen wurden verhaftet.

Sag ich doch - einfach am Ball bleiben, wie in Bulgarien: Dort versammeln sich in vielen großen Städten täglich bis zu 10.000 Menschen und stehen gemeinsam gegen Korruption und Machtmissbrauch. In der Türkei protestierten am Wochenende 40 000 Menschen, um ihr Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit, auf freie Rede wahrzunehmen.

Millionen haben in Ägypten die Diktatoren von gestern in die Wüste gejagt - Diktatoren, mit denen Deutschlands stets bestens zusammengearbeitet hat.

Zehntausende kämpfen in Brasilien gegen den Bau des drittgrößten Wasserkraftwerk der Welt. 600 Quadratkilometer Regenwald sollen geflutet werden, gigantische Mengen an Treibhausgasen würden freigesetzt. Die Indigenen Völker aus Amazonien, die vor allem den Protest tragen, deren Lebensgrundlage mit Gewalt zerstört wird, rufen uns, den Deutschen, den Völkern in Europa zu: Auch Euer Profit zerstört unser Leben. Mehr als 1,3 Milliarden Euro fließen an europäische Firmen, an Voith Heidenheim, Siemens, Alstom, Daimler ...

Liebe Bürgerinnen und Bürger, unser Widerstand, über die Stadt, übers Land hinaus, ist notwendig - denn wir wissen: Nur gescheiterten Großprojekte werden nicht zum Milliardengrab! Und sagen Sie bloß nicht, wir seien erfolglos:

- Wir haben die Atomfabrik Hanau verhindert, den Schnellen Brüter Kalkar,
- Wir haben die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf gestoppt - und die Proteste der Bürgerhaben das Atomkraftwerk Whyl und den Transrapid aus der Bahn geworfen.
Der sanfte Ausbau der Donau und der Hochwasserschutz, die ruhiger fließenden Wasser, sind Erfolge der Bürgerinnenbewegung.

Aber nach wie vor gilt: Brecht die Macht der Arroganz! Die Liste der arroganten Mächtigen und ihres Scheiterns ist lang und - soweit noch nicht eingetreten - auch vorprogrammiert:

Gorleben, Flughafen Berlin, Waldschlößchenbrücke Dresden, Elbphilharmonie, Kohlekraftwerke, Elbvertiefung, Olympia 2018.

Viele Projektprognosen der weißen Elefanten sind nur Müll, so die Tageszeitung Welt - und schreibt weiter, was wir längst wissen:

Stuttgart 21 könnte zum größten technisch-wissenschaftlichen Betrugsfall der deutschen Industriegeschichte werden. Verkürzt gesagt: Kostenexplosion -- Brandschutz -- Planungsänderung: Nichts klappt. Außer die Sache mit den Diäten.

Die weißen Elefanten - das ist der Name für die aufgezwungenen und unnützen Großprojekte - die weißen Elefanten trampeln weltweit, das darf uns nicht aus dem Block geraten. Wir haben in diesem Sommer gesehen:

Die Deiche der Machthaber halten nicht! Ihre Burgen und Schlösser sind auf Sand gebaut Und auch die Millionen weiterer Sandsäcke werden die Fluten von morgen nicht aufhalten können. Sie haben ihre Ursache in der dummen, kurzsichtigen und gewissenlosen Vermarktung der Äcker und Flußauen - und nun steht ihnen das Wasser bis zum Hals. Und das ist durchaus ein Beispiel, denn Stuttgart 21 ist ein Symbol und System, das weltweit gilt:

In Indien werden Großprojekte durchgepeitscht - Fabriken, Atomkraftwerke, Stauseen - ohne Rücksicht auf Mensch und Natur.

In China werden durch den Drei-Schluchten-Damm Hunderttausende Menschen arbeitslos und heimatlos, aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Taliban des Kapitals gehen weltweit und buchstäblich über Leichen.

Auf der anderen Seite sehen wir: Kein hiesiger Hauseigentümer, kein verantwortungs-bewußter Unternehmer würde sich erlauben, was sich die Bahn erlaubt:

Wir fahren unsere Verkehrsinfrastruktur auf Verschleiß. Im Bestandsnetz der Verkehrswege tickt eine Zeitbombe, viele Tunnel, Straßen- und Bahnbrücken der Eisenbahn sind über 100 Jahre alt. Das sind programmierte Katastrophen.

Liebe Bürgerinnen und Bürger - wir sind weder Fortschrittsverweigerer noch Neinsager. Aber in Punkto Wachstum haben wir das Ende der Fahnenstange erreicht

Die Katastrophen der Mächtigen haben einen Namen: Die Kastration der nationalen Parlamente, ein komplett aus der Kontrolle geratener Verfassungsschutz und Geheimdienste, die Aushebelung demokratischer Rechte, Bankenpleiten, Währungskrisen - und als eine der grausamen Folgen Millionen arbeitsloser Jugendliche, die keine Perspektive mehr sehen. Für Sie, für unsere Kinder, für die Kinder Europas, legen die Propaganda-Minister 6 Milliarden auf den Tisch und brüsten sich damit - 6 Milliarden, die sie sich pumpen müssen, die sie so oder so uns aus der Tasche ziehen werden. Konkret bedeutet das: Jeder Jugendliche bekommt 50 Euro im Monat - ein Jahr lang. Das war’s dann - aus die Maus. Das ist kurzsichtig, lächerlich und peinlich - denn für die Bankenrettung dagegen gibt’s 1 600 Milliarden - eintausend sechshundert Milliarden!

Liebe Bürgerinnen und Bürger - für die Stadt und für die Welt von morgen haben wir - und nicht die Mächtigen - die besseren Ideen. Wir brauchen dazu keine Paläste 21, bei uns geht’s deutlich kleiner. Eine verlässliche Bürgerbahn wäre uns wichtig, nicht privatisiert, und moderne, pünktliche Verbindungen im Takt. Wir brauchen Investitionen in Bahnhöfe und Schienen, und den Güterverkehr auf die Bahn! Wir wollen, ja wir müssen verantwortlicher handeln für eine bessere Welt!

Handeln statt Wegsehen! Und laut sein statt Schweigen! Maul aufmachen statt Maul halten!

Immer wieder bewundern wir Menschen, deren Herzen nicht nur für sich schlagen, klein und eng - bedacht allein aufs eigene Wohlergehen, deren Köpfe nicht nur für sich denken - sondern die Herz und Kopf auch befragen für andere, Menschen, deren Verantwortung hinausgreift über die eigene Person, die das Wort Gemeinwohl noch nicht altmodisch finden, die sich redend, protestierend, handelnd einmischen ins gesellschaftliche Geschehen, sagte Bettina von Arnim bei den AnStifter. Und: Es kostet Kraft, nicht zu verzweifeln - aber es gibt auch Kraft, wenn man sich wehrt. Wer sich gegen Apathie und Ohnmachtsgefühle und für das Engagement entscheidet, folgt nicht nur einem Überlebenstrieb und der Vernunft, sondern handelt aus Lebenslust: Zivilcourage steigert die Selbstachtung, macht lebendig - Selbstachtung vertreibt Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle. Wer aufbegehrt, wer darauf besteht, daß das Wort zur Tat wird,
daß gegebene Versprechen einzuhalten sind, wer aufbegehrt und protestiert, steht auf der richtigen Seite. Wir lassen uns bei allem Elend und mancher Widerwärtigkeit in der Welt unser trotziges Dennoch nicht nehmen!

Nicht die Lust auf Einmischung, die Lust auf Leben und die Hoffnung auf Frieden, auf Toleranz, nicht die Einsicht in ein vernünftigeres Leben und ein freundliches Miteinander. Das gilt auch für den Widerstand gegen Stuttgart 21.

Und was treibt uns an? Was, um Himmels Willen, läßt so viele Menschen im Herzen einer der reichsten Industrieregionen Europas jeden Montag auf die Straße gehen?

Wenn wir zu Hause blieben, würden wir das wider besseres Wissen tun. Uns spornt ein Widerspruch an, der Widerspruch zwischen Verfassung, Versprechen und Ideal einerseits und der tristen Wirklichkeit andererseits. Dieser Widerspruch löst sich nicht in Luft auf, wenn wir zu Hause bleiben.

Uns spornt die Einsicht an. Die Einsicht in politische, gesellschaftliche Entwicklungen in der Gegenwart, die weit über unsere Leben hinausreichen, die Hoffnung, daß eine neue Bürgerrechtsbewegung in Ost- und Westdeutschland entsteht, die unsere alten Erfahrungen von 1968 im Westen genau wie die von 1989/90 im Osten nutzen kann.

Denn größer als je zuvor sind - auch nach den Massenprotesten in der Türkei, in Brasilien, in Portugal – die Chancen geworden, dass jetzt eine globale Bewegung für Demokratie und Gerechtigkeit ins Rollen kommt.

Und die ist – siehe Edward Snowden! - überfällig: geradezu überlebenswichtig für unsere Freiheit. Übrigens auch in Deutschland... Mit dem Bahnhof ist längst nicht alles erledigt. Es waren nicht die Parteien, sondern Millionen Bürgerinnen und Bürger, die erste große erfolgreiche Bürgerinitiative auf EU-Ebene die verhinderte, dass unter Trinkwasser privatisiert wird. Denn "Wasser ist ein Menschenrecht" Wer sagt’s denn, es geht doch!

Wir sind es, die die öffentlichen Debatten mitgeprägt und mitgestaltet haben, unser massiver Widerstand unsere Mobilisierung über viele Jahre, hat Signalwirkung in die ganze Republik und darüber hinaus. Unsere Aktionen und Kampagnen gegen die unerträglichen Zumutungen unsozialer, umweltfeindlicher und kriegerischer Weltpolitik, sind Teil eines großen und weltweiten Netzwerks.

Wir stehen auch hier für das sofortige und ausnahmslose Verbot aller Formen von Fracking bei Erforschung, Suche und Gewinnung fossiler Energieträger. Wir stehen für ein konsequentes Umsetzen der Energiewende, für die Abkehr von fossilen Brennstoffen, Ausbau der erneuerbaren Energien

Wir stehen hier, weil es uns Spaß macht, für Demokratie und Selbstbestimmung, für mehr Bürgerrechte, eine neue Landesverfassung, für unsere Stadt und unser Land!

Und ich grüße an dieser Stelle einen Verbündeten, einen Menschen, der auf Macht und Geld pfeift und der so sein eigenes Leben aufs Spiel setzt!

Ich grüße mit Ihnen und Euch Edward Snowden, den Mann, der weltweit gejagt wird, weil er Geheimdienst-Programme offen legte, die unsere Bürgerrechte verletzen. Deutschland muss ihm jetzt Zuflucht gewähren – und Hinweisgeber wie ihn per Gesetz schützen!

Ich grüße an dieser Stelle auch alle, die oben bleiben, bei Regen oder Sonnenschein, die allen Wettern trotzen!

Ich weiss, manchmal sind die Rezepte für den Widerstand, die ich oder die wir haben, nicht so toll, manchmal haben wir bessere Rezepte, manchmal andere.

Aber jetzt backen wir erst einmal gemeinsam den Kuchen fürs Mahnwachenfest.

Redetext als PDF-Datei

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