Rede von Dr. Berhard Knierim bei der 187. Montagsdemo

Rede von Dr. Bernhard Knierim, Bahn für Alle, auf der 187. Montagsdemo am 2.9.2013

Bahn für alle statt alles für Stuttgart 21

Das Bündnis Bahn für Alle – hier in Stuttgart wohl bestens bekannt – ist bereits seit 2006 gegen die Bahnprivatisierung aktiv. Wir haben inzwischen 20 Bündnispartner: Umwelt- und Verkehrsverbände, Jugendverbände und Gewerkschaften. Und wir können sagen, dass wir unseren Teil dazu beigetragen haben, die damals geplante materielle Bahnprivatisierung immer wieder zu verzögern – bis der geplante Börsengang dann im Herbst 2008 mitten in die Wirtschaftskrise kam und in letzter Minute abgebrochen werden musste. In dem Falle hatte die Krise also durchaus auch ihre gute Seite, weil die DB AG immer noch zu 100 Prozent uns allen gehört – wobei nicht nur die Krise eine Rolle gespielt hat, sondern vielleicht noch wichtiger der Achsbruch an einem ICE in Köln im Sommer 2008, durch den auch für die Letzten deutlich wurde, wie sehr sich die DB AG in Vorbereitung auf den Börsengang schon kaputtgespart hatte.

Aber: Obwohl die Bahn noch immer vollständig uns allen gehört, tut die Bundesregierung trotzdem so, als könnte sie die Bahn nicht politisch steuern – die DB AG sei ja ein unabhängiges Wirtschaftsunternehmen. Das kommt immer als Antwort auf alle Fragen zu den Problemen bei der Bahn, sei es die Stilllegung vieler Nebenstrecken, seien es verlotterte Bahnhöfe, Probleme mit der Sicherheit und der Zuverlässigkeit oder unsinnige Bauprojekte wie das hier am Stuttgarter Bahnhof.

Dass die Bundesregierung keinen Einfluss auf die Bahn habe, ist ausgemachter Unfug, denn an anderen Stellen macht sie diesen sehr wohl geltend: Wenn es um die Installation eines neuen Bahnchefs geht oder wie jetzt gerade um die Fortsetzung eines zerstörerischen Großprojekts.

Bald jährt sich die Bahnreform von 1994 zum 20. Mal. Letzte Woche hat Jörg Munder vom DGB ja schon ein paar Worte dazu gesagt. Dass die Bahn ihre heutige Struktur hat, haben wir dieser Reform zu verdanken, der damals fast der gesamte Bundestag – mit Ausnahme der Linken und eines Teils der Grünen – zugestimmt hat. Mit dieser Reform verfolgte man vor allem drei Ziele:
1. Entlastung der öffentlichen Haushalte
2. Steigerung des Verkehrsmarktanteils der Bahn
3. Steigerung der Qualität des Bahnverkehrs

Was ist fast 20 Jahre danach daraus geworden?

  • Die Bahn erhält heute höhere staatliche Subventionen als vor der Reform – nur dass sie diese nicht mehr ausreichend in den Bahnverkehr investiert, sondern in den Kauf internationaler Logistikunternehmen – und hin und wieder auch in den Bau unnützer Großprojekte. Die DB AG ist heute der umsatzstärkste Straßengüterverkehrsbetreiber Europas, der zweitgrößte Luftfrachttransporteur der Welt und der drittgrößte Seefrachttransporteur. Das ist aus einem Unternehmen geworden, das eigentlich für die öffentliche Daseinsvorsorge da sein sollte!
  • Die versprochene Steigerung des Verkehrsmarktanteils der Bahn hat ebenfalls nicht stattgefunden: Im Personenverkehr hat die Bahn einen stagnierenden Anteil von 7,5 Prozent, im Güterverkehr von 17 Prozent – und das trotz teilweise noch arg geschönter Zahlen, die beispielsweise die Rückgänge der Zahlen im Fernverkehr kaschieren sollen.
  • Und zur versprochenen Qualitätssteigerung muss ich wohl nicht viel sagen: Mainz, Sommerchaos, Winterchaos, tägliche Verspätungen und Zugausfälle – wer häufig mit der Bahn unterwegs ist, kennt das alles nur zu gut. Und ein S-Bahn-Chaos gibt es nicht nur in Berlin, sondern auch hier in Stuttgart geht es mit der Qualität steil bergab, häufen sich Verspätungen und Zugausfälle.
    Immerhin ist eines bei der Bahn immer 100% zuverlässig und pünktlich: Die Fahrpreiserhöhungen zum Fahrplanwechsel im Dezember. Die Preise der Bahn sind von Jahr zu Jahr doppelt so stark angestiegen wie die Inflation!
  • Auch der Bahninfrastruktur ist die Reform nicht gut bekommen: Seit 1994 ist das Bahnnetz um weitere 17 Prozent abgebaut worden. Die Hälfte der Weichen, die das Ausweichen und Überholen von Zügen ermöglichen und so dabei helfen könnten, dass sich Verspätungen nicht kaskadenartig durchs ganze Land ausbreiten, ist schlichtweg ausgebaut worden. Und 80 Prozent der Gleisanschlüsse von Unternehmen sind gekündigt worden, so dass diese nun keine Alternative mehr zum Transport per Lkw haben.
  • Darüber hinaus hat ein massiver Personalabbau stattgefunden: 170.000 Stellen im deutschen Bahnverkehr sind verloren gegangen. Darüber hat es nie eine öffentliche Debatte gegeben – so als seien diese Arbeitsplätze weniger wert als die beispielsweise in der Automobilindustrie, wo sofort die Kanzlerin persönlich anrückt, wenn Jobs in Gefahr sind.

 

Dass all die Menschen, die vorher in diesen Jobs gearbeitet haben, offensichtlich nicht nur Däumchen gedreht haben, erleben wir heute: Es wird immer deutlicher, dass nicht nur im Stellwerk in Mainz massiv kompetentes Personal fehlt, sondern ebenso in anderen Stellwerken wie dem gleich hier in Stuttgart. Über Jahre ist nicht ausreichend ausgebildet worden, und Menschen, die diesen verantwortungsvollen Job zuverlässig ausfüllen können, findet man nicht ganz so einfach. Und auch in anderen Bereichen fehlt Personal: In den Werkstätten, wo die Züge gewartet werden, und bei den Zugbegleitern und Lokführern, die immer häufiger unzumutbare Schichtpläne haben.

Diese Sparmaßnahmen gehen nicht nur auf Kosten der Zuverlässigkeit des Bahnverkehrs, sondern eben auch auf Kosten der Sicherheit! Um ein Haar hätte es in Mainz gekracht, wären zwei S-Bahnen frontal zusammengestoßen. Auch hier hätte es viele Tote geben können.

Die Bahnreform hat aber nicht nur ihre Ziele komplett verfehlt, sondern sie hat auch in mehrfacher Hinsicht zum selbstzerstörerischsten Projekt beigetragen, das die Bahn je geplant hat, zu Stuttgart 21:

  • Mit der Reform wurde der DB AG Tür und Tor geöffnet, mit dem Verkauf von Bahngrundstücken ihre Bilanz aufzupolieren – und zu diesen Grundstücken gehört bekanntlich auch das Bahngelände in der Stuttgarter Innenstadt. Alle nicht bahnnotwendigen Grundstücke sollten eigentlich, so war es mit der Bahnreform vereinbart, beim Bund bleiben, quasi als Entschädigung für die Altlasten, die er mit der Bahnreform übernahm. Aber letztendlich bekam die DB AG doch alle Grundstücke – ein milliardenschwerer Schatz, der nun Jahr für Jahr von ihr zu Bargeld gemacht wird. Nicht zufällig wurde S21 kurz nach Durchführung der Bahnreform im März 1994 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
  • Auch bezeichnend ist: Der einzige Chef der DB AG, der wirklich Ahnung vom Bahnverkehr hatte, nämlich Johannes Ludewig, hatte im Juli 1999 einen Planungsstopp für das Projekt verhängt. Kanzler Schröder wollte aber einen Mann, der die Bahn an die Börse bringen würde. Daher holte er kurz danach Hartmut Mehdorn, dem es immer mehr um den Börsengang als Selbstverwirklichung denn um einen vernünftigen Bahnverkehr ging. Konsequenterweise holte er auch die S21-Pläne wieder aus der Schublade
  • Und schließlich war S21 ein Kuhhandel für Mehdorns Projekt der Bahnprivatisierung, mit dem er die Bahnreform auf seine Weise „vollenden“ wollte: Als Gegenleistung zur Zustimmung des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat und zu lukrativen Nahverkehrsverträgen, die das Land mit der DB AG abschloss, bekam die damalige Landesregierung das Projekt, das sie ihren Freunden in der Bau- und Immobilienbranche versprochen hatte.
    20 Jahre nach der Bahnreform ist es an der Zeit, offen einzugestehen, dass diese rundweg gescheitert ist. Daher fordern wir von Bahn für Alle:
  • Wir brauchen nicht nur ein sofortiges Ende von Stuttgart 21, sondern eine andere Bahnpolitik im ganzen Land; eine Bahnpolitik, die sich nicht länger an einem angeblichen Bilanzgewinn orientiert, sondern am Gemeinwohl.
  • Wir brauchen eine zweite Bahnreform, die die Fehler der ersten behebt.
  • Dazu muss die DB AG gesetzlich auf andere Ziele als maximalen Bilanzgewinn verpflichtet werden: Auf eine gute Mindestversorgung mit öffentlicher Mobilität im ganzen Land – mit einer entsprechenden Sicherheit und Zuverlässigkeit.
  • Wir brauchen schweizerische Verhältnisse bei der Bahn – das heißt, an die 100 Prozent Pünktlichkeit statt der gut 60 Prozent, die wir momentan immer wieder erleben, und eine Flächenbahn mit einer guten Versorgung bis in den letzten Winkel des Landes statt Prestigeprojekte.

In diesem Sinne bin ich mit Euch allen sehr stolz, dass diese Montagsdemo heute schon zum 187. Mal stattfindet, und dass der Widerstand gegen S21 nicht abreißt. Wir alle hier sind der Splitter im Fleisch der DB AG, der sie immer wieder daran erinnert, was für einen groben Unfug sie hier eigentlich plant.

Deshalb: Oben bleiben!

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