Rede von Joe Bauer bei der 202. Montagsdemo

Rede von Joe Bauer, Kolumnist, auf der 202. Montagsdemo am 16.12.2013

Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit

Guten Abend meine Damen und Herren,
falls Sie es nicht wissen sollten: dieses städtebauliche Prunkstück hier namens Kronprinzplatz hat man einst in der Absicht angelegt, Theateraufführungen und andere kulturelle Ereignisse zu veranstalten. Sie sehen, was daraus geworden ist. Es ist also gar nicht so falsch, wenn wir diesen Ort heute Abend mal auf unsere Art bespielen. Das Theater am Bahnhof haben nicht wir ausgelöst.

Bei allem verständlichen Zorn, werte Protest-Versammlung: Sie müssen sich nicht mehr wundern, wenn ein Gericht die Montagsdemos am Bahnhof als Zumutung für die Bürger beurteilt. In unserem Fall sind juristische Zumutungen schon lange an der Tagesordnung. Ernst nehmen müssen wir allerdings diesen weiteren Versuch der Rathaus-Populisten, im Namen ihrer amtlichen Ordnung und ihrer bürgerfeindlichen Politik die demokratische Versammlungsfreiheit zu torpedieren. Es ist geradezu lachhaft, in diesem von Stadtautobahnen zerstörten Stuttgart das Demonstrationsrecht mit dem Hinweis auf die sogenannte Leichtigkeit des Straßenverkehrs massiv einzuschränken. Wo andererseits dieselben Politiker keinerlei Skrupel haben, ohne Rücksicht auf die Menschen den Charakter einer Stadt zu zerstören – und uns einem sich jetzt schon abzeichnenden Bahn- und Verkehrschaos auszusetzen. Auf einmal werden von den Erbsenzählern des Ordnungsbürgermeisters kilometerlange Staus gemessen, die es vor ein paar Wochen noch gar nicht gab. Und auf einmal sind laut Presse montags wieder Abertausende Demonstranten unterwegs, obwohl die Propaganda den Leuten all die Zeit untergejubelt hat, es stehe nur noch ein kleiner Haufen Widerspenstiger vor dem Bahnhof. Aber was in der ganzen Schmierenkomödie noch viel schlimmer ist: Juristisch ist es hierzulande nie ein Problem, den Nazis Versammlungsfreiheit zu gewähren, auch wenn dafür riesige Polizeitrupps zum Schutz der Faschisten eine ganze Stadt lahmlegen.

Trotz allem bin ich überzeugt: Wenn unsere Protest-Bewegung umzieht, ist das auch eine Chance. Es ist die Chance, sich neu zu orientieren und mit frischer Kraft loszulegen. Der Marktplatz ist ein guter, ein symbolischer Ort: Schließlich wehren wir uns permanent gegen einen Markt, nämlich gegen jenen Markt, der allein Profite im Auge hat, und zwar ohne einen Funken Respekt vor der Lebensqualität und der Identität unserer Stadt.

Ursprünglich sollte ich heute Abend bei dieser Montagsdemo aus aktuellem Anlass nur in einer speziellen Mission sprechen: nämlich als Vertreter meines Berufs und als Mitglied der Deutschen Journalisten Union in der Gewerkschaft Verdi. Am morgigen Dienstag sowie am Mittwoch treten viele Stuttgarter Journalistinnen und Journalisten der Tageszeitungen zum zweiten Mal innerhalb der laufenden Tarifverhandlungen in den Streik. Wir fahren zu einer zentralen Kundgebung nach München, wo wir u. a. die ebenfalls streikenden Kolleginnen und Kollegen der Süddeutschen Zeitung treffen. Wer es nicht wissen sollte: Die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung gehören neben anderen Blättern zum selben Konzern, der Südwestdeutschen Medienholding mit Sitz in Stuttgart.
Dieses Thema mag Ihnen jetzt angesichts der aktuellen S21-Lage etwas befremdlich erscheinen. Und zuerst dachte ich daran, diese Rede heute nicht mehr zu halten. Aber dann ging mir auf: Streiks und Demos, die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit haben sehr wohl miteinander zu tun. Demnächst werden uns die herrschenden Politiker sagen: Ja, streiken dürft ihr, aber nur, wenn es keinen von uns stört. Streik-Kundgebungen sind gefälligst zu unterlassen, wenn sie den Verkehr auf den Stadtautobahnen beeinträchtigen. Und es wird sich ein Richter finden, der ihnen Recht gibt und uns als Zumutung abstempelt.

Nun ist mir in den vergangenen Jahren nicht entgangen, welchen Ruf Journalisten speziell bei den Stuttgart-21-Gegnern haben, abgesehen davon, welchen Ruf der Journalismus überhaupt genießt. Und der Pressefreiheit selbst scheint es zu ergehen wie der Versammlungsfreiheit: gewissen Herrschaften gilt sie als Zumutung.

Allerdings höre ich oft auch seltsame Mutmaßungen über den Journalismus, Klischees, die nicht viel mit der Realität zu tun haben. Man muss wissen: Manche Redakteure vertreten ihre stockkonservative Meinung nicht, weil der Verlag sie dazu gezwungen hat. Es gibt welche, die das freiwillig tun, aus welchen Gründen auch immer – und nicht, weil es ein Zensor von ihnen verlangt.

Doch nach wie vor gibt es Journalisten, die gute Arbeit und demokratische Aufklärung leisten, Menschen, die einiges riskieren, um die Wahrheit zu berichten. Nicht umsonst hat das Kommunikationsbüro von S21 die Stuttgarter Zeitung verklagt. Aufrechte Berichterstatter sollen mundtot gemacht werden.

Der Begriff Kommunikationsbüro ist dazu da, die Leute zu täuschen. Kommunikation bedeutet Austausch, Dialog. Dietrichs Truppe aber verbreitet die Propaganda der Großprojekt-Profiteure. Und damit sind wir beim Journalismus: Schlecht bezahlte Reporter in Existenznot könnten den Angriffen solcher Kartelle viel weniger standhalten als selbstbewusste Kollegen mit ordentlichen Gehältern.

Bereits an diesem Mittwoch sind in Berlin die nächsten Tarifverhandlungen für Tageszeitungsjournalisten. Und auch diesmal geht es in dieser Branche de facto nicht um höhere Gehälter. Im Gegenteil. Der Bund Deutscher Zeitungsverleger stellt Minus-Forderungen; Journalisten sollen künftig weniger verdienen. Die Zeitungskrise, oft genug von unfähigen, konzeptlosen Managern hausgemacht, dient den Unternehmern als Rechtfertigung – dass die meisten Verlage nach wie vor stattliche Gewinne einfahren, verschweigen sie. – Nun können Sie, meine Damen und Herren, achselzuckend sagen: Es ist uns Protestlern wurscht, wenn die Zeitungsfritzen weniger Kohle bekommen. Sie tun ja eh nix für uns; in den Zeitungen finden sich immer mehr amtliche Verlautbarungen, viele Texte sind kaum verhüllte parteipolitische Propaganda.

Nur: Schlecht bezahlte Journalisten werden in Zukunft generell keine gute Arbeit mehr leisten können. Die Qualität wird vollends vor die Hunde gehen. Guter Journalismus ist ja nicht, wie viele hier glauben, eine Frage der richtigen Meinung. Qualitätsjournalismus ist vor allem eine Frage der Handwerklichkeit. Und gutes Handwerk kostet Geld. Wenn nur noch Kaufleute und Controller über den Journalismus bestimmen, verlieren wir eine demokratische Instanz. Es wird noch leichter sein, hohe Werte wie die Versammlungsfreiheit klammheimlich abzuschaffen.

Beim letzten großen, 30 Tage dauernden Zeitungsstreik vor zweieinhalb Jahren ist mir aufgegangen, was das Wort Arbeitskampf für uns bedeutet: Viele von uns Journalisten kämpfen um ihre Arbeit an sich, um den Inhalt, um den Sinn dieser Arbeit. Da geht es nicht nur um sogenannte soziale Besitzstände. Viele von uns verteidigen ein Instrument der Demokratie, wir nehmen die Sache ernst, und wir wollen den Leuten gute Geschichten erzählen. Meine Geschichte geht hiermit zu Ende. Es war mir wichtig, aus aktuellem Anlass ausnahmsweise mal in eigener Sache zu sprechen. Streiken Sie im Geiste mit uns mit – wir müssen ja nicht nur oben bleiben. Wir müssen standhaft bleiben und uns wehren gegen die da oben und die Abschaffung demokratischer Rechte. Ob wir uns am Bahnhof oder auf dem Marktplatz treffen, ist nicht entscheidend. Wichtig ist: Wir müssen auf der Straße bleiben. – Vielen Dank!

Rede von Joe Bauer

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2 Antworten zu Rede von Joe Bauer bei der 202. Montagsdemo

  1. Guenther Rienth sagt:

    wer demokratische Mehrheitsentscheidungen nicht respektiert sollte das Wort ‚Demokratie‘ lieber nicht mehr in den Mund nehmen und sich darauf berufen!

    • K. Neumann sagt:

      In dem Fall ist es wohl so, dass nicht nur die 3 Finger bei dem von Ihnen auf Joe Bauer ausgestreckten auf Sie zurück weisen, sondern gleich alle restlichen acht, wenn das mit dem Daumen links denn so geht.

      Wenn es den Straftatbestand des vorsätzlichen Betruges für Richter gäbe, dann wäre er für jene Richter am VGH Mannheim erfüllt, die 2006 S21 rechtlich in seiner Leistungsfähigkeit legitimiert haben. So viel als Vorspann und Barriere, sich auf die rechtliche Legitimation zurück ziehen zu können, wenn Sie dann weiter unten Ihre verfassungsrechtlichen Vorstellungen von den Grundlagen unserer Demokratie zerschossen vorfinden werden.

      Und ja, das bedarf einer aktuellen Erweiterung. Wenn sich Richter am BVerfG genau auf dieses Betrugsurteil im Namen des Volkes berufen, um den Abriss in der Sängerstrasse zu legitimieren, dann wären diese mit ihrer vorgeschützten Verfahrenskonformität genau so dran, weil sie es hätten besser wissen müssen. Das noch als ergänzender Zusatz zu den sauberen Herren Richtern am VGH Mannheim.

      Aber da können wir lange warten, auf ein Strafgesetzbuch für unsere „unabhängigen“ Richter. Die Politik wird sich ihre Deckung durch sagen wir einmal charakterlich unreife Persönlichkeiten in entscheidenden Positionen durch solche von mir vorgeschlagenen Strafftatbestände für Richter nicht selber weg schiessen.

      Kommen wir zu Ihrem Demokratieverständnis, das genau wie das der Landesregierung in der Interpretation der VA nicht auf dem Boden des GG steht.

      Sie sollten zu diesem Punkt wissen, dass da ein kleiner aber feiner Unterschied zwischen politischer Gestaltungskraft, das heisst hier konkret der Lüge der Landesregierung von einer verlorenen oder gewonnenen VA, je nachdem, besteht und der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit des Gleichstellungsprinzips als ungleich höherer rechtlicher Norm als die einer politischen Lüge. Die Landeswahlleiterin hat das einem Schreiben auf Anfrage genau zu diesem Punkt auf den Punkt gebracht. Das können Sie hier nachlesen http://www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/Landeswahlleiterin-001.pdf

      Aber lesen will eben auch gelernt sein, und wenn man über die Stelle hinaus, wo man sein Kreuzchen bei der Wahl „richtig“ zu machen hat, von den Grundlagen unserer Demokratie nicht viel oder in dem Fall nichts versteht, dann ist das wohl hier auch nicht einzufordern, zumal wenn ungeprüft die Lügen der Staatsrätin Frau Erler nachgeplappert werden, weil man Demokratie nicht selber gestalten kann oder möchte, sondern sich lieber durch Betrüger diese vorkauen lässt.

      Und ich werde nicht müde und benutze auch die Gelegenheit hier, um auf den verrotteten Charakterzustand eines der ersten Richter dieser Republik, den ich als pars pro toto nach dem ESM-Urteil für den Gesamtzustand dieser Spruchkammer sehen darf, zu verweisen, und der einem Herrn Oettinger, der am „Vorabend“ des ESM-Urteils das Gericht aufforderte, sich den demokratischen Mehrheiten nicht zu verweigern, in nichts in seinem Rechtsstaatsverständnis nachzustehen scheint, hier https://www.facebook.com/alternativefuer.de/posts/326232367502331

      Diese Menschen zerstören unsere Verfassungsinstitutionen von innen heraus, ohne das der Landesverfassungsschutz tätig wird, der solches oben drein deckt: denn hier werden nicht jene observiert, die die Verfassungsinstitutionen beschädigen sondern jene, die sie in ihrem Ansehen erhalten sehen wollen. Diesem dient der immer noch gültige Rahmenbefehl aus dem Jahre 2011.

      Da ich Bonhoeffer verehre und da insbesondere seine Ausführungen über den Dummen als ein sehr schönes Erklärungsmodell für den ewig „modernen“ Zustand unserer Gesellschaft(en) schätze, gebe ich Ihnen noch den Rat, dort nachzulesen. Ich wünsche eine mehr oder weniger angenehme Ent-deckungsrise in das Innere jenes Menschen, der heute diese Gesellschaft macht und in ihr nicht nur das grosse Wort führt sondern auch das Sagen hat.

      Das soziale Gefüge einer Gesellschaft samt dieser Erde als Heim für den Menschen ist auf Dauer für so etwas nicht „kapitalisiert“. Und genau dieses Problem treibt Ihr rechtlich und demokratisch legitimiertes Projekt lokal auf die Spitze.
      Die Menschen spüren das nicht nur. Sie wissen es. Und die Bahn samt Landesregierung will sich diesem Wissen nicht stellen. Und die Menschen emfinden es daher unter diesen Umständen als ihre Pflicht, als Menschen in Verantwortung vor dem Ganzen, ihre Lebensgrundlagen wenigstens lokal selbst zu verteidigen, die Lebensgrundlagen, die die durch ihr Mandat betraute Politik verraten hat. Think globally act locally. Here it is.

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