Reden von Michael Stiegler und Vitus Walch bei der 239. Montagsdemo

Reden von Michael Stiegler und Vitus Walch, DB European Railservice, am 22.9.2014

Nachtzüge müssen erhalten bleiben!

Meine Damen und Herren!
Sie können heute kurz nach Mitternacht zum Stuttgarter Bahnhof gehen und dort mit einem Nachtreisezug nach Paris oder nach Amsterdam fahren. Dieser Zug fährt jeden Tag und falls Sie das einmal ausprobieren möchten: Sie sollten sich beeilen, denn nächstes Jahr wird Paris für Stuttgart wegfallen. Für Sie hier bleibt nur noch der Nachtreisezug nach Amsterdam übrig.

Aber dafür – das wird Sie sicherlich trösten – können Sie dann in einigen Jahren von einem der innovativsten, schönsten und teuersten Bahnhöfe Europas aus nach Amsterdam reisen.

Denn das ist ja klar und sicherlich der Deutschen Bahn vornehmstes Ziel: Lieber weniger Zugverbindungen – dafür aber schickere Bahnhöfe für Züge und Busse.

Bis vor wenigen Jahren war das hier noch anders: Bis in die 90er Jahre hatte die Bahn in Stuttgart einen eigenen Betrieb für Nachtreisezüge. Bis 2007 gab es in Kornwestheim eine Verladestation für Autos und Motorräder.

Ich nenne Ihnen mal einige Städte, die man früher von Stuttgart aus mit Nacht- oder Autoreisezügen direkt anfahren konnte: Dresden und Berlin, Westerland auf Sylt, Sassnitz auf Rügen, Amsterdam in Holland, Oostende in Belgien, Ljubljana in Slowenien, Rijeka und Split in Kroatien, viele Städte in Italien wie Rimini, Rom und Neapel, Avignon und Narbonne in Südfrankreich.

Und es gab einen Nachtzug von Paris über Stuttgart nach Bukarest. Bis Bukarest – und dass alles mit Kopfbahnhöfen! Wie die das damals wohl hingekriegt haben? So, und wie gesagt: Davon ist nichts übrig. Nächstes Jahr bleibt Ihnen in Stuttgart nur noch Amsterdam übrig.

Nachtzüge sind Hotels auf der Schiene. Das Attraktive für viele Reisende daran ist, dass man zunächst einmal ohne Umsteigen europäische Städte anfahren kann. Und attraktiv ist auch, dass man das über Nacht tun kann: Sie sparen sich bei einem Urlaub also einen ganzen Tag – oder zwei Tage, wenn Sie mit dem Nachtzug hin- und zurückfahren.

Und wenn ich gerade vom Sparen rede: Eine Fahrt im Nachtzug ist preiswerter, als Sie vielleicht denken – Sie kommen damit zum Beispiel schon für 39 Euro von München nach Rom. Nachtzüge sind also nicht nur Hotels, sondern auch Hostels auf der Schiene.

Autoreisezüge haben einen weiteren Nutzen: Hier können Sie zusätzlich mit dem Zug ihr Fahrzeug mitnehmen. Diese Autoreisezüge sind besonders interessant für lange Strecken, bei denen man sich die Mühen der langen Auto- oder Motorradfahrt ersparen möchte.

Für all diese Züge gibt es in ganz Europa nach wie vor eine große Nachfrage. Viele unserer Züge sind oft komplett ausgebucht. 2013 sind fast 1,8 Millionen Menschen mit Nacht- und Autoreisezügen gefahren, die Fahrkartenerlöse alleine in den Nachtreisezügen lagen bei über 120 Millionen €.

Und trotzdem beabsichtigt die Bahn, alle Autoreisezüge bis 2017 abzuschaffen. Die Nachtreisezüge sollen immer mehr ausgedünnt werden. Und sollte die Deutsche Bahn in den nächsten drei Jahren sich nicht dazu entscheiden, in den Nachtreiseverkehr neu zu investieren, sollten wir alle davon ausgehen, dass es ab den 20er Jahren in Deutschland keinen Nachtreisezug mehr geben wird.

Meine Damen und Herren!
Wenn Sie über das Internet eine Fahrkarte kaufen wollen, werden Sie aufgefordert: „Jetzt die BahnCard kaufen und mit 100% Ökostrom reisen!“ Diese BahnCard ist grün und überhaupt: Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, warum die Deutsche Bahn seit ein bis zwei Jahren so sehr auf die Farbe Grün abfährt? Na klar! Grün ist sauber, grün ist ökologisch, grün ist gut!

Doch in diesem Jahr hat sich die Deutsche Bahn etwas ausgedacht, was aus ökologischer Sicht nur noch als Wahnsinn bezeichnet werden kann. Das Verkehrsangebot „Autozug“ – das ist ein Wort – wurde umbenannt in „Auto + Zug“.

Und hinter diesem „+“ lauert die Verrücktheit, dass Ihr Auto nicht mehr mit dem Autotransportwagen im Zug, in dem Sie selber reisen, mitgeführt wird. Vielmehr soll Ihr Auto Huckepack auf einem LKW transportiert werden und dieser bahnt sich seinen Weg zu Ihrem Ziel über die Autobahn. Sind Sie dann an Ihrem Reiseziel angekommen, müssen Sie halt noch mit dem Nahverkehr zu der Stelle fahren, wo Sie dann Ihr Auto abholen können.

Das „+“ in „Auto + Zug“ ist daher ein einziges Minus: Es ist nicht grün und es steht für den Verlust an Reisequalität. So werden Sie künftig natürlich nicht mehr am Hauptreisetag für Urlauber fahren können: Am Wochenende sind bekanntlich viele europäische Autobahnen für den Lastverkehr gesperrt.

Es macht keinen Sinn. Die Autobahnen sind voll und die Deutsche Bahn will sie noch voller machen. Widerspricht das nicht der grundsätzlichen Idee eines Eisenbahnverkehrs? Widerspricht das nicht dem gesellschaftlichen Auftrag an eine Bahn?

Zu den offiziellen Begründungen der Deutschen Bahn, die Nacht- und Autoreisezüge einzustellen, möchte ich einige kritische Anmerkungen machen:

  • Die Deutsche Bahn behauptet, dass in Nacht- und Autoreisezüge immer weniger Reisende fahren.
    Das ist richtig. Es ist aber nur deshalb richtig, weil die Deutsche Bahn seit der sogenannten „Bahnreform von 1994“ selber immer weniger Züge angeboten hat. Keineswegs ist es so, dass die Nachfrage nach Nacht- und Autoreisezüge so natürlich und im Lauf der Zeit abstarb wie bei – sagen wir mal – Schreibmaschinen.
  • Die Deutsche Bahn behauptet, die sogenannten Billigflieger schaden dem klassischen Nachtreisegeschäft der Bahn.
    Aber ich sage: Viele unserer Kunden wollen sich nicht in einen Flieger zwängen. Viele unserer Kunden ziehen es vor, von Stadtmitte zu Stadtmitte zu reisen und nicht lange und unbequeme Fahrten zu und von Flughäfen in Kauf nehmen zu müssen.
  • Die Deutsche Bahn behauptet, dass die Einnahmen die Produktionskosten von Nacht- und Autoreisezügen nicht mehr decken.

Dazu möchte ich zweierlei sagen: Erstens macht die Deutsche Bahn ihre Kostenkalkulationen zu Nacht- und Autoreisezügen nicht transparent. Sie macht sie nicht transparent, was die Kosten der Zugproduktion betrifft, und sie macht auch nicht transparent, was die Vernetzung im Gesamtgefüge der Bahn betrifft.

Sehen Sie, ich bin Zugführer in München. Wenn ich einen Nachtzug von Rom nach München bringe, so reisen nach meiner Erfahrung in München etwa die Hälfte meiner Gäste mit Fernverkehrszügen weiter. Gäbe es den Nachtzug aus Rom nicht, würde darunter sicherlich auch die Auslastung der deutschen Tages-Fernverkehrszüge leiden. Aber zu diesem Risiko sind mir keine Berechnungen der Deutschen Bahn bekannt.

Zweitens: Selbst wenn die Produktionskosten von Nacht- und Autoreisezügen durch Fahrkarteneinnahmen nicht gedeckt werden können: Wer schreibt denn vor, dass jedes Geschäftsfeld der Deutschen Bahn Plus machen muss? Wieso sollte es in einem Konzern, der in unser aller Besitz ist und der ein öffentliches Gut bereitzustellen hat, nicht möglich sein, defizitäre aber stark nachgefragte Güter durch die riesigen Konzerngewinne weiterhin am Leben zu erhalten?

Meines Erachtens muss man spätestens jetzt auf die politökonomischen Zusammenhänge blicken. Und dabei stößt man auf dieselben Fehlentwicklungen, die auch zu einem Irrsinns-projekt wie Stuttgart 21 geführt haben.

Mit der sogenannten „Bahnreform“ von 1994 wurde die Deutsche Bahn dem marktwirtschaftlichen Rentabilitätsdenken radikal unterworfen. Alle Geschäftsfelder wurden in eigene Unternehmen separiert, die fortan – jedes für sich – Gewinne erwirtschaften mussten. In einem öffentlichen Gut wie der Infrastruktur ist so etwas aber nur mit unerwünschten Verlusten möglich.

Denken Sie an den Abbau der Fahrkartenschalter in vielen Bahnhöfen. Denken Sie an die Einstellung der vielen Interregio-Züge, also an das Bindeglied zwischen Regional- und Fernverkehr.

Diese Fehlentwicklung bei der Deutschen Bahn, sich ausschließlich auf Gewinne zu konzentrieren und dabei das Kundeninteresse zu ignorieren: Das erlebt Ihr Stuttgarter an Eurem Bahnhof. Der wird nicht gebaut, damit Ihr es hier besser habt, sondern damit Banken, Baufirmen, Architekturbüros, Immobilienhändler und am Ende all die tollen Discounter in den Bahnhofshallen Gewinn machen können.

Hier in Stuttgart wird ein sehr großes Rad gedreht. Unser Geschäft, in dem wir beide arbeiten, ist dagegen verhältnismäßig klein. Aber was hier in Stuttgart abläuft und was bei uns abläuft, das folgt demselben, falschen Prinzip.

Wir möchten den Veranstaltern und Euch danken, dass wir hier bei Euch reden durften. Wir demonstrieren übermorgen zusammen mit hoffentlich vielen Kollegen und Fahrgästen in Berlin vor dem Bahntower und werden mehrere Tausend Protestpostkarten an den Bahnvorstand übergeben, auch die, die ihr heute ausfüllt. Wenn Ihr weitere Informationen wollt, so haben wir Info-Material an dem Stand ausgelegt.

Weiterführende Links:

Aktionsbündnisse gegen die Einstellung von Nacht- und Autoreisezügen:
http://www.petitions24.com/save_the_night_train_from_denmark_to_europe
http://savethenighttrain.eu/
http://www.autoreisezuege-haben-zukunft.de/
http://autoreisezug-retten.de/
https://www.change.org/
http://petities.nl/petitie/red-de-nachttrein-naar-kopenhagen-praag-en-warschau
Geschichte der Nachtreisezüge in Deutschland:
http://www.mitropafreunde.de/
Infos zu Nacht- und Autoreisezügen europaweit:
http://www.wagonslits.de/

Redetext als PDF-Datei

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