Prozessbericht: Verurteilung trotz Ermittlungsschlamperei

Rodung bei Bolzplatz                                               An der Ehmannstraße am 25. 2.2013

Rückblick zum Nachlesen: Stuttgarter Nachrichten, 25.2.2013: „Stuttgart 21: Demonstranten behindern Baumfällarbeiten. Mit 83 Fotos.“

Schaut man sich die Fotos jenes Montag, 25. Februar 2013, an (s.o.) und hört die Berichte der DemonstrantInnen, so wird deutlich, welch ein emotionales Ereignis die Baumfällungen an der Ehmannstraße war. Es spricht für die K21-Bewegung, dass sie sich dem Baummassaker am Rande des Rosensteinparks mit einer Demonstration entgegengestellt hat. Eindrucksvolle Bilder zeigen Trauer, Wut, Zorn und letztendlich die Hilflosigkeit, mit der über 50 Menschen ihren Protest zum Ausdruck brachten. Das überaus große Aufgebot an Polizei bewies, dass sich die Beamten an diesem Morgen auf eine Demonstration eingestellt hatten.
Das Ereignis „Ehmannstraße“ fand nun – fast zwei Jahre danach - am Montag, 25. März 2015, in einem Prozess am Amtsgericht einen vorläufigen Schlusspunkt.

Baumrodung trotz unsicherer Projektlage
Zur Erinnerung: Mitte Februar 2013 wurde bekannt, dass die DB im Bereich der Ehmannstraße am Rosensteinpark ausgedehnte Baumrodungen vornehmen lassen würde. Unbestätigten Vermutungen zufolge stand zu dieser Zeit das Projekt S21auf der Kippe, denn am 5. März sollte bei der Aufsichtsratssitzung der Bahn entschieden werden, wie es mit dem Projekt weitergeht; mit der Option, dass es gestoppt wird. (Die Stuttgarter Zeitung berichtete genau am 25.2.2013 ausführlich darüber, unter dem Titel „Bahn: Weiterbauen ist etwas wirtschaftlicher“ )
Aus diesem aktuellen Anlass – vollendete Tatsachen sind eine beliebte Entscheidungshilfe - musste die Rodung noch vorher vorgenommen werden. Ein weiterer Druck entstand durch das Fällverbot von Bäumen mit Beginn der Wachstumsperiode am 1. März. So gab es zwei aktuelle Anlässe, mit einer Versammlung an der Ehmannstraße den Widerstand zu zeigen. Durch anwesende Pressevertreter der lokalen Zeitungen, die später mit Text und Fotos berichteten, war für Öffentlichkeit gesorgt.

Demonstration, Versammlung und Blockade
Die Parkschützer hatten in Erfahrung gebracht, dass am 25. Februar morgens Baumfällfahrzeuge für die Rodungen anfahren würden, und ca. 50 DemonstrantInnen kamen mit Protestschildern und stellten sich den anrückenden Fahrzeugen in den Weg. Die Polizei schob die DemonstrantInnen z.T. mit Gewalt aus dem Weg. Letztendlich blockierten acht DemonstrantInnen den Bagger. Die Polizei trug nach Aufforderung einige Demonstranten weg, andere gingen selbstständig zum Polizeiwagen zur Erfassung der Personalien. Acht DemonstrantInnen bekamen einen Strafbefehl wegen gemeinschaftlicher Nötigung, wovon eine Demonstrantin Widerspruch gegen die Zahlung von 25 Tagessätzen einlegte. Sie erschien am vergangenen Montag mit ihrem Anwalt am Stuttgarter Amtsgericht zur Verhandlung. „Du hast keine Chance, aber nutze sie,“ mag sie sich gedacht haben.

Prozessverlauf
Richter Gutfleisch eröffnet um 9:30 Uhr die öffentliche Hauptverhandlung; er stellt die Personalien und Einkommensverhältnisse der Angeklagten L. fest. Diese gibt an, sich im Verlauf der Verhandlung nicht zu den Vorfällen äußern zu wollen.
Staatsanwältin Fischer verliest die Anklage wegen gemeinschaftlicher Nötigung, die da lautet, die Angeklagte habe am 25.2.2013 gegen 6 Uhr morgens mit sieben anderen einen Bagger blockiert, hinter dem ein LKW und weitere PKWs standen. Sie habe damit beabsichtigt, die Bauarbeiten von S21 zu behindern und die Fortsetzung der Bauarbeiten längstmöglich zu verhindern.
Anwalt Döhmer erkundigt sich zu Beginn der Verhandlung nach dem Ladungssystem des Gerichts, da sechs Polizeibeamte, jedoch keine Tatzeugen geladen seien. Ihm wird beschieden, dass zwei der Polizeizeugen vor Ort gewesen seien.

Beweisaufnahme
Erster Zeuge: Polizeihauptmeister F. wird zu seiner Funktion bei der Auflösung der Blockade gefragt. „Ehrlich gesagt, wundert es mich. Mit der Sache habe ich nichts zu tun gehabt. Ich wurde nur dazugerufen wegen Herrn B. Was vor Ort geschah, weiß ich nicht. Ich war stellvertretender Sachbearbeiter und kann nur sagen, was in der Akte steht.“ Auf die Frage des Richters, um was es gegangen sei, antwortet er: „Um eine Blockade. Mehr habe ich nicht mitbekommen.“ So ist der erste Zeuge, der nichts gesehen hat und nichts sagen kann, nach einer Minute entlassen.

Polizeivideo
Anschließend soll ein Polizei-Video von der Blockade gezeigt werden. Hier wird die Misere des Amtsgerichts deutlich, was das Thema „Öffentlichkeit“ angeht. Einen kleinen Laptop will der Richter so drehen, dass das Publikum das Video von seinen Plätzen aus verfolgen kann. Einwand des Anwalts: „Die Öffentlichkeit ist von einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung ausgeschlossen, wenn das Gericht verbietet, dass sich die Zuhörer von den Plätzen erheben, um das Video anzusehen.“ Trotz des Widerspruchs des Anwalts gegen die richterliche Anordnung (die Plätzen nicht zu verlassen) bleibt der Beschluss bestehen.
Nach Ansehen des Videos fasst der Anwalt verbal zusammen, dass er auf dem Video eine Versammlung gesehen habe, Transparente gegen S21 bzw. die Rodungen, dass polizeiliche Maßnahmen ergriffen wurden, ohne dass die Polizei die Versammlung zuvor aufgelöst habe. Eine Handlung wie im Strafbefehl aufgeführt, habe er nicht erkannt.

Zweiter Zeuge: Nun erscheint die Polizistin T., die zu einer mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit gehörte. Ihr Auftrag sei es gewesen, die Gleise zu schützen, d.h. eventuelle Gleisblockaden und Gleisüberschreitungen zu unterbinden. Sie habe den Polizeiwagen gefahren und sei durch den vor ihr stehenden LKW an der Weiterfahrt gehindert worden. Nach 15 Min. habe die Landespolizei die Blockade aufgelöst. Sie sei nicht ausgestiegen, habe aber gesehen, dass der Bagger blockiert wurde, alles andere habe sie nicht gesehen. Sie sei von der rechten Straßenseite zur linken gefahren, um eventuellen nachfolgenden Einsatzfahrzeugen den Weg freizumachen. Dadurch konnte sie den Bagger sehen. Personen habe sie nicht gesehen. Auf die richterliche Frage kurz nach dieser Aussage, auf welche Art denn blockiert wurde, sagt sie: „Die Demonstranten kamen langsam auf den Bagger zu, sie hatten Schilder mit S21 dabei und haben Parolen abgegeben. Sie haben den Bagger umringt und mit dem Baggerfahrer diskutiert." (Anmerkung: Wenn sie keine Personen gesehen hat, warum macht sie anschließend diese detaillierte Aussage?) In der folgenden Befragung verheddert sie sich so sehr in ihren Aussagen zum Bagger, zum Verhalten der Demonstranten und zu Uhrzeiten, dass hier auf eine Wortwiedergabe verzichtet wird. Die Landespolizei habe die Blockade sachgemäß aufgelöst, berichtet sie. Auf die Frage nach dem Wie antwortet sie: „Weiß ich nicht.“ (Anm.: Woher weiß sie dann, dass die Auflösung sachgemäß war?) Und weiter: Polizeikommissar K. habe Kontakt mit mehreren Fahrzeugführern gehabt. Er habe sie, die Polizistin T., gebeten, eine Anzeige zu machen. (Anm.: PK K. wird später als Zeuge aussagen, dass er nicht vor Ort war.)

Der E-Mail-Verkehr
Im weiteren Verlauf der Verhandlung wird als Beweis für eine Korrespondenz mit PK K., eine E-Mail herangezogen. Der Richter genehmigt nicht das öffentliche Verlesen des Textes, doch dreht es sich in der folgenden Verhandlung um den Inhalt. Hier erfährt man, dass Frau T. am besagten Morgen um 8:00 Uhr schon einmal im Bereich der Ehmannstraße gewesen war, eine Pause machte und sich wieder auf den Weg zu den Gleisen begab, die sie beschützen sollte. Dabei wurde sie von dem LKW gestoppt. Der Anwalt bittet den Richter, der Zeugin das Video zu zeigen, da sich ihre bisher gemachten Aussagen nicht mit dem Film deckten. Er will damit die Zeugin vor Falschaussagen schützen. Dies lehnt der Richter ab. Die Zeugin wird entlassen.

Fehlende Hauptzeugen
Zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass die angeblichen Nötigungs-Opfer (Baggerfahrer und LKW-Fahrer) nicht als Zeugen geladen sind. Der Anwalt stellt fest: „Ich befürchte, dass Stuttgarter Landrecht angewendet wird und nicht die Strafprozessordnung. Sie haben einseitig Zeugen geladen, nur Polizeizeugen. Der Baggerführer müsste ermittelt werden.“ Er denke darüber nach, einen Antrag auf Befangenheit des Richters zu stellen, da auch noch andere Punkte der Strafprozessordnung verletzt wurden, wie z.B. wiederholte Unterbrechung der Befragung des Anwalts. Dennoch sehe er von einem Befangenheitsantrag aus prozessökonomischen Gründen ab. Würde diesem Antrag stattgegeben, müsste das zur Verzögerung des Verfahrens führen. Die Verhandlung wird also fortgeführt.

Dritter Zeuge: Polizeikommissar K. sagt, dass er damals in der Abteilung Staatsschutz war und die Akte und das Beweisvideo zu dem Vorfall bekommen habe. Er war beauftragt worden, die Geschädigten und Beschuldigten zu vernehmen. Der Baggerführer konnte aber nicht befragt werden, da er nicht zu ermitteln war. (Anm.: Fotos des Fahrers, Firmenanschrift und Telefonnummer sind in wenigen Minuten zu ermitteln, siehe Fotoserie StN und Titelfoto dieses Berichts.) PK K. schildert die Situation an der Ehmannstraße nach Aktenlage, da er nicht vor Ort war.

Im Folgenden kommt es zu einem Disput zwischen Anwalt und Richter, der die StPO § 250, die persönliche Vernehmung von Zeugen, betrifft. Der Anwalt verlangt, die direkten Zeugen zu hören: Bagger- und LKW-Fahrer. Da der Richter nicht darauf eingeht, hält der Anwalt dieses Vorgehen als Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Der Antrag des Anwalts auf Einhaltung von § 250 StPO wird in einem Beschluss zurückgewiesen und die Befragung des Zeugen fortgesetzt. Nachdem der Anwalt nochmals anmahnt, die unmittelbaren Zeugen zu hören und nicht die Personen, die die Vorgänge vom Hören-Sagen kennen und wieder zurückgewiesen wird, wird der Zeuge entlassen.

Vierter Zeuge: Polizist H. war derjenige, der die Angeklagte bei der Blockade angesprochen und zum Polizeiauto geführt haben soll, um ihre Personalien aufnehmen zu lassen. Er kann sich nicht an das Gesicht der Angeklagten erinnern, aber da er an dem Tag nur eine Person weggeführt hat, „müsste es diejenige sein.“ Mit seinem Einsatzzug habe er die Lage rund um die Blockade gesichert.
Nach dieser letzten Befragung schließt der Richter die Beweisaufnahme. „Ich wäre durch mit den Beweisen … die Sache ist für mich so klar“.

Plädoyer der Staatsanwältin
Für die Staatsanwältin steht fest, dass die Angeklagte an der Straßenblockade teilgenommen hat. Ihr Ziel sei gewesen, die Rodungsarbeiten zu behindern. „So konnte der Bagger nicht weiterfahren, denn wenn er weitergefahren wäre, … Durch Ihr Verhalten konnten andere Fahrzeuge ihren Weg nicht fortsetzen. Sie blieben 15 bis 20 Min. stehen.“ Dieses Verhalten falle unter Nötigung. Es habe keine Notsituation gegeben. Auch Absatz 2 des Nötigungsparagraphen sei erfüllt: die Verwerflichkeit. (Anm.: Beim Tatbestand der Nötigung muss das Verhältnis des eingesetzten Nötigungsmittels im Hinblick auf den angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen sein und ist dann verwerflich, „wenn die Nötigung sittlich derart missbilligenswert ist, dass sie ein gesteigertes strafwürdiges Unrecht darstellt.“)
Die Staatsanwältin wägt ab, ob das Verhalten der Angeklagten ein strafwürdiges Unrecht sei und bejaht es, da die Straßenblockade „einzig und allein dazu diente, die Rodungsarbeiten zu verhindern.“ Dieses Verhalten sei nicht vom GG Art. 8 gedeckt und so sei es ihr nicht erlaubt gewesen, Zwang auszuüben. (Anm.: Die StAin unterstellt der Angeklagten einen niederen Beweggrund, der weder vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung noch vom Versammlungsrecht gedeckt sei. Sie erkennt hiermit die Versammlung nicht an, von der jedoch alle Polizeizeugen gesprochen hatten. Der Angeklagten unterstellt sie individuelle Ziele für ihr Handeln, d.h. den Protest gegen die Rodung, nicht aber die Teilnehme an einer Versammlung.)
Bezüglich des Strafmaßes führt sie an, dass vom Gesetzgeber entweder Geldstrafe oder Freiheitsstrafe vorgesehen seien. Da die Angeklagte noch nie straffällig geworden sei und die Verzögerung der Rodungsarbeiten im unteren Bereich von 15 Min. lag, könne man bei einer Geldstrafe bleiben. Leider habe die Geständnisfiktion gefehlt. (Anm.: Bei der „Geständnisfiktion“ geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Beschuldigte seine Schuld eingesteht, wenn er den Strafbefehl akzeptiert. Dieses Geständnis wirkt strafmildernd, was zunächst einmal angenommen wird; deshalb werden die Tagessätze im Strafbefehl nicht zu hoch gegriffen. Legt der Beschuldigte jedoch einen Einspruch gegen den Strafbefehl ein und kommt es zu einer Verhandlung, so wird dies als Nicht-Eingeständnis der Schuld ausgelegt und es gibt einen um 10 Tagessätze höheren Strafantrag der Staatsanwaltschaft.) Die StAin beantragt 35 Tagessätze je 20 Euro.

Plädoyer des Anwalts
Anwalt Döhmer fasst den Prozessverlauf und die für ihn und seine Mandantin relevanten „Knackpunkte“ zusammen, die da sind: Es wurden ausschließlich belastende Zeugen vernommen, es gab keine entlastenden Ermittlungen, obwohl StPO § 160 angewendet werden müsste. (Anm.: § 160,2: „Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln …“. Dies ist übrigens der am meisten vernachlässigte Paragraph bei Ermittlungen. Oftmals sind es erst die Angeklagten und Anwälte, die Fakten zur Entlastung mühsam zusammentragen, aber häufig werden Zeugen von ihrer Seite nicht anerkannt.) Der Strafrichter habe sehr wohl gemerkt, dass die Staatsanwaltschaft Fehler gemacht habe, aber nicht – wie man erwarten sollte – die Akten an die StA zurückgegeben, um korrekt zu ermitteln. Diese einseitige Sichtweise habe sich auch in der Nicht-Vernehmung des Baggerfahrers gezeigt, der leicht zu ermitteln gewesen wäre. Warum das „nicht möglich“ gewesen sei, sei ihm schleierhaft. „Das ist es, was ich mit Stuttgarter Landrecht meine“, fügt er hinzu. Es gebe vier Personen, die angeblich in ihren Fahrzeugen genötigt wurden, als Einzige wurde nur die Polizeizeugin vernommen. Auch hätte das Gericht Rechtsgespräche führen müssen, so dass man zu einer Einstellung nach StPO § 153,2 hätte kommen können.
Im Folgenden verliest er Hilfsbeweisanträge, in denen er Tatzeugen namentlich beantragt. Die Versammlung sei ein öffentlich sichtbarer Protest gewesen, ein Versammlungsverbot habe es nicht gegeben. Er beantragt den Leiter der Versammlungsbehörde zu vernehmen. (Anm.: Hilfsbeweisanträge werden im Schlussplädoyer gestellt für den Fall, dass es weder einen Freispruch gibt noch eine Einstellung nach StPO § 153. Bei Nichtbeachtung dieser Anträge wäre ein Revisionsgrund gegeben.)
Und zum Schluss des Plädoyers: Da die Versammlung nicht aufgelöst wurde, sei die Angeklagte nicht verpflichtet gewesen, den Platz zu verlassen. „Deshalb kann man meine Mandantin nicht verurteilen. Ich beantrage Freispruch“.

Das Urteil und seine Begründung
Um kurz nach 15:00 lautet das Urteil auf 15 Tagessätze je 20 Euro. In seiner Begründung bestätigt Richter G. den Sachverhalt wie im Strafbefehl geschildert. Zu seiner prozessualen Vorgehensweise und der Nichtbeachtung von Beweismitteln führt er StPO 420, 4 an („Im Verfahren vor dem Strafrichter bestimmt dieser … den Umfang der Beweisaufnahme“), ein Paragraph, der es ihm ermöglicht, Beweise zur Wahrheitsfindung heranzuziehen oder auch nicht.
Zu den Hilfsbeweisanträgen sagt er, dass es nicht darauf ankomme, ob der Bagger besetzt war oder nicht. Dass die Fahrer zu Fuß ihre Arbeit erledigt haben, ändere nichts an der Tatsache, dass ihr Wille gebrochen wurde, da sie ja eigentlich per Auto zum Arbeitsplatz fahren wollten. Er sehe den Tatbestand der Verwerflichkeit erfüllt und führt die 2.-Reihe Rechtsprechung an, worin ein Blockierer das erste Fahrzeug (Nötigungsmittel) als Hindernis benutzt, um das zweite Fahrzeug zu bremsen. Es seien zwei und mehr Fahrzeuge mindestens 15 Min. aufgehalten worden. Eine Verkehrsblockade sei in der Regel rechtswidrig, denn niemand habe das Recht, andere zu instrumentalisieren. Dennoch müsse man Nötigungszweck (Versammlung gegen die Rodung von Bäumen) und Mittel (Blockade) abwägen, denn immerhin seien die Artikel 5 und 8 des Grundgesetzes tangiert, welche beide einen hohen Schutz genießen sollten. Das Ziel einer Versammlung sei aber in diesem Fall nur bedingt erfüllt worden, da an dem Morgen an der Ehmannstraße keine Öffentlichkeit angesprochen werden konnte (Anm.: nur Presse und Polizeibeamte, die er nicht als unmittelbare Öffentlichkeit klassifizierte). „Ein Protest wäre auch neben der Baustelle möglich gewesen. Ihr Protest mit der Blockade war aber als Behinderung gedacht.“ Unbestritten sei, dass es sich um eine Demonstration gehandelt habe, aber eine Auflösung der Versammlung sei nicht nötig gewesen und so habe die Aufforderung der Polizei wegzugehen, ausgereicht. Er unterstellte, dass die K21-Protestbewegung in der Gesamtschau wohl eine Auswirkung auf das Projekt haben könnte, aber nicht eine einzelne Blockade. Eine Einzelaktion würde auch nicht mehr in den Medien erscheinen, weil es inzwischen viele Blockaden gegeben habe und deshalb keine öffentliche Aufmerksamkeit mehr zu erreichen wäre. Er halte es für lebensfremd zu denken, dass eine einzelne Blockade eine öffentliche Wirkung entfalten würde. Der Charakter dieser Blockade sei nicht vom GG Art. 5 und 8 geschützt, da keine Öffentlichkeitswirksamkeit stattfand (Anm.: Es stand ein Artikel mit vielen Fotos in der größten lokalen Zeitung, was beweist, dass gerade diese Versammlung eine starke öffentliche Wirkung hatte).
Die Rechte Dritter seien eingeschränkt worden und in der Abwägung zwischen dem Artikel 8 des Grundgesetzes und dem Recht des Individuums auf freie Entfaltung, müsse das Grundgesetz zurückstehen. Zwar habe der LKW-Fahrer mit der Hand arbeiten können, „… aber vom Baggerfahrer wissen wir nicht, ob er in den 15 Min. etwas anderes gemacht hat.“ (Anm.: Man hätte ihn ja mal fragen können.) „Insgesamt halte ich Blockadeaktionen für sozialwidrig und nicht geeignet, auf das Projekt einzuwirken, führte er aus. Deshalb könnten Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht in Anspruch genommen werden.
Als Begründung für die Strafzumessung von „nur“ 15 Tagessätzen hielt er der Angeklagten zugute, dass sie nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, dass die zeitliche Verzögerung für die Fahrer im unteren Bereich gewesen sei, dass sie sich bei der Beendigung ihrer Blockade kooperativ gezeigt habe und dass die Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren lang gewesen sei. Das fehlende Geständnis, das im Antrag der Staatsanwältin zu einer Strafverschärfung geführt hatte, habe er nicht berücksichtigt.

- Im Folgenden steht ein Kommentar zu dem Prozess „Ehmannstraße“. -

(Petra Brixel)

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten zu Prozessbericht: Verurteilung trotz Ermittlungsschlamperei

  1. Norbert Rupp sagt:

    Eine an Peinlichkeiten kaum noch zu überbietende Gerichtsposse. So urteilen nicht mal Gerichte im zentralen Kongo. Ich dachte immer, wir lebten in einem Rechtsstaat. Was sind das bloß für furchtbare Juristen (offenbar eine Besonderheit in BW)? Warum muss ich hier bloß immer an Bananen denken?

  2. James sagt:

    Ein großes Problem ist leider, es interessiert keine Menschenmassen was in Stuttgart passiert, auch durch das totschweigen der Medien! Aber jeder sollte die fatalen Folgen erkennen:
    Wehrt man sich NICHT gegen ein Unrecht(staat), gibt man denen, die es an einem begehen, die Berechtigung dazu und macht es mit zu einem Recht.

  3. Cindy sagt:

    Gestern Abend kam hat mein Mann noch einen Film angeschaut der mir zu viel an Aufregung
    brachte, deshalb habe ich noch kurz in BAA reingeschaut, was ich da zu lesen bekam stellte den Film im TV in den Schatten, nichts für hohen Blutdruck. Man könnte meinen wir sind im wilden Westen, wo man einfach diejenigen die nicht genehm sind abschießt und wie in diesem Fall sind es wie immer die, die für eine gerechte Welt kämpfen und die Jura offensichtlich gekauft ist. Während gegen sowas wie Mappus, Häussler, Stumpf etc. nicht einmal ein ordentliches Verfahren mit gerechten Richtersprüchen möglich ist, werden Andere, die bestimmt kein Verbrechen begangen haben schon im Vorfeld verurteilt. So große Bananen gibt es eigentlich gar nicht wie sie hierzulande wachsen.

  4. M.G.-B. sagt:

    Passt doch wie Faust aufs Gretchen: NSU, Ku Klux Klan u. die Kettenlügner von S21. Warum sollte die Justiz da abseits stehen? Die PolyTück hat uns doch längst betrogen, verraten u. verkauft – u. lebt gut damit: das Stimmvieh merkt’s nicht mal . . .

  5. PeterPan sagt:

    Das „Stuttgarter Landrecht“ feiert fröhliche Urständ im Stuttgarter Amtsgericht. Königlich Baden-Württembergisches Amtsgericht könnte in Anlehnung an das bayrische TV-Gericht diese Veranstaltung heißen. Einseitige Zeugenladungen, eine Staatsanwaltschaft die zwar nicht ermittelt, aber gerne verfolgt.
    Manchmal denke ich, im Jura-Studium ist eine Art Berufs-Paranoia inklusive. In Banana-Württemberg auf jeden Fall.

  6. Hans Georg Kuballa sagt:

    …unabhängiger Richter? Mitnichten… und ein Skandal… und leider nicht nur in BW… wir leben NICHT in einem Rechtsstaat, sondern in einer Bananenrepublik ersten Ranges… ich frage mich, wann werden derart ‚unabhängige‘
    Richter endlich zur Verantwortung gezogen??

Kommentare sind geschlossen.