Rede von Matthias von Herrmann bei der 275. Montagsdemo

Langfassung der Rede von Matthias von Herrmann, Parkschützer, auf der 275. Montagsdemo am 15.6.2015

Rettet unsere Stadtbahn vor Stuttgart 21!

Heute vor einer Woche hat die Deutsche Bahn damit begonnen, den hier schon oft zitierten Nesenbach-Düker zu bauen. Dies ist quasi der Startschuss für jahrelange Stadtbahnunterbrechungen, denn für den Bau dieses Dükers will die Bahn AG die bestehenden Stadtbahntunnel zwischen Hauptbahnhof und Staatsgalerie zerstören – und weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat der Stuttgarter Straßenbahnen AG legen Einspruch ein. Im Gegenteil, die Pläne der Bahn wurden sowohl vom technischen Vorstand Wolfgang Arnold als auch vom Aufsichtsratsvorsitzenden Fritz Kuhn und den restlichen Aufsichtsräten kommentarlos durchgewunken. Da wundert man sich doch. Immerhin wurden diese Stadtbahn-Tunnel aus unseren Steuergeldern und Fahrpreisen finanzierten, immerhin stellt diese Verbindung eine der Hauptstrecken im innerstädtischen Stadtbahn-Netz dar, immerhin geht es um die jahrelange Unterbrechung von wichtigen Stadtbahn-Verbindungen.

Noch vor wenigen Wochen ereiferte sich die ganze Republik über die Streiks bei der Bahn. Diese Streiks dauerten einige Tage und sie hatten einen guten Grund. Während die Bundesregierung die streikenden Gewerkschaften nun per Gesetz bekämpfen will, frage ich mich: Wo bleibt eigentlich das Gesetz, das es öffentlichen Verkehrsbetrieben wie der Deutschen Bahn und der SSB verbietet, bestehende und gut funktionierende Infrastruktur zu zerstören und den Verkehr auf wesentlichen Strecken einfach komplett einzustellen? Wieso regen sich Politiker nur dann über eine verschlechterte Verkehrssituation auf, wenn sie kurz und streikbedingt ist? Und wieso regt sich in der Politik niemand auf, wenn Stuttgart 21 der Grund für die verschlechterte Verkehrssituation ist?

In den ursprünglichen Plänen der Bahn war nie die Rede von einer Sperrung zwischen Staatsgalerie und Hauptbahnhof – also U9, U11 und U14. Nun soll diese Strecke über zwei Jahre lang unterbrochen werden. Die andere von Stuttgart 21 betroffene Stadtbahn-Strecke zwischen Staatsgalerie und Charlottenplatz – also U1, U2, U4 und U11 – sollte ursprünglich während der Ferienzeit 14 Tage lang gesperrt werden. Dann wurden plötzlich aus 14 Tagen 9 Monate Sperrung und jetzt, noch vor Baubeginn, verlängert sich die angekündigte Sperrung sogar von 9 auf 15 Monate! Das ist 30 mal so lang wie ursprünglich angekündigt! Die SSB und ihre Aufsichtsräte nehmen dies kommentarlos hin, als sei es Gott-gegebenes Schicksal. Herr Kuhn schaut genauso organisiert weg, wie er es beim Berliner Flughafen kritisiert hat.

Gleichzeitig erhöht die SSB auch unter Aufsichtsrat Fritz Kuhn weiter kräftig die Preise; Schon jetzt wurde für 2016 erneut eine Erhöhung weit oberhalb der Inflationsrate beschlossen. (siehe Grafik; summierte Inflationsrate 2005-2014 = 15,9%; summierte VVS-Preissteigerung 2005-2014 = 29,4%).

Preiserhoehungen_Tabelle

Preiserhoehungen_Kurve

Fassen wir also zusammen: Die beiden wichtigsten Verkehrsbetriebe im Großraum Stuttgart bekommen jedes Jahr mehr Geld durch erhöhte Ticketpreise, gleichzeitig wird die Leistung sowohl bei der S-Bahn als auch bei der Stadtbahn dramatisch schlechter – und die verantwortlichen Politiker im Aufsichtsrat sagen zu allem ja und Amen, so wie sie es immer dann tun, wenn es um S21 geht.

Dabei brauchen wir keinen neuen Bahnhof, sondern ein Verkehrskonzept, das die vorhandenen Probleme löst. Ein Verkehrskonzept für die Region Stuttgart, das tausende Pendler und Schüler täglich schnell und zuverlässig ans Ziel bringt, statt kilometerlange Staus zu produzieren; ein Verkehrskonzept, das den giftigen Feinstaub wirksam reduziert und den lärmgeplagten Anwohnern hilft; ein Verkehrskonzept, das zur Energiewende passt und unsere Stadt mobil und zukunftsfähig macht.

All das leistet Stuttgart 21 nicht. Im Gegenteil: Das Tunnelprojekt verursacht noch mehr Stau, noch mehr Dreck und Lärm, macht den öffentlichen Nahverkehr immer unattraktiver und teurer, der geplante Bahnhofstrog ist dem dringend notwendigen Ausbau der S-Bahn ebenso im Weg wie dem Ausbau der Stadtbahn. Und vermutlich das Schlimmste: Bei S21 schauen unsere Bürgermeister und die SSB-Aufsichtsräte so angestrengt weg, dass sie sich und die Stadt sämtlicher Handlungsoptionen berauben. Stuttgart begräbt mit S21 die Voraussetzungen für ein gutes Verkehrskonzept.

Das ist bitter für eine Region mit so vielen hochqualifizierten Ingenieuren, so viel konzentriertem Sachverstand, gerade in Sachen Mobilität und Stadtplanung. Auf mangelnde Kompetenz ist die groteske Fehlplanung Stuttgart 21 also nicht zurückzuführen, eher auf die absurden Vorgaben der Politik: Quer zum Tal und unterirdisch muss Stuttgart 21 sein, das waren die maßgeblichen Anforderungen der Ausschreibung. Es ging nie um die Verbesserung des Verkehrs, nie um ein Verkehrskonzept für die Region oder gar für den Südwesten. Doch wir benötigen dringend Politiker, die im Bereich Verkehr nicht im letzten Jahrhundert hängengeblieben sind. Wir benötigen Politiker, die im Aufsichtsrat der SSB engagiert für den Erhalt der Stuttgarter Stadtbahn eintreten statt der Deutschen Bahn alles durchgehen zu lassen. Und genau deswegen führt der Demozug auch heute noch einmal zum Rathaus, wo der seit Jahren versprochene Politikwechsel endlich umgesetzt werden muss, z.B. Anfang Juli mit der Zustimmung zu den beiden Bürgerbegehren zum Ausstieg der Stadt aus S21.

In Baden-Württemberg beginnt im Herbst der Vorwahlkampf, am 13. März 2016 sind die nächsten Landtagswahlen. Auf Wahlversprechen brauchen wir nicht zu setzen, das haben SPD und Grüne zu genüge bewiesen, nicht nur bei Stuttgart 21. Aber wenn diese Politiker gewählt werden wollen, dann sollen sie doch vor der Wahl mal zeigen, zu was sie fähig sind. An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen, und zwar an den Taten vor den nächsten Wahlen. Fragen wir die Politiker, wie sie sich angesichts von Stadtbahnunterbrechungen, S-Bahn-Chaos, Dauerstau und giftigem Feinstaub ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept vorstellen und was sie dafür schon jetzt tun. Fragen wir sie mittels Briefen, E-mails und Telefonaten, wie sie zu einer sinnvollen Verkehrsplanung stehen, während sie S-Bahn-Chaos und Stadtbahn-Streckensperrungen abnicken. Lassen Sie uns wieder Briefe an Politiker und an Redaktionen schreiben, um zu zeigen, dass wir oben bleiben wollen, weil dies zukunftsfähig ist!

Redetext als PDF-Datei

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