Der 5. Jahrestag Schwarzer Donnerstag: Rede von Dieter Reicherter

Rede zum 5. Jahrestag des Schwarzen Donnerstags am 30.09.2015 von Dieter Reicherter, ehem. Staatsanwalt und Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart a. D.

Liebe Freundinnen und Freunde, Betroffene des Schwarzen Donnerstags,

fünf Jahre sind eine lange Zeit. Im Leben eines Menschen, im Gedächtnis der Öffentlichkeit, in der Aufklärung von Straftaten. Nicht umsonst beträgt die Verjährungsfrist außer bei besonders schweren strafrechtlichen Vorwürfen fünf Jahre. Deshalb wird vieles von dem, was wir Gewalttätern in Uniform vorwerfen, in etwa vier Stunden verjährt sein. Zum Glück aber nicht alles. Denn zu den schweren Straftaten, deren Verfolgung erst nach zehn Jahren verjährt, gehört die sogenannte gefährliche Körperverletzung. Diese liegt vor, wenn man mit einer Waffe oder einem Werkzeug, z. B. mit einem Schlagstock, oder zu mehreren gemeinschaftlich einen anderen verletzt. Darunter fällt auch der Einsatz von Pfefferspray. Nicht nur die Staatsanwalt- schaft, sondern auch die Polizei behauptet bislang steif und fest, am 30.9.2010 seien damit keine Kinder verletzt worden.

Sie wissen, warum. Denn sonst hätten sie gegen die Täter ermitteln müssen. Nach den polizeilichen Vorschriften ist nämlich der Einsatz von Pfefferspray gegen Kinder ausnahmslos verboten. Wer den Schwarzen Donnerstag erlebt oder auch nur Fotos oder Videos vom Geschehen gesehen hat, weiß, dass es anders war. Kinder, die für ihr Recht auf gute Bildung und gute Bildungseinrichtungen auf die Straße gingen und von ihrem Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch machten, das nicht nur Erwachsenen zusteht, wurden rücksichtslos in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt. Und als Stadtdekan Brock telefonisch mitten aus dem Einsatzgeschehen heraus den Polizeipräsidenten Stumpf bat, Wasserwerfereinsätze zu stoppen, da Kinder vor den Wasserwerfern seien, forderte Stumpf ihn zynisch auf, Brock solle die Kinder wegholen, und ließ weiter die gefährlichen, und deswegen verbotenen, Wasserstöße in Kopfhöhe zu.

Der pensionierte Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler behauptete sogar als Zeuge im Wasserwerferprozess, gegen Kinder sei gar kein Pfefferspray eingesetzt worden. Und alle von Pfefferspray Betroffenen  seien über 18 Jahre alt gewesen. Das wollte ich ihm nicht durchgehen lassen. Ein Zeuge vor Gericht muss die Wahrheit sagen. Das gilt auch für einen pensionierten Oberstaatsanwalt. Als jetzt dank Arno Luik vom STERN die Polizeivideos auftauchten, in denen man sieht, wie Pfefferspray großflächig gegen alle Menschen, auch gegen Kinder und Jugendliche, verteilt wurde, entschloss ich mich zu handeln. Und ich gehe davon aus, dass auf den Hunderten von Stunden Beweismaterial, das die Polizei selbst am 30.9. gefilmt hat, noch viele vergleichbare Aufnahmen sein werden.

Deshalb habe ich jetzt Oberstaatsanwalt Häußler wegen uneidlicher Falschaussage beim Generalstaatsanwalt angezeigt. Nicht ins Blaue hinein, sondern mit Beweisen untermauert. Angefangen von prominenten Zeugen des Geschehens, die vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags oder im Wasserwerferprozess aussagten – zum Beispiel der Stadtdekan – über die aufgezeichnete Landesschau des SWR-Fernsehens mit Interviews Verletzter bis hin zum STERN-Video. Und weil Oberstaatsanwalt Häußler es meiner Meinung nach pflichtwidrig unterlassen hat, gegen Polizeibeamte zu ermitteln, die verbotenerweise Pfefferspray gegen Kinder eingesetzt haben, lautet meine Anzeige gegen ihn nun auch noch auf Strafvereitelung im Amt.

Ihr alle könnt dazu beitragen, die Vorwürfe gegen Häußler zu untermauern. Dazu ist wichtig, dass sich Menschen melden, die damals nicht älter als 18 Jahre waren und mit Pfefferspray verletzt wurden. Bitte sagt das auch weiter! Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass wir für ihr Recht kämpfen und an den Tag bringen, was heute vor fünf Jahren geschehen ist. Und dazu bietet die Strafanzeige eine einmalige Chance, weil die Justiz jetzt klären muss, ob Häußlers Aussage richtig oder falsch war.

In meiner Anzeige habe ich den Generalstaatsanwalt auch darauf hingewiesen, dass der Oberstaatsanwalt persönlich im Schlossgarten war und das Geschehen beobachtet hat; dass er die Anzeigen bearbeitet und die Ermittlungen geleitet hat. Und nicht zuletzt, dass er ausgerechnet den inzwischen rechtskräftig vorbestraften Polizeipräsidenten Stumpf damit beauftragt hat, wegen des von diesem zu verantwortenden Einsatzes zu ermitteln. Stumpf hätte also gegen sich selbst ermitteln müssen. Schließlich habe ich nicht ausgelassen, dass Häußler persönlich das Verfahren gegen seinen Schulfreund Bernhard Bauer, damals Amtschef im Umwelt- und Verkehrsministerium, wegen falscher uneidlicher Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags eingestellt hat.

Die Kontext-Wochenzeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe ausführlich über meine Anzeige. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr auch künftig auf dem Laufenden gehalten werdet. Nochmals zum Schluss die Bitte, dass sich Verletzte bei mir melden. Mit einer objektiven Aufklärung, die für Schlagzeilen sorgen kann, haben wir die Chance, dass wir OBEN BLEIBEN!

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