Rede von Dieter Reicherter bei der 290. Montagsdemo

Rede von Dieter Reicherter, Staatsanwalt und Vorsitzender Richter a.D., auf der 290. Montagsdemo am 28.9.2015

Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes am 30.9.

Liebe Freundinnen und Freunde,
ein Polizeibeamter schrieb mir kurz nach dem 30.9.2010: „Dass der Polizeieinsatz im Schlossgarten unverhältnismäßig war, lernt man in der Polizeihochschule schon im 1. Semester.“ Jetzt bin ich mal gespannt, ob das Verwaltungsgericht Stuttgart das auch so sieht in dem Prozess, der am 28. Oktober beginnen wird. Da wollen einige Betroffene des Schwarzen Donnerstags, darunter mehrere Schwerverletzte, feststellen lassen, dass dieser Polizeieinsatz rechtswidrig war. Über diesen Prozess werde ich in der Kontext-Wochenzeitung berichten. Die Staatsanwaltschaft behauptet allerdings nach wie vor, bis auf ganz wenige Wasserstöße, bei denen Menschen am Kopf getroffen und verletzt wurden, einige darunter sehr schwer, sei alles rechtmäßig gewesen.

Da stimmt es mich hoffnungsfroh, dass jetzt für gründliche und objektive Ermittlungen gesorgt ist. Denn meine Anzeige zur Verbrechensverabredung zweier Polizisten, die vereinbart hatten, Pfefferspray in die eigenen Handschuhe zu sprühen und dies auch in den Gesichtern von Kindern zu verreiben, wird von Andreas Dorer, passenderweise beschäftigt beim Dezernat für Amts- und Korruptionsdelikte des Polizeipräsidiums Stuttgart, bearbeitet. Herr Dorer hat sich schon als Leiter der Ermittlungsgruppe zum 30.9.2010 einen Namen gemacht und seinen eigenen Chef, den damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, nicht auf den Polizeivideos vom Feldherrenhügel entdeckt. Er hat sich bereits 16 Tage nach Erstattung meiner Anzeige bei mir gemeldet. Genau zwei Tage, nachdem die Landesschau des SWR-Fernsehens über den schweren Vorwurf berichtet hatte. Arno Luik vom STERN sei gedankt, dass er durch seine Recherchen und die Veröffentlichung schlagkräftiger Polizeivideos überhaupt ermöglicht hat, diese bislang unbeachtete Verbrechensverabredung nachzuweisen.

Nun wollen wir gemeinsam Herrn Dorers gründliche Ermittlungsarbeit unterstützen. Er schreibt mir nämlich: „Zusätzlich bitte ich auch um Mitteilung aller Namen und Adressen der von Ihnen mehrfach erwähnten – und uns unbekannten – Kinder, die seinerzeit im Park durch den polizeilichen Einsatz verletzt wurden.“ Bitte seid so lieb und teilt mir entsprechende Opfer mit, damit wir, auch für den Prozess beim Verwaltungsgericht, den verbotenen Einsatz von Pfefferspray, der ja offenbar schon auf den seit fast fünf Jahren existierenden Polizeivideos zu sehen ist, dokumentieren können.

Mir ist es besonders wichtig, dass die bislang nicht aufgeklärten Verbrechen an unseren Kindern aufgeklärt werden, die sich so tapfer und mutig den Polizeibeamten in den Weg gestellt haben, welche sie angepöbelt, gestoßen, geschlagen, mit Pfefferspray, Schlagstöcken und nicht zuletzt mit heftigen Wasserstößen angegriffen und verletzt haben. Besonders feige waren am Anfang die Polizisten, die ihre Uniform unter der Kleidung versteckt haben. Wohl gemerkt, es geht mir nicht um die Beschimpfung aller Polizisten, sondern um die Kritik an Gewalttätern in Uniform. Die anständigen Polizistinnen und Polizisten, die wir am Schwarzen Donnerstag auch kennengelernt haben, sollten uns mutig bei der Aufklärung unterstützen.

Da es sich um den schwerwiegenden Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung handelt, verjähren solche Vorwürfe nicht wie die anderen nach fünf, sondern erst nach zehn Jahren. Deshalb ist es richtig und wichtig, auch jetzt noch Strafanzeigen zu erstatten, wie einige bei mir schon nachgefragt haben. Ich bin dabei gern behilflich.

Wichtig bei einer Strafanzeige, die schriftlich an die Staatsanwaltschaft Stuttgart gehen sollte, sind die Personalien des Anzeigeerstatters, die genaue Schilderung des Sachverhalts, möglichst auch Benennung von Zeugen und – falls vorhanden – Vorlage von Fotos und ärztlichen Attesten. Da Oberstaatsanwalt Häußler im Ruhestand und Staatsanwalt Dr. Biehl, der die Wasserwerfereinsätze erfolgreich aufgearbeitet hat, mit einer Abordnung nach Karlsruhe zum Generalbundesanwalt belohnt wurde, kann Justizminister Stickelberger eine lückenlose Aufarbeitung garantieren. Damit ist er schon so beschäftigt, dass er leider eine Bitte um einen Termin, bei dem ihm die Forderungen des 2. Bürgertribunals übergeben werden sollten, bislang nicht beantworten konnte.

Um Herrn Stickelbergers Arbeit etwas zu beschleunigen und die Leugnung der an Kindern und Jugendlichen begangenen Schandtaten zu fördern, darf ich heute neue Enthüllungen zu diesem Thema ankündigen. Lest am kommenden Mittwoch die neue Ausgabe der Kontext-Wochenzeitung und kommt zu unserer Demo am 30.9.2015 mit Kundgebung! Da werde ich Euch in meiner Rede informieren, was es dazu Wichtiges und Neues gibt und was den Ermittlungsbehörden Bauchgrimmen verursachen wird.

Ein kleines Bonbon schon vorab. Wörtliches Zitat aus einer Lageeinschätzung des Landeskriminalamts vom 28.7.2011: „Dienstlich wurde bekannt, dass sich viele Gegner des Bahnprojekts S 21 Akkubohrer beschafft hätten bzw. beschaffen wollen. Sobald die Wasserrohre in Stuttgart verlegt seien, sollen diese in einer Nacht- und Nebelaktion mittels der Akkubohrer beschädigt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Polizei keine 17 km Rohre rund um die Uhr bewachen kann.“ Und weiter ist davon die Rede, dass „die extremistische Szene das Thema ‚Stresstest‘ interessiert und abwartend beobachtet“. Dazu sage ich gerne meine Meinung: Wer auf Kosten des Steuerzahlers einen solchen Blödsinn verzapft, gehört gefeuert.

Und die Justiz wird die Frage beleuchten müssen, ob ein Polizeieinsatz rechtmäßig ist, der dazu dient, Bäume trotz eines vom Eisenbahnbundesamt ausgesprochenen Fällverbotes umzusägen, friedliche Menschen mit massenhaft oft aus nächster Nähe versprühtem Pfefferspray und über etliche Stunden mit Wasserstößen in Kopfhöhe anzugreifen, gern auch mit Schlagstöcken eines auf die Rübe zu geben. Dabei ist Pfefferspray gegen Kinder absolut verboten.

Überhaupt ist unglaublich, dass entgegen sämtlichen Vorschriften nicht für die medizinische Versorgung Verletzter gesorgt, ja nicht einmal die Rettungsdienste im Voraus informiert wurden. Und was soll man von Politikern halten, die sich zwar vorher eingemischt, hinterher aber die Hände in Unschuld gewaschen haben und sich gegen die Auswertung ihrer dienstlichen Emails stemmten, gleichzeitig aber die massenhafte Speicherung und Auswertung unserer Emails gutheißen?

Zusammengefasst will ich den Titel unseres Buches zum 1. Untersuchungsausschuss zitieren, weil der das Zuschlagen der Staatsmacht gegen friedliche Bürger auf den Punkt bringt: „Mit Kanonen auf Spatzen“.
Hoffen wir, dass die Kanonen zum Rohrkrepierer gegen ihre Benutzer und die Spatzen zu mutigen Löwen im Kampf gegen Unrecht und gegen die Einschränkung der bürgerlichen Grundrechte werden. Dafür werden wir Alle weiter ohne Angst arbeiten, damit wir OBEN BLEIBEN!

Redetext als PDF-Datei

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