Offener Brief mit offenen Fragen an den Bahn-Verein

Tage der offenen Tore.

In der ersten Januarwoche 2016 hatte die interessierte Bürgerschaft drei Tage lang Gelegenheit, im Rahmen der "Tage der offenen Baustelle" auf einem präparierten Rundgang über die bestgeplante Baustelle des Projekts S21 vom Bahn-Fachpersonal Fragen rund um S21 beantwortet zu bekommen. Nichts wie los, dachten da viele, so auch der Mitarbeiter an der K21-Mahnwache, Peter Müller, der schon Tage vorher mit seinen 42 Fragen auf gewisse Schwachstellen des Projekts hingewiesen und Anregungen für weitere Fragen gegeben hatte. Er selber hat an mehreren Führungen teilgenommen und schrieb dazu anschließend:

„Am Montag wurden wir von einem Filmteam empfangen, das uns fragte, ob sie uns aufnehmen dürfen. Natürlich haben wir zugesagt und ich habe gleich geredet. Nach kurzer Zeit unterbrach mich die Dame mit der Kamera und erklärte mir, dass sie nur Aufnahmen ohne Ton machen würde und zwar im Auftrag der Deutschen Bahn! Kommentar überflüssig! Später wurde ich von einem Reporter der Stgt. Nachrichten interviewt. Hans Heydemann hatte mir vorher Asbest gezeigt. In der Zeitung stand dann nur, dass ich "angeblich Asbest gesehen haben wolle". Man konnte auf den einzelnen Stationen nur rein technische Fragen stellen. Diese wurden dann teilweise gut, teilweise falsch und teilweise gar nicht beantwortet. Es war offensichtlich, dass die Bahn ihren Mitarbeitern zu gewissen brisanten Themen einen Maulkorb verpasst hatte.

Interessant war natürlich der Anfang des Feuerbacher Tunnels in der Jägerstraße. Da dringt teilweise so viel Wasser durch den Beton an der Decke, dass man Kunststoffmatten angedübelt hat, um das austretende Wasser nach der Seite abzuleiten. Fragen danach wurden mit "Das muss so sein" beantwortet. Auf Fragen zu Kosten, Terminen, Wirtschaftlichkeit, Leistung und anderes gab es absolut keine Antworten. Da haben alle dicht gemacht. Im "Info-Mobil" sagte uns ein Herr, er sei nicht dafür da, unsere Fragen zu beantworten. Lächerlich wurde es dann bei Einbruch der Dunkelheit. Man hatte keine Mühe und Kosten gescheut und strahlte verschiedene Bereiche der Baustelle mit bunten Scheinwerfern an und projezierte bunte Bilder auf Hauswände, Bagger und Zementsilos. An der Wand des Bonatz-Baus sah man drei Marienkäfer in den Farben rot, grün und gelb herumkrabbeln und auf eine Baustraße wurde eine rote Rose projeziert. Mein persönliches Fazit: Volksverdummung mit schönen bunten Bildern und allerhand Schnickschnack, aber keine wirklichen Informationen."

Da das für diese Veranstaltung geschulte Personal dann doch nicht alle Fragen beantworten konnte (s.o.), schrieb Peter Müller einen offenen Brief an den Vorsitzenden des Vereins Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V., Herrn Georg Brunnhuber. Dieser offene Brief mit den immer noch unbeantworteten Fragen wird hier veröffentlicht:

Offener Brief zu den unbeantworteten Fragen bei den Tagen der offenen Baustelle (S21):

Peter Müller                        Stuttgart, 10.01.2016

An den Verein Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V.
Herrn Georg Brunnhuber
Jägerstraße 2
70174 Stuttgart

Sehr geehrter Herr Brunnhuber,
um es gleich vornweg zu sagen, ich bin erklärter Gegner von Stuttgart 21. Dennoch hoffe ich, dass Sie mir ehrlich auf meine Fragen antworten. Ich war zu den Tagen der offenen Baustelle vom 04. bis 06. Januar täglich auf den verschiedenen Baustellen unterwegs und habe mich bemüht, Antworten auf meine vielen Fragen zu bekommen. Angefangen habe ich am Infomobil. Als ich dort Fragen nach Kosten und Wirtschaftlichkeit des Tiefbahnhofs und der Neubaustrecke fragte, erklärte mir ein Mitarbeiter des Infomobils, dass es nicht seine Aufgabe sei, unsere Fragen zu beantworten. Ich frage mich bis heute, was dieser Mann dann für eine Aufgabe hat. Auch sonst waren die Aussagen der vor Ort tätigen Vertreter der Bahn und der Baufirmen teilweise falsch bzw.unvollständig oder unsere Fragen wurden gar nicht beantwortet. So fragten wir im Grundwassermanagement der Firma Hölscher nach Rost im Wasser. Davon war den Mitarbeitern angeblich nichts bekannt. Dabei wurde über diverse Vorfälle mit „Rostbrühe“ schon öfter in den Medien berichtet. Außerdem kann man täglich am Neckar beobachten, wie braun gefärbtes Wasser aus den blauen Rohren in das Fischbrutgebiet fließt. Übrigens sollten ja laut Planfeststellung Edelstahlrohre bzw. Rohre mit Kunststoffbeschichtung verlegt werden. Wer hat diese Planänderung genehmigt und wo kann man diese Änderung einsehen? Ein weiteres Thema wäre die Musterkelchstütze. Die DB hatte in ihrem Flyer ein „hautnahes Erleben“ versprochen. Allerdings war ca. 10 Meter vor der Stütze Schluss und wir standen am Bauzaun. Im Gespräch mit dem dortigen Vertreter der Bahn bzw. der Baufirma wurde mir erklärt, dass die Stütze gut gelungen sei. Auch Architekt Ingenhoven hatte sich ja gegenüber den Medien zufrieden mit der Probestütze gezeigt. Als ich dem Mann allerdings Fotos von der Kelchstütze vorlegte, die ich auch Ihnen beilege, knickte er ein und gab zu, dass noch einiges verbessert werden müsse. Daraufhin fragte ich, warum man für die wichtigen Kelchstützen ausgerechnet die Firma Godel ausgewählt habe, die ja allgemein bekannt ist für minderwertigen Beton. So mussten bekanntlich ganze Brücken wieder abgerissen werden, weil Godel minderwertigen Beton geliefert hatte. Auch die neue Stuttgarter Stadtbibliothek musste 1 ½ Jahre nach ihrer Fertigstellung bereits saniert werden, weil sich Teile der Fassade abgelöst hatten und dort die Bewehrung zu sehen war. Die Antwort hat mich dann doch erstaunt. Beim angeblich bestgeplanten Projekt aller Zeiten vertraue man in Bezug auf die Kelchstützen darauf, dass diesmal alles gut gehen werde. Das bestgeplante Projekt auf Vertrauensbasis? Auch zu den geologischen Problemen, zum Beispiel Dolinen oder den sich am Leitner-Steg kreuzenden Verwerfungsrissen, die zumindest der Stadt Stuttgart bekannt sind, blieb man uns eine Antwort schuldig (siehe beiliegende Karte des Amtes für Umweltschutz der Stadt Stuttgart). Einen weiteren Widerspruch beim Bau von Stuttgart 21 entdeckte ich im Abschnitt „Nesenbachdüker, Stadtbahnverlegung“. Dort war auf einer Grafik zum Bauablauf als Fertigstellungstermin das Jahr 2023 genannt. Ich machte darauf aufmerksam, dass doch 2021 die ersten Züge fahren sollten. Darauf erklärte mir der zuständige Mitarbeiter, dass die Bahn einen anderen Zeitplan habe, als die am Bau beteiligten Firmen. Wie soll ich das verstehen? Es gab für mich noch viele weitere offene Fragen und Widersprüche. Zum Beispiel wird der Tiefbahnhof, der nach dem Regelwerk der Deutschen Bahn nur ein Haltepunkt ist, mal mit und mal ohne Fluchttreppenhäuser dargestellt. Auch zur Stromversorgung der Züge gibt es widersprüchliche Darstellungen, mal mit Oberleitung, mal mit Stromschiene und manchmal auch ohne alles. Auch zu den Kosten gibt es gegensätzliche Angaben: Während Stuttgart 21 im Infomobil 6,8 Milliarden € kostet, ist es im Turmforum immer noch als „Schnäppchen“ für 4,5 Milliarden € zu haben. Zu den 9,8 Mrd. €, die das Büro Vieregg und Rössler aus München kürzlich ermittelt hat, gab es überhaupt keine Aussagen. Damit wäre ich dann wieder bei den grundlegenden Fragen, die mich am meisten bewegen:

  • Was kostet Stuttgart 21 wirklich? Das Münchner Büro Vieregg und Rössler hatte ja bereits 2008 Kosten von 6,9 Mrd. € ermittelt, was die DB dann 4 Jahre später mit 6,8 Mrd. fast punktgenau bestätigte. Weiterhin wurde ja bekanntlich aufgrund der Berechnungen von Vieregg und Rössler der Bau bzw. die Planung des Transrapid in München Wenn die Bahn jetzt diese neue Kostenanalyse als „dummes Geschwätz“ oder „nicht haltbare Spekulation“ bezeichnet, ist das kaum nachzuvollziehen.
  • Unterstellen wir einmal, es bleibt beim Kostenrahmen von 6,8 Mrd. €, wie hoch ist dann der Wirtschaftlichkeitsfaktor. Bahnchef Grube hatte bei den damals noch aktuellen Kosten von 4,5 Mrd. € erklärt, Stuttgart 21 sei mit einem Faktor von 1,1 gerade noch wirtschaftlich. Wenn nun aber der Nutzen gleich bleibt, die Kosten dagegen um gut 50% gestiegen sind, dürfte doch laut Adam Ries der Wirtschaftlichkeitsfaktor deutlich unter 1,1 gesunken sein. Aber wie ich schon erwähnte, bin ich kein Fachmann und sicher können Sie bzw. Ihre Mitarbeiter diese Frage wissenschaftlich fundiert beantworten.
  • Die gleiche Frage gilt natürlich auch für die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm. Um auf einen Wert über 1,0 zu kommen, erfand Rüdiger Grube die sogenannten „leichten Güterzüge“, weil die Strecke selbst nach Ansicht der Bahn ohne Güterverkehr nicht wirtschaftlich sei. Wie steht es also mit der Wirtschaftlichkeit und wie kann man sich die „leichten Güterzüge“ vorstellen, etwa nach dem Prinzip 1 Lok und 5 Wagen? Das wäre aber mit Sicherheit auch nicht wirtschaftlich!
  • Was kann Stuttgart 21 leisten? In der Planfeststellung wird die Zahl von 32 Zügen pro Stunde genannt. Der VGH Mannheim hat diese Zahl in einem richterlichen Urteil bestätigt und selbst die Deutsche Bahn geht bei der Planung des Brandschutzes nur von 32 Zügen aus. Wie also kann es sein, dass laut Animation im Turmforum 49 Züge in der Spitzenstunde fahren sollen?
  • Wie hoch werden (nach Fertigstellung) die Kosten für den Unterhalt der Tunnel und der diversen Dükerbauwerke sein und wer hat diese zu tragen?

Natürlich handelt es sich hier nur um einen Bruchteil der Fragen, die mich und viele andere Stuttgarter, Bahnkunden und Steuerzahler bewegen. Aber ich glaube, es wäre ein Zeichen von ehrlicher Transparenz, wenn Sie mir wenigstens diese fünf grundlegenden Fragen beantworten würden. Über eine Antwort auf die im obigen Text angerissenen Fragen würde ich mich natürlich ebenfalls freuen. Ihre mit Sicherheit aufschlussreichen Antworten werde ich selbstverständlich in ungekürzter Form veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen,
Peter Müller

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Offener Brief mit offenen Fragen an den Bahn-Verein

  1. Jogi sagt:

    Vielen Dank Peter Müller – so Leute wie Sie sind bitter notwendig. Was Sie hier mit diesem Brief leisten ist nicht hoch genug einzuschätzen. Insbesondere nicht mit Blick auf eine funktionierende Demokratie.
    Andererseits ist es mehr als traurig, dass in unserer heutigen Zeit solche Briefe notwendig sind, was vielen Menschen zu denken geben müßte, wie und zu welchen gunsten heutzutage Entscheidungsprozesse ablaufen und was für (überbezahlte) Personen heutzutage in verantwortungsvollen Posten sitzen!

  2. M.G.-B. sagt:

    Ja, 1000 Dank!
    Erschütternd, wie immer wieder Fachfragen ausgewichen wird u. die Frager zu Deppen gestempelt werden sollen.
    Ich will u. kann mich einfach nicht dran gewöhnen . . .

Kommentare sind geschlossen.