„… und immer wieder die Bodenplatte des Stuttgarter Halbtiefschräghaltepunktes!“ Rede von Dipl.-Phys. Wolfgang Kuebart auf der 338. Montagsdemo am 12.9.2016

Liebe Freunde,
wie weit will man zurückschauen, wenn man die Geschichte der Bodenplatte dieses Halbtief-Schräghaltepunktes erzählen will? Wie oft wurde verkündet, jetzt wird betoniert, jetzt sind die Genehmigungen da. Wie alles an diesem Projekt ist auch diese Geschichte in erster Linie unendlich komplex. Und das Tollste daran ist, dass sie noch nicht einmal zu Ende ist, obwohl inzwischen Fakten in Stahlbeton gegossen werden. Aber der Reihe nach:
Am 5.8.2014 stellte die Firma Züblin auf einem Pressetermin die nun beginnenden Baumaßnahmen für den Bahnhofstrog vor. In der Mainpost vom 5.8.2014 liest an darüber: „Der feierliche Beginn des Baugrubenbaus gleicht einer Arbeitssitzung über die ‚angelaufenen Hauptbaumaßnahmen‘. Es geht sehr ins Detail. Otmar Bögel, Projektleiter bei Züblin, referiert geschlagene 40 Minuten über die Planung, lässt für den zentralen Bauabschnitt 16 die Monatsskalierung an die Wand projizieren: Bis September 2014 die Gründungspfähle, bis Januar 2015 die Bodenplatte, bis Sommer die Kelchfüße, bis Herbst der Randkelch, dann der Mittelkelch. Von 2016 bis 2018 ruht der Bau, damit Spannungen entfleuchen können. Dann wird wieder gebaut.“
Der Architekt Christoph Ingenhoven: Dies sei der „eigentliche Beginn der Bauarbeiten“ an seinem „Baby“, bekräftigte er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Das symbolisiert das endgültige Ende der Ungewissheit.“ (zeit-online am 13.8.2014).
Ursprünglich war der Beginn der Baugrube 16 Ende 2012/Anfang 2013 avisiert, die Wasserhaltung sollte grob für 1 Jahr das Grundwasser absenken, bevor der Abschnitt dank bauzeitlicher Schotten wieder unter Wasser hätte gesetzt werden können.
Im November 2014 wird der Bau des Nesenbachdükers in offener Bauweise genehmigt. „Damit werde es neben dem bestehenden Bauabschnitt 16 bald eine weitere Baugrube geben. Dies wird dadurch ermöglicht, dass das EBA Sofortvollzug angeordnet hat, so dass Klagen den Baubeginn nicht verhindern.“ Schreibt die Stuttgarter Zeitung (StZ) am 13.11.2014. Eigentlich hätte der Düker am 11.6.2013 der Stadt übergeben werden sollen.
Doch in der Baugrube 16 geht es nicht weiter. Die Stuttgarter Nachrichten (StN) am 6.2.2015: „Für den Tiefbahnhof ist seit dessen Baustart im August 2014 gar kein Tiefbau möglich, eine Genehmigung fehlt. So wurde nur eine flache Grube ausgehoben. Weil der Grundwasserspiegel hoch steht, muss nun sinn-, aber nicht kostenlos Wasser gereinigt und im Kreis gepumpt werden.“
Am 10.3.2015 schreibe ich in einem Leserbrief an die StZ: „Eine Großbaustelle rechtfertigt sich nicht nur dadurch, dass an allen Enden gebaut wird. Es sollte vor jedem Bau ein vernünftiger Plan da sein, das ist bei diesem Projekt ganz augenscheinlich nicht der Fall. Die Kritiker werden nicht schon allein deshalb unsachlich, weil sie immer wieder darauf hinweisen. Es fällt bei der Ignoranz der Protagonisten, diese Kritik anzunehmen, jedoch schwer, den Ton der Kritik sachlich zu halten.
Vielleicht nehmen die Leser sich einmal die Zeit, unsere Zusammenstellung der Mängel dieses Projektes zumindest ansatzweise zu lesen (www.ingenieure22.de „Mängelliste“), vielleicht verstehen sie dann, warum unser Entsetzen über die Entwicklung dieses Projektes mit dem Baufortschritt nicht geringer wird. Dieses Projekt wird der Region nicht das bringen, was sich die Befürworter davon erhoffen. Da hilft es auch nicht, dass an allen Ecken gebaut wird. Man laviert heute um die immer noch bestehenden Probleme herum. Man schafft Zwangspunkte, die den Rest unter Zugzwang setzen, weil die Probleme des Brandschutzes, des Betriebsablaufes, der Rettungskonzepte, der Funktionalität der einzelnen Planfeststellungsabschnitte nicht, wie gesetzlich oder regulatorisch gefordert, vor Planungsbeginn oder doch wenigstens vor Baubeginn gelöst wurden, sondern erst im Laufe der Bauausführung aufschlagen.“
Am 4.4.2015 darf Herr Leger in einem großen Interview in der Stuttgarter Zeitung verkünden: „Die Arbeiten haben sich verzögert, weil wir die Planänderung für das Grundwassermanagement erst im Oktober 2014 bekommen haben. In diesem Sommer werden wir das Betonieren der Bodenplatte erleben, und im Frühjahr 2016 sieht man dann die erste kelchförmige Stütze des Bahnhofsdachs entstehen. Und dann geht es ratzfatz.“
Als Erfolgsmeldung verkündet die StZ am 29.4.2015: „Durchbruch bei S21: Fluchttreppenhäuser im Bahnhof sind genehmigt. Das Eisenbahn-Bundesamt trifft in seinem Bescheid weitgehende Aussagen zum Brandschutz.“ Wir Kritiker argumentieren weiter gegen diese Lösung, weil sie weder die notwendige Entfluchtungskapazität besitzt noch die Flüchtenden davor bewahrt, in möglicherweise verrauchte Bereiche fliehen zu müssen.
Am 8.6.2015 wird nominell mit dem Bau des Nesenbachdükers begonnen. Am selben Tag gibt der Prüfer der Geologie, Prof. Borchert, ein Seminar „Gründung des ‚Tiefbahnhofes‘ Stuttgart“. Exemplarisch für viele Auseinandersetzungen sehen sich nach dem Seminar die Kritiker des Projekts bestätigt in ihren Befürchtungen, ebenso wie die Befürworter in ihrem Glauben an das Projekt. Im Vortrag stellt sich der Gutachter eindeutig auf die Seite der Befürworter.
Doch ein Jahr nach eigentlichem Baubeginn in BA16, wie der Bauabschnitt genannt wird, ist immer noch von der Bodenplatte weit und breit nichts zu sehen. Der damals extra neu herausgegebene Zeitplan ist schon wieder Makulatur.
Etwa zur selben Zeit scheitern die Gegner erneut mit einem Verfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss PFA1.1 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Am 23. Juni sagt der Geschäftsführer der DB-Projekt Stuttgart-Ulm, Peter Sturm, in der Stuttgarter Zeitung „Wir freuen uns, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtmäßigkeit der Planfeststellungsbeschlüsse höchstrichterlich bestätigt wurde.“ (AZ: BVerwG 3 B 5.15). Wir meinen, es wird ein eigenes Kapitel der Rechtsgeschichte erfordern, diese Entwicklung in ihrer Gesamtheit aufzuarbeiten. Wie konnte es passieren, dass das Projekt im Laufe der Planfeststellungen derart immun wurde, so dass selbst offensichtliche Verstöße gegen Grundregeln beim Bau von Eisenbahninfrastrukturanlagen ungesühnt bleiben? Ungeachtet aller Planungsmängel wird weiter auf Sicht gebaut. Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft stellen sich taub, wenn Kritik geäußert wird.
Im Oktober 2015 kommt die nächste Überraschung. Die im April genehmigten zusätzlichen Fluchttreppenhäuser sollen nun doch nicht gebaut werden. Wir lesen am 13.10. in den StN: „Weil die Verrauchung der Halle im Brandfall geringer sei als angenommen“, haben „die Menschen […] daher mehr Zeit für die Flucht“, so Ingenhoven. Daher könnten die „Fluchttreppenhäuser, die die Breite der Bahnsteige stark einschränken, […] weggeschoben werden.“ An diesem Beispiel sieht man ganz deutlich, wie Brandschutz, Rettungskonzept und Gebäudeausführung ineinander greifen. Wie will man anfangen zu bauen, wenn man noch nicht weiß, was?
Für Tunnel haben die Planer der Bahn daher einen Grundsatz in ihre „Richtlinie Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und den Betrieb von Eisenbahntunneln, Stand: 1.07.2008“ aufgenommen: „Die Ausgestaltung des Rettungskonzepts hat unmittelbaren Einfluss auf die bauliche Gestaltung des Tunnelbauwerks. Deshalb müssen die Einzelheiten vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens festgelegt sein.“ Nach den Bestimmungen für Versammlungsorte waren selbst Fluchtwege mit den innenliegenden Fluchttreppenhäusern zu lang. Spricht man die Bahn darauf an, entgegnet sie, dass es sich bei dem Bau weder um ein Tunnelbauwerk noch um einen Versammlungsort handle, weshalb die dafür erstellten Grundlagen eben keine Gültigkeit hätten. Wir verstehen das nicht.
Beim Pressetermin am 14.10.2015 erfährt man zwischen den Zeilen, wie man mit dem Spagat zwischen genehmigter Planung und beabsichtigtem Bauen umgehen will: Dietrich Heißenbüttel schreibt in der Kontext:Wochenzeitung: „Die ganzen komplizierten Fragen der Entrauchung, wie viele Personen in welcher Zeit die Bahnsteige verlassen können, ob Rollstuhlfahrer die Treppen hinaufgetragen werden müssen – die möchte auch Ingenhoven, der erkennen lässt, dass er die vielen Vorschriften für übertrieben hält, zum jetzigen Zeitpunkt nicht ansprechen. Hamann stellt klar, dass es eine Genehmigung gebe. Mit den klobigen Fluchttreppenhäusern natürlich, diese Lösung suche man zu verbessern.“ Wer etwas mehr über diesen unhaltbaren Zustand erfahren möchte, lese den Aufsatz von Johanna Henkel-Waidhofer „Fluchtweg verbaut“ in der gleichen Ausgabe (237).
Von keinem Pressetermin zu S21 bekommt man ein unterschiedlicheres Bild in den verschiedenen Tageszeitungen geliefert. Der (sehr projektkritische) Autor Konstantin Schwarz betitelt seinen Artikel zum Pressetermin in den Stuttgarter Nachrichten mit dem Ausspruch Ingenhovens: „Wir wollen einen lichtdurchfluteten Raum schaffen“.
Doch schon einen Tag später wird endgültig der eben noch verkündete Zeitplan zurückgezogen. „Die Bahn ist mit der Betonierung der ersten Bodenplatte in Verzug – sie sollte bereits im September gegossen werden, doch es fehlen statische Nachweise. Die ersten Stützen sollen nun bis Mitte 2016 stehen – statt bisher geplant bis Jahresende.“ lesen wir in den Stuttgarter Nachrichten. Nun sieht es so aus, als ob die Genehmigungen Schuld am Debakel sind: „Fehlende Genehmigungen bremsen die Bahn“ schreibt Chr. Milankovic am 20.10.2015 in der Stuttgarter Zeitung. Die Bahn müsse nun einen Ende 2014 ausgelaufenen Erdbebennachweis neu erbringen.
Wir können uns das nicht so richtig vorstellen. Wir finden keine Richtlinie, die sich so ausschlaggebend geändert hätte, dass deshalb der Nachweis der Erdbebensicherheit Grund für die Verzögerung sein könnte. Selbst die Richtlinie 813 „Personenbahnhöfe planen“ ist seit 01.05.2012 gültig. Dort findet sich der knappe Hinweis: „Die Wind-, Schnee- und Eislasten sowie ggf. zu berücksichtigen Erdbebeneinwirkungen sind den entsprechenden allgemein bauaufsichtlich und eisenbahnspezifisch eingeführten Normen zu entnehmen.“ Alles völlig normale Vorgänge.
Dass die Wogen zu der Zeit hoch schlagen, erkennt man aus einem Artikel vom 21.10.2015 in den StN über eine Sitzung im Technischen Ausschuss der Stadt Stuttgart: „Der Eindruck, die Planungen für den Tiefbahnhof erfolgten unkoordiniert, weil Genehmigungen fehlen, sei ungerechtfertigt, ließen Vertreter der Bahn am Dienstag wissen. ‚Hier sind keine Idioten tätig‘, sagte der Bahnanwalt Peter Schütz.“
Davon wollen wir Ingenieure22 uns natürlich selbst überzeugen und stellen am 28.10.2015 beim EBA einen Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen zur Tragwerkplanung PFA 1.1 zu „Stuttgart 21" nach §§ 3, 4 Bundes-Umweltinformationsgesetz (UIG). Die Antwort kommt postwendend: Mit Datum vom 30.10.2015 erfahren wir am 3.11.: „Bis dato wurden beim Eisenbahn-Bundesamt noch keine der von Ihnen gewünschten Unterlagen eingereicht. Da in den nächsten Tagen mit der Übersendung der Unterlagen für die Bodenplatte des Bahnhoftroges im Bauabschnitt 16 gerechnet wird, werde ich Sie über den Eingang zu gegebener Zeit informieren.“ Wir stehen vor einem Rätsel.
Am 2. November werden der Öffentlichkeit zum ersten Mal Planskizzen über die an die Kopfenden verlegten Fluchttreppenhäuser gezeigt (StZ, S. 15). Damit können wir Simulationsmodelle erstellen, um die Leistungsfähigkeit der neuen Variante zu simulieren.
Wie sehr man auf die Genehmigung der Statik wartet und wie sehr die Bahn diese Hoffnungen durch informelle Äußerungen nährt, erkennt man z.B. aus einer Bemerkung, die Harald Kirchner in seinem Beitrag am 4.11. im SWR zur Lenkungskreissitzung machte: „da gibt es offenbar die Genehmigung“. Tatsächlich findet man in den Papieren des Lenkungskreises auf Folie 26, „Statische Nachweise für Bodenplatte sind erfolgt und wurden vom EBA-Prüfingenieur freigegeben.“ Welcher Eindruck soll hier dem Bürger vorgespielt werden? Wir haben bisher von keiner Freigabe erfahren.
Wie kritisch es um das Projekt steht, kann man vielleicht erahnen, wenn man die Zeitungsartikel zur Lenkungskreissitzung am 5. November 2015 liest. Dort gesteht selbst der überaus optimistische Technikvorstand Volker Kefer ein, dass das Projekt ein Delta von drei Monaten aufholen müsste, andernfalls stünde der Eröffnungstermin 2021 in Gefahr. Überraschenderweise ist aber die Genehmigung des Filderabschnitts und nicht die Bodenplatte Grund für die zeitkritischen Verzögerungen. Daher schlage man einen zusätzlichen Steuerungskreis vor zwischen Bahn, EBA und Projektbeteiligten, um die Genehmigungsprozesse zu beschleunigen. „Für den Bau der Bodenplatte im neuen Tiefbahnhof mit den an den Rand verlegten Fluchttreppenhäusern stehe die Genehmigung kurz bevor. Anfang des Jahres 2016 sei die Grundsteinlegung für die neue Bahnhofshalle geplant, sagte Kefer.“ (StZ).
Einen Tag später erfährt man aus der StZ: „In einer von der Bahn verbreiteten Präsentation wurde nach den Beratungen im Rathaus der Eindruck erweckt, das Problem habe sich erledigt. ‚Statische Nachweise für Bodenplatte sind erfolgt und wurden vom EBA-Prüfingenieur freigegeben‘ steht da zu lesen. Auf Nachfrage erklärt die Bahn nun aber, dass die Planunterlagen ein zweistufiges Prüfverfahren durchlaufen müssen. Die Bewertung durch den Prüfingenieur ist dabei nur der erste Schritt. Gebaut werden darf hingegen erst, wenn im zweiten Schritt der sogenannte Bauvorlageberechtigte der Bahn sein Plazet gegeben hat. ‚Nach Kenntnis des Eisenbahn-Bundesamtes hat der zuständige Bauvorlageberechtigte der Bahn noch nicht die nötige Freigabe erteilt für die Betonierung der Bodenplatten im Projekt Stuttgarter Tiefbahnhof. Es sind etwa noch die statischen Nachweise zu erbringen‘, erklärt das EBA auf Nachfrage.“
Auch zum zusätzlichen Steuerkreis äußert sich das EBA: „Schließlich könne die Bahn die Verfahrensdauer beeinflussen, etwa dadurch, dass sie „beispielsweise die Antragsunterlagen gut vorbereitet“. (StZ, 11.12.2015, S 19)
Am 15.12.2015 wird unsere Kritik am Brandschutzkonzept in der StZ veröffentlicht. Dipl.-Ing. Hans Heydemann stellt in seinem Gutachten zahlreiche technische und formale Fehler zusammen, hält das Brandschutzkonzept in dieser Form für nicht genehmigungsfähig. Doch die Landeshauptstadt bewertet das Konzept der Bahn mittlerweile positiv (StZ, 15.12.2015, S. 17). Abschließende Simulationen sollen im Frühjahr erwartet werden. Erst dann kann ein Antrag auf Planänderung für die neuen Fluchttreppenhäuser gestellt werden.
Zusätzlich wird am 17.12.2015 das Gutachten von Vieregg-Rößler bekannt, das das Aktionsbündnis in Auftrag gegeben hatte. Der Bahnhof soll knapp 10 Milliarden Euro teuer werden. Doch in der Baustelle am Bahnhof geht es langsam zwar, aber unbeirrt weiter.
Obwohl die Genehmigung für die Bodenplatte noch längst nicht vorliegt, lesen wir am 30.12.2015 in der StZ: „Ab Januar wird am Bahnhof betoniert. … Die Betonage der Bodenplatte für den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof erfolgt in mehreren Arbeitsschritten. Im ersten Schritt wird eine Grundplatte aus Beton gegossen, die den jeweiligen Bauabschnitt zum darunter liegenden Erdreich hin abdichtet. Der Beginn der Arbeiten dafür ist im Bauabschnitt 16 für den 11. Januar vorgesehen.“
Warum dieses Ringen um den Termin? Hier gibt ein Interview Aufschluss, das Georg Brunnhuber anlässlich der Tage der offenen Baustelle am Abend des ersten Tages im SWR gab: „Ja, - wir wollen ganz bewusst allen Menschen zeigen, es geht hier vorwärts. Das ist die wichtigste Botschaft. Es gibt ja hier auch immer noch die Diskussion, …, den Bahnhof, die Baustelle zu stoppen, …und, …, wieder zurückzuführen. …Das ist praktisch nicht mehr möglich, das zeigen wir hier.“ (swr, min 14:19…min 14:38)
Und so schreibt am 27.1.2016 die Stuttgarter Zeitung: „Im Bahnhofstrog fließt der erste Beton“, basierend auf der Presseerklärung der DB-Projekt Stuttgart-Ulm mit dem Titel: „Erster Teil der Bodenplatte aus Beton gegossen“.
Wir fragen uns, auf Grund welcher Genehmigung darf betoniert werden? Anfragen an das EBA werden merkwürdig kryptisch beantwortet: „Ich kann unseren Unterlagen entnehmen, dass man Ihnen bereits unmittelbar auf Ihre erste Anfrage am 30.10.2015 geantwortet hatte. An der Sachlage und dem Inhalt des Antwortschreibens hat sich bis dato nichts geändert.“ Also gilt nach wie vor die obige Antwort vom 30.10.2015, wir sollen also benachrichtigt werden. Bei diesem Katz- und Maus-Spiel bleibt es, Genehmigungsunterlagen gibt es nicht. Stattdessen wird klar, dass der gegossene Beton nur zur Sauberkeitsschicht gehört, sogar nur zu der im Medienkanal, für die es keine Genehmigung braucht, weil sie statisch nicht relevant ist. Dies veranlasste mich, Ende Januar einen Newsletter zu schreiben: „Wo, bitte, geht es zur Bodenplatte?“.
Zur gleichen Zeit wurden weitere Fragen aufgeworfen, die die Stabilität des Halbtiefbaus betreffen, u.a. auch im Parkschützerforum. „Bestünde real – ohne Hysterie gesehen – (die Möglichkeit,) dass bei einem Zugunfall die Kelchstützen betroffen wären und somit die Statik des Tunnelhalts nicht mehr gegeben wäre (fünf Kelchstützen sollen sich ja jeweils untereinander stützen)?“ Wie weit diese Frage den Genehmigungsprozess beeinflusst hatte, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist jedoch, dass in den nun kommenden Monaten vor der endgültigen Freigabe der Statik auch über Anpralllasten diskutiert wurde, die den Genehmigungsprozess weiter verzögerten, weil weitere Gutachten zu erbringen waren. Zumindest am Eingang des Tunnelhalts sah man die Gefahr durch Entgleisungen durchaus gegeben. Im Mai 2016 finden wir eine Ausschreibung „Änderung Bauwerksklasse und höhere Anpralllasten BA24 und BA25“ v. 13.5.2016.
Anfang Juni, im Vorfeld der Lenkungskreissitzung wird erneut über Kosten und Termine diskutiert. Inzwischen wird der Fahrplanwechsel 2023 als möglicher Termin angesehen, Mehrkosten im oberen dreistelligen Millionenbereich erscheinen möglich, der Abstand zum Gutachten von Vieregg-Rößler schrumpft. „Statt eine endlose Misere weiterzutreiben und weitere Milliarden in diese Grube zu schütten, muss der Bahnvorstand endlich den Umstieg planen“, forderte Sabine Leidig, die Bahnexpertin der linken Bundestagfraktion in der Stuttgarter Zeitung vom 4./5.Juni 2016. Auch Matthias Gastel, ihr grünes Pendant, wird zitiert: „Bei Stuttgart 21 läuft nach wie vor nichts nach Plan, weil die Deutsche Bahn gar keinen hat.“
Die Diskrepanz zwischen Planung und Wirklichkeit bezüglich Kosten und Zeitplan führte dazu, dass am 14.6.2016 öffentlich wird, dass Volker Kefer seinen Hut nimmt.
Im Juli 2016 ging es dann zunächst Schlag auf Schlag. Christian Milankovic schreibt am 1. Juli 2016 in der StZ (Printausgabe 2.7.2016 Seite 24) – die Tinte des Genehmigungsstempels der Prüfingenieure ist noch nicht trocken und der Baufreigabebevollmächtigte der Bahn brauchte noch 6 Tage bis zur Unterschrift seiner Baufreigabe (7.7.2016):
„Die nun erteilte Genehmigung gilt für die Platte auf der gesamten Länge der gut 400 Meter langen Bahnsteighalle. Eine weitere Ausnahmegenehmigung benötigen die Bauleute aber noch an der Stelle, an der der Bahnhof über den bestehenden S-Bahngleisen auf einer Brücke liegt. Wegen der Komplexität des Bauwerks wird die Wartung dieser Brücke erschwert, was ebenfalls eine ZIE nötig macht.“
Am 5.7.2016 findet man die Presseerklärung der PSU, zwei Tage vor dem Datum der wirklichen Baufreigabe: „Die nun erfolgte Genehmigung gilt für die komplette, rund 80 mal 420 Meter große Bodenplatte der Bahnsteighalle.“ Bis in den Bundestag reicht die Kunde von der Genehmigung: Frau Sawade, Minute 7:22 der Debatte zu Stuttgart 21 am 7.7. im Bundestag, um 20h49: „Das Eisenbahnbundesamt hat grad die Bodenplatte freigegeben, dass die gebaut werden kann.“
Doch noch während die Bahn auf eine Grundsteinlegung im Juli hofft, kommt sie erneut in Bedrängnis, denn nun hört man aus dem Bundesrechnungshof, der das Projekt in den vergangenen Jahren eingehend geprüft hatte, dass der Kostenrahmen von S21 bei 10 Milliarden liegen könnte.
Da erscheint es völlig logisch, dass am 15. Juli die Arbeitsgruppe ‚Umstieg‘ des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 ihre Broschüre „Umstieg 21 – Stuttgart 21 umnutzen: Auswege aus der Sackgasse“ vorstellt. Wie konnte man wissen, als man vor einem Jahr die Arbeiten begann, dass das Timing nicht besser hätte sein können? Fast gleichzeitig erfährt man, dass die Finanztöpfe des Projekts spätestens 2019 ausgeschöpft seien (StZ 15.7.2016).
Auch aus der Grundsteinlegung im Juli wurde nichts, sie wurde in den Herbst verlegt (StZ 23.7.2016). Am 8. oder 9.8.2016 wurde tatsächlich mit dem Betonieren der Bodenplatte begonnen.
Während nun immer mehr Eisen im Bauabschnitt BA16 die Umrisse von Gleisabschnitten, Kelchbereichen und Bahnsteigen andeuteten, wurde ein neues Problem offenbar. Weil der Bau des BA16 deutlich länger als ein Jahr unter Wasserhaltung ausgeschachtet ist und ein Absenken des Wasserspiegels noch bis weit in 2017 nötig sein wird, darf die Bahn die Wasserhaltung im BA16 verlängern.
Gern hätten wir inzwischen die Unterlagen zur Genehmigung des Betonierens der Bodenplatte eingesehen, doch das Versprechen des EBA, uns zu benachrichtigen, wenn die Unterlagen vorliegen, wurde nicht eingelöst. So versuchten wir Anfang August einen weiteren Weg, um an unser Ziel zu kommen. Wir fragen den Bauabschnittsleiter PFA1.1 direkt. Am 24.8. konnten wir endlich einige grundsätzliche Genehmigungsunterlagen und ein Statikmodell, das auf einem Laptop dargestellt wurde, in den Räumen der Bauleitung für den PFA 1.1 einsehen.
Während das Statikmodell den ganzen Bau darstellte, betrafen die Genehmigungsunterlagen nur den Bauabschnitt BA16. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Freigabe durch den Baufreigabebevollmächtigten (er ist die letzte Instanz der Baufreigabe) nur die Bodenplatte im Bauabschnitt BA16 betrifft.
Die Bauabschnitte müssen jeweils vollständig bis zum Dach erstellt werden, bevor die Wasserhaltung beendet werden kann und ein benachbarter Bauabschnitt in Angriff genommen werden kann. Doch bis jetzt gibt es keine Freigabe für die Kelchstützen und keine für das Dach desselben Bauabschnitts, ebenso wenig, wie es keine Freigabe für die Bodenplatte eines anderen Bauabschnitts gibt.
Und nun erinnern wir uns: Um die Fluchttreppenhäuser an die Enden des Baus legen zu können, bedarf es einer Genehmigung der 18. Planänderung. Die ist aber noch nicht erfolgt. Also darf, streng genommen, nur die planfestgestellte Version mit den innenliegenden Fluchttreppenhäusern gebaut werden. Deswegen möchte die Bahn sich diese Option so lange offen halten, bis die Planänderung genehmigt ist. Die Fluchttreppenhäuser haben jedoch eine Auswirkung auf die Gründung, auf die Statik der Kelchstützen und auf die Statik des Dachs. Daher plant man im Moment so, als würden die Fluchttreppenhäuser im BA16 gebaut. Man nennt dies „Hybridplanung“ und führt diesen Begriff auch so mit Anführungszeichen ein. Der Baufreigabebevollmächtigte schreibt: „Die vorgelegte Planung berücksichtigt durch einen hybriden Lösungsansatz die Verschiebung der Treppenhäuser ohne den derzeitigen Stand des Planfeststellungsbeschlusses zu verletzen. Für die Verschiebung der Fluchttreppenhäuser in den Nord- und Südkopf bedarf es einer Genehmigung des 18. Planänderungsverfahrens.“ So hat man diese Klippe umschifft. Man baut und bekommt die endgültige Genehmigung erst später. Man stelle sich das bei einem Bau einer Privatperson vor.
Zusätzlich kündigen sich für einige Bauabschnitte weitere nicht unerhebliche Probleme an. Wenn die Bauwerke über dem S-Bahn-Tunnel abgerissen werden müssen, droht der Tunnel aufzuschwimmen, obwohl man bereits viel Beton auf den Tunnel gepumpt hat. Daher wurde am 15.7.2016 eine Planung für eine tiefere und längere zusätzliche Wasserhaltung beauftragt. So etwas kann sehr komplex werden, denn es wirkt sich auf die Gründung der umliegenden Gebäude und die Gründung des gerade zu erstellenden Bauwerks aus. Zusätzlich erfordert die Kreuzung des Trogbaus mit der S-Bahn ein komplexes Kreuzungsbauwerk, dessen Planung noch längst nicht fertig ist. Somit ist es auch nicht möglich, eine endgültige Aussage über die Statik des Gesamtbauwerkes zu machen, obwohl am Ende der Bauschritte alle Bauabschnitte so miteinander verbunden sein sollen, als wären sie ein Stück. Das sind nur zwei von mindestens zehn zusätzlich beauftragten Erweiterungen im PFA 1.1.
Im Moment müssen wir daher feststellen, dass man, „um keine Zeit zu verlieren“, auf Sicht baut. Es gibt bisher nur wenige Ingenieure, die sich einem solchen Vorgehen widersetzen. Klaus Grewe ist so jemand. Er hat als Projektleiter der Infrastrukturprojekte für die Olympiade 2012 in London zunächst einen Projektstopp verordnet, dann die Planung fertiggestellt und so die Infrastruktur im Zeit- und Kostenrahmen fertigstellen lassen.
Insofern sind unsere Rufe nach einem Baustopp so berechtigt wie nie zuvor. Und bei dieser Gelegenheit sollte man dann auch eingehend überlegen, ob unser Konzept für einen Umstieg ein möglicher Ausweg aus der Sackgasse ist. Der Gewinn für die ganze Region ist enorm, die Leistungsfähigkeit unseres Bahnknotens bliebe uns erhalten und viele Milliarden Euro auch.
Hier möchte ich Werner Sobeck das Schlusswort geben, auch wenn er es nicht so gemeint hat. In der Stuttgarter Zeitung vom 20.1.2015 lesen wir von ihm:
„Wir haben drei Hochschulen und das weltweit höchste bauingenieurtechnische Potenzial in Stuttgart – wir könnten es jederzeit schaffen, eine beispielhafte Stadt zu bauen.“ Ohne Risikobereitschaft und Mut zum Scheitern… geht es aber nicht.
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