Kulturkampf gegen Peter Lenks Skulptur „Chronik einer grotesken Entgleisung“?

Rede von Tom Adler, Stadtrat ‚Die FrAktion‘, auf der 563. Montagsdemo[1] am 17.5.2021

Liebe Freund*innen und Freunde,

die Diskussion um den Standort der Lenk-Skulptur vor dem StadtPalais macht wieder Schlagzeilen. Denn es geht jetzt darum, ob seine „Chronik der grotesken Entgleisung“ von Stuttgart 21 am prominenten Ort StadtPalais stehen bleiben kann oder abgebaut wird.

Wir sagen: oben bleiben und dort stehen lassen, und dafür sind vergangenen Donnerstag etliche Mitstreiter*innen zu einer tollen spontanen Aktion vorm Stadtpalais zusammengekommen!

Was war das doch damals schon für ein peinlicher Zirkus in der Stadtverwaltung, ein Hin- und Hergezerre, bis ENDLICH klar war: die Stadt will sich lieber nicht völlig blamieren. Sondern sie lässt zu, dass die Lenk-Skulptur wenigstens vorübergehend vorm Stadtpalais stehen darf.

Dort steht sie jetzt und dokumentiert den ganzen Irrsinn eines aus der Zeit gefallenen, zerstörerischen Projekts. An das sich die politischen Mehrheiten samt Verwaltungsspitze nach wie vor festkrallen, möge es noch so absurd und peinlich sein. Die Skulptur dokumentiert das öffentlich, für die vielen Menschen, die dieses Werk anzieht, die das auch genau studieren und die politisch Verantwortlichen identifizieren.

Die Stuttgart-21-Täter sind ja noch längst nicht alle von der politischen Bühne abgetreten, von Herrn Oettinger und seiner Entourage bis zum Baubürgermeister Herrn Pätzold, von Herrn Kretschmann und Verkehrt-Minister Winfried Hermann bis Frau Razavi und Herrn Strobel. Auch die gar nicht abgebildeten Steigbügelhalter und nach wie vor Faktenblinden sehen sich mit der Chronik IHRER grotesken Entgleisung ständig öffentlich kritisiert. Das schmerzt – das soll es auch, so wirkt politisch-satirische Kunst.

Das schmerzt und senkt die Bereitschaft, für genau diesen prominenten Standort der Lenk-Skulptur einzustehen. Sie soll also weg von diesem zentralen Platz, wo sie ständig interessiertes Publikum anzieht. Politisch-satirische Kunst, die erkennbare politisch Verantwortliche aufs Korn nimmt, da hört – scheint’s inzwischen – die berühmte Stuttgarter Liberalität auf, wenn‘s um S21 geht.

So ein Störfaktor in der Event- und Spaßgesellschaft soll weg. Und um den politischen Hintergrund zu verschleiern, hantiert man da gern mit allerhand angeblichen „Sachzwängen“: Erst mit dem „Sachzwang“, dass die Skulptur den Bauarbeiten für eine Freitreppe ab Juli im Weg stünde. Seit letzter Woche liegt dem Gemeinderat eine Vorlage des Tiefbauamts vor, die sagt: Bauarbeiten wird es frühestens ab Februar 2022 geben. Egal – dann sucht man halt andere Gründe!

Jetzt heißt es, dass das Liegestuhl-Chill-Event des StadtPalais-Leiters Torben Giese namens „Stuttgart am Meer“ unbedingt die paar Quadratmeter braucht, auf der die Skulptur steht. Was ein schlechter Witz ist – niemand weiß heute, ob die Infektions-Lage im Juli „Stuttgart am Meer“ überhaupt zulässt. Erst vergangenen Freitag hat das Forum der Kulturen unser wirklich heiß geliebtes „Sommerfestival der Kulturen“ deswegen abgesagt.

Und sollte „Stuttgart am Meer“ tatsächlich stattfinden können: dann ist es den Machern zuzumuten, sich mit der Skulptur zu arrangieren und auf ein paar Liegestühle zu verzichten.

Peter Lenk sagte schon letztes Jahr hier bei Oben-Bleiben-TV: „Stuttgart und politische Satire – das geht wohl gar nicht“.

Tatsächlich: genau darum geht es jetzt! Ist satirische Kritik an den unsäglichen Entscheidungen der Stuttgarter Stadtpolitik an dieser prominenten Stelle öffentlich möglich? Kritik, die auch lebende Akteure satirisch aufs Korn nimmt? Oder wird diese prominente Stelle immer mehr reserviert für einen auf Gastro-, Grill-, Chill- und „Königs“-Events reduzierten Kulturbegriff?

Herr Giese hat sich da im Interview mit den Werbern des sogenannten „Dorotheenquartiers“ schon geoutet: „Wenn man bei uns auf dem Balkon steht, hat man schon immer dieses Stadtviertel Doro­theen-­Quar­tier wachsen gesehen. Und heute hat es eine wichtige soziale Funktion übernommen. Hier pulsiert das Leben noch, wenn auf dem Marktplatz schon Ruhe ist. So einen Ort braucht eine Stadt.“ … „Hier hat man ein Stück Stadt gebaut, das lebendig ist und in dem städtische Wege von den Nutzern total akzeptiert werden. Besser kann man’s nicht machen.“

Noch Fragen? Meine Kurzzusammenfassung davon lautet jedenfalls: Ein StadtPalais-Leiter auf der Schleimspur renditegetriebener Stadtentwicklung. Auch die politische Frage hatte Herr Giese schon im Interview mit dem Südkurier beantwortet: „Für einen dauerhaften Verbleib vorm StadtPalais sei ihm die Lenk-Skulptur zu vulgär“.

Weniger klar hat sich bisher der oberste Chef von Herrn Giese geäußert, Oberbürgermeister Nopper. Er hat schon andere kulturpolitische Themen zur ‚Chefsache‘ erklärt, vom Metropolkino bis zur Hajek-Villa am Hasenberg. Mit Peter Lenk hat er auch schon telefoniert. Er will ihm bis zum Ende der Pfingstferien mitteilen, ob seine Skulptur wenigstens bis zum Beginn der Bauarbeiten an dieser Stelle bleiben kann und ob er für die Zeit danach einen gleichwertigen Platz mit Publikumsverkehr anzubieten hat. Oder: ob er mit Herrn Giese demonstrieren will, dass das liberale Stuttgart „gestern“ war, sobald es um Eventkultur und um Stuttgart 21 geht.

Wer wie wir der Meinung ist, dass das schädlich für Stuttgart wäre, bekommt heute schon zu hören: wir würden einen Kulturkampf anzetteln. Einen „Kulturkampf“ haben nicht die eröffnet, die Lenks Skulptur vorm Stadtpalais verteidigen, sondern der Leiter des Stadtpalais mit seiner Abwertung der Skulptur als „zu vulgär“. Eröffnet haben ihn schon vor über 10 Jahren die, die das Brachial-Bauwerk Tiefbahnhof durchprügeln ließen. Und dafür hunderte Jahre alte Park-Kultur dem Erdboden gleich gemacht haben.

Darum geht es: darf man sie an so einem Ort dauerhaft an ihre eigene Schande erinnern? Wir sagen ja, das muss sein, deshalb wollen wir, dass diese künstlerisch-politische Dokumentation des buchstäblich tiefgreifendsten Stuttgarter Konflikts der letzten Jahrzehnte stehen bleibt.

Das haben wir übrigens auch im Gemeinderat beantragt, wir dürfen gespannt sein, wieviel Liberalität dort noch übrig ist.

Das fordern inzwischen fast 2000 Unterzeichner*innen der Petition – machen wir also gemeinsam weiter Druck dafür!

Unserer kleinen spontanen Aktion am vergangenen Donnerstag, die Eberhard Linckh für Sie so schön dokumentiert hat, sollten viele weitere folgen!

Frech, unbequem und mit Kultur Oben Bleiben!

[1] ab 21.12.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online:
https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Tom Adler als pdf-Datei

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.