Boykottiert Rolex!

Rede von Peter Grohmann, Kabarettist, Autor und AnStifter, auf der 606 Montagsdemo am 28.3.2022

Hochverehrte Schar von Demonstrantinnen, Bürgerinnen und Kaufwütigen,

ja, auch ihr seid gemeint: Morgen schon könnte es keine Luxusgüter mehr geben im Milaneo – Moskau ist bereits ausverkauft. Der Krieg schwappt rüber vom vergessenen Babin Jar und Kiew, von der Ukraine zum Fliegerhorst Büchel in der Pfalz.

Keine feinen Taschen mehr bei Breuninger exquisit, niente capitalista im Gerber, nix mehr von Prada am Nesenbach: Njet nada. Keine Kreuzfahrten, keine Luxusjachten, nix Chanel oder Rolex. Auch in Leningrad keine Vikunja-Luxussocken von Falke, der Lieblingsmarke von Putin: Das Paar für 980 Euro. Sind das die Sorgen der Reichen und Schönen vor dem Krieg?

Von Stuttgart nach Bratislava sind es knapp 600 km, von Bratislava in die Ukraine nochmal 1200 km. Militärtransporte fahren nachts, auf diese Weise stören sie weder den Tourismus nach Österreich noch die Flüchtlingsströme aus Kiew.

Jede Zeit, überall auf der Welt, lebt von den Ideen, für die sich die Menschen begeistern lassen – Wohlstand, Jesus, Sozialismus, Panzerfäuste, Eisbein mit Sauerkraut, Scholz und Baerbock, ein trockener Spätburgunder, Hitler, Stalin, Hegel oder Brezeln vom Waible im Heusteigviertel, bewaffnete Drohnen, Atomkraftwerke, Muttermilch von Nestle, ersatzweise Apollinaris.

Unsere Zeit lebt seit 150 bis 180 Jahren von der Idee, dass der Mensch – also ihr, ob aus Heslach, Winnenden oder Backnang – aus eigener intellektueller Kraft die Welt komplett erkennen und perfekt beherrschen kann, wenn man ihn lässt. In Stuttgart hat man ihn sogar gewählt.

Die Leute von heute, also die meisten, sind davon felsenfest und ohne Gipskeuper überzeugt, dass wir die Fähigkeiten haben, immer neuere, schönere, bessere, größere Apparate zu erfinden, zu bauen, die unser Leben erleichtern, es sicherer und bequemer und erträglicher machen, dass immer größere Bahnhöfe mit immer weniger Gleisen auch zu weniger Entgleisungen führen.

Über Schönheit kann man trefflich streiten, manche finden die Unterführung an der Theodor-Heuß-Straße schön, andere den Cannstatter Wilhelmsplatz, welche die Durchfahrt im Wagenburgtunnel, dritte wieder das alte Kaufhaus Schocken, das deshalb bekanntlich umgehend abgerissen wurde.

Grösser, besser, schöner, weiter, höher, tiefer – das beschäftigt die Leute von heute den ganzen lieben Tag, und sogar nachts träumen sie davon.

Nehmen wir beispielsweise den Begriff schneller: Du kannst z.B. schneller deinen Arbeitsplatz verlieren, als du nach Ulm kommst. Oder behältst Deinen Arbeitsplatz, verlierst aber deine Wohnung – Eigenbedarf. Oder du hast wahnsinnig Glück und die Wohnung wird nur teurer. Oder das Sonnenblumenöl ist schneller als gedacht ausverkauft. Ölwechsel können sich ja auch nicht alle leisten – Sonnenblumenöl ist bekanntlich am preiswertesten. Gutes Olivenöl aus Griechenland kann bis zum Zehnfachen kosten.

Wir lieben unsere Stadt zwischen Wald und Reben, zwischen Hängen und Würgen, eine Stadt mit großer Feinstaubquote und den höchsten Mieten, einer Stadt, in der der Wald leidet und die Reben verrecken, weil es nicht regnet. Und wenn es regnet, lassen wir das kostbare Regenwasser im Gully verschwinden. Wir lieben unsere Kinder, wenn sie nicht frech werden, und unsere Autos und kämpfen um jeden Parkplatz, aber wir sind doch saumäßig sicher, dass die Atomkraftwerke in Obrigheim und Neckarwestheim saumäßig sicher sind, auch wenn sie auf Gips stehen.

Wir lieben unsere herrlichen Wälder und Wiesen und Felder rechts und links der Bahnstrecke nach Ulm. Denn wir wissen ja, da oben, über uns, neben uns, jenseits der Tunnelwände, da gibt es sie! Die schroffe, die freundliche Natur, die klugen Winde im Frühling, die Regen und Schneetreiben im Winter und die Schafherden auf der Alb: alles vegan. Schade, denn das alles wird unwichtig, weil wir schneller in Ulm sein wollen. Warum, um Herrgotts Himmels Willen, warum nur?

Der Schneider von Ulm hat's Fliegen probiert – da hat ihn der Teufel in d' Donau neigführt ...

Auch in Ulm erstickt die Stadt im Verkehr, und am Ulmer Münster zerfressen die sauren Regen die Gesichter der schönen mittelalterlichen Statuen. 500 Jahre lang hat man am Münster gebaut, aber in 50 Jahren ist alles vorbei:

Denk stets, wenn etwas dir nicht gefällt: – „Es währt nichts ewig auf dieser Welt!” / Der kleinste Ärger, die größte Qual / Sind nicht von Dauer, sie enden mal! / Drum sei dein Trost, was immer es sei: / „In fünfzig Jahren ist alles vorbei!"

Seit Pofalla wissen wir doch: Die industrielle Umweltverschmutzung pfeift auf den Denkmalschutz. Aber in Ulm hat immerhin der Stadtrat durchgesetzt, dass Immobilien nicht meistbietend verhökert werden an die Banditen von Vonovia oder Deutsche Wohnen, sondern immer zuerst der Kommune anzubieten sind – für sozialen Wohnungsbau. Es lohnt sich also doch, in Ulm Station zu machen und zu prüfen, ob im Ulmer Trinkwasser ebenso viel Mikroplastik enthalten ist wie im Stuttgarter.

Ja, ich weiß aber auch: Wir gehören zu der bedrohten Spezies jener Menschen, die außer den beiden Kontrastfarben Schwarz und Weiß auch noch die dazwischenliegenden Grautöne erkennen. Und das macht uns das Leben so schwer: weil wir argumentieren und überzeugen müssen,  weil wir immer wieder zweifeln müssen, weil wir den Obrigkeiten nicht trauen dürfen.

Unsere Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.

Der Mensch hat innerhalb von nur drei Jahrhunderten das fossile Energie-Reservoir von Millionen Jahren so gut wie verfeuert und dabei Luft (CO2), Wasser (Plastikmüll in den Meeren) und Boden (mit Kunstdünger und Pestiziden) so total vergiftet, dass sich nun die aus dem Gleichgewicht gedrängte Natur an ihm rächt. Etwas spät erkennen wir, wie hoch der Preis ist, den wir für Wohlstand und Wollust zahlen müssen. Wir leben in einer Reparaturgesellschaft.

Wladimir Iljitsch Lenin hat seinerzeit ja immer gefragt: Was tun, Genossen? Das mit der Revolution hatte ja nicht so richtig geklappt, wie behauptet wird. Als die Sowjetunion, die Mutter aller Völker, baden ging – Glasnost hin, Perestroika her – haben viele Kommunisten die Bergwerke und Ölfelder und die Stahlwerke und die Autobahnen privatisiert und wurden Oligarchen. Der Krieg, der Einmarsch in die Ukraine ist ihnen eher unangenehm, aber sie wollen nun mal auf ein gutes Leben nicht verzichten.

Wladimir Putin sagt ja bekanntlich, dass er nur ein Auto hat.  Aber er wechselte die Wäsche täglich. Vor dem Krieg hatte seine Frau Ljudmila Alexandrowna Otscheretnaja ihrem Wladimir die Kleidung täglich zurechtgelegt – Unterhemden von Gucci, und für jeden Tag eine Schießer-Unterhose, dann ein weißes Business-Hemd fürs Gschäft, handgewebt, das Taschentuch, eine leckere Jeans und geputzte Schuhe. Jetzt lebt er in Scheidung.

Der Russe als solcher möcht' wie wir auch gern reich sein, sich nicht über Lärm ärgern und schlechte Luft und teure Mieten und darüber, dass die Oligarchen von Moskau und von Degerloch uns die besten Lagen wegschnappen. Der Russe an sich würde gern, statt zu Krieg zu führen, sich über einen Rosenstein-Park freuen, über einen Kindergartenplatz, über eine Wanderung durch den Schönbuch statt den Überfall auf die Nachbarn. Und wie wir würde er sich über ein Gedicht freuen von Jewgeni Jewtuschenko:

Meinst du, die Russen wollen Krieg?Befrag die Stille, die da schwieg
im weiten Feld, im Pappelhain,
Befrag die Birken an dem Rain.
Dort, wo er liegt in seinem Grab, den russischen Soldaten frag!

Manchen von uns würde schon genügen, wenn die Rente reichen würde, wenn sie sicher wäre, wir könnten vielleicht aufs Gedichtete pfeifen … Andere wieder wären froh, wenn das lebenslänglich Ersparte nicht den Bach runterginge und von Jahr zu Jahr an Wert verlöre.

Leute wie ich erinnern sich noch an den Fliegeralarm, an brennende Städte, an kalte Januar-Nächte in Untergrund-Bahnhöfen, die den Bomben standhielten damals. Heute feuern sie mit Hochleistungs-Laserwaffen, mit atombetriebenen Marschflugkörpern mit „unbegrenzter“ Reichweite, mit Hyper-Schall-Raketen. Ob da unsere Neuheiten-Messe beim Waffen- und Militaria-Markt Deidesheim noch mitkommt?

Denn darüber sind sich ja die meisten einig. Pazifismus war gestern. Die neue Berta von Suttner heißt Wolodymyr Selenskyj. Wenn Russland Atomwaffen hat, brauchen wir auch. Wenn Russland Chemiewaffen hat, brauchen wir auch. Wenn Russland biologische Waffen hat, brauchen wir auch.

Und plötzlich tauchen in allen Fernsehsendungen Spezialisten und Russland-Experten auf, Gutachter für Tiefbunker, Häuserkampf, Panzerschlachten und Luftabwehr, für Spionage, Cyberkrieg und Kartoffelpuffer. Haben Sie in den letzten Tagen oder Wochen je etwas gehört von einem Friedensexperten? Haben Sie in den Tagesthemen je was gehört von einem Gutachter für verrückte Staatsmänner? War in den Politmagazinen der letzten Wochen je etwas von einem Streitschlichter zu sehen, von einem Spezialisten für große Konflikte? Nur Ballermänner..

Elan Munk ist der reichste Mensch der Erde mit 270 Mrd., dann kommt Jeff Bezos mit lächerlichen 190 Mrd. US-$, Bill Gates liegt abgeschlagen auf Platz 4: 135 Mrd.! Unter den 25 reichsten Menschen kein einziger Deutscher. Peinlich. Sorry, aber wann hören wir verdammt nochmal was davon, dass ein Tempolimit jährlich 3,7 Mrd. Liter Sprit einspart? Die einzig kluge Lösung, um sowohl entschlossen gegen die Klimakrise wie auch gegen die Abhängigkeit von kriegführenden Autokraten wie Wladimir Putin anzugehen, ist der Ausstieg aus fossilen Rohstoffen. Und das nicht in zehn oder zwanzig Jahren, sondern sofort beginnend – und mit größter, klügster, schnellster, bester Anstrengung Wir haben Geduld. Wir haben viel zu viel Geduld. Leider. Denn deshalb sieht es auf der Welt so aus, wie es aussieht. Deshalb sind auch die Bilanzen so mies – die Bilanzen von Krieg und Frieden, von Klima und Umwelt, von den Bilanzen der Bahn ganz zu schweigen.

Oder doch nicht, denn am 30. 3. trifft sich der alte Aufsichtsrat der Bahn zur letzten Veschper am Abgrund: Die Faktenleugner und Bilanzschwindler, die Manipulateure der Milliarden. Die Betonfraktionen arbeiten parteiübergreifend. Fraglich, ob sie am Mittwoch Farbe bekennen.

Unsere Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht. Pessimismus macht blind. Aber das Streiten macht munter, weil wir wissen:

Ihr kriegt uns nicht los – wir euch schon!


Wessen Geld? Wessen Stadt? Wessen Welt? Unsere Welt!

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