Zeitenwende im Filztal

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 643. Montagsdemo am 9.1.2023

Liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Melkkühe in der Politik und bei der Bahn,

die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm hat „eine ähnliche Bedeutung wie der Bau der Eisenbahn überhaupt“. Das sagte Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch gegenüber der Südwest Presse. Innenminister Thomas Strobl, der mit uns nicht über den Brandschutz reden möchte, wusste sogar: „Die Neubaustrecke ist die Aorta, die Baden-Württemberg im Herzen Europas mit dem Kontinent verbindet.“

Ministerpräsident Kretschmann und Verkehrsminister Hermann feierten in Ulm bei der Eröffnung kräftig mit. Winne Hermann verstieg sich danach in einem Interview mit der FAZ zu der Aussage: „Und wir Grünen wollten ja nur den unterirdischen Bahnhof nicht, die Neubaustrecke schon.“ Peinlich nur, dass Klaus Gietinger, der Regisseur des Films „Das trojanische Pferd“, in seinem Video zur Neubaustreckeneröffnung Winne Hermanns Aussage vom 10.9.2010 eingeblendet hat: „Die Neubaustrecke ist die teuerste und die riskanteste Neubaustrecke, die je in Deutschland gebaut wurde.“ Nach dieser Einführung wundert ihr euch sicher nicht mehr, dass mein Vortrag am 24. Februar in Stetten im Remstal den Titel trägt „Luagabeidl GmbH & Co. KG“.

Doch nun zurück zur Eröffnung der Neubaustrecke. Wir waren mit unseren Bannern eines brennenden ICE sehr gut vertreten auf dem Bahnsteig, an dem der ICE mit den Promis und Journalisten ankam. Alle mussten direkt an uns vorbei gehen und wir erregten große Aufmerksamkeit. Da hat sich das Frieren in der Eiseskälte gelohnt. Schon bald war der Jubel verklungen und alles beim Alten: Pleiten, Pech und Pannen. Aber die Lügen wurden weiter verbreitet. So wurde und wird allen Ernstes behauptet, alle Reisenden sparten zwischen Stuttgart und Ulm 15 Minuten. Das stimmt natürlich nicht, wie mir sogar die DB Regio schriftlich bestätigte.

Nun aber zu den gemolkenen Kühen. Der zitierte Oberbürgermeister Czisch hat noch nicht einmal bemerkt, dass eine kürzere Fahrzeit für Pendler den Abbau von Arbeitsplätzen in Ulm und ihre Verlagerung nach Stuttgart bedeutet. Auch die jetzige Bauministerin Nicole Razavi mit dem Bahnhöfle Merklingen direkt neben ihrem Wahlkreis hat noch nicht begriffen, dass ihre Älbler jetzt erst recht zur Arbeit pendeln müssen. Schon im Untersuchungsausschuss wegen des Polizeieinsatzes im Schlossgarten ist sie mit ihrer Projektbegeisterung aufgefallen.

Lug und Trug begleiteten die Neubaustrecke von Anfang an. Bekanntlich dürfen Schienenprojekte nur dann in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen und gebaut werden, wenn sie wirtschaftlich sind. Trotz der geschönten Kosten von nur zwei Milliarden Euro inklusive der verfassungswidrigen Mischfinanzierung durch das Land mit fast einer Milliarde war die Neubaustrecke unwirtschaftlich. Deshalb hat man den Nutzen von Güterzügen auf der Neubaustrecke eingerechnet, obwohl diese dort wegen der großen Steigung gar nicht fahren können. Als das auffiel, hat man von leichten Güterzügen gefaselt, die es aber gar nicht gibt. Mit den jetzt doppelt so hohen Kosten von vier Milliarden Euro ist die Strecke auch doppelt unwirtschaftlich.

Ihr merkt hoffentlich, dass ich euch sehr behutsam auf das Thema „Filztalbrücke“ hingeführt habe. Nach den neuesten Berichten kostet die jetzt mehr als das Dreifache der veranschlagten Kosten von 50 Millionen Euro. Schuld daran waren angeblich technische Probleme, wobei offen bleibt, ob die Firma Max Bögl unfähig war oder den Planern der Bahn der Durchblick fehlte. Jedenfalls soll es so gewesen sein, dass die Firma Max Bögl Verstärkung brauchte und die Firma Porr in einer Arbeitsgemeinschaft mit ins Boot geholt wurde. Pikant: Die Firma Max Bögl taucht in einem Bericht über die größten Bau­skandale in der deutschen Geschichte mit Korruptionsvorwürfen bei Millionenaufträgen von IKEA auf. Das führte zur Strafverfolgung von Verantwortlichen der Firma einschließlich des Seniorchefs. Der Mutterkonzern der Firma Porr musste vor gut einem Jahr in Österreich wegen verbotener Preisabsprachen die Rekordsumme von 62 Millionen Euro Geldbuße zahlen. Da hat die Bahn, wenn sie tatsächlich gutgläubig war, die Richtigen beauftragt. Man könnte auch, ähnlich wie nach den Recherchen der Financial Times zu Korruption und Betrug bei Stuttgart 21, auf die Idee kommen, bei der Bahn seien nicht alle ahnungslos gewesen. Das werden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen.

Jetzt kommen die gemolkenen Kühe ins Spiel: Die Bahn, insbesondere die uns wohlbekannte DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, und die Politik waren in der Klemme. Mit der Filztalbrücke ging es nicht mehr vorwärts, wie uns Insider schon vor vier Jahren berichtet hatten. Offenbar waren die Probleme so groß, dass die Einstellung der Arbeiten drohte. Das wäre eine Katastrophe für Bahn und Politik gewesen. Denn der vorgesehene Fertigstellungstermin musste auf Biegen und Brechen eingehalten werden. Zur Selbstbeweihräucherung hatte man die Eröffnungsfeier dringend nötig. Also akzeptierte man weit höhere Forderungen der beteiligten Baufirmen und garantierte diesen zusätzlich noch einen stattlichen Gewinn. Da es nicht um das Geld der beteiligten Politiker und Bahnvorstände ging, sondern um das der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, fiel diese Entscheidung nicht besonders schwer. Zu hinterfragen ist allerdings die Rolle des Eisenbahn-Bundesamtes, das nach den Presseberichten in den Kuhhandel eingebunden war, und vor allem die Verantwortung des Bundesverkehrsministeriums einschließlich des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer.

Nachdem das so gut geklappt hatte, kam man offenbar auf die Idee, die Gewinne weiter aufzubessern. Es sollen mehr Arbeitsstunden und Material abgerechnet worden sein als eingesetzt wurden. Zu diesem Zweck sollen Bautagebücher gefälscht worden sein. Wer daran auf keinen Fall beteiligt war, konnte ich schnell herausfinden. Denn die Firma Bögl hat nach der IKEA-Affäre eine Grundwerteerklärung herausgegeben, in der es heißt: „Vor allem jede Art von Korruption und illegaler Beschäftigung wird abgelehnt und es wird dagegen vorgegangen.“ Und die Firma Porr bürgt jetzt laut ihrer Homepage für „Bauen mit Expertise & Handschlagqualität“. Selbstverständlich gibt es bei der Bahn, also vor allem bei der PSU, nur ehrliche Menschen. Somit sind die Täter schnell identifiziert: Es kann sich nur um unehrliche Hilfsarbeiter gehandelt haben.

Wer nun glaubt, damit sei zu Großprojekten der Bahn alles gesagt, der hat möglicherweise übersehen, dass ich in der Überschrift Filz mit „z“ geschrieben habe. Denn was gerade mit dem geplanten Pfaffensteigtunnel geschieht, welcher die Gäubahn zum Flughafen führen soll, schlägt dem Fass den Boden aus. Man sollte annehmen, ein Parlament habe das Projekt beschlossen und kontrolliere die Notwendigkeit sowie die Finanzierung. Aufgefallen war mir allerdings bereits schon vor langem, dass bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit auch hier Güterzüge eingerechnet wurden, welche aber auf dem Streckenabschnitt mit dem teuren Tunnel gar nicht fahren werden. Das hat uns sogar der frühere Staatssekretär Bilger ausdrücklich bestätigt. Trotzdem wurde dem Ausbau der Gäubahnstrecke inklusive dem Pfaffensteigtunnel mit solchen Lügen die Wirtschaftlichkeit bescheinigt. Auch die Kosten wurden wieder viel zu niedrig angesetzt, wie ein Gutachten von Karlheinz Rößler zeigt. Nachträglich hat man dann den Tunnel mit einem Trick ohne Parlamentsbeschluss auf die Liste der vordringlichen Schienenprojekte gezaubert. Nach den Recherchen von Ulrich Ebert von den Ingenieuren22 arbeiten für dieses Vorhaben offenbar schon seit vielen Monaten ca. 80 Ingenieure und haben für das Vorplanungsheft 21 Leitzordner gefüllt.

Was können wir daraus lernen? Ganz einfach: Man könnte im Bundesverkehrsministerium beschließen, irgendein Projekt zu bauen und dies mit falschen Berechnungen auf die Liste als vordringlich zu setzen. Eine schlagende Begründung ist, es sei für den Deutschlandtakt nötig. Man könnte auf die Idee kommen, dass die Bauwirtschaft solche teuren Projekte erfindet und sie dann im Ministerium umgesetzt werden. Ist ein Vorhaben erst mal als vordringlich in der Liste zum Bundesschienenwegeausbaugesetz gelandet, steht der Bedarf rechtlich fest und Klagen haben keine aufschiebende Wirkung. So ist gesichert, dass nur kostspielige und gewinnträchtige Vorhaben umgesetzt werden und die nötige Verbesserung der Infrastruktur unterbleibt.

Weil wir aber ein Musterländle sind, wird das alles nicht passieren. Vor uns liegt bestimmt ein gutes Jahr ohne Filz, mit eingehaltenen Kosten und sinnvollen Projekten. Und wer das nicht glaubt, ist bei uns richtig. Denn wir wollen auch in diesem Jahr:

Oben bleiben!

Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei

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