Februar 2012: Die bestgeplante Parkzerstörung für das ‚bestgeplante Bahnprojekt‘ Stuttgart 21

Moderation (gekürzt) von Tom Adler, Demoteam, auf der 648. Montagsdemo am 13.2.2023

Liebe Freund*innen,

ein herzliches Willkommen Ihnen und Euch allen zur 648. Montagsdemo, den Radler*innen, den Heidelberger Mitstreiter*innen und überhaupt allen mit längeren Anfahrtswegen, verbunden mit großem Dank für die musikalische Einstimmung auch an die Feschtagsmusik, die für aus Ulm gekommen sind.

Bevor Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der DUH, zu euch über neue Ansätze im Kampf um den Erhalt von Gäubahn und Kopfbahnhof sprechen wird, soll heute, an diesem Montag, dem 13.Februar, an unseren Protest gegen die finale Zerstörung des mittleren Schlossgartens erinnert werden: Vor 11 Jahren, am 5. Februar 2012 hat das vom Sozialdemokraten Nils Schmid geführte Finanzministerium die Schlossgartenflächen an die Tunnel-Bahn übergeben und damit ausgeliefert. Das war das Startsignal für die von der neuen Landesregierung und der Polizei generalstabsmäßig geplanten, völligen Zerstörung des mittleren Schlossgartens zwischen dem 13. und 17.Februar.

Auch wenn es weh tut, Sie erinnern sich bestimmt: bei unsrer 111. Montagsdemo am Park sah der noch fast „unwirklich schön“ aus. „Ein weißer, in Stuttgart seltener Wintertraum“, schrieb Kontext.

Am Abend danach, 10 Stunden vor der Räumung durch 2500 Polizisten, sprach bei der Kundgebung auf der Schillerstraße der Schriftsteller Heinrich Steinfest – poetisch und eindringlich vor den Demonstrant*innen, die in bitterer Kälte gekommen waren, um ihren Park und die Baumriesen zu schützen. „Es geht uns wie den Bäumen,“ sagte er, „ man versucht, uns zu marginalisieren und zu bagatellisieren – es sind ja nur ein paar Bäume, es ist doch nur ein Bahnhof, und wir: ein paar arme Irre. (…) „Das müssen wir aushalten,“ sagte er weiter , „wir sind nicht die ersten! Und wir werden es aushalten und darauf achten, dabei die eigene Würde zu erhalten!“

Ich schaue mich auf dem Platz um, ich sehe Sie an, liebe Freund*innen und meine: Wir tun das bis heute! Während die Tunnelbahnhofsfanatiker und -Profiteure seither in ihrem Orwell-Sprech ihre Verachtung für diese Stadt und die Bedürfnisse ihrer Menschen, ja: für Transparenz und Wahrheit ausdrücken.

Eckart v. Hirschhausen hat gesagt: „Es ist schwer, ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.“ Das mussten auch die vielen Parkschützer*innen erleben, die in dieser Nacht versucht haben, die Zerstörung des mittleren Schlossgartens gegen eine Polizeiübermacht von 2500 Polizisten zu blockieren. Da waren mutige Menschen, die sich angekettet hatten, nicht bereit waren, den Park zu verlassen und den Kettensägen den Weg frei zu machen. Da waren allein 13 Baumbesetzer von Robin Wood in den Bäumen und entschlossene Parkschützer*innen, die sich im Boden zum Schutz der Bäume festbetoniert hatten – damals schon als Rechtsbrecher beschimpft, heute würden sie vom politischen Arm der Klimazerstörer als Klimaterroristen kriminalisiert.

Liebe Freund*innen: Das – waren – wir! Viele davon sind auch heute aktiv und bei unsren Kundgebungen. Und deshalb ist es mehr als nur ein freundliches Kompliment, wenn junge Klimaaktivisti uns sagen: „Wir wissen, dass wir auf euren Schultern stehen!“

Die Kretschmannsche Parkräumung fand natürlich den Beifall der Medien. Sie war perfekt organisiert und vorher durchgespielt. Sie wollten unbedingt verhindern, dass wieder solche blutigen Bilder einer gewalttätigen Parkzerstörung produziert werden, die davor Mappus die Macht gekostet hatten. Grüne und SPD wollten so die Parkzerstörung exekutieren und den Kettensägen den Weg vollends frei machen. Was Mappus und die Bahn bis dahin nicht geschafft hatten – und es vielleicht mit einer grünen Partei in der Opposition auf unsrer Seite auch nicht geschafft hätten. Denn, liebe Freund*innen, es wird immer gern wieder vergessen: es ist geradezu die Funktion von Grünen und SPD in Regierungen, skandalösen Projekten den Weg frei zu machen, wenn es berechtigten, massiven und starken Protest gibt, indem nämlich massive Verunsicherung in den Bewegungen erzeugt wird, wenn plötzlich die „eigenen Leute“ auf der anderen Seite sitzen und so der Widerstand gelähmt wird.

Liebe Freund*innen, noch einen Satz, mit dem diese schmerzende Seite aus unserem Protestgeschichtsbuch für heute geschlossen sein soll. Angelika Linckh hatte ihn, vor einem Jahr in Kontext, als Fazit ihrer Erinnerung an diesen Tag aus einem Song von Franz-Josef Degenhard zitiert: „Dass das nicht solche Geschichten bleiben, die man den Enkeln erzählen kann. Es gibt 'ne Menge Leute die hätten großes Interesse daran. (...) Ja, so hätten sie's gern, die Abgespeisten und die, die die Speisen verteilen. Aber: wir werden sie enttäuschen!“

Denn trotz allem Polit- und PSU-Orwell-Sprech ist doch nicht mehr zu vertuschen, dass das Projekt in jeder Hinsicht Murks und buchstäblich brandgefährlich ist, und dass die Halbwertszeit aller Versprechen immer kürzer wird: Der Fertigstellungstermin 2025 – immer unwahrscheinlicher, schreibt die Stuttgarter Zeitung! Und es können Wetten abgeschlossen werden, ob die genaueste Kostenprognose von Peter Grohmann oder Gerhard Polt kommt! Über all das wird auf den kommenden Kundgebungen zu reden sein – genau wie über die Frage: wer zahlt die Milliarden Mehrkosten, die im April das erste Mal vor Gericht verhandelt werden.

Im übertragenen Sinn ‚unbezahlbar‘ sind unsere Unterstützer aus wichtigen Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe. Anders als einige, die mit den Grünen 2013/14 dem Aktionsbündnis und uns den Rücken zugedreht haben, treibt die DUH die Fossilkonzerne und die Politik vor sich her, damit aus Ankündigungs- endlich reale Klimaschutzpolitik wird. Jürgen Resch, ihr Bundesgeschäftsführer, redet allen Anfeindungen zum Trotz immer Klartext und das auch zur Gäubahn und zum Kopfbahnhof – wir freuen uns sehr, dass er heute wieder bei uns ist: herzlich willkommen Jürgen Resch!

Lieber Jürgen Resch, der Bogen den Du geschlagen hast, von der Parkräumung zurück zu euren und unseren Handlungsmöglichkeiten in Gegenwart und Zukunft, das zeigt auf, dass wir im Gegensatz zu Herrn Kretschmann, diesem nach Christian Lindner engagiertesten Schutzpatron der Autokonzerne, hier „nicht die Schlachten von gestern“ schlagen und uns nicht bequem mit blöden Sprüchen à la „der Käs isch g’essa“ aus der Verantwortung stehlen für diese Stadt und den künftigen Bahnverkehr.

Auch zu diesem Thema wird auf den nächsten Demos gesprochen werden. Denn die Deutsche Bahn plant offenbar das größte Kundenvergraulungs-Programm ihrer Geschichte: Ab Frühsommer nächsten Jahres soll in Deutschland eine hochumstrittene „Generalsanierung“ des Schienennetzes beginnen und mindestens bis 2030 dauern. Dabei soll jeweils für 5 bis 6 Monate ein „Korridor“ des Netzes komplett gesperrt werden, Verkehrs-Verlagerung von der Schiene auf die Straße sind so sicher wie Herrn Kretschmanns Amen im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.

Das kritisieren auch hochkarätige Bahnprofis, z.B. der Chef der Schweizer Bundesbahn SBB, Benedikt Waibel, sie kennen ihn, er hat schon hier gesprochen. Monatelange Sperrung von Hauptverkehrskorridoren statt Sanierung unter „rollendem Rad“ werde die Fahrgäste in Scharen vertreiben, sagt er, der was von Bahnverkehr versteht und seine SBB nicht zu Grunde gerichtet hat wie die Autolobbyisten an der Spitze die Deutschen Bahn.

Das Dilemma mit der real existierenden Bahn, wie sie heute arbeitet und plant: sie ist eine Beton-Bahn, keine Klimabahn, wird also bei Fortsetzung der heutigen Politik immer mehr Teil des Problems und immer weniger Teil der Lösung der Klimakrise. Mit unserem Engagement für den Erhalt der Panorama- und Gäubahn und für den oberirdischen Kopfbahnhof, gegen eine Verdoppelung der Tunnelkilometer, kämpfen wir wie Jürgen Reschs DUH dafür, dass die Klima-Bahn Wirklichkeit wird!

Einen guten Abend und ein herzliches Oben Bleiben!

Moderation von Tom Adler als pdf-Datei

 

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