Nur noch 28 Minuten nach Ulm, toll!

Rosenmontags-Rede von Siegfried Busch, Aktionsbündnis für den Kopfbahnhof Steinlach/Mössingen, auf der 649. Montagsdemo am 20.2.2023

Ich steige in die Bütt
und wünsche mir viel Glück!
Wünscht alle Glück mir auch,
sonst steh ich auf dem Schlauch!

Das hat uns die Bahn schon vor Baubeginn versprochen, nur noch 28 Minuten mit dem ICE nach Ulm. 10 Jahre später hat Bahnhäuptling Krenz im Rathaus ein Papier verteilen lassen, ich war dabei: Nicht 28 Minuten, sondern 31 Minuten. Was aber les‘ ich im INFO-Turm? Es sind nur noch 27!

Im Info-Turm gibt es noch viel mehr frohe Botschaften: Das Projekt sei „rundum nachhaltig.“ O-Ton Vereinschef Bauer: Dieses Projekt ist durch und durch ökologisch.“

Im Bahnhof gibt es in Zukunft ein 4-Sterne-Hotel. Das ist sehr praktisch für alle, die wegen Verspätung den letzten Anschluss verpasst haben. Das ist mir schon zweimal passiert, die Bahn hat mir dann jedes Mal ein Taxi nach Mössingen spendiert.

Kein Tunnel ohne Tunneltaufe! Viele Fotos davon hängen im Info-Turm. Die Bosse und Alphatiere freuen sich auf den Fotos immer riesig, aber sie wechseln oft von Taufe zu Taufe. Doch jedes Mal, bei jeder Taufe, ist die gleiche Dame dabei! Wer ist es, weiß es jemand? Es ist die Heilige Barbara!

Das Beste aber wird die neue Haupthalle. Da les’ ich: „Der denkmalgeschützte Bonatzbau…“ Denkmalgeschützt? Hat er als Kulturdenkmal die höchste Schutzwürdigkeit behalten dürfen? Wird er sogar noch Weltkulturerbe?

Ich les‘ weiter: der Bahnhof „wird in den nächsten Jahren komplett modernisiert… Das Empfangsgebäude prägt das Stadtbild und bleibt erhalten“. Jetzt kommt das Allerbeste: „Die Halle entspricht nach dem Umbau wieder viel mehr einer Kathedrale des Verkehrs. So wie Paul Bonatz es vor über 100 Jahren geplant hatte“.

Wer nur hat diesen haarsträubenden Blödsinn geschrieben? Natürlich mal wieder eine teure Werbeagentur, die im Turm auch die „Magistrale“ wieder aufleben lässt. Die alten falschen Werbesprüche. Kommando zurück!! Sorry! Es war keine Werbeagentur, der Text stammt vom S21-Verein selbst! Ganz klar, „ein guter Abt lobt sein Kloster,“ auch wenn die Mönche zu viel Bier trinken, und so weiter.

Nur noch 27 Minuten nach Ulm! Aber wann wird das sein? Wann ist der Bahnhof ganz fertig? Mit dem Pfaffentunnel und der Gäubahn über den Flughafen? Die richtige Antwort steht im Struwwelpeter: „Ja, das weiß kein Mensch zu sagen“.

Es gibt aber schon einige Schätzungen; an 2025 kann niemand glauben, nur die Bahn hält eisern daran fest. Ich hörte schon 2027, 2030, 36, 40, 44! 2044! das schätzte ein Fachmann, der bisher immer ziemlich recht behalten hat. 2044! Menschenskind, da bin ich schon 108! Ob ich das noch erleben kann?

Es gibt Leute, die sogar an gar keine funktionierende Fertigstellung mehr glauben. Auf der Titelseite eines dicken Buches steht „abgrundtief und bodenlos, Stuttgart 21 und sein absehbares Scheitern“.

Eine halbe Stunde Zeit gespart nach Ulm. toll! Diese Aussicht muss allerdings sehr teuer bezahlt werden! Ich denke heute nicht an die vielen Milliarden. Mein Thema ist die Zeit, die uns Stuttgart 21 kostet. Bis jetzt und noch lang. Also der Zeitverlust im Vergleich mit dem Zeitgewinn. Ich rede von einer Bilanz Zeit gespart/Zeit verloren.

Wer von uns hat nicht schon Zeitverluste gehabt wegen der Baumaßnahmen? Bestimmt alle Zugfahrer – natürlich nicht nur Männer, es sind immer alle gemeint, bestimmt alle Benutzer der S- und U-Bahn, Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger, also wir alle, jung und alt.

Ein paar Beispiele:

Nummer 1: Hauptbahnhof Südseite ­– die Wege am Hauptbahnhof wurden immer länger:

  • 100 Jahre lang ging man vom Haupteingang durch die noble Schalterhalle, die breite Treppe oder Rolltreppe hoch, durch die Bahnsteighalle und schon war man am Bahnsteig, so in 1 Minute. Dann musste man das Baufeld überqueren, plus 120 Meter, mehr als dreimal so lang. Heute aber der 400 m lange Umweg im großen Bogen. Dieser Umweg wird nicht geliebt. Wieviel Reisende werden es täglich sein, vermutlich viel mehr als 10.000. Da kommt ganz schön was zusammen aufs negative Zeitkonto!

Zweites Beispiel, zur S-Bahn:

  • Aktuell ist mal wieder ein Chaos, das viel Zeit und Ärger kostet. Aus Richtung Böblingen sollen die Leute ab 2025 in Vaihingen oder an einem „Nordhalt“ umsteigen, wenn sie zum Hauptbahnhof wollen. Regionalpräsident Bopp Bo Bo Bopp hat gesagt, eine Unterbrechung der Gäubahnstrecke von mehr als 10 Jahren sei zumutbar. Wieviel Zeit verlieren da die Pendler?
  1. zur U-Bahn
  • Angekündigt vor Baubeginn wurde die Stadtbahnunterbrechung der zentralen Linien für 2 Wochen in den Ferien, heute sind es schon über 7 Jahre! Das ist 195 mal so viel als 2 Wochen. Eine riesige Zeitmenge
  1. Die Autofahrer
  • Selbst erlebt im November 2019: Weil die Heilbronner Straße gesperrt war, ein kilometerlanger Stau stadtauswärts vom Milchhof über die Ehmann- und Nordbahnhofstraße bis zum Löwentor und weiter, mit sehr trägem stop and go. Der Stopp war immer viel länger als der Go! Zeitkosten etwa eine Stunde pro Auto.
  1. Radwege
  • Der Neckartalweg heißt so, weil der Radweg den Neckar entlang geht. Nun sollte er 7 Jahre gesperrt bleiben und auf Umwegen durch Wohngebiete führen.
  1. Fußgänger
  • Der Zugang zum Schlossgarten von der Königstraße führt über einen öden Bauweg und eine lange Brücke. Vor Baubeginn betrat man den schönen alten Schlossgarten gleich neben dem Bahnhof.

Das waren nur wenige Beispiele von Zeitkosten. Es sind aber hunderte solcher und noch viel größerer Maßnahmen, z.B. Autobahnsperrungen. Das bringt die Zeitbilanz in ein grotesk schlechtes Missverhältnis. Die 28 Minuten nach Ulm kannst du in der Pfeife rauchen…!

Von der Bahn und im Info-Turm hört man zu den Zeitkosten, zu den riesigen Zeitverlusten der Menschen nichts. Es geht ja um ein Jahrhundertprojekt, das wir wie ein Naturereignis hinnehmen sollen, es geht angeblich um die „überragende Verkehrsbedeutung“. Christine Prayon sagte aktuell was ganz anderes: es geht nur um Geld und Profit von Wenigen.

Es kostet sehr viel Zeit,
das Ende ist noch weit!

Rede von Siegfried Busch als pdf-Datei

 

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