Wohnungspolitisches Rollback

Rede von Johanna Tiarks, Fraktionsgemeinschaft „Die FrAktion“, auf der 657. Montagsdemo am 24.4.2023

Liebe FreundInnen,

es ist mal wieder Zeit, sich ausführlich mit dem Thema Wohnungspolitik in Stuttgart auseinanderzusetzen. Und dafür gibt es einen beispielhaften Anlass.

Letzte Woche stand in der Zeitung, dass die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) ihr großes Wohnbauprojekt am Stöckach im Stuttgarter Osten auf Eis legt. Auf dem bisherigen Betriebsgelände sollten 800 Wohnungen auf 60 .000 Quadratmetern entstehen. 40 Prozent davon sollten für günstige Mieten gefördert werden. Und eigentlich sollte es für die Internationale Bauausstellung IBA 2027 in Stuttgart ein Leuchtturmprojekt sein – und ist wohl nun eher ein Totalausfall.

Die EnBW hat jetzt festgestellt: die Marktsituation lasse „die wirtschaftliche Umsetzung zurzeit nicht zu“!

Daran zeigt sich, dass gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung grundsätzlich nicht Aufgabe privatwirtschaftlicher Investoren sein kann. Die haben schlichtweg andere Interessen. Die wollen Gewinne einfahren und keinen bezahlbaren Wohnraum für die StuttgarterInnen bereitstellen.

Wir müssen den Bebauungsplan am Stöckach jetzt stoppen und eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme einleiten. Es kann nicht sein, dass wir wieder einmal tatenlos zuschauen, wie Investoren auf bessere Zeiten hoffen. Wenn sich der Gemeinderat selbst ernst nimmt mit seinen Zielen, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, dann muss jetzt eine fundamental andere Gangart an den Tag gelegt werden.

Und es ist auch ziemlich klar, wer für diese gesamte Wohnungsbaumisere verantwortlich ist. Die Mehrheit im Gemeinderat hat Grundstücke an InvestorInnen verschleudert, die dann für KapitalanlegerInnen teuren Wohnraum schaffen oder halt auch gar nichts machen.

So hat der Gemeinderat z.B. den Ankauf des IBM-Areals in Vaihingen für Wohnungsbau gescheut. Seit Jahren geht dort mit dem Investor Adler-Group rein gar nichts voran. Auf dem Gelände könnten bereits heute 1500 Menschen in leistbaren Mietwohnungen leben, wenn die Stadt das Gelände seinerzeit gekauft und entwickelt hätte.

Und was sind die Ziele der Stadt?

Jetzt haben wir eine Beschlussvorlage von OB Nopper und seinem Chefstrategen Körner bekommen. In dem heißt es, es soll bis 2033 der Baubeginn von 20.000 Wohnungen ermöglicht werden. Dabei handelt es sich um eine „langfristige Orientierung“.

Also 20.000 Wohnungen, von denen lediglich 6.000 im geförderten Bereich entstehen sollen. Da ist noch nicht einmal klar, ob es sich um Sozialmietwohnungen oder vielleicht um Wohnungen aus dem geförderten städtischen Eigentumsprogramm handelt.

Dabei sind alleine in unserer Notfallkartei für Wohnungssuchende seit Jahren ca. 4.400 Personen. Und da sind die Kinder noch nicht dabei – die können ja keinen Wohnberechtigungsschein beantragen. Insbesondere für diese Menschen brauchen wir leistbare Wohnungen!

Dabei ist ja nicht das Problem, in Stuttgart überhaupt eine Wohnung zu finden, sondern eine, die man sich auch leisten kann!

Und da gehen die StuttgarterInnen schon an ihre Schmerzgrenzen: 20% der Stuttgarter Miethaushalte wenden mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Miete auf, 11% sogar mehr als die Hälfte. Und damit können sie sich diese Wohnungen eigentlich gar nicht mehr leisten – insbesondere in Zeiten steigender Inflation. Das geht dann ab bei der Bildung für die Kinder, an der gesunden Ernährung und bei der Kultur. Und den MieterInnen bleibt gar nicht viel anderes übrig, weil wohnen muss man ja irgendwo!

Jetzt könnte man ja denken, ha, wenn wir die vielen Wohnungen irgendwann zukünftig haben, dann entspannt sich der „freie Markt“, und man hofft darauf, dass der „freie Markt“ das dann schon richten wird.

Weit gefehlt!

Damit das Kapital nicht durch eine Überanhäufung entwertet wird und es dadurch zu einer Krise kommt, muss es räumlich und zeitlich verschoben werden. D.h., die angehäuften Profite, die sonst mit niedriger Rendite liegen bleiben würden, brauchen gewissermaßen einen profitablen „Parkplatz“. Der Immobilienmarkt bietet dafür die idealen Voraussetzungen.

Das Ergebnis sind regelmäßige Immobilienbooms, in denen auch völlig intakte Gebäude abgerissen werden, um Platz für neue Anlageobjekte zu schaffen. Das orientiert sich nicht am realen Bedarf, sondern an den Möglichkeiten der Wertsteigerung. In Stuttgart lässt sich das auch hervorragend beobachten – siehe EnBW-Areal, siehe Eiermann-Areal.

Der freie Markt „richtet“ es also einzig allein für die Renditen von Investoren, Banken, Bau- und Immobilienwirtschaft! Und diese Politik wird im Gemeinderat forciert!

Die SPD steht wie CDU und Grüne für diese Betonpolitik von InvestorInnen. Deswegen fordert die SPD auch gleich mal 27.000 Wohnungen und nicht 20.000. Und die Grünen wollen zwar nicht auf der grünen Wiese bauen, aber die 20.000 Wohnungen sollen bis 2033 bitte fertig gestellt und bezugsfertig sein.

Was das bedeutet, ist auch klar: Erst wird bestehender Wohnraum abgerissen, weil man dann ja da mehr Wohnungen hin bauen kann. Diese Abriss-Neubau-Politik ist ein riesiges Problem.

Ein Beispiel hier aus Stuttgart: Die SWSG hat im Hallschlag (Essener/Düsseldorfer Straße) 2019 mit dem Abriss von 96 Altbauwohnungen begonnen, neu gebaut werden sollen hier 128. Aber: Zahlten die MieterInnen bisher nur etwa 7,20 – 8,00 Euro pro Quadratmeter in frei finanzierten Wohnungen, werden bei den Neubauten etwa 12 Euro pro Quadratmeter fällig. Wobei das noch die Untergrenze ist! Inzwischen sind die Preise für den frei finanzierten Wohnungsbau der SWSG bei Neubau auch schon mal bei 14,60 Euro/qm. Und wie ich letztens erst lesen durfte, ist das noch harmlos. Anscheinend ist der Quadratmeterpreis bei Neubauten nicht mehr unter 19 Euro zu verwirklichen.

Höhere Mieten in einzelnen Wohnungen führen automatisch auch zu einem höheren Mietspiegel für das umgebende Wohngebiet. Dies ist ein Grund für VermieterInnen, auch in anderen Wohnungen höhere Mieten zu verlangen oder dort AltmieterInnen rauszuekeln, um einen neuen Mietvertrag zu höheren Mieten abzuschließen! Gentrifizierung ist die Konsequenz.

Ich verstehe einfach nicht, wie man im Gemeinderat weiterhin glauben kann, dass man mit einer solchen falschen Strategie, die schon seit Jahren nicht funktioniert, jetzt auf einmal Erfolg haben sollte. Nach dem Motto: „Wenn wir mit der bisherigen Methode keinen Erfolg haben – lass uns da einfach noch mehr davon machen!“ Und dieses Mal aber so richtig – und deswegen auch gleich mit 20.000 Wohnungen mehr!

Dabei sollte man sich darauf konzentrieren, was wir in Stuttgart wirklich brauchen. Und das ist bezahlbarer Wohnraum für die ErzieherInnen und VerkäuferInnen in unserer Stadt, die sich sicherlich keine 19 Euro pro Quadratmeter leisten können.

Haushalte und ihre Mitglieder belegen ja nicht nur Wohnfläche innerhalb von Gebäuden, sondern allein oder anteilig auch die Grundstücksfläche. Jede Nutzung von Bodenfläche durch den Menschen hat mehr oder weniger große Auswirkungen auf die Umwelt. Ziel muss es sein, knappe Fläche nachhaltig, d.h. klima- und umweltschonend und sozial gerecht mit Rücksicht auf künftige Generationen zu nutzen. Und damit müssen wir uns auch überlegen, wie wir in Zukunft eigentlich wohnen möchten.

Wir haben letzten Sommer die Klimaneutralität bis 2035 beschlossen. Allerdings glaube ich nicht, dass die im Gemeinderat schon ernsthaft begriffen haben, was das bedeutet.

Jetzt ging es letzte Woche im Städtebauausschuss zum Beispiel um das Rosensteinquartier.

Die CDU fühlt sich hier in der Geiselhaft der Eidechsen und will mehr in die Höhe bauen. Die SPD will dort mehr Wohnungen. Die Grünen erkennen zwar, dass wir Frischluftschneisen brauchen und sind gegen mehr Wohnungen, aber grundsätzlich in Frage stellen sie die Bebauung nicht. Die Stadtklimatologie sagt dagegen unmissverständlich, dass es für das Stadtklima, die Durchlüftung und Kühlung des Kessels in den kommenden Hitzejahren am besten wäre, das Gleisvorfeld nicht zu bebauen!

Und das ist schon alles ein bisschen absurd. Der Klimawandel schreitet gnadenlos voran. Und wir müssen uns schon die Frage stellen, ob wir alles tun, um den menschengemachten Klimawandel auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Stuttgart 21 ist eine der größten bahnpolitischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre. Hierbei werden Renditeinteressen von Immobilien-, Baufirmen und Banken bedient. Wir aber haben eine Gesamtverantwortung für Stuttgart. Da können wir nicht wirtschaftliche Interessen von InvestorInnen verfolgen, wie es die CDU so gerne tut.

Wir dürfen das Rosensteinquartier nicht bauen! Wenn die Klimaneutralität 2035 ernst gemeint ist, dann müssen wir alles daransetzen, dieses Ziel zu erreichen.

Es gibt nur eine vertretbare Option bei S21: wenn’s unten nicht geht, dann bleibt’s halt oben!

Oben bleiben!

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