Stuttgart 21 an der Elbe: Hafen zu verkaufen! Der MSC-HHLA-Deal

Rede von Dr. Jürgen Bönig, Autor und Historiker, auf der 689. Montagsdemo am 18.12.2023

Guten Abend, liebe Freundinnen und Freunde des Oben-bleiben-Wollens!

Vor zwei Jahren waren wir bei einer Montagskundgebung, um dagegen zu demonstrieren, dass euer Hauptbahnhof versenkt wird zugunsten eines Spekulationsgeschäftes mit Grundstücken. Heute brauchen wir eure Solidarität in Hamburg – und ich weiß nicht, ob die größere Dummheit schwäbisch schwätzt oder hochdeutsch mit leichtem plattdeutschem Einschlag wie unserer Bürgermeister.

Der geheime MSC-HHLA-Deal.

Was ist passiert? Ohne Auftrag und ohne Sachverstand hat unsere Regierung, der Senat, ein Überraschungspaket geschnürt – schon Mitte September. Drei Regierungsmitglieder der rot-grünen Koalition – darunter der Erste Burgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Peter Tschentscher, die Senatorin für Wirtschaft, Melanie Leonhard, und der Finanzsenator Andreas Dressel, allesamt von der SPD, teilten am 13. September 2023 in einer Videobotschaft vom Genfer See den überraschten Regierungsfraktionen mit, sie hätten die HHLA an die MSC verkauft, die eine knappe Minderheit der Aktien der HHLA erwerben dürfte gegen die Zusage von Investitionen und die Steigerung der Zahl der umgeschlagenen Container auf 1 Million pro Jahr ab 2031.

Was ist die HHLA?

Die Hamburger Hafen und Logistik AG ist der Hamburger Hafen. Sie ist die Betreiberin von drei der vier Container-Terminals Hamburgs. Wenn ihr von Süden auf den Elbtunnel zufahrt, stehen ringsum Containerstapel – dahinter befinden sich links und rechts vom Köhlbrand, einer Verbindung von Norder- und Süderelbe, die Abfertigungsanlage Tollerort und Burchardkai, hinter der noch der vierte Umschlagplatz für die standardisierten Kisten, Eurogate, liegt, der nicht zur HHLA gehört. Hinter euch, jenseits der Köhlbrandbrücke von 1874, könnt ihr den dritten Terminal Altenwerder erblicken, den modernsten Terminal mit automatischen Transportfahrzeugen, der vor 20 Jahren gebaut worden ist, als sich noch niemand vorstellen konnte, dass Containerschiffe höher als 54 Meter aus dem Wasser ragen würden.

Rüdiger Grube spielt mit.

Da kommt Rüdiger Grube ins Spiel, den ihr als Bahnchef kennt, der 2017 Aufsichtsratsvorsitzender der HHLA geworden ist und für die HHLA einige Häfen und die Eisenbahngesellschaft Metrans gekauft hat. Sie ist in Tschechien beheimatet und fährt unter schlechteren Arbeits- und Lohnbedingungen mit ihren Loks und Waggons Container vom Hamburger Hafen ins Hinterland bis nach Triest. Damit macht die HHLA das, was Rüdiger Grube der Deutschen Bahn beigebracht hat: Verluste aus dem eigentlichen Bahngeschäft durch Gewinne auszugleichen, die mit schlechteren Arbeitsbedingungen durch Häfen und Bahnbetriebe in anderen Ländern erzielt werden. Rüdiger Grube teilt auch die Auffassung, man könne staatliche Gestaltungsmacht einfach an Private verkaufen.

Gleichbehandlung aller Kunden perdu!

Die HHLA wurde aber 1888 zum Bau der Speicherstadt und des Freihafens als staatliche Hafen und Lagerhaus Gesellschaft gegründet, weil die Hamburger Kaufleute damals noch verstanden, dass sie einer dritten neutralen Instanz bedurften, damit sie sich im Hafenbetrieb nicht gegenseitig behinderten. Der eben mal per Video mitgeteilte Verkauf staatlicher Gestaltungsmacht im Hafen an Private und zudem noch an die MSC als Reederei ist ein Bruch mit der jahrhundertealten Politik, dass der Staat den Hafen baut und den Betrieb auf den Kais gestaltet – die Verhandler in Genf vergaßen einfach, dass die Gleichbehandlung aller Kunden der HHLA die Bedingung ihres Erfolges war. Der HHLA-Vorstand, der nicht gefragt worden ist beim Deal, versuchte diesen Grundsatz der bisherigen Hafenpolitik nachzureichen in einer Zusammenarbeitsvereinbarung.

Speicherstadt und Fischmarkt mit im Pott!

Die Verhandlungsdelegation hat keinen Sachverstand mitgenommen und musste sich nach der ersten Prüfung durch die Bafin, die Kontrollbehörde für Finanzdienstleistungen, belehren lassen, dass die Unterscheidung der HHLA-Aktien in Aktien für den Containerumschlag, die A-Aktien, und in die für den Grundbesitz an Speicherstadt und Fischmarkt, die sogenannten S-Aktien, die Hamburg zu 100% behalten will, nicht gilt. Und weil diese Aktien in einer Gesellschaft, der HHLA, untergebracht sind, wird die Reederei MSC künftig von den Gewinnen aus dem Grundbesitz der Speicherstadt mitprofitieren, weil deren Gewinne zum Verlustausgleich des Containergeschäftes herangezogen werden, der Staat aber alle Verluste der Speicherstadt abdeckt. MSC wird mit seinen zwei von vier Vorstandsmitgliedern der HHLA künftig die Entwicklung des Weltkulturerbes Speicherstadt mitbestimmen.

Wer ist nun die Mediterranean Shipping Company (MSC)?

MSC ist ein 1970 gegründetes Familienunternehmen mit Sitz in Genf, das mit Waffen- und Gefahrgutstransport auf schrottreifen Schiffen 1970 begann und durch Umbau von alten Frachtern zu Containerschiffen und 1995 auch mit Neubauten zur weltweit größten Reederei aufstieg, die ein Fünftel des Welthandels per Schiff abwickelt.

Was hat sich im Welthandel verändert, seit 1968 der erste Container im Hamburger Hafen ankam und mit einem Kran abgeladen wurde? Die Umstellung des Frachtverkehrs auf Container hat in 50 Jahren die Transportwege und die Arbeiten beim Umschlag von Fracht verändert. Während zuvor alle Bearbeitung von Frachtgütern an der Hafenkante stattfand, ist heute nur noch der Umschlag einheitlicher Kisten direkt im Containerhafen angesiedelt. Das Füllen und Leeren der Container findet nicht hier, sondern am Produktionsort der Güter und am Ort des Konsums statt. Und wenn der Hamburger Senat Geld nach Hamburg bringen wollte, dann müsste er für Tarifverträge oder den Mindestlohn bei diesen Arbeiten sorgen und nicht für die weitere Technisierung beim Beladen und Entladen der Schiffe am Containerterminal, die nur zur Reduzierung der Zahl der dort tätigen Arbeitskräfte und Verlagerung dieser Arbeit an einen Computer irgendwo in der Welt führt.

Veränderung des Transportzwecks.

Aber Container haben nicht nur die Arbeit an der Hafenkante verändert, sondern auch, warum diese Transporte stattfinden. Solange es billigen Schiffstransport gibt, werden Produktionsstandorte in der ganzen Welt gegeneinander ausgespielt. Die Produktion findet nicht dort statt, wo die Rohstoffe abgebaut werden, weil Containerfrachter sie an den Produktionsort schaffen, wo die billigste Produktion stattfindet und dann per Schiff zu dem Ort, wo sie konsumiert werden. Ihr seht ringsherum Weihnachtsschmuck und Geschenkeangebote, die so billig sind, weil sie nicht hier produziert worden sind. Wenn ihr vielleicht einen Quellstein aus ortsnahem Gestein in eurem Garten haben wollt, denkt daran, dass dieses Gestein auf einem Tieflader zum Hafen gebracht worden ist, nach China verschifft, um dort behauen zu werden, und anschließend zurückgeschafft wurde durch CO2-ausstoßenden Schiffsverkehr, damit ihr euch an lokaler Produktion erfreuen könnt.

4 Prozent des CO2-Ausstoßes durch Handelsflotte.

Das Hin und Her des Schiffsverkehrs mit Containern ist für 4% des CO2-Ausstoßes in der Welt verantwortlich und eben zum großen Teil für technisch überflüssige Transporte. Die MSC transportiert ein Fünftel davon, so dass man mit Recht sagen kann, MSC ist durch seine Preisunterbietung für 0,8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, der unser Klima unbekömmlich macht.

Die letzten TEU-Ideologen.

Durch den Verkauf von 49,9% der HHLA-Aktien will der Senat erreichen, dass wieder mehr Containerverkehr nach Hamburg kommt und Rotterdam im Containerumschlag eingeholt wird. 25 Mio. Standardcontainer (TEU) wollte Hamburg im Jahr umschlagen – jetzt erreicht der Hafen annähernd 9 Mio. Container pro Jahr. Damit verfolgt der Senat eine Tonnenideologie bzw. eine TEU-Ideologie, die keine Arbeitsplätze nach Hamburg bringt, und wird nie auch nur annähernd den Containerumschlag erreichen, der der Hafenplanung zugrunde liegt – weil seit dreißig Jahren mit EU-Mitteln die Häfen im Mittelmeer und in der Ostsee ausgebaut werden und deshalb Containerschiffe nicht mehr den Umweg über Hamburg machen und auf kleinere Schiffe umladen müssen, um an ihr Ziel zu gelangen. Weil die Weltwirtschaft sich durch Corona, Kriege und politische Entscheidungen so verändert hat, dass eine Zunahme des Containerverkehrs über die Weltmeere jedenfalls in den nächsten zehn Jahren nicht mehr zu erwarten ist. Weil Rotterdam als größter europäischer Umschlaghafen von Schiff auf Schiff sein Geld darauf verwendet hat, einen Tiefwasserhafen an der Nordsee zu bauen für die Riesenschiffe, und dann mit veralteten technischen Mitteln, die von flexiblen Arbeitskräften bedient werden, Container auf kleinere Schiffe umladen und in ganz Europa ausfahren lässt. Während Hamburg meint, in modernste Technik investieren zu müssen, die Arbeitsplätze kostet, und der Reederei Gewinne zuführt, die künftig den Hafen in Hamburg gestalten soll.

MSC setzt auf Riesenschiffe.

Damit nicht genug des ökologischen Schadens: MSC gehörte vor knapp zehn Jahren zu dem Verbund der Reedereien, zu einem Oligopol, das riesige Containerschiffe bauen ließ, mit 20.000 bis 24.000 Standardcontainer auf einem Schiff, und die deshalb breiter, höher, länger und tiefer sein müssen. Und wer die Dummheit besessen hat, diese Schiffe in seinen Hafen zu lassen, der konnte seine Containerbrücken wegschmeißen, weil die höher und länger sein mussten, der musste größere Wendebecken haben oder anlegen, damit die längeren Schiffe wenden konnten, und der musste tiefes Wasser haben oder sein Fahrwasser erheblich vertiefen, damit die Containerschiffsriesen an den Kai kamen. Die nordamerikanischen Häfen waren klug genug, mit Hilfe der Kartellbehörde diese Schiffe abzulehnen. Aber 2022 hat gerade MSC mit dem Staat Louisiana einen Vertrag geschlossen, einen Tiefwasserhafen in die Sümpfe des Mississippi klotzen zu lassen.

Ein Tiefwasserhafen an der Nordsee wäre besser.

Hamburg hat die Dummheit begangen, keinen Tiefwasserhafen mit Bremen zusammen zu entwickeln, noch nicht einmal einen Tiefwasserhafen an der Elbmündung eingerichtet, sondern hat das Fahrwasser der Elbe mit Milliardenaufwand so vertieft, dass die großen Pötte zu besonderen Zeiten bis in den Hamburger Hafen gelangen können. Die Elbvertiefung hat das Fahrwasser der Elbe zerstört, hat das Netz der Wasserwege in einer Millionenstadt ruiniert. Dass die Elbe nur bei höchster Flut alle Bereiche der Elbe überspült, weil das Wasser im tieferen Graben der Fahrrinne versackt, könnt ihr euch so vorstellen wie eine Autobahn für seltene Containerschiffe. Eine Autobahn, die mitten durch die Stadt führt und die leider andere Verkehrsteilnehmer nur zweimal am Tag für begrenzte Zeit überqueren können.

Suezkanal an der Elbe.

Und wozu das? Damit einmal im Monat mit der Springtide große Containerschiffe der MSC mit der Flutwelle die Elbe hinaufsegeln. Und Gnade uns wer auch immer, dass der Kapitän einen schlechten Tag hat, oder der Lotse seine Geliebte grüßen möchte, oder die Bagger eine Stelle nicht tief genug ausgegraben haben, dann ist Suezkanal an der Elbe – für einen Monat, bis zur nächsten Springtide. Dann hängt der Kahn fest, und die Engel oder Hubschrauber können die 20.000 Container abholen und das Schiff leichtern, damit es wieder fahren kann.

Der dümmste Dinosaurier.

Unter den Dinosauriern, die regen Containerverkehr über die Weltmeere für zukunftsträchtig halten und an dessen Vermehrung verdienen, ist MSC nicht nur der gefräßigste, sondern vermutlich auch der dümmste. Während Reedereien wie Maersk kleinere Schiffsgrößen bevorzugen, die auch bei geringerer Auslastung rentabel fahren und viele Häfen ansteuern können, hat MSC mit seinen Riesengewinnen aus der Corona-Krise und dem Abreißen der Lieferketten mit staatlicher Förderung besonders viele Containerschiffe mit über 19.000 Standardcontainern an Bord bauen lassen.

 

Der A 380.

Deshalb könnte es dem Senat mit dem Verkauf der Gestaltungsmacht an den Containeranlagen so gehen wie beim Airbus 380. Dieses Flugzeug für mehr als 800 Passagiere ist ein Jahrzehnt lang gebaut worden, bis die Fluggesellschaften erkannten, dass es unausgelastet immer noch viel Sprit verbraucht und den Umbau von Flughäfen verlangt, so dass sie lieber darauf verzichtet haben. Und für dieses Flugzeug hat der Hamburger Senat eine Landebahn durch die Elbe brettern lassen, die jetzt überflüssig ist.

Benko grüßt vom Elbtowerstumpf.

Ihr habt vielleicht gehört, dass René Benko pleite ist und sein Imperium von Luxusimmobilien, auf deren Preissteigerungen Benko bei seinen Kreditgeschäften setzte, zusammenstürzt. Die Arbeiten auf den Baustellen in der Innenstadt Hamburgs stehen seit einem Monat still, und der Elbtower, den Olaf Scholz als sicheres Geschäft mit einem unökologischen Hochhaus anpries, wächst nicht mehr 250 Meter in den Himmel, sondern verharrt bei 100 Meter Höhe – und heißt jetzt Olaf der Kurze. Im Vergleich zum Besitz der Familie Aponte, der die MSC gehört – als Privatbesitz zu keinerlei Auskunft über ihre Finanzen verpflichtet, ebenso wie über die verschiedenen GmbHs, mit denen die Anteile am Hamburger Hafenbetrieb gehalten werden sollen, ist das Benko-Imperium mit hunderten Gesellschaften kristallklar. Der Senat wird Schwierigkeiten haben, bei MSC und den zwischengeschalteten GmbHs die leiseste Prüfung nach dem Geldwäschegesetz und dem Sanktionsregime gegen russische Oligarchen zu überstehen.

Aber es gibt gute Nachricht.

Die HHLA-Beschäftigten sind vors Rathaus gezogen und haben gestreikt, als sie erfuhren, dass das Verhandlungstrio die Rechte der Beschäftigten schlicht vergessen hat und sich mit der Formulierung abspeisen ließ: MSC beabsichtigt, die Rechte der Arbeitnehmer zu respektieren. Weil die Übernahme durch ein öffentliches Kaufangebot für die HHLA-Aktien stattfinden soll, kennen wir jetzt jede Formulierung des durch die Bafin veränderten Vertrages, dessen Wortlaut bis heute der Bürgerschaft, dem Hamburger Parlament, nicht bekannt war. Alle, die etwas vom Hafen verstehen, schütteln nur den Kopf über den Bruch guter Grundsätze Hamburger Hafenpolitik durch einen lückenhaften Vertrag. Einige SPD-Mitglieder, die jahrelange diese Partei in HHLA und Hafen vertreten haben, haben das Parteibuch hingeschmissen. Und noch etwas ist passiert, was vor Jahren nicht möglich schien: die Beschäftigten im Hafen hören zum ersten Mal Naturschutzverbänden wie NABU und BUND zu, die jahrzehntelang gegen die aufwändige und zerstörerische Elbvertiefung gekämpft haben. Der Verkauf der HHLA-Anteile an MSC hat das Talent, die SPD um die Macht zu bringen. Wenn der Deal mit MSC durchgeht, wird sichtbar werden, dass MSC sich an nichts halten muss und den Gesamthafen ruiniert durch die ausschließlich auf die Profite der Reederei gerichtete Form rücksichtsloser Schifffahrt. Oder wenn die Bürgerschaft das Geschäft auf Kosten des Hafens und Hamburgs ablehnt, erweist sich, dass die drei SPD-SenatorInnen so schlecht verhandelt haben, wie man sich das bisher nicht vorstellen konnte.

Und wenn der Deal gescheitert und die Zerstörung von Elbe und Hafen abgewehrt ist, dann bringen wir euch – und ich weiß noch nicht wie – so ein Riesencontainerschiff mit, und das könnt ihr dann in die Baugrube des unvollendeten Stuttgarter Hauptbahnhofes stopfen, denn es passt hinein: 400 Meter lang, 62 Meter breit, mit 16 Metern Tiefgang und mindestens 54 Meter aufragend, wird es die Baugrube füllen, und wir können dann sagen: Oben bleiben – und der Hamburger Hafen wird nicht versenkt. Unser Hafen ist nicht euer Casino!

 

Jürgen Bönig als Technikhistoriker im Museum der Arbeit tätig, hielt als ver.di-Mitglied eine Brandrede gegen den MSC-HHLA-Deal auf der ver.di-Kundgebung am 11.11.2023 auf dem Ratshausmarkt.

Rede von Jürgen Bönig als pdf-Datei

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