Rede von Gaby Weber, Romanistin, Journalistin und Publizistin, auf der 723. Montagsdemo am 9.9.2024
Ich denke, wir sind uns alle einige über die Notwendigkeit von Informationsfreiheit und Informationszugang. Alles Andere wäre ein Zustand, der mit Demokratie nichts zu tun hat. Wir brauchen sie, um erstens: unsere Geschichte aufzuschreiben – die wahren Ereignisse und die wahren Hintergründe und nicht die Version, auf die sich die Beteiligten geeinigt haben.
Zweitens: Wenn wir unsere demokratischen Rechte wahrnehmen wollen, brauchen wir Zugang zu Fakten – entweder, weil wir eine Bürgerinitiative sind und bei einem Vorhaben der Regierung mitreden wollen, oder weil wir die Regierenden kontrollieren wollen, sehen wollen, was mit unserem Steuergeld geschehen ist oder geschehen soll. Wenn transparenter Zugang zu Informationen nicht funktioniert, entsteht Frust, weil Bürger sich verarscht fühlen.
Und es kann auch Widerstandsgeist entstehen, wie man hier auf dem Platz sieht! Ihr habt zum Teil über Jahre vor Gerichten geklagt, um Informationen zu bekommen, die euch nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder dem Umweltinformationsgesetz zustehen. Behörden, Bahn und Justiz haben euch dabei behindert, aber nicht klein oder zur Kapitulation gekriegt.
Ich arbeite seit 1978 als Journalistin, erst für den Stern, ich habe die taz mitgegründet und dann 35 Jahre für die ARD berichtet, davon seit Mitte der achtziger Jahre aus Südamerika. Und seit über 40 Jahren klage ich gegen staatliche Einrichtungen, anfangs wegen Datenschutz, erst in eigener Sache – also was die Behörden über mich gespeichert hatten.
Dann legte ich Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz ein, mit dem der Bundesnachrichtendienst BND ab Mitte der neunziger Jahre die Telekommunikation im Ausland abhören wollte, also auch Auslandskorrespondenten. Ich habe mich davon betroffen gefühlt, da ich natürlich auch über Geldwäsche, Drogenhandel usw. berichte und auch meine Quellen schützen muss. Die Klage hatte teilweise Erfolg.
Und dann war ich die erste Journalistin, die 2008 den BND vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Herausgabe seiner Akten über den SS-Offizier Adolf Eichmann verklagt hat. Auf Eichmann bin ich gestoßen, weil er unbehelligt bei Mercedes-Benz Argentina arbeiten durfte, bis zu seiner Festnahme im Mai 1960. Der Mossad will ihn aus Buenos Aires entführt haben – eine fragwürdige Geschichte mit fake-news-Qualität, die ich recherchiert und in einem Video dokumentiert habe.
Ich hatte den ersten Prozess gegen den BND zu etwa 70 % gewonnen und Dokumente erhalten, aber das Bundeskanzleramt wollte etliche Papiere weiterhin geheim halten und hat sie geschwärzt. Leider spielte das Gericht dabei mit.
Allerdings habe ich 2020 das zweite Mal Klage gegen den BND eingereicht, da 2020 die 60-Jahres-Frist abgelaufen ist, die den Zugang zu Geheimdienstdokumenten blockieren kann. Dann gilt das Bundesarchivgesetz, mit Infoblockade ist dann endgültig Schluss. Jedenfalls nach den herrschenden Gesetzen.
Ich bekam wieder einen Schwung Dokumente, darunter die Akten des BND über den Eichmann-Prozess in Jerusalem. Viele Dokumente bleiben aber weiterhin geschwärzt. Meine Klage auf ungeschwärzte Dokumente läuft noch – ich bin mal gespannt, was sich die Richter diesmal einfallen lassen, um sich über das geltende Recht hinwegzusetzen.
Im bisherigen Schriftverkehr stützen sie sich auf das novellierte Bundesarchivgesetz, das auf eine behördeninterne „Verschlussanweisung“ verweist. Damit könnte in Zukunft das Gesetz und die Offenlegungsfristen von jedem Hinterzimmerbürokraten außer Kraft gesetzt werden. Also auch von einem Angestellten des Verkehrsministeriums, der meint, dass zum neuen Stuttgarter Bahnhof keine Auskunftspflicht besteht. Vorausgesetzt, die Bürokratie kann sich mit dieser Rechtsauslegung bzw. mit dieser Willkür durchsetzen.
Über all diese Prozesse habe ich Dokumentarfilme gemacht. Im Film über den Eichmann-Prozess in Jerusalem ist zum Beispiel dokumentiert, wie Bundesregierung und die Geheimdienste den Eichmann-Haftbefehl der Frankfurter Staatsanwaltschaft hintertrieben haben. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt unterstand dem renommierten und euch gut bekannten Fritz Bauer! Die Links könnt ihr auf meiner Homepage www.gabyweber.com sehen.
Ein noch laufendes Verfahren dürfte Euch besonders interessieren: gegen die Bundesbank. Denn hier ist die Argumentation der Regierung besonders frech. Ich hatte herausgefunden, dass die Bundesbank mit Geldern der Europäischen Zentralbank Anleihen der Bayer AG erworben hatte und damit den Kauf des US-Saatgutkonzerns Monsanto mitfinanzierte.
Welche Gründe die EZB und die Bundesbank veranlasst hatten, Bayer-Anleihen zu kaufen, verschweigen sie. Inzwischen wissen wir, dass dieses Geschäft das dümmste der Welt gewesen ist, mit Schadensersatzforderungen in mehrstelliger Milliardenhöhe ist zu rechnen. Die Parallelen zum ‚dümmsten Bahnprojekt‘ aller Zeiten mit Milliarden-Mehrkosten für das Tunnelbahnhofssystem sind deutlich!
Ich hatte die EZB und die Bundesbank nicht nur nach dem genauen Umfang der Finanz-Operation gefragt – also wie viele Milliarden habt ihr Bayer gegeben bzw. geschenkt? – und nach einem möglichen Interessenkonflikt wegen BlackRock. Der US-Vermögensverwalter BlackRock führt für die EZB die Stress-Tests der Banken durch und verfügt somit über sensible Daten der europäischen Konkurrenz. Von der Bundesbank, die laut EZB für diese Operationen zuständig ist, wollte ich wissen, a) in welchem Umfang das Geschäft getätigt wurde, b) zu welchem Zinssatz und c) wie die Bundesbank das mit dem Kauf des umstrittenen Konzerns verbundene Risiko bemessen habe.
Die Bundesbank steht aber auf dem Standpunkt, dass für sie das Informationsfreiheitsgesetz IFG nicht gelte und hat jegliche Auskunft verweigert. Sie argumentiert, dass die Operationen der staatlichen Banken wie der Bundesbank und der KfW, der Kreditanstalt für Wiederaufbau – zum „Kernbereich der Exekutive” gehören und nicht dem IFG unterliegen. Sprich: was mit unserem Geld passiert, sollen wir nicht wissen. Ich habe Klage vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt eingereicht und verloren. Die Berufung läuft. Meine Erfahrung: Die Informationsfreiheit wird systematisch ausgehebelt und leider spielen Richter dabei mit.
Parteien, die früher für Freiheits- und Bürgerrechte eingestanden sind, wie FDP und Grüne, machen mit. Noch im Koalitionsvertrag der Ampel wurde versprochen, dass künftig alle Dokumente nach 30 Jahren offen gelegt werden müssen.
Ich hatte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth – die direkte Chefin des Bundesarchivs – also höflich aufgefordert, dem Bundesarchiv eine Dienstanweisung zu erteilen, um die immer noch geheimen Akten über die westdeutsche Wiederbewaffnung der fünfziger Jahre endlich offen zu legen. Fehlanzeige, es kam nur eine dümmliche Antwort eines ihrer Angestellten. Und die Koalition hat in den vergangenen Jahren nichts unternommen, um ihr Versprechen zu realisieren.
Freier Informationszugang ist eine Bedingung für Demokratie, denn mit Informationszurückhaltung und -verweigerung wird Politik gemacht, vor allem um Aufklärung und Handlungsfähigkeit außerparlamentarischer Bewegungen auszubremsen.
Damit habt auch ihr in eurer Bewegung reichlich Erfahrung gesammelt. Das habt ihr mit vielen Beiträgen zur „Politischen Justiz“ im Land dokumentiert.
Und wie wir sehen: die Rechnung der Regierenden geht nicht immer auf – denn Informationsblockaden stacheln auch zum Weiterbohren, zum Weiterklagen, und zum Weitermachen an.
Ihr macht damit weiter – unterstützt von aufrechten Juristen und auf der Straße und vor Gerichten – gegen Stuttgart 21 und den „Schaden in der Oberleitung“ der Deutschen Bahn!
Und ich mache weiter mit viel Unterstützung im Kampf um die Informationsfreiheit und für den freien Zugang zu unter Verschluss gehaltenen Dokumenten!
Ich freue mich auf viele von euch nachher um 19 Uhr bei der Veranstaltung im Gewerkschaftshaus – mein neues Buch über die „Verschwundenen“ von Mercedes Benz Argentina ist jetzt schon am Büchertisch dort rechts neben der Bühne zu haben.
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