Rede von Dr. Eisenhart v. Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21, auf der 460. Montagsdemo am 8.4.2019
Seit zwei Wochen liegt das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Urs Kramer, Universität Passau, zu der Frage vor: Muss die Deutsche Bahn AG das Projekt Stuttgart 21 noch bauen, nachdem die Kostenobergrenze von 4,526 Milliarden Euro längst gewaltig überschritten ist und ein neuer Finanzierungsvertrag nicht zustande kam?
Hier das Ergebnis des Gutachtens und die Folgerungen daraus:
- Das Ergebnis lautet:
- Der Finanzierungsvertrag zu S21 vom April 2009 verpflichtet die Projektpartner bei Überschreiten der vorgesehenen Kostenobergrenze nur dazu, Gespräche aufzunehmen. Diese „Sprechklausel“ bezweckt nicht nur den Austausch von Informationen, sondern auch die Einigung der Vertragspartner. Scheitern die Gespräche, schließt der Vertrag die Regeln aus, die für die Zeit bis Jahresende 2009 eine genaue Aufteilung der Kosten und den „qualifizierten“ Projektabschluss vorsehen. Sonst wird nichts festgelegt. Daraus schließt Prof. Kramer methodisch durch ergänzende Vertragsauslegung, dass der Finanzierungsvertrag von 2009 jetzt „ausgelaufen“ und niemand mehr zum Weiterbau und zur Vollendung von S21 verpflichtet ist. Und auch allgemeine gesetzliche Gründe ermöglichen den Umstieg von S21.
- Maßgebliche Rechtsgründe der Vertragsauslegung:
- Die Sprechklausel will den Konsens der Gesprächspartner bewirken. Auffällig schweigt sie indessen zu der Frage, was geschehen soll, wenn die Gespräche – wie hier – scheitern. Deshalb zählt der sonstige Vertragsinhalt.
- So besteht die vertragliche Durchführungspflicht (§§ 3,4 FinVe) als gemeinsame Aufgabe für alle Partner, auch für die DB AG, nur mit genau begrenzten Beiträgen, nicht unbegrenzt. Weiter gilt, dass für die DB AG unkalkulierbare Risiken zu vermeiden und die Wirtschaftlichkeit des Projekts zu beachten sind (§ 2 Abs. 2 S.1FinVe).
- Die Kostenfragen sind sonst sehr ausführlich geregelt (§§ 6ff.), insbesondere auch, weil in § 8 Abs. 3 des FinVe festgelegt ist, wer welche Kostenanteile am Risikopuffer zu tragen hat. Dieselbe Vorschrift schafft im Absatz 4 mit der Sprechklausel – für den Fall des Scheiterns der Gespräche – dagegen keinerlei Kostenfolgen. Dies ist als bewusste Entscheidung der Vertragspartner zu verstehen (GA S. 9). Verlaufen die Gespräche – wie hier – zur Durchführung und Finanzierung des Projekts erfolglos, widerspräche eine Pflicht zur weiteren Fortführung des Projekts sowohl dem bloßen Verweis auf die Gesprächspflicht als auch dem zentralen Maßstab zur Wirtschaftlichkeit (GA S. 11 f.). Folglich endet mit dem Scheitern des Konsenses die Pflicht zur Vollendung des Projekts, d.h. die Vertragspflichten zur Durchführung des Projekts sind „erledigt“. Auch Mehrkosten von S21 muss allein tragen, wer sie verursacht.
- Nach dem Rechtsgutachten führt auch die gewaltige Überschreitung der Kostenobergrenze des Projekts von 4,5 auf derzeit 8,2 Milliarden Euro nicht dazu, dass die „Geschäftsgrundlage“ des Vertrags wegfällt, weil den Vertragspartnern gerade für diesen Fall anvertraut wurde, ob und wie sie sich auf einen neuen Finanzierungsvertrag einigen. Die Bahn kann dann daher Mehrkosten des Projekts nicht gerichtlich auf die Projektpartner abwälzen, solange sie zur anteiligen Übernahme von Mehrkosten nicht bereit sind.