Pressemitteilung WikiReal.org:
Stuttgart 21: Das Bundesverfassungsgericht verschließt die Augen vor Grundrechtsverletzung!
Am 17.04.2013 beschloss das Bundesverfassungsgericht (Pressemitteilung des BVerfG, Begründung), die Verfassungsbeschwerde eines Anwohners gegen die im Zuge des Baus von Stuttgart 21 bevorstehende Enteignung nicht zur Entscheidung anzunehmen. Dieser Beschluss ist nicht nachvollziehbar und zeigt ein fragwürdiges Rechtsverständnis des obersten Gerichts. Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, dass die Argumente seines Eilantrags, die die Planrechtfertigung des Projekts in Frage stellen, vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim nicht gewürdigt worden waren.
Das Bundesverfassungsgericht begründete seinen Beschluss wesentlich mit dem Argument:
"Ob die Voraussetzungen für eine solche Aufhebung im konkreten Fall vorlagen, ist in erster Linie eine Frage der Würdigung des Sachverhalts und der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts, die nur in engen Grenzen verfassungsgerichtlicher Kontrolle zugänglich sind [...]. Für eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts ist hier nichts ersichtlich."
„Es ist erschütternd, dass das oberste Gericht ohne Begründung lediglich behauptet, eine Grundrechtsverletzung sei »nicht ersichtlich« und dabei die detaillierte Begründung in der Beschwerde übergeht. Insbesondere die entfallene Planrechtfertigung durch den Rückbau der Leistung des Tiefbahnhofs unter den Bedarf hatte schon der VGH nicht gewürdigt. Das Gericht verschließt seine Augen vor dem Grundrechtsverstoß, indem es denselben Fehler wiederholt.“ So Christoph Engelhardt, Initiator des Faktencheck-Portals WikiReal.org.
Der VGH hatte seinerzeit lediglich pauschal darauf verwiesen, dass ein möglicher planerischer Missgriff schon in seinem Urteil von 2006 thematisiert worden wäre. „Die jetzt neu vorgelegten Argumente können aber dort, wo sie nachweisen, dass der VGH in 2006 den Leistungsrückbau aufgrund unvollständiger Angaben der Gutachter und eigener Missverständnisse übersah, nicht schon damals berücksichtigt worden sein!“ merkt Engelhardt an, der die Analyse der Planfeststellungsgutachten verfasst hatte.
Der VGH hatte in der Abweisung des Eilantrags anerkannt, dass diese Analyse ein „neues Beweismittel“ darstellt. Gleichzeitig behauptet der VGH ohne Begründung im Einzelnen, dieser Beweis sei nicht „entscheidungserheblich“, es sei dadurch keine „neue Sachlage“ entstanden. Engelhardt: „Das ist nicht nachvollziehbar. Natürlich ist es eine neue Sachlage, wenn sich der Projektnutzen in einen Schaden für die Allgemeinheit verkehrt. Es ist, als würde in einem Mordfall behauptet, die DNA-Spur eines bis dahin nur vage Verdächtigen ist zwar ein neues Beweismittel, liefert aber keine neue Sachlage.“
Engelhardt abschließend: „Es ist in einem Rechtsstaat unvorstellbar, dass ein Anwohner enteignet werden soll für einen Bahnhof, der insbesondere auch laut Planfeststellung ein Rückbau auf rund 32 Züge pro Stunde ist. Damit kann der aktuelle Bedarf von 38 Zügen nicht mehr bewältigt werden, ganz abgesehen von dem mit Planfeststellung und Finanzierungsvertrag versprochenen Wachstum von rund 50 %. Die Schaffung eines milliardenteuren Engpasses im Schienenverkehr kann nicht die Basis für Enteignungen sein. Wenn das oberste Gericht nicht beide Augen verschlossen hätte, hätte es festgestellt, dass dies auch »ersichtlich« ist.“
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Weitere Quellen
- Pressemitteilung des BVerfG
- Begründung des BVerfG
- C. Engelhardt
"Warum der Rückbau in der Planfeststellung übersehen wurde"