Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 569. Montagsdemo am 5.7.2021
Liebe Freundinnen und Freunde!
Heute habe ich gute und schlechte Nachrichten für Euch. Die allerschlechteste zuerst: Ihr müsst mich zwei Montage hintereinander als Redner auf der Bühne ertragen. Denn nächste Woche soll ich schon wieder hier reden, und zwar zum Thema: „Zweites Stuttgart 21 im Koalitionsvertrag – oder wie Grün-Schwarz der jungen Generation die Zukunft raubt“. Wenn euch das zu viel wird, könnt ihr gleich ein Bürgerbegehren dagegen starten.
Damit sind wir schon beim ersten Thema. Leider wurde vergangene Woche vom Verwaltungsgericht Stuttgart unsere Klage zum Bürgerbegehren Storno 21 abgewiesen. Die gute Nachricht ist aber, dass wir erhobenen Hauptes und als moralische Sieger den Gerichtssaal verlassen konnten. Nicht nur hat das Gericht seine Anerkennung für unsere gelebte Demokratie zu erkennen gegeben, sondern sogar der Rechtsanwalt der Stadt Stuttgart hat wörtlich seinen Respekt für unser Anliegen zum Ausdruck gebracht.
2014 hat unsere Bewegung über 20.000 Unterschriften dafür gesammelt, dass die Stadt Stuttgart wegen der damals bekannt gewordenen Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 die Finanzierungsverträge kündigen sollte. Vorausgegangen war nämlich, dass die Bahn öffentlich den drastischen Kostenanstieg eingeräumt hatte, den sie lange vertuscht hatte. Ihr Aufsichtsrat hatte zwar auf Druck der Bundesregierung den Weiterbau genehmigt, den Bahnvorstand aber zu Verhandlungen mit den Projektpartnern über deren erhöhte Kostenbeteiligung beauftragt.
In dieser Situation wäre es die vornehmste Aufgabe des Stuttgarter Gemeinderats gewesen, über die weitere Beteiligung der Stadt am Projekt zu entscheiden, zumindest aber die Bürgerschaft zu befragen. Dies ergibt sich vor allem aus einem mit Zweidrittelmehrheit im Juli 2009 getroffenen Gemeinderatsbeschluss. Darin steht, dass man bei Mehrkosten für die Stadt Stuttgart einen Bürgerentscheid durchführen wollte. Daher hätte es des Bürgerbegehrens Storno 21 gar nicht bedurft, wenn sich der Gemeinderat an seine Pflichten und an seinen eigenen Beschluss gehalten hätte. Das galt auch für den Oberbürgermeister, der ausdrücklich mit der Umsetzung des Beschlusses beauftragt worden war. Trotzdem hatte man untätig die Erhöhung des Kostenanteils der Stadt Stuttgart um mehr als eine halbe Milliarde Euro zwischen 2004 und 2010 hingenommen. Deshalb mussten Bürgerinnen und Bürger aktiv werden. weiterlesen