Rede von der 113. Montagsdemo zum Thema „Ordnung“

Rede von Anette Wanner von der Parkschützergruppe ‚Hoffnungsfroh‘ bei der 113. Montagsdemo gegen Stuttgart 21 am 27.2.2012 vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof

Endlich ist wieder Ordnung hier im Park!
Das ganz HartzIV-Gesockse weggejagt.
Richtig Ordnung ist jetzt wieder im Park!
Mit Baggern, Sägen und Maschinen.
Weg das verwöhnte Randale-Pack –
endlich weggejagt!

Jetzt ist wieder Ordnung hier im Park.
Kein Laub, kein Dreck, kein Müll fällt an.
Richtig sauber jetzt im Park! Gesäubert!
Da machen wir Kacheln und Fließen hin im Park,
und Blumenkübel. Ein scharfer Wasserstrahl und aufgewischt.
Da muss er dann ran der ganze Park-Hartz IV- Abschaum!
Ja, jetzt ist wieder Ordnung hier im Park. Polizei ist da, da
kann man wieder hin jetzt in den Park – wenn nicht heute
Egal- dann in 10-20 Jahren. Zukunft sag´ ich da!
Jetzt ist richtig neue Ordnung hier im Park!
Was die immer haben – mit ihrer Luft!
Egal! wir machen Luftumwälzung hier im Park, frischer Wind
aus allen Düsen. Beatmungsmasken für jedes Kind
kostenlos – Allergien neutral - kriegen wir alles hin!
Hauptsache: Ordnung wieder hier im Park
Im Park der rechten Bürger!

So, oder ähnlich ist die tägliche Häme der scheinbaren Sieger– und die Bitterkeit der scheinbar Besiegten. Wie umgehen mit der geballten Ladung von Wut, Enttäuschung, Schmerz und Angegriffen werden? hierzu ein paar Erklärungsansätze:

Häme und Hass speisen sich aus verschiedenen Quellen.

Jeder Mensch hat ein Gewissen, das genau weiß, war Recht und Unrecht ist. Ein Gewissen, das zum Handeln appelliert. Bei dem einen schlummert es, beim anderen ist es hellwach. Der dritte kann oder mag nicht handeln. Der vierte handelt danach.

Wir haben das Unrecht benannt. Haben an das kollektive Gewissen gemahnt, kollektive Ängste wachgerüttelt. An die Ohnmacht gerührt. Die meisten wollen das Unrecht nicht wahrhaben, weil sie ahnen, ja wissen, dass Unrecht in diesem Ausmaß in einer Demokratie nicht sein darf, dass man sich wehren muss. Das nehmen sie übel.

Die meisten werden unterdrückt, gebeutelt, stehen unter Druck. Vom Redakteur, bis zum Häuslesbesitzer, der Angst um seinen Besitzstand hat, vom resignierten Hartz IV-Empfänger bis zum zweifelnden Kirchenmann.

Jetzt haben wir scheinbar "verloren", werden zu Sündenböcken und Verlierern ernannt. Zum Abschuss freigegeben.
Endlich hat der kollektive Hass ein Ventil, endlich können alle ihren Frust und ihre Wut, der eigentlich denen gilt, von denen sie gequält und unterdrückt werden, an uns auslassen. Ungefiltert. Das ist, wie wenn man einer vergewaltigten Frau sagt: selber schuld. Warum hast Du auch einen Rock getragen! Ja, warum bist Du eine Frau! Tief drinnen wissen sie genau, dass es Unrecht ist, was geschehen ist und geschieht, und was sie mit ihren Beschimpfungen, ihren Hasstiraden, ihrer Diffamierung antun. Um dieses Unbehagen abzuwehren, werden sie noch unflätiger.

So hat letztlich Faschismus, eskalierter Ausdruck von Treten und getreten werden, funktioniert: Geballte Wut und Hass kanalisiert von oben auf die von ihnen aussortierten und diffamierten: "Schwache" „Defekte“ „Kranke“ „Störer““Randalierer“. Teile und herrsche! Angst verbreiten. Treten und getreten werden. Wir müssen uns warm anziehen und dürfen uns nicht provozieren lassen, auch wenn es uns im Hals würgt. Denn genau das, Provokation bis ins Mark, ist der Zweck der Tiraden. Was bleibt ist benennen. Immer wieder das Unrecht benennen, benennen, was ist.
Vielleicht nimmt das Wissen um die Zusammenhänge der Bitterkeit und dem Schmerz den Stachel. Vielleicht reicht es auch schon zu sagen: Sie tun mir weh!

(Text auf Wunsch der Autorin nach der ersten Veröffentlichung aktualisiert)

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