Mut- und Wutbürger in Quebec/Kanada

Zwar haben wir in der Stuttgarter K21-Bewegung schon eine Menge mit uns selbst zu tun, und wer täglich 30 bis 50 Mails zu lesen hat, die sich nur um S21/K21 drehen, der vergisst leicht, den Blick über den Tellerrand zu werfen. Aber Blockupy in Frankfurt hat uns erst kürzlich wieder gezeigt, wie Recht Günther Eich mit seinem Gedicht hat, in dem er am Anfang schreibt: "Schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!". Deshalb kann man eigentlich nur beständig WACHSAM sein!
Der Blick über den Tellerrand zeigt uns in diesen Tagen, dass sich auch der zivile Ungehorsam globalisiert. Zu dem unten aufgeführten Beispiel aus Kanada könnte man wieder mal sagen "S21 ist überall", wenn man nämlich S21 als Symbol nimmt für Demokratieabbau, Negierung des Bürgerwillens, Durchsetzung von Staatsmacht mit Polizeimacht, aber auch Kreativität und Vernetzung. Beeindruckend ist die Solidarität der Bevölkerung, vor der man sich nur verneigen kann. Ihr Topfschlagen und Lärmen erinnert an unser Stuttgarter Pfeifen und den Schwabenstreich. Was ist geschehen, dass sich die Provinz Quebec in Kanada im Aufstand befindet und bewundernswerten zvilen Ungehorsam leistet? Vor einem halben Jahr kündigte die Regierung von Quebec an, die Studiengebühren drastisch zu erhöhen. Damals ahnte noch niemand, dass dies zu den bisher größten Protesten in der Geschichte Quebecs und zu massenhaftem zivilem Ungehorsam führen sollte. Nach mehr als sechs Monaten Protest und drei Monaten Streik, in denen das akademische Leben in den meisten Hochschulen der kanadischen Provinz zum Erliegen kam und mehrmals Hunderttausende an Demonstrationen in Montreal teilnahmen, kündigte die Regierung am 16. Mai ein Notstandsgesetz an, das sie tags darauf durch das Parlament jagte. Durch dieses Gesetz, die Bill 78, wurden alle Proteste in und um Universitäten verboten. Proteste im Rest von Quebec müssen vorher von der Polizei genehmigt werden.
Eine erste Antwort der Studierenden an die Behörden ließ nicht lange auf sich warten. Am 22. Mai, dem 100. Tag seit Beginn der Studierendenstreiks, kam es in Montreal zu den größten Protesten, die die Stadt bisher gesehen hat. In einem Akt des zivilen Ungehorsams gingen wieder Hunderttausende auf die Straße. Doch diesmal blieben die Studierenden nicht mehr unter sich. Seit die Regierung mit Bill 78 eine ganze Reihe wichtiger Grundrechte offen in Frage stellt, ist der Protest zu einer Sache geworden, der quer durch alle sozialen Schichten und Altergruppen reicht. Inspiriert von den Protesten gegen die Militärdiktaturen in Chile und Argentinien in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, macht seit einer Woche ein Facebook-Aufruf und eine Facebook-Gruppe in Quebec die Runde, in denen alle aufgerufen werden, um 20:00 Uhr für eineViertelstunde mit Töpfen und Pfannen Lärm zu machen.
Die Polizei in Quebec hat seit Inkrafttreten des Gesetzes eine wahre Verhaftungsorgie veranstaltet. Bis Ende der Woche soll es schon mehr als 2 500 Verhaftungen gegeben haben, was auch das Justizsystem an seine Grenze bringt. Trotzdem schließen sich von Tag zu Tag immer mehr Menschen den Protesten an. Meist bleibt es nicht bei einer Viertelstunde Topfschlagen und die
Menschen ziehen anschließend lärmend durch die Stadt. Oft kommen zu diesen spontan über Facebook organisierten Events mehrere Hundert Menschen zusammen. In den Außenvierteln oder kleineren Orten ziehen die Menschen auch los, wenn sie nicht ganz so viele sind.
In der Facebook-Gruppe wird dazu aufgerufen, seine Proteste über ein Googleformular zu melden, damit sie dann in einer Karte sichtbar gemacht werden können. An diesen Karten kann man sehr schön sehen, wie sich der Topfschlag-Protest in den letzten Tagen zuerst in Montreal und dann immer mehr im Rest von Quebec ausbreitet. 

Eindrucksvolle Videos gibt es unter dem folgenden Link:

 https://www.alex11.org/2012/05/quebec-im-aufstand/

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