[UPDATE] Rede bei der 140. Montagsdemo: Netzwerk Kernerviertel

[UPDATE]
Diese Rede gab es bei der Demo am 17.9. noch nicht auf blauem Papier, aber ab Donnerstag, 20.9. haben wir 500 Stück davon an der Mahnwache vorrätig, zum Nachlesen und zum Weitergeben an Nachbarn und Bekannte.

Rede von Frank Schweizer, Initiator des Netzwerks Kernerviertel, bei der 140. Montagsdemo am 17.9.2012

Hallo Stuttgart! Seid Ihr noch alle OBEN? OBEN hat man den besseren Überblick .

Wer sich gestern Abend den Sonntag vermiesen lassen wollte, ging ins Internet und hat sich die DB-Talkshow zugemutet. Sechs honorige Herren haben uns erklärt, was Sache sein soll. Antworten auf fünf abgesprochen Bürger-Fragen waren der Höhepunkt dieser Bürgerbeteiligung. Morgen Abend ab 20:00 Uhr im RegioTV gibt’s die Wiederholung.

In den zwei Stunden hat mich folgende Aussage von Prof Wittke aufhorchen lassen:
Zitat aus der Erinnerung: "Wenn sich Setzungen und Senkungen ergeben, wird das zu Schäden an den Gebäuden führen. Doch Schäden können praktisch ausgeschlossen werden."

In den nun ausliegenden Unterlagen zum 7. Planänderungsverfahren werden diese Aussagen mit einem 4-Seiten-Gutachten abgehandelt. Seriöser geht’s nicht.

Im Kernerviertel, wo ich seit 41 Jahren wohne hat ein privater Hausbesitzer wegen eines Umbaus einen Geotechniker mit einer Risikoabschätzung beauftragt. Dieses Gutachten war ca. 30 Seiten lang.
Über die geotechnische Problematik und die mangelhafte Begutachtung hat Matthias von Herrmann bereits gesprochen.

Stuttgart 21 verfolge ich von Beginn an sehr kritisch dh seit 1992. Für mich waren die Verletzung des Denkmalschutzes sowie die Risiken für das Mineralwasser die wesentlichen Gründe zur Ablehnung des Projektes. Als klar war, dass durch das Projekt Stuttgart 21 meine Frau und ich als betroffenen Grundeigentümer genötigt werden sollen, unsere Zustimmung zur Unterfahrung unseres Hauses zu geben, bekam unser Widerstand eine zusätzliche persönliche Dimension. Wir haben gegen den Planfestellungsbeschluß für den Fildertunnel bis vor das Bundesverwaltungsgericht geklagt und verloren. Das Lehrgeld war hoch.

Daher spreche ich heute Lobbyist aller betroffener Grundstückseigentümer. Das ist umso nötiger, weil der zuständige Hausbesitzer-Verband mehr OB-Wahlkampf für Herrn Turner betreibt als sich um die Interessen seiner Mitglieder zu kümmern. Wir pochen auf den Schutz des Eigentums, den uns unsere Verfassung verspricht. Doch auch Grundrechte muss man hierzulande einklagen, weil man sie nicht geschenkt bekommt. Eigentümer aus dem Kernerviertel haben sich zusammengetan, um sich gegen eine planmäßige und unmäßige Enteignung zu wehren.

In der Planfeststellung werden für einige Gebäude, die unterfahren werden, Beweissicherungsverfahren durchgeführt. Viele Eigentümer sind jedoch auf sich gestellt und müssen Bauschäden auf eigene Kosten nachweisen. Doch im konkreten Schadensfall werden wir von der Bahn wohl erst an den Verursacher verwiesen werden. Das ist in der Regel der Bauunternehmer, der dann hoffentlich nicht an dem billigen Angebot pleite gegangen ist, das er der Bahn gemacht hat. Aber da ja laut Experten „praktisch keine Schäden auftreten werden“ müssen sich die Hauseigentümer keine weiteren Sorgen machen.

Meine Frau und ich machen uns aber Gedanken, was die Bahn wohl sagt, wenn wir unser Haus barrierefrei machen und einen Aufzug einbauen wollen. Das Baurechtsamt der Stadt Stuttgart muss seit dem Planfeststellungsbeschluß im Jahre 2005 das Veränderungsverbot im Zuge der geplanten Tunnel beachten. Jedes Baugesuch muss den Segen der Bahn bekommen. Wohl dem, der schon einen Aufzug hat und nicht mehr aufstocken will.

Mit dem Planfeststellungsbeschluß hat die Bahn das Baurecht zB für den Fildertunnel. Sie hat es noch nicht einmal für den Abschnitt vom Flughafen nach Wendlingen beantragt. Aber das ist ja nur noch Formsache, denn die Genehmigungsbehörden haben ja eine Förderpflicht. Forderungen wie ein gescheiter Anschluß an den Flughafen oder ausreichender Brandschutz in den Tunnels ... werden die nun gefordert oder gefördert ? Ist die Landesregierung mit ihren Behörden nun eine Bahnförder-gesellschaft oder fordert sie, dass die Gesetze auch für die Bahn gelten ?

Wir vom Kernerviertel und andere betroffene Eigentümer verlangen, dass auch unsere Forderungen gefördert werden. Die Bahn wird auf der Rechtsgrundlage mindesten 1400 Grundbücher „verschmutzen“. Sie wird von uns verlangen, dass wir das Recht abtreten, unsere Grundstücke zu unterfahren. Dafür soll ein schäbig geringer Geldbetrag geleistet werden, damit wir künftig weniger über unsere Grundstücke verfügen können.

Aufgrund der Zustimmung zur Unterfahrung erfolgt ein Eintrag ins Grundbuch und damit wird das Unterfahrungsrecht dinglich gesichert. Die Entschädigung soll allein nach dem Wert des Grundstücks erfolgen. Der Gebäudewert spielt dabei keine Rolle.

Vor dem Referendum ging es darum, die Projektkosten zum Wohle der Allgemeinheit zu deckeln. Mit moderaten Kosten sollte das Projekt dem Stimm-Volk schmackhaft gemacht werden. Plötzlich wurden die Tunnelwände dünner aber auch die Summe für den Grunderwerb wurde drastisch heruntergerechnet. D.h. unsere Grundstücke verlieren durch die Grundbuchverschmutzung an Wert, aber die profitorientierte Bahn-AG erhofft sich bei den Entschädigungen ein paar Schnäppchen zu machen. Nicht mit uns.

Seit Samstag ist die Interessengemeinschft der betroffenen Eigentümer stark gewachsen. Es gibt nun neben dem Kernerviertel eine starke Gruppe am Killesberg, in Wangen und Untertürkheim, aber auch in der Sonnenbergstrasse, in Degerloch und in Gablenberg.

Wann wachen die Gewerbeflächenbesitzer am Fasanenhof auf?. Wird der Oberkirchenrat oder die Veronikaschwestern auf der Gänsheide die kalte Enteignung hinnehmen? Mal sehen, wer sich sonst noch meldet?

Sollen die alle noch zu Wutbürgern werden?

Ich selbst bin und werde kein Wutbürger. Ich werde alle Schreiben, die das Unterfahrungsrecht unseres Grundstücks betreffen mit der gebotenen Gelassenheit lochen und abheften. Dazu braucht es keinen Mut liebe Mitbürger.
Ich betrachte mich als Gut-Bürger weil ich eine gute Rechtfertigung für die immensen Kosten für ein Infrastrukturprojekt erwarte. Weil ich verlange, dass der Projektplaner gut plant und nicht geschludert wird, und wenn das gesamte Projekt genehmigungsfähig werden sollte, soll auch gut gebaut und nicht gepfuscht werden. Und schliesslich erwarte ich eine gute Entschädigung für alle unmittelbar Betroffenen, die Nachteile zum Wohl der Allgemeinheit hinnehmen sollen. Dies alles darf man in einem guten Rechtstaat erwarten.

Liebe Gut-Bürger, ich wünsche mir von der nächsten Bundesregierung, dass sie auf die Dividende von einer Bahn-Aktiengesellschaft verzichtet. Stattdessen sollte die der Bundes-Finanzminister Netzentgelte von vielen Nutzern unseres Schienennetzes einziehen. Unsere Vorfahren und wir haben ein gutes gutes Schienennetz finanziert. Daher stehen uns auch die die öffentliche Einnahmen in guten und in schlechten Zeiten zu.

Als Gut-Bürger werden wir den Widerstand gegen ein unsinniges Projekt in aller Güte, aber mit Nachdruck und zum Wohle der Allgemeinheit fortsetzen und schliesslich werden wir OBEN BLEIBEN.

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