Aus Moldawien: Liebe Grüße an die Demonstranten gegen S21

28.09.12

Ich bin nun hier in Moldawien bei einem ehrenamtlichen Einsatz und kann in diesem Jahr leider nicht an der Demo zum Gedenken an den Schwarzen Donnerstag teilnehmen.
Aber ich habe die neue einund20 mit dabei und lasse mir beim Lesen der verschiedenen Artikel die Ereignisse am 30.09.2010 nochmals in Erinnerung wach werden. Eigentlich brauche ich nicht groß nachzudenken, denn dieser Tag hat sich in meinem Gedächtnis eingebrannt.
An diesem Tag hat sich viel verändert, noch mehr als in der ganzen Zeit zuvor. Der Abbruch des Nordflügels war für mich schon unvorstellbar. Etwas zu zerstören was gut funktioniert, ich meine hiermit den Bahnhof, ohne den Beweis zu erbringen, dass das Neue besser ist. Diese Belege, und dann auch noch zu Ungunsten der Bahn, wurden ja erst später nachgereicht. Auf unseren Druck hin und zunächst in wissentlich gefälschter Form. (Lügenpack, egal ob schwrz/glb oder grn/rt).

Aber zurück zum 30.09.2010. Meine Tochter und ich wurden per Handy alarmiert und wir telefonierten noch mit Freunden und machten uns umgehend auf den Weg in den Park. Dort angekommen waren wir zunächst entsetzt über das massive Polizeiaufgebot, das ich seit Wackersdorf so nicht mehr gesehen habe. Und das in Stuttgart.

Wir haben uns mit den anderen Demonstranten auf den Boden gesetzt und wurden von den anrückenden Polizeihorden, die uns zurückdrängen wollten, mit Pfefferspray und Wasserwerfern attackiert. Wir blieben alle sitzen, obwohl saichnass und mit brennenden Augen, und riefen den Maskierten die Worte zu „wir sind friedlich, was seid ihr?“. Davon unbeeindruckt wurde jeder Einzelne von uns aus der gegenseitigen untergehackten Position herausgerissen und beiseite gezerrt. Es wurde noch keiner in Gewahrsam genommen, die Polizei hat ja zunächst Keile in die vielen Demonstranten getrieben, um diese zu trennen. Auch meine Tochter und ihre Freunde habe ich dabei aus den Augen verloren (sie brannten immer noch). Aber wir waren ja viele und hatten alle dasselbe Ziel: das sinnlose Fällen der Bäume zu verhindern. Also haben wir uns anderer Stelle neu formiert und uns wieder zum gewaltfreien Widerstand auf den Boden gesetzt. Es passiert wieder das gleiche wie zuvor, nur dass mit den Wasserwerfer nun direkt in die friedlichen Demonstranten hineingeschossen wurde. Nachdem wir nun endgültig nass bis auf die Knochen wieder auseinandergerissen und beiseite gezerrt wurden, habe ich mich entschlossen, einen Baum zu besetzen und bin hochgeklettert. Dort waren bereits zwei Gleichgesinnte.

Dann ging es rund um unseren Baum unten richtig los. Zunächst rückte der Wasserwerfer näher heran und wir konnten die grinsenden und lachenden Gesichter der Besatzung sehen, wenn diese in die Demonstranten gehalten hat. Gleich darauf kamen die unkenntlich Gepanzerten und zogen die Leute hoch und stießen diese vor sich her. Sehr viele stürzten und fielen auf die anderen Demonstranten. Unter unserem Baum blieb eine Frau reglos liegen und aus den Reihen der Demonstranten wurde erste Hilfe geleistet. Die Uniformierten kümmerten sich nicht darum, obwohl sie direkt vor ihr standen. Auch unsere Rufe aus dem Baum wurden überhört. Im Gegenteil, die Helfer wurden hochgezerrt und in die am Boden sitzenden Demonstranten gestoßen/geworfen. Erst nachdem die Doppelreihe der Maskierten über die Frau, die immer noch am Boden lag, hinweg getrampelt ist, konnten Sanitäter zu der Verletzen und Sie wurde mit einer Trage weggebracht.

Nachdem die S21-Gegner aus dem Bereich gewaltsam heraus gedrängt waren, mussten wir auf dem Baum mit ansehen, wie die Gitter aufgestellt wurden. Etwas weiter von uns entfernt wurden die Leute schon aus den Bäumen geholt. Bei uns dauerte es noch einige Zeit, bis die schwarzen Masken anrückten, um sich dann von einem Kran zu uns hochhieven zu lassen. Wir wurden in ein Geschirr gezwängt und dann mit dem Kran auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Boden der Tatsachen deshalb, da ich sprachlos war über diese Brutalität, die an diesem Tag von der Staatsmacht ausgegangen ist. Wir wurden abgeführt und dabei musste ich mich fragen, mit welchen Worten oder Befehlen die Polizisten hier in den Einsatz geschickt wurden. Eine der beiden Polizisten, eine junge Frau, führte mich wie einen Schwerverbrecher ab und drehte mir den Arm auf den Rücken. Erst der Kollege, ein etwas Erfahrener, überzeugte sie davon, dass wir friedlich sind.

Aber nicht genug, wir wurden mit dem Auto zur Wache Süd gefahren und nach Aufnahme der Personaldaten und den Fotos in einem Transportbus in Einzelzellen gesteckt. Ohne etwas zu essen und zu trinken. Nach einigen Stunden wurden wir dann in einem VW-Bus (älteres Baujahr, ohne Bänke; wir mussten auf dem Boden sitzen), zum Pragsattel gefahren. Dort wurden wir dann einzeln dem Haftrichter vorgeführt und anschließend wurde ich allein in eine Zelle gesperrt und erst am nächsten Morgen freigelassen.
Und wofür? Dafür, dass wir Bäume schützen wollten, die mit aller Gewalt, widerrechtlich, gefällt wurden. Ohne Notwendigkeit wurde hier ein Bauprojekt begonnen, das weder korrekt geplant, noch in allen Bereichen genehmigt ist. Das Missmanagement der Deutschen Bahn, das hier einmal mehr zum Vorschein kommt, wird zum ausführenden Organ und Mittäter (auch die Bahn profitiert davon) einer geldgierigen Politik, die dem Volk Wasser predigt und selbst Wein säuft.

Ich als Architekt will nicht wissen, was man mir von Behördenseite erzählen würde, wenn ich mit solch einer Planung mit einem Bauvorhaben beginnen würde.
Dass die Polizei, die Staatsgewalt, an diesem Tag ein solches Vorgehen gezeigt hat, hat mein Vertrauen in eine gerechte Demokratie einen deutlichen Schaden nehmen lassen. Nur wir, die Gegner von S21 und Befürworteter des Kopfbahnhofs, können hier Schaden vom Volk abwenden und Geldverschwendung verhindern.
Deshalb weiterhin Oben bleiben. Und wenn ich wieder zurück bin, bin ich auch bei der nächsten Montagsdemo mit dabei.
Herbert Fleischmann

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