Rede von Peter Pätzold bei der Samstagsdemo

Rede von Peter Pätzold, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stuttgarter Gemeinderat, auf der Kundgebung am 23.2.2013 auf dem Schlossplatz

Peter Pätzold ©weibergLiebe Freundinnen und Freunde eines vernünftigen Schienenverkehrs,
der Umbau des Schienenverkehrsknotenpunkts Stuttgart ist eine wichtige und notwendige Aufgabe. Aber Stuttgart 21, die Tieferlegung des kompletten Verkehrsknotens, taugt nicht zu ihrer Lösung.

Stuttgart 21 ist gescheitert. Nicht nur an dem unverantwortbar schlechten Brandschutz, nicht nur an der unzureichenden Leistungsfähigkeit, auch nicht nur am nicht genehmigungsfähigen Grundwassermanagement: Stuttgart 21 ist an der Finanzierung gescheitert.

Was wir der Bahn schon immer vorgerechnet haben, räumt die Bahn seit dem 12. Dezember 2012 auch offiziell ein: Mehrkosten von 2,3 Mrd. EUR, eine Steigerung der Baukosten um 50 Prozent gegenüber den bisher genannten 4,5 Mrd. EUR Gesamtkosten: Der Kostendeckel wurde nicht nur gerissen, er wurde gesprengt.

Je länger dieses Projekt dauert, desto teurer wird es. Und zwar ohne dass sich auf der Baustelle wirklich etwas tut. Ich will nicht wissen, wie die Kosten explodieren würden, wenn erst gebaut würde.

2005 hat man unter Bahnchef Mehdorn noch für 2,8 Mrd. EUR einen kompletten Tiefbahnhof bekommen. 2013 unter Bahnchef Grube reicht dieser Betrag nur noch für die Mehrkosten. Ein Ende dieser finanziellen inflationären Geisterbahnfahrt ist nicht in Sicht.

Wir vertrauen nicht mehr auf die Zahlen der Bahn. Zu oft wurde uns erzählt, jetzt wären aber alle Kosten erfasst. Jetzt stellt sich heraus, dass die Bahn die wirklichen Kosten selbst dem eigenen Aufsichtsrat nicht zumutet. Wir verlassen uns nur noch auf belastbare Kostenrechnungen, die die Bahn aber auch trotz Datenraum nicht beibringt.
Die Bahn meint, sie tut uns etwas Gutes, wenn sie eine weitere Milliarde bringt und meint, Stadt, Land und Region könnten auch eine bringen. Aber, das sagen wir deutlich: Für diese Kleinigkeit von einer Milliarde an öffentlichen Geldern, Steuern von Ihnen und mir, könnten wir uns wesentlich sinnvollere Verwendungen vorstellen.

Und noch sind wir keine Bananenrepublik. Denn die Kanzlerin kann nicht so einfach, um ihr Gesicht zu wahren, die Haftung für den Bahn-Aufsichtsrat aushebeln und mal schnell ein paar Milliarden aus dem Bundeshaushalt zur Bahn schieben. Soll die Kanzlerin ruhig versuchen, die Mehrkosten für Stuttgart 21 über den Bundesverkehrswegeplan zu erhalten. Irgendwann wachen auch die anderen Bundesländer auf und erkennen, wie Stuttgart 21 auch ihnen das Geld für Schienenprojekte entzieht.

Die Bahn hat doch heute schon viel zu wenig Geld, um ihre Schienen und Bahnhöfe in der ganzen Bundesrepublik in Schuss zu halten. Deshalb werden die Mehrkosten für Stuttgart 21 Thema in der ganzen Republik werden. Jeder marode Bahnhof, jede schlechte Strecke, jeder alte Zug erinnert dann an das große Gemauschel in Stuttgart.

Stadt und Land haben sich eindeutig geäußert. Es gibt über die bisher zugesagten keine weiteren Gelder mehr, der Bahnhofsbau ist weder Sache des Landes noch der Stadt. Das ist für alle eigentlich einfach zu verstehen.
Stuttgart trägt heute schon schwer an Stuttgart 21. Viele Kosten für die Stadt tauchen gar nicht in der Finanzierungsvereinbarung auf. Durch Stuttgart 21 verursachte Folgekosten gehen weit über den dort genannten Beitrag der Stadt hinaus.

Die S21-Mehrheit aus CDU, SPD, FDP und FW im Gemeinderat haben vor Jahren in Projekt beförderndem Jubel beschlossen, auf Verzugszinsen von insgesamt 212 Mio. EUR für die verspätete Nutzung der Stuttgart 21-Grundstücke bis 2020 zu verzichten. Stuttgart verzichtet auch seit dem 1.1.2011 jedes Jahr auf rund 23 Mio. EUR Einnahmen zu Gunsten der Bahn. Runde 23 Mio. EUR kosten übrigens die jährlich notwendigen Unterhaltsmitteln für die Schulgebäude. Die Stadt bekommt keinerlei Miete oder Pacht von der Bahn für die Nutzung der Gleisanlagen, die Stadt hat eine Schule wegen Stuttgart 21 neu gebaut, die Stadt hat den Busbahnhof verlegt und und und.

Der Hauptbahnhof ist der wichtigste Verkehrsknoten in der Region. Hier laufen alle S-Bahn-linien durch, Tausende von Menschen steigen täglich zwischen Regionalzügen, S- und Stadtbahnen und Bussen um. Tausende von Arbeitnehmern sind auf einen zuverlässigen und pünktlichen Öffentlichen Verkehr angewiesen.

Wenn die S-Bahn, das Rückgrat des Öffentlichen Verkehrs in der Region, ausfällt, hat die Wirtschaftsregion Stuttgart ein Problem. Und das ist wirtschaftlich nicht unbedeutend. Das haben alle erfahren, als sie miterleben mussten, wie Probleme mit dem Gleis 10 das ganze Nahverkehrssystem ins Stocken gebracht haben. Dabei handelte es sich nur um eine Weiche. Der Nahverkehrsknotenpunkt Stuttgart muss aber zu jeder Zeit funktionieren. Ob ohne eine Baustelle oder mit einer Baustelle. Das muss gewährleistet sein. Aber das ist es mit Stuttgart 21 nicht.

Was kommt, wenn man Stuttgart 21 endlich beendigen würde? Sicher nicht das große schwarze Loch, welches die Projektbefürworter immer als Drohkulisse aufbauen. Das Loch kommt, wenn Stuttgart 21 kommt.

Und auch heute werden, wie schon bei der Volksabstimmung, wieder völlig überzogene Ausstiegskosten ins Feld geführt. So wie die Bahn die Projektkosten runterrechnet, rechnet sie die Ausstiegskosten munter hoch. Aber machen wir uns nichts vor, es wird auch nicht einfach, wenn der Ausstieg kommt. Es gibt keine fertige alternative Planung. Trotzdem, es gibt genügend Ideen. Seit Jahren diskutieren wir über den Stuttgarter Bahnknoten, seit Jahren sind wir alle richtige Bahnexperten. Viele Vorschläge wurden in diesen Jahren schon gemacht.

Zuerst muss natürlich der Bahnhof soweit wieder in Stand gesetzt werden, dass er wieder ohne Einschränkungen als Fern- und Nahverkehrsknoten funktioniert.

Und wir müssen uns darüber verständigen, was dieser Verkehrsknoten leisten soll. Was brauchen wir? Was wollen wir? Welche Kriterien müssen erfüllt sein? So muss ein Planungsprozess mit Bürgerbeteiligung angeschoben werden, um den Schienenverkehrsknoten Stuttgart für die Zukunft fit zu machen. Und diesmal mit einem offenen Ergebnis.
Dabei braucht keiner Angst zu haben, dass der Zugverkehr zusammenbricht. Denn selbst mit Stuttgart 21 muss ja der gerupfte Kopfbahnhof mit Gleis 10 und demoliertem Dach mindestens noch 10 Jahre seinen Dienst tun. Und in 10 Jahren kann man viel planen und bauen.

Keiner braucht Angst haben, dass mit dem Scheitern von Stuttgart 21 alle Welt auf uns zeigt und meint, dass wir hier keine Großprojekte mehr machen können. Im Gegenteil. Natürlich können wir hier im Land Großprojekte machen. Hier stehen genug Ingenieure und Architekten, die wissen, wie so was geht. Aber dazu braucht es eine anständige Planung, transparente Zahlen und klare Benennung von Risiken. Und man fängt erst dann zu bauen an, wenn die Planungen fertig sind und die Genehmigungen vorliegen.

Ansonsten kommen Bauten wie der Großflughafen in Berlin, die Elbphilharmonie oder schlussendlich Stuttgart 21 heraus. Und darüber lacht inzwischen die ganze Welt.

Die Bahn ist nicht alleine verantwortlich. Es sind auch die politischen Befürworter CDU, SPD und FDP in Bund, Land, Region und Stadt, die Verantwortung tragen. Sie haben die Bahn zu diesem Projekt gedrängt, manche drängen sie heute noch zum Weiterbau.

Es wäre zu einfach, die Bahn zum alleinigen Sündenbock zu machen. Auch wer jahrelang wegschaut, durchwinkt, abnickt und vor den Tatsachen die Augen verschließt, ist trotzdem mitverantwortlich für dieses Desaster.
Deshalb liebe Bahn und liebe Projektbefürworter von CDU, SPD und FDP, entscheiden Sie anhand von Zahlen und die Fakten und arbeiten Sie mit an einer wirklich guten, sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart.

Steigen sie aus – Steigen sie um – bleiben sie oben!

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Eine Antwort zu Rede von Peter Pätzold bei der Samstagsdemo

  1. Thomas Lederer sagt:

    Lieber Peter Pätzold
    Dem Großteil deiner Rede kann ich zustimmen-Es sind ja allgemein bekannte Tatsachen. Aber bei Zwei Aussagen möchte ich widersprechen. Es ist ,auch -nicht die Un-Finanzierbarkeit die dieses Projekt scheitern lässt. Das wünscht sich die Grüne Führung im Lande. Es ist der Widerstand auf der Strasse der dieses Projekt verhindert. Der Kostenrahmen von ca 10 Mrd. war den Entscheidern von Anfang an bekannt, genauso die Risiken. Einzig nicht bekannte Größe war der mächtige Widerstand. Jetzt können sie nicht mehr einfach weiter Lügen – die Kontrolle von Unten wird vom Widerstand organisiert.
    Zweitens, zu den politischen Befürwortern von S 21 gehört auch die grüne Führungsriege im Land. Man weiss zwar, dass die Damen und Herren persönlich gegen S 21 Sind, sie vertreten aber, dass man in diesem Amt nicht dagegen sein darf – das ist grüne Realpolitik in Reinform. Sie setzten auf taktische Spielchen und hoffen, wie du auch in deiner Rede sagtest, das Projekt erledigt sich jetzt über die Finanzierungsfrage von alleine. Dieses taktieren führte schon zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und zur Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken – und dies nur um hinterher sagen zu können – wären wir nicht gewesen, hätte es ja noch schlimmer kommen können ?????????

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