Offener Brief zum Schwarzen Donnerstag an Landesregierung

Offener Brief des AK Bürgertribunal zum 30.9.2010, verschickt an Ministerpräsident Kretschmann, Innenminister Gall, Justizminister Stickelberger und MdL Uli Sckerl (Grüne)

Schwarzer Donnerstag: Noch immer keine Antworten!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

bei dem brutalen Polizeieinsatz am 30.9.2010 im Schlossgarten wurden über 400 Menschen verletzt. Etliche erlitten schwere Augenverletzungen und viele leiden seither unter Traumatisierung.

Das Bürgertribunal zum 30.9.2010 behandelte ein Jahr später die Ereignisse mit zahlreichen Zeugenaussagen, Fotodokumenten und juristischen Bewertungen mit dem Ergebnis: der Polizeieinsatz war unrechtmäßig und brutal, Wasserwerfer- und Pfeffersprayeinsätze waren lebensgefährdend und verstießen selbst gegen die eigenen Vorschriften und gegen die Menschenrechte.

Das Bürgertribunal verabschiedete eine Schlusserklärung u.a. mit den Forderungen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, den Einsatz für unrechtmäßig zu erklären und die Opfer zu entschädigen. Diese Erklärung wurde mit über 4.500 Unterschriften unterstützt und Ihnen am 5.12.2011 persönlich übergeben.

Nachdem über drei Monate später noch keine Reaktion erfolgt war, stellten wir 10 Fragen an Sie, die auch bei der Montagsdemonstration Ende März 2012 öffentlich vorgetragen wurden. Zwei weitere Nachfragen unsererseits folgten.

Wir erhielten zwei Antwortschreiben mit immer ähnlichen Worten: „...Ich darf Ihnen versichern, dass es Herrn Ministerpräsident Kretschmann und der Landesregierung wichtig ist, Ihr Anliegen zu hören und ernst zu nehmen... aber: die Landesregierung kann natürlich nicht in staatsanwaltliche Ermittlungen eingreifen...“

Will die Landesregierung die Aufarbeitung des 30.9.2010 aussitzen? Soll die Forderung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, still und heimlich abserviert werden?

Diesen Eindruck vermitteln die bisherigen Fakten:

  • Innenminister Gall der Regierung Kretschmann/Schmid hat den Polizeibericht zum 30.9.2010 widerspruchslos akzeptiert. Für den Untersuchungsbericht, beauftragt noch vom früheren Ministerpräsidenten Mappus, war der ehemalige Inspekteur der Polizei Schneider verantwortlich, der selbst an der Vorbereitung des Polizeieinsatzes vom 30.9.2010 beteiligt war. Der Bericht bescheinigt der Polizeiführung und der Regierung Mappus, dass der Einsatz sozusagen alternativlos war.
  • Damit schiebt auch die jetzige Landesregierung von GRÜNEN und SPD den Demonstranten die Verantwortung für den 30.9.2010 zu, so wie es vorher Ministerpräsident a.D. Mappus tat. Es ist inzwischen bewiesen, dass die Eskalation von der Polizei ausging. Darüber berichtete selbst die Stuttgarter Presse.
  • Die Staatsanwaltschaft in Person von Oberstaatsanwalt Häußler hat die Aufnahme von Ermittlungen gegen Polizeipräsident a.D. Stumpf und Ministerpräsident a.D. Mappus abgelehnt, obwohl Stumpf die Wasserwerfer freigegeben und den „sehr rustikalen Einsatz“ mit Einsatzleitern abgesprochen hatte. Der Verantwortliche ging unbehelligt in Pension.
  • Die Landesregierung setzt den sogenannten „Rahmenbefehl“ zur Bespitzelung der S21-Gegner uneingeschränkt fort. Skandalöser Beleg dafür sind Hausdurchsuchungen wie die bei dem Vorsitzenden Richter am Landgericht a.D. Dieter Reicherter sowie bei einem unbescholtenen Kriminalbeamten.
  • Mit großer Akribie werden tausende S21-Gegner verfolgt und vor Gericht gestellt oder mit Strafbefehlen und Bußgeldbescheiden belegt.
  • Die dafür verantwortliche Politische Abteilung der Staatsanwaltschaft unter Oberstaatsanwalt Häußler hat volle Rückendeckung von der grün-roten Landesregierung erhalten.

 

Diese Zustände sind eines demokratischen Landes unwürdig!

Eine „Amnestie“, wie sie bereits angedacht wurde, bei der Polizei und Gegnern gleichermaßen die „Schuld“ erlassen wird, ist nicht akzeptabel. Täter (Polizei) und Opfer (Demonstranten) dürfen nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden. Stattdessen erwarten wir endlich eine angemessene Entschädigung der Opfer. Das Land Baden-Württemberg muss sich seiner Mitverantwortung dafür endlich stellen. Das ist das Mindeste, was es einem Opfer wie dem nahezu erblindeten Dietrich Wagner schuldet.

Zu Recht verurteilen Regierungsvertreter und Sprecher der Parteien in Deutschland das brutale Vorgehen der Polizei im Auftrag der amtierenden Regierung in Istanbul.

Und in Stuttgart?

Am 30.9.2010, dem „Schwarzen Donnerstag“, ging die Polizei auf Geheiß der Landesregierung mit vergleichbarer Brutalität gegen die Demonstranten im Stuttgarter Schlossgarten vor. Wenn dieselben Politiker das Geschehen in Istanbul entschieden verurteilen, aber bis heute nicht mit derselben Entschiedenheit die entsprechenden Geschehnisse bei uns in Stuttgart brandmarken, so ist das scheinheilig und zynisch.

Wir lassen nicht locker!

Lesen Sie dazu auch die Dokumentation über das Bürgertribunal zum Schwarzen Donnerstag „Wir klagen an!“, ISBN 978-3944137995.

Mit freundlichen Grüßen
i. A des Bürgertribunals zum 30.9.2010
Reiner Weigand, Dieter Reicherter, Ursula Viertel

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2 Antworten zu Offener Brief zum Schwarzen Donnerstag an Landesregierung

  1. Werner Roth sagt:

    Die Verantwortlichen sollten sich schämen. Jeder gerecht denkende Mensch wendet sich mit Abscheu ab uns muß einfach die Bestrafung der Verantwortlichen fordern – und erwarten.
    Aber: Wir leben in einer Bananenrepublik!
    Dies ist kein Rechtsstaat. Die Gewaltenteilung laut GG steht nur auf dem Papier. Die Richter – und die Staatsanwaltschaft – ist nicht unabhängig von der Politik, da Politiker Wohlverhalten mit schnellerer Beförderung belohnen. Und leider arbeiten viele Juristen nach dem Motto: Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe!

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