S21 und die Rolle der evangelischen Landeskirche

Am 4. Dezember 2013 stellte sich ein evangelischer Pfarrer vor die Mikrofone einer ökumenischen S21-Tunneltaufe (siehe: youtube-Video vom 04.12.13) und eröffnete "im Namen der Kirchen" die Veranstaltung feierlich. Dabei hatte im Jahr 2010 der Pressesprecher der evangelischen Landeskirche, Christian Tsalos, betont, wenn einzelne evangelische Pfarrer sich für oder gegen "Stuttgart 21" engagierten, dann äußerten sie sich als Privatbürger und nicht im Namen der Kirche (siehe: S21-Sammlung der Landeskirche). Am 20.12.2013 machte der Musiker Thomas Felder mit einer Aktion am Sitz des Ev. Oberkirchenrats in Stuttgart auf diese Diskrepanz aufmerksam, seine Fragen an Landesbischof July blieben allerdings unbeantwortet. Mit seinem Brief vom 07.01.2014 an den evangelischen Landesbischof July, gibt Ulrich Scheuffele nun Einblicke in seine Kritik an der Institution der evangelischen Landeskirche und ihrer Rolle bei S21:

Lieber Bischof July,

heute schreibe ich Ihnen, nachdem ich bei der „Tunnelpredigt“ von Thomas Felder vor Ihrem Amtssitz dabei war. Diese Veranstaltung hat mir gezeigt, dass die Landeskirchenführung, wenn auch das Gegenteil behauptet wird, sich nicht neutral zu Stuttgart21 verhält, sondern verdeckt sogar hinter dem Projekt steht. Wenn dem nicht so wäre, hätten in der Vergangenheit immer wieder kritische Fragen, vor allem zur Lage der Barrierefreiheit aus Ihrem Hause kommen müssen. Ein weiteres Indiz ist, dass die ehemalige Leiterin des Diakonischen Werkes sich ungestraft öffentlich für S21 einsetzen durfte.

Ich möchte mich nicht weiter zu den technischen Details von S21 äußern, darauf ist Thomas Felder bereits sehr ausführlich in seiner „Predigt“ eingegangen. Ich möchte Ihnen heute berichten, wie aus mir, von einem aktiven Mitglied der Landeskirche ein Kritiker der Kirche wurde. In meiner Jugend war ich aktiv Mitglied im CVJM und in der Kirchengemeinde. Die Christusträger aus Bensheim haben uns zur Gründung einer Christlichen Pop-Band geliefert. Wir hatten relativ schnell einen Bekanntheitsgrad und waren häufig im süddeutschen Raum unterwegs, zu Jugendgottesdiensten und Evangelisationen.

Einer unserer Bandmitglieder war kein geringerer als der jetzige Schuldekan Dr. Christoph von Bühler. Mein Großvater war ein Opfer des Nationalsozialismus, weshalb ich von frühester Jugend pazifistisch ausgerichtet war und dadurch natürlich den Kriegsdienst verweigert habe. Damals musste man noch vor einem Prüfungstribunal erscheinen und wurde auf seine Gesinnung überprüft. Ich habe aus religiösen Gründen verweigert und mich schwerpunktmäßig auf die Bergpredigt festgelegt.

Nach meiner Anerkennung kam für mich persönlich nur der Zivildienst in einer kirchlichen Einrichtung in Frage und so bewarb ich mich im Kinderheim Hoffmannshaus, der Brüdergemeinde in Korntal. War ich ursprünglich der Meinung, in einer Einrichtung zu landen, wo ich als Mitchrist willkommen bin, so wurde ich recht schnell eines Besseren belehrt. Für die Heimleitung waren wir nur billige Arbeitskräfte und der Stellvertretende Heimleiter machte keinen Hehl daraus, dass wir in seinen Augen verkappte Kommunisten sind, genau so wenig machte er einen Hehl über seine „Braune Gesinnung“. Mir wurde verboten mein Auto auf dem Gelände des Heimes abzustellen, Grund, ein großer runder Aufkleber auf der Motorhaube mit einem umgestülpten Stahlhelm, aus dem eine Sonnenblume wuchs.

Bei den Heimkindern handelte es sich überwiegend um Sozialwaisen, also Kinder aus schwierigen Verhältnissen. Was diese Kinder vor allem gebraucht haben, war Verständnis und Liebe, was jedoch in diesem Kinderheim ein Fremdwort war. Ein Beispiel, wie die Seelen dieser Kinder gebrochen wurden, ist folgender Vorfall: Zu der Zeit als ich im Heim war, wurden zwei kleine Buben eingeliefert. Die Eltern der Buben waren kurz nacheinander an Krebs verstorben und es ist verständlich, dass die Kinder etwas durch den Wind waren, Was macht darauf hin die Heimleitung? Das Geschwisterpaar wurde getrennt. Einer der Jungen blieb in Korntal, der Andere kam nach Wilhelmsdorf. Dies hat natürlich das Trauma der Kinder verstärkt.

Ich habe den weiteren Weg dieser Kinder verfolgt, beide sind als Halbwüchsige straffällig geworden und im Gefängnis gelandet. Wenn mir etwas ans Gemüt geht, dann wenn Kinder gequält werden und leiden müssen. Eine meiner Stärken ist, dass ich die Gabe des Zuhörens besitze und mir immer wieder die Sorgen der Kinder angehört habe und versucht habe sie zu motivieren. Ich hatte deshalb ein gutes Verhältnis zu den Kindern und die Kinder haben mich gemocht. Dies ist natürlich der Heimleitung nicht verborgen geblieben und mir wurde vom Heimleiter Herrn Bitzer verboten weiterhin mit den Kindern Kontakt zu halten. Daraufhin wurde ich in die Gärtnerei des Heimes versetzt. Zu der Einstellung der Heimleitung passt auch, dass mich der Herr Bitzer einige Zeit vorher aufgefordert hat, mir EDL sollten doch ab und zu die Kinder verprügeln, wir Zivildienstleistenden dürften dies, die Erzieher jedoch nicht. Auch wurde das Personal teilweise nicht nach der Qualifikation, sondern nach dem Gesangbuch ausgesucht. So hatte ich eine Zeitlang mit einem „Hilfserzieher“ mein Zimmer geteilt und musste nach wenigen Tagen feststellen, dass diese Person psychisch krank war und dringend eine psychiatrische Betreuung benötigt hätte. Übrigens hat der Herr Bitzer technisches Personal des Heims, sowie Zivildienstleistende nach Wilhelmsdorf karren lassen, sie mussten dort an dem privaten Neubau des Herrn Bitzer arbeiten. Dafür hat er nach seinem Ausscheiden aus dem Heim auch das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen.

Meine Erlebnisse in Korntal haben dazu geführt, dass ich mich nach meiner Entlassung etwas von der Kirche entfernt habe. Ich wurde politisch aktiv und wurde 1978 in den Gemeinderat gewählt. Dann bekamen wir in Markgröningen einen neuen Pfarrer, Johannes Bräuchle. Es dauerte nicht allzu lange und Bräuchle war auch Thema im Gemeinderat. Ursache war, dass er ohne Genehmigung des Denkmalamtes Eingriffe in die denkmalgeschützte Bausubstanz der Bartholomäuskirche vorgenommen hatte. Seine Rechtfertigung;“ dies wäre ja seine Kirche und er dürfte tun und lassen was er wollte,“ Nachdem ich wusste, aus welchem Holz die Geistlichen seiner kirchenpolitischen Ausrichtung geschnitzt sind, war bei mir der Punkt erreicht und ich schrieb an den Oberkirchenrat, dass ich wegen den Umtrieben des Pfarrers Bräuchle meinen Austritt aus der Landeskirche mitteile. Daraufhin erfolgte ein längeres Gespräch mit dem Dekan, der dann auch Markgröningen besuchte und Gespräche mit dem Bürgermeister, Bräuchle und Mitgliedern des Kirchengemeinderates führte.

Schon damals hat sich die Katastrophe angekündigt, aber der Dekan war zu feige die Notbremse zu ziehen. Bräuchle hat dann versucht die Gemeinde in seinem fundamentalistisch pietistischen Sinne umzubauen. Alle die nicht mitgezogen haben waren seine Feinde. Es kam dann, dass in der Gemeinde der offene Krieg ausbrach, der Kirchengemeinderat untereinander zerstritten war und die Gemeindemitglieder sich auf der Strasse nicht mehr gegrüßt haben.

Vor zwei Jahren hat mich ein SWR-Reporter gebeten, ihn bei der Recherche zur Person Bräuchle in Markgröningen zu unterstützen. Ich habe mich darauf hin mit Gemeindemitgliedern, die mit Bräuchle auf Konfrontation waren unterhalten und musste feststellen, dass die Gräben in der Gemeinde immer noch nicht zugeschüttet sind.

Als dann begonnen wurde, meine Geburtsstadt Stuttgart als Opfer an den Mammon S21 zu zerstören, habe ich mich aktiv an dem bürgerlichen Widerstand beteiligt. Und wer war bei den Stadtzerstörern an vorderster Front? Unsäglicher Pfarrer Bräuchle. Am 30.9.2010, als die Politik der Stuttgarter Bürgerschaft im Stadtgarten den Krieg erklärt hat, war ich dabei und habe diese Tragödie hautnah erlebt. Die staatliche Gewalt gegen friedliche Demonstranten hat mich erschüttert. Erschüttert hat mich auch Ihr Kommentar zu den Vorfällen: „es hat Gewalt gegen die Polizei gegeben, dass darf so nicht hingenommen werden“.

Nachdem die Propagandalüge der Polizei und Politik aufgedeckt wurde war plötzlich Schweigen auf der Seite der Kirchenführung. Nachdem von dem Richter a.D. Dieter Reicherter, der bei der Felder-Predigt auch anwesend war, der Rahmenbefehl2 des Innenministers Gall veröffentlicht wurde und darin die Christen gegen Stuttgart21 und ihr Parkgebet als Gefährlich eingestuft wurde mit dem Auftrag diese vom Staatsschutz zu überwachen, in meinen Augen ein Aufruf zur Christenverfolgung, wieder Schweigen beim Landesbischof.

Als in der Stuttgarter Innenstadt Anti-NPD-Demonstranten und unbeteiligte Passanten von der Polizei eingekesselt, stundenlang bei brennender Hitze festgehalten, dann gefesselt, in Zellen gesperrt und verhört wurden, auch da Schweigen des Bischofs. Die von der Landeskirche geduldete Tunneltaufe hat dann dem ganzen die Krone aufgesetzt. Lieber Herr Bischof July, sicherlich haben Sie jetzt Verständnis, dass ich von der Kirchenleitung schwer enttäuscht bin. Nicht enttäuscht bin ich von den Christen gegen Stuttgart21, die immer wieder moralische Standfestigkeit zeigen, die keine Angst vor politischer und strafrechtlicher Verfolgung haben, nicht zu vergessen die vielen PfarrerInnen in deren Reihe.

Mit einem freundlichen Gruß
Ulrich Scheuffele

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8 Antworten zu S21 und die Rolle der evangelischen Landeskirche

  1. demoschlampe sagt:

    ja auch die kirche ist und bleibt scheinheilig und da fährt sie in der politik sehr gut sie mischt sich ein und dann verschwinden die geistlichen in der versenkung. es sollte den armen in deuschland mal geholfen werden und nicht das alles ins ausland geht aber auch dieses thema ist bei der kirche tabu. ob die hilfe im ausland ankommt weis niemand so recht.und derweil werden die deuschen immer ärmer.
    demoschlampe

  2. Erwin sagt:

    Die historisch gut dokumentierten schlimmen und oft unmenschlichen Verhaltensweisen der Kirchen sind bekannt und recherchierbar. Offenbar hat sich daran bis dato wenig geändert. Da ich das nicht länger unterstützen konnte, bin ich aus ethischen Gründen aus der Kirche ausgetreten. Die in „S21 und die Rolle der evangelischen Landeskirche“ geschilderten Sachverhalte gereichen ihr nicht zur Ehre und zu einem besseren Ruf.

    Warum werden die zum Teil in großem Luxus lebenden Bischöfe auch noch „wie Ministerpräsidenten“ aus der Staatskasse bezahlt? Die grundgesetzlich gebotene Trennung von Kirche und Staat existiert nicht. Mich wundert es, das das bisher noch nicht verfassungsgerichtlich beanstandet wurde.

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/violettbuch-kirchenfinanzen-wie-die-kirche-sich-von-den-heiden-finanzieren-laesst-1613336.html

    http://stop-kirchensubventionen.de/bischoefe.html

    http://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20100425101949AAHhlF3

  3. S.E. sagt:

    Spricht mir aus der Seele! Danke!

  4. Christa sagt:

    Die Schilderung von Herrn Scheuffele hat mich sehr bewegt. Ich glaube allerdings nicht, daß der liebe Herr Bischof July Verständnis für seinen Frust über die Kirchenleitung hat. Es wird ihm vielmehr reichlich „wurscht“ sein. An der Stelle von Herrn Scheuffele hätte ich es mir erspart, von diesem Amtsträger Verständnis zu erheischen. Seit seinen Erfahrungen als ZDL im Kinderheim sollte er eigentlich geheilt sein von irgendwelchen Erwartungen. Gesinnungsethik ist weit verbreitet, Verantwortungsethik hat aber eine andere Dimension und erfordert eine andere Haltung.

  5. Gisela sagt:

    Der Pastor gehört der ev.-meth. Kirche an, nicht der ev. Landeskirche.

  6. Gisela sagt:

    Die hier geschilderten Vorgänge sind wirklich schlimm, und es ist gut, dass sie ans Licht kommen. Sie zeigen einmal mehr, welch großen Druck pietistische Kreise immer wieder ausüben. Sie sind zwar sehr engagiert, und man kann viel von ihnen lernen – gleichzeitig verschließen sie sich aber häufig notwendigen konstruktiven Dialogen mit Mitchristen anderer Glaubensrichtungen – und das ist schade, denn so bleiben sie auf ihren teilweise intoleranten Positionen stehen – auf Positionen, die ich in der Bibel so nicht finde. Glücklicherweise denken aber längst nicht alle Christen so. // Die Kirchenleitung darf nun nicht länger schweigen. Warum, das steht in dem wirklich lesenswerten Buch „Stuttgart 21-Christen sagen nein“, das gleichzeitig ein wichtiges Zeitdokument darstellt, weil es über S21 hinausweist.

  7. Gerhard sagt:

    Ist doch klar, die Kirche hat sich doch immer auf die Seite der Mächtigen geschlagen. Nach dem Motto: seid Untertan jeglicher Obrigkeit. Daran hat bis heute nichts geändert.

  8. Was erwartet Ihr denn von der Kirche?
    Sie ist vor allem die Kirche der Herrschenden
    und in der Regel nicht auf der Seite der Armen und Unterdrückten.
    2015 findet in Stuttgart der (ev) Kirchentag statt – eine gute Gelegenheit, sich kritisch zu Wort zu melden.

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